Ein junger IT-Spezialist und begehrtester Aufspürer von Sicherheitslücken bekommt immer größere und politisch brisantere Aufträge, verdrängtethische Skrupel und kann sich gleichzeitig immer weniger zurücknehmen, sein Können auch privat einzusetzen. Eine erschreckend aktuelle, packende Bestandsaufnahme heutiger Datenkriminalität.Leicht war es nie: Sivs Vater ist ständig pleite, seine Mutter geht mit einem Arzt fremd, und seine jüngere Schwester ist in die Drogensucht abgerutscht. Auch bei den Frauen kann er nicht punkten. Aber als professioneller Hacker - der Beste und Begehrteste in seinem Fach - wird er auf Händen getragen. Seine Aufträge in Israel und im Ausland werden politisch immer brisanter. Als er in einem europäischen Land ein Abhörsystem für Mobiltelefone installieren muss, um Regimekritiker ausfindig zu machen, kommen bei ihm erste ethische Skrupel auf. Einerseits redet er sich ein, nur seinen Job zu erfüllen - und andererseits kann er es immer weniger lassen, Sicherheitslücken von Smartphones mehr und mehr auch für private Zwecke zu nutzen ...
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Tobias Gohlis liest mit "Schwachstellen" einen faszinierend und zugleich verstörend realistischen Thriller über eine "fragile Gesellschaft zwischen Sicherheitsbedürfnis und Paranoia". Packend beschreibt Yishai Sarid, wie diese Paranoia zu Überwachung und Gewalt führt, Gewalt, die durch das Sicherheitsbedürfnis legitimiert und durch Technologie entpersonalisiert wird. Ob der israelische Rechtsanwalt und Ex-Nachrichtenoffizier hier die erschreckende Wirklichkeit schildert, oder doch ein wenig übertreibt, bleibt unklar, so Gohlis, tut aber auch nicht wirklich was zur Sache. So oder so hat Sarid einen Roman geschrieben, der aufrüttelt und beunruhigt - im besten Sinne.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2023Trilogie der Monster
Yishai Sarids Roman "Schwachstellen"
Yishai Sarid nimmt es in seiner Literatur gern mit Monstern auf. Der 2019 so betitelte Roman des 1965 in Tel Aviv geborenen Schriftstellers war deshalb interessant, weil er auf der narrativen Ebene umsetzte, wovon seine Erzählung handelte: von Erinnerung. Bei Sarid wird sie zum vielköpfigen Ungeheuer, das Bezug nimmt sowohl auf die Erinnerung an ein Menschheitsverbrechen, die alle, die damit zu tun haben, beschädigt, als auch auf das Erinnerte selbst, die Schoa. Sein folgender Roman, "Siegerin", handelte von einer Psychologin, die Rekruten der israelischen Armee das Handwerk des Tötens beibringt - nicht an der Waffe, sondern im Kopf. Weil alles, was wir tun, Folgen hat, und laut der monsterbegeisterten Trainerin nur derjenige im Gefecht erfolgreich sein kann, der frei bleibt von seelischen Schäden.
In seinem neuen, soeben in Ruth Achlamas Übersetzung auf Deutsch erschienenen Roman setzt Yishai Sarid sein Schlüsselmotiv fort, sodass man schon von einer "Monster"-Trilogie sprechen möchte. "Schwachstellen" handelt recht eigentlich sogar von dem Monstrum unserer Zeit: der Künstlichen Intelligenz. Erzähler ist Siv, ein Programmierer der israelischen Armee und Hackerheld im Darknet, der von einer privaten Firma abgeworben wird, die auf dem Feld von KI und Überwachung operiert.
Je mehr der junge Mann mit komplizierter Familiengeschichte - seine Schwester ist drogenabhängig, seine Eltern sind krank vor Sorge - sich in die digitale Schattenwelt begibt, umso mehr wird er einer Transformation unterzogen: "Ich merkte, dass ich süchtig wurde und mich in ein Monster verwandelte. Schleppte mich morgens zur Arbeit, lauerte aber nur darauf, abends heimzukommen und meine private Lauschstation einzuschalten. Ich teilte den Bildschirm auf und beobachtete mehrere Ziele gleichzeitig. Sog ihr Leben ein, als verschlänge ich Schokolade, Wurst und Brei auf einmal, bis mir zum Kotzen war."
Was Siv im Auftrag einer ominösen Firma und ihres smarten Algorithmus anstellt, legt die Schwachstellen unserer Gegenwart offen: dass aus Mobiltelefonen, Computern und all den Geräten, ohne die wir heute zu leben kaum mehr imstande sind, problemlos noch die intimsten Details herausgefischt werden können. Siv erstellt Bewegungsprofile, überblickt die Kontostände und schaut tief hinein in die Beziehungsgeflechte von Menschen, die es zu erpressen gilt. Dass er die Technologie bald für eigene Zwecke nutzt und die Schwester oder eine Übersetzerin überwacht, in die er sich verliebt hat, ist dem temporeichen Plot geschuldet.
Dass dieser Siv indes arglos Aufträge auch in autokratischen Ländern Afrikas oder Osteuropas ausführt, wird immer unglaubwürdiger. Und auch, wie er die moralische Bedenken zur Seite wischt. "Schwachstellen" ist ein Krimi, der Fokus liegt auf der Enttarnung jener Firma, die beileibe keine Menschrechtsorganisation ist, sondern von finsteren Typen geführt wird, die entsprechend finster geschildert werden. Jegliche Ambivalenz geht da flöten. Die größte Schwachstelle aber liegt darin, dass sich der Möglichkeitsraum von Künstlicher Intelligenz gerade in diesen Zeiten in so rasender Geschwindigkeit erweitert, dass die vor einem Jahr von Sarid beschriebene Dramatik beim heutigen Leser nur noch als Ängste von gestern ankommt. SANDRA KEGEL
Yishai Sarid: "Schwachstellen". Roman.
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Verlag Kein & Aber, Zürich 2023. 286 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Yishai Sarids Roman "Schwachstellen"
Yishai Sarid nimmt es in seiner Literatur gern mit Monstern auf. Der 2019 so betitelte Roman des 1965 in Tel Aviv geborenen Schriftstellers war deshalb interessant, weil er auf der narrativen Ebene umsetzte, wovon seine Erzählung handelte: von Erinnerung. Bei Sarid wird sie zum vielköpfigen Ungeheuer, das Bezug nimmt sowohl auf die Erinnerung an ein Menschheitsverbrechen, die alle, die damit zu tun haben, beschädigt, als auch auf das Erinnerte selbst, die Schoa. Sein folgender Roman, "Siegerin", handelte von einer Psychologin, die Rekruten der israelischen Armee das Handwerk des Tötens beibringt - nicht an der Waffe, sondern im Kopf. Weil alles, was wir tun, Folgen hat, und laut der monsterbegeisterten Trainerin nur derjenige im Gefecht erfolgreich sein kann, der frei bleibt von seelischen Schäden.
In seinem neuen, soeben in Ruth Achlamas Übersetzung auf Deutsch erschienenen Roman setzt Yishai Sarid sein Schlüsselmotiv fort, sodass man schon von einer "Monster"-Trilogie sprechen möchte. "Schwachstellen" handelt recht eigentlich sogar von dem Monstrum unserer Zeit: der Künstlichen Intelligenz. Erzähler ist Siv, ein Programmierer der israelischen Armee und Hackerheld im Darknet, der von einer privaten Firma abgeworben wird, die auf dem Feld von KI und Überwachung operiert.
Je mehr der junge Mann mit komplizierter Familiengeschichte - seine Schwester ist drogenabhängig, seine Eltern sind krank vor Sorge - sich in die digitale Schattenwelt begibt, umso mehr wird er einer Transformation unterzogen: "Ich merkte, dass ich süchtig wurde und mich in ein Monster verwandelte. Schleppte mich morgens zur Arbeit, lauerte aber nur darauf, abends heimzukommen und meine private Lauschstation einzuschalten. Ich teilte den Bildschirm auf und beobachtete mehrere Ziele gleichzeitig. Sog ihr Leben ein, als verschlänge ich Schokolade, Wurst und Brei auf einmal, bis mir zum Kotzen war."
Was Siv im Auftrag einer ominösen Firma und ihres smarten Algorithmus anstellt, legt die Schwachstellen unserer Gegenwart offen: dass aus Mobiltelefonen, Computern und all den Geräten, ohne die wir heute zu leben kaum mehr imstande sind, problemlos noch die intimsten Details herausgefischt werden können. Siv erstellt Bewegungsprofile, überblickt die Kontostände und schaut tief hinein in die Beziehungsgeflechte von Menschen, die es zu erpressen gilt. Dass er die Technologie bald für eigene Zwecke nutzt und die Schwester oder eine Übersetzerin überwacht, in die er sich verliebt hat, ist dem temporeichen Plot geschuldet.
Dass dieser Siv indes arglos Aufträge auch in autokratischen Ländern Afrikas oder Osteuropas ausführt, wird immer unglaubwürdiger. Und auch, wie er die moralische Bedenken zur Seite wischt. "Schwachstellen" ist ein Krimi, der Fokus liegt auf der Enttarnung jener Firma, die beileibe keine Menschrechtsorganisation ist, sondern von finsteren Typen geführt wird, die entsprechend finster geschildert werden. Jegliche Ambivalenz geht da flöten. Die größte Schwachstelle aber liegt darin, dass sich der Möglichkeitsraum von Künstlicher Intelligenz gerade in diesen Zeiten in so rasender Geschwindigkeit erweitert, dass die vor einem Jahr von Sarid beschriebene Dramatik beim heutigen Leser nur noch als Ängste von gestern ankommt. SANDRA KEGEL
Yishai Sarid: "Schwachstellen". Roman.
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Verlag Kein & Aber, Zürich 2023. 286 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die Hauptfigur von 'Schwachstellen'. der Computertechniker Siv, erinnert an den Staat Israel selbst: clever und mächtig, aber gleichzeitig verletzbar und sehr fragil.« Tessa Szyszkowitz, Tagesspiegel, 08.10.2023 Falter 20231011
Rezensent Tobias Gohlis liest mit "Schwachstellen" einen faszinierend und zugleich verstörend realistischen Thriller über eine "fragile Gesellschaft zwischen Sicherheitsbedürfnis und Paranoia". Packend beschreibt Yishai Sarid, wie diese Paranoia zu Überwachung und Gewalt führt, Gewalt, die durch das Sicherheitsbedürfnis legitimiert und durch Technologie entpersonalisiert wird. Ob der israelische Rechtsanwalt und Ex-Nachrichtenoffizier hier die erschreckende Wirklichkeit schildert, oder doch ein wenig übertreibt, bleibt unklar, so Gohlis, tut aber auch nicht wirklich was zur Sache. So oder so hat Sarid einen Roman geschrieben, der aufrüttelt und beunruhigt - im besten Sinne.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH