»Roßbacher glänzt mit intellektuellem Anspruch und Sinn für Komik« (Die Presse) - auch in ihrem zweiten Roman
Ihr Debüt war ein Paukenschlag: Verlangen nach Drachen hob sich »als buntschillernder Exot aus dem Grau deutschsprachiger Erstlinge hervor« (SZ) - dank glänzender Adaption des altwienerischen Tons, skurriler Figuren, hanebüchener Handlung und derb-komischer Sprache. Schwätzen und Schlachten treibt das alles auf die Spitze.Diesmal also Berlin, diesmal drei junge Helden, ein Mordfall und ein Versagen auf ganzer Linie. Dazu eine Erzählerin, die Teil des Geschehens ist und sich nach Kräften bemüht, den Überblick zu behalten, ein Kaffeehaus im Prenzlauer Berg, in dem in einem fort geredet wird, während Mehlspeisen verzehrt werden, ein Hausmusiktrio, jede Menge Ungereimtheiten und ein Muster aus Raute, Fliege, Sechseck, Fünfeck, Zehneck, das den Schlüssel zu allem bilden könnte, wenn ... Ja, wenn Stanjic, der Österreichflüchtling, Glaser, der Mann aus den neuen Medien, und von Sydow, der sich nach den Frauen verzehrt, ohne je eine zu bekommen, sich nur ein bisschen besser als Detektive eigneten - und eins und eins zusammengezählt hätten. Verena Roßbacher erschafft einen ganz eigenen Kosmos, in dem ihre monomanischen Figuren darum ringen, ihre Sicht der Dinge mit der allgemeinen Verfasstheit der Welt zusammenzubringen. Voller Komik, Skurrilität und Lust an der zielführenden Abschweifung wird hier erzählt, und etwas Großes entsteht: der Diskurs- und Gesellschaftsroman unserer Zeit! Ein Lesevergnügen, das dem Leser die Augen öffnet und übergehen lässt.
Ihr Debüt war ein Paukenschlag: Verlangen nach Drachen hob sich »als buntschillernder Exot aus dem Grau deutschsprachiger Erstlinge hervor« (SZ) - dank glänzender Adaption des altwienerischen Tons, skurriler Figuren, hanebüchener Handlung und derb-komischer Sprache. Schwätzen und Schlachten treibt das alles auf die Spitze.Diesmal also Berlin, diesmal drei junge Helden, ein Mordfall und ein Versagen auf ganzer Linie. Dazu eine Erzählerin, die Teil des Geschehens ist und sich nach Kräften bemüht, den Überblick zu behalten, ein Kaffeehaus im Prenzlauer Berg, in dem in einem fort geredet wird, während Mehlspeisen verzehrt werden, ein Hausmusiktrio, jede Menge Ungereimtheiten und ein Muster aus Raute, Fliege, Sechseck, Fünfeck, Zehneck, das den Schlüssel zu allem bilden könnte, wenn ... Ja, wenn Stanjic, der Österreichflüchtling, Glaser, der Mann aus den neuen Medien, und von Sydow, der sich nach den Frauen verzehrt, ohne je eine zu bekommen, sich nur ein bisschen besser als Detektive eigneten - und eins und eins zusammengezählt hätten. Verena Roßbacher erschafft einen ganz eigenen Kosmos, in dem ihre monomanischen Figuren darum ringen, ihre Sicht der Dinge mit der allgemeinen Verfasstheit der Welt zusammenzubringen. Voller Komik, Skurrilität und Lust an der zielführenden Abschweifung wird hier erzählt, und etwas Großes entsteht: der Diskurs- und Gesellschaftsroman unserer Zeit! Ein Lesevergnügen, das dem Leser die Augen öffnet und übergehen lässt.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Verena Roßbacher erhebt in ihrem neuen, zweiten Roman "Schwätzen und Schlachten" die Abschweifung zur Kunstform, berichtet Tim Caspar Boehme. Ganz am Anfang steht ein Mord, bis die Geschichte aber dann wieder bei ihm angekommen ist, braucht es eine Weile, verrät der Rezensent. Auch die langen Dialogen zwischen David Stanjic und Frederik von Sydow, die sich Sorgen um ihren Freund Simon Glaser machen, in dessen Wohnung sie ein Manuskript voller Gewaltfantasien entdeckt haben, sind unterbrochen von langen Einschüben, "absichtlichem Den-Faden-Verlieren", nur um ihn dann abrupt wieder aufzunehmen, erklärt Boehme. Zwischendurch streut die Erzählerin noch "dezente Kritik am Literaturbetrieb", wenn sie sich mit ihrem Lektor trifft und ihr Buch gegen Kürzungen verteidigt, "kurz und knackig" solle die Geschichte gar nicht sein, so der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2014Wilde Tanten, falsche Spur
Alles ist möglich, nichts gesichert: Verena Roßbachers skurriler Schelmenroman "Schwätzen und Schlachten"
"Ein Mord und gleich drei Hochzeiten, das klingt doch nach einem tollen Buch", meint der Lektor - und die Erzählerin bereut sofort, dass sie ihm von diesem Fall überhaupt erzählt hat. Was sie mit ihm, der vor allem den Markt im Auge hat und vor der Vertreterkonferenz zittert, noch für Kämpfe auszufechten hat, ahnt sie nicht - doch ihre Grundsatzdiskussionen werden zu einer besonders amüsanten Verfremdungsebene des Romans. Er spielt natürlich in Berlin, weil dort heute alle jungen Schriftsteller leben, einschließlich der Autorin selbst, die ihrem Alter Ego beim Schreiben spöttisch über die Schulter schaut. Die oft nur angedeuteten Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen beflügeln den Roman ungemein.
Er beginnt an einem heiteren Tag im Sommer 2012, als der Germanistikstudent Sydow, der Medienkünstler Glaser und der berufslose Stanjic (nur Nachnamen, fordert ihr Lektor - das klingt respektvoller) sich in einem schrägen, scheinbar aus der Zeit gefallenen Café in Berlin-Mitte kennenlernen. Weil der plüschige Ort so gar nicht zum coolen Flair der Hauptstadt passt, leuchtet es sofort ein, dass gerade hier jener mächtige Strom melancholischen Räsonierens und verdrehten Welt-Erzählens entspringt, der den Roman zum großen Lesevergnügen und gewitzten Anti-Berlin-Roman macht. Von diesen adretten Sesselchen, argwöhnisch bewacht von Sydows preußisch-straffer Oma, nehmen die vielen lustvoll erzählten Abschweifungen, Umwege und sprachakrobatischen Missverständnisse zwischen den dreien ihren schwungvollen Anfang - sie suchen in der jungen deutschen Literatur ihresgleichen und erinnern an Bohumil Hrabals Schelmenstücke.
Auch in Roßbachers erstem, in Wien spielendem Roman ("Sehnsucht nach Drachen") gab es ein eindrucksvolles Wirtinnen-Monster: Dort hieß es Klara, war eine Mischung aus Undine und Vamp und trieb alle Männer, einschließlich Stanjic, durch ihre fordernde Unentschlossenheit zur Verzweiflung. Jetzt ist Stanjic die rettende Flucht nach Berlin gelungen, und unter der Fuchtel von Oma Sydow, die die Jungen zwingen will, endlich erwachsen zu werden, läuft er zu großer Form auf: hingebungsvoll, ätzend und so unermüdlich wie Thomas Bernhard schimpft er auf die österreichische Verkommenheit, leidet bühnentauglich an der unverständlichen Welt, die ihn umgibt, und findet letztlich den Schlüssel nicht nur für die ganze Romankonstruktion, sondern auch für die rätselhafte Spannung, die sich immer bedrohlicher um die drei Helden herum aufbaut.
Wie einen klassischen Schelmenroman hat die Autorin die sechshundert Seiten in 139 knappe Kapitel mit erklärenden Überschriften unterteilt - aus deren Widersprüchen und Sprüngen sie ein zusätzliches burleskes Spiel macht: "Spielen Sie öfter mal mit Ihrer Schwimmnudel" heißt es da, "Üble Folgen der Laktoseintoleranz" oder "Schlachten - darum geht es". Doch diese schauerliche Überschrift ist ernst gemeint und eröffnet eine absonderliche, äußerst unterhaltsame Detektivgeschichte, die sich zum Schelmen- und Entwicklungsroman gesellt und dessen Spannungsbögen mit ihren eigenen durchkreuzt (wobei man viel über die Sollbruchstellen jener Gattungen erfährt). Jetzt geht es nicht mehr um das katastrophal schwierige Verhältnis zwischen Männern und Frauen und den Weltschmerz von drei Liebeskranken, sondern buchstäblich um Leben und Tod.
Eine verquere Tragik durchzieht den Roman, und das müsse so sein, sagte die 1979 in Vorarlberg geborene Autorin, die in Zürich Philosophie, Germanistik und Theologie studiert und das Leipziger Literaturinstitut absolviert hat, bei Gelegenheit, denn sie halte "Humor für unumgänglich im Umgang mit der Verzweiflung, alles andere ist ja eine eigentliche Frechheit". Also treibt sie mit leichter, aber unnachgiebiger Hand jede Szene und jede Facette dieser verstolperten Heldenwanderung auf die Spitze und lässt sie, in Umkehrung ihrer kathartischen Wirkung, in eine brillante Groteske kippen: Der Mord, vor dem Sydow und Stanjic zittern, passiert unweit des Sydowschen Landgutes vor laufender Kamera - unglücklicherweise vermischt sich die Aktion mit einer Wildschweinhatz. An dem fröhlich überinstrumentierten Weihnachtschaos in dem brüchigen Gutshaus in Mecklenburg-Vorpommern hätte nicht nur jeder Psychoanalytiker, sondern auch jeder Kommunikationstheoretiker seine helle Freude: Menschen brechen durch Fußböden und landen in fremden Betten (zwei unserer Helden finden so ins Eheglück), während Oma Sydow die anarchische Sippe mit dem Megafon dirigiert und die Plätzchen-AG beschimpft. Während dieser Tage leben Sydow und Stanjic, wie Asterix und Obelix, in einem burlesken Widerstandsnest gegen den tückischen Rest der Welt.
Zurück in Berlin, wird es ernst: Den Kampf ums Überleben muss jeder für sich bestehen, und Antworten auf brennende Fragen gibt es keine. Wie nebenbei liefert der Roman das Porträt einer ratlosen Generation, die ihre Ideen längst ausgeschlachtet sieht: Sie haben sich für kreativ gehalten und stellen mit dreißig fest, dass Literatur und Kunst ihnen nicht weiterhelfen - und die Neuen Medien schon gar nicht. Letztere kommen bei Roßbacher noch schlechter weg als Österreichs katastrophaler Seelenzustand: Glaser dreht Kurzfilme, in denen er, ohne ihr Wissen, das Liebesleben seiner Freunde ausbeutet. Und seine selbstgefällige Kunstphilosophie verstärkt die Demütigung nur noch, bis Stanjic sich zu wehren beginnt. Wie er das macht - das ist ein typischer, dreifacher Roßbacher-Salto mit tadellosem Finish. Ein skurriles Detail: Das Klopapier in Glasers Wohnung, das mit Informationen über "aperiodische Muster" bedruckt ist, bringt Stanjic auf die entscheidende Idee. Jetzt hilft ihm sein poetischer Blick, der ihm sonst nur das Leben schwergemacht hat, und zusammen mit Sydow, dem Sprachtüftler, erklärt er die ganze wuchernde Geschichte zum "Ornamentbaukasten". Seine Teile lassen sich dann nicht nur endlos neu kombinieren, sondern auch um die eigene Achse drehen und funktionieren wie Vexierbilder: Spitzfindigkeiten mutieren zu Bedrohungen und umgekehrt - Trost lauert also überall.
Ein dickes Buch, Ironie, Klamauk, politische Inkorrektheiten, heillose Verwicklungen - "wir machen alles falsch", jammert die Erzählerin bei einem der vielen Treffen mit ihrem Lektor. Er mischt sich ständig ein, verkündet steile Thesen zur "Allerneuesten Deutschen Literatur" und verlangt "knackige Liebesszenen". Ein Glück, dass die Erzählerin in diesen Dingen unerbittlich ist und ihn, wie eine moderne Scheherezade, hinhält. Sie schreibt und schreibt, bis er sich geschlagen gibt. Und Roßbachers ungebärdige Fabulierlust ist das Glück des Lesers: Denn an welcher Stelle man den Roman auch aufschlägt - sofort ergreift einen dieser wirbelnde Sog aus böser Larmoyanz und Sprachwitz, der so präzise und musikalisch gearbeitet ist, dass er bis zur letzten Seite nicht abreißt.
NICOLE HENNEBERG.
Verena Roßbacher: "Schwätzen und Schlachten".
Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2014. 640 S. , 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alles ist möglich, nichts gesichert: Verena Roßbachers skurriler Schelmenroman "Schwätzen und Schlachten"
"Ein Mord und gleich drei Hochzeiten, das klingt doch nach einem tollen Buch", meint der Lektor - und die Erzählerin bereut sofort, dass sie ihm von diesem Fall überhaupt erzählt hat. Was sie mit ihm, der vor allem den Markt im Auge hat und vor der Vertreterkonferenz zittert, noch für Kämpfe auszufechten hat, ahnt sie nicht - doch ihre Grundsatzdiskussionen werden zu einer besonders amüsanten Verfremdungsebene des Romans. Er spielt natürlich in Berlin, weil dort heute alle jungen Schriftsteller leben, einschließlich der Autorin selbst, die ihrem Alter Ego beim Schreiben spöttisch über die Schulter schaut. Die oft nur angedeuteten Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen beflügeln den Roman ungemein.
Er beginnt an einem heiteren Tag im Sommer 2012, als der Germanistikstudent Sydow, der Medienkünstler Glaser und der berufslose Stanjic (nur Nachnamen, fordert ihr Lektor - das klingt respektvoller) sich in einem schrägen, scheinbar aus der Zeit gefallenen Café in Berlin-Mitte kennenlernen. Weil der plüschige Ort so gar nicht zum coolen Flair der Hauptstadt passt, leuchtet es sofort ein, dass gerade hier jener mächtige Strom melancholischen Räsonierens und verdrehten Welt-Erzählens entspringt, der den Roman zum großen Lesevergnügen und gewitzten Anti-Berlin-Roman macht. Von diesen adretten Sesselchen, argwöhnisch bewacht von Sydows preußisch-straffer Oma, nehmen die vielen lustvoll erzählten Abschweifungen, Umwege und sprachakrobatischen Missverständnisse zwischen den dreien ihren schwungvollen Anfang - sie suchen in der jungen deutschen Literatur ihresgleichen und erinnern an Bohumil Hrabals Schelmenstücke.
Auch in Roßbachers erstem, in Wien spielendem Roman ("Sehnsucht nach Drachen") gab es ein eindrucksvolles Wirtinnen-Monster: Dort hieß es Klara, war eine Mischung aus Undine und Vamp und trieb alle Männer, einschließlich Stanjic, durch ihre fordernde Unentschlossenheit zur Verzweiflung. Jetzt ist Stanjic die rettende Flucht nach Berlin gelungen, und unter der Fuchtel von Oma Sydow, die die Jungen zwingen will, endlich erwachsen zu werden, läuft er zu großer Form auf: hingebungsvoll, ätzend und so unermüdlich wie Thomas Bernhard schimpft er auf die österreichische Verkommenheit, leidet bühnentauglich an der unverständlichen Welt, die ihn umgibt, und findet letztlich den Schlüssel nicht nur für die ganze Romankonstruktion, sondern auch für die rätselhafte Spannung, die sich immer bedrohlicher um die drei Helden herum aufbaut.
Wie einen klassischen Schelmenroman hat die Autorin die sechshundert Seiten in 139 knappe Kapitel mit erklärenden Überschriften unterteilt - aus deren Widersprüchen und Sprüngen sie ein zusätzliches burleskes Spiel macht: "Spielen Sie öfter mal mit Ihrer Schwimmnudel" heißt es da, "Üble Folgen der Laktoseintoleranz" oder "Schlachten - darum geht es". Doch diese schauerliche Überschrift ist ernst gemeint und eröffnet eine absonderliche, äußerst unterhaltsame Detektivgeschichte, die sich zum Schelmen- und Entwicklungsroman gesellt und dessen Spannungsbögen mit ihren eigenen durchkreuzt (wobei man viel über die Sollbruchstellen jener Gattungen erfährt). Jetzt geht es nicht mehr um das katastrophal schwierige Verhältnis zwischen Männern und Frauen und den Weltschmerz von drei Liebeskranken, sondern buchstäblich um Leben und Tod.
Eine verquere Tragik durchzieht den Roman, und das müsse so sein, sagte die 1979 in Vorarlberg geborene Autorin, die in Zürich Philosophie, Germanistik und Theologie studiert und das Leipziger Literaturinstitut absolviert hat, bei Gelegenheit, denn sie halte "Humor für unumgänglich im Umgang mit der Verzweiflung, alles andere ist ja eine eigentliche Frechheit". Also treibt sie mit leichter, aber unnachgiebiger Hand jede Szene und jede Facette dieser verstolperten Heldenwanderung auf die Spitze und lässt sie, in Umkehrung ihrer kathartischen Wirkung, in eine brillante Groteske kippen: Der Mord, vor dem Sydow und Stanjic zittern, passiert unweit des Sydowschen Landgutes vor laufender Kamera - unglücklicherweise vermischt sich die Aktion mit einer Wildschweinhatz. An dem fröhlich überinstrumentierten Weihnachtschaos in dem brüchigen Gutshaus in Mecklenburg-Vorpommern hätte nicht nur jeder Psychoanalytiker, sondern auch jeder Kommunikationstheoretiker seine helle Freude: Menschen brechen durch Fußböden und landen in fremden Betten (zwei unserer Helden finden so ins Eheglück), während Oma Sydow die anarchische Sippe mit dem Megafon dirigiert und die Plätzchen-AG beschimpft. Während dieser Tage leben Sydow und Stanjic, wie Asterix und Obelix, in einem burlesken Widerstandsnest gegen den tückischen Rest der Welt.
Zurück in Berlin, wird es ernst: Den Kampf ums Überleben muss jeder für sich bestehen, und Antworten auf brennende Fragen gibt es keine. Wie nebenbei liefert der Roman das Porträt einer ratlosen Generation, die ihre Ideen längst ausgeschlachtet sieht: Sie haben sich für kreativ gehalten und stellen mit dreißig fest, dass Literatur und Kunst ihnen nicht weiterhelfen - und die Neuen Medien schon gar nicht. Letztere kommen bei Roßbacher noch schlechter weg als Österreichs katastrophaler Seelenzustand: Glaser dreht Kurzfilme, in denen er, ohne ihr Wissen, das Liebesleben seiner Freunde ausbeutet. Und seine selbstgefällige Kunstphilosophie verstärkt die Demütigung nur noch, bis Stanjic sich zu wehren beginnt. Wie er das macht - das ist ein typischer, dreifacher Roßbacher-Salto mit tadellosem Finish. Ein skurriles Detail: Das Klopapier in Glasers Wohnung, das mit Informationen über "aperiodische Muster" bedruckt ist, bringt Stanjic auf die entscheidende Idee. Jetzt hilft ihm sein poetischer Blick, der ihm sonst nur das Leben schwergemacht hat, und zusammen mit Sydow, dem Sprachtüftler, erklärt er die ganze wuchernde Geschichte zum "Ornamentbaukasten". Seine Teile lassen sich dann nicht nur endlos neu kombinieren, sondern auch um die eigene Achse drehen und funktionieren wie Vexierbilder: Spitzfindigkeiten mutieren zu Bedrohungen und umgekehrt - Trost lauert also überall.
Ein dickes Buch, Ironie, Klamauk, politische Inkorrektheiten, heillose Verwicklungen - "wir machen alles falsch", jammert die Erzählerin bei einem der vielen Treffen mit ihrem Lektor. Er mischt sich ständig ein, verkündet steile Thesen zur "Allerneuesten Deutschen Literatur" und verlangt "knackige Liebesszenen". Ein Glück, dass die Erzählerin in diesen Dingen unerbittlich ist und ihn, wie eine moderne Scheherezade, hinhält. Sie schreibt und schreibt, bis er sich geschlagen gibt. Und Roßbachers ungebärdige Fabulierlust ist das Glück des Lesers: Denn an welcher Stelle man den Roman auch aufschlägt - sofort ergreift einen dieser wirbelnde Sog aus böser Larmoyanz und Sprachwitz, der so präzise und musikalisch gearbeitet ist, dass er bis zur letzten Seite nicht abreißt.
NICOLE HENNEBERG.
Verena Roßbacher: "Schwätzen und Schlachten".
Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2014. 640 S. , 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.04.2014Im Zelt
„Schwätzen und Schlachten“ – Verena
Roßbacher pfeift auf den gradlinigen Roman
VON HANS-PETER KUNISCH
Hier geht es nicht zur Sache, hier wird lange gefackelt, hier wird um den heißen Brei herumgeredet, hier werden viele Worte gemacht.“ Offensiv und taktisch geschickt kündigt der Klappentext Verena Roßbachers „Schwätzen und Schlachten“ an. Denn dieser Roman kommt auf seine 630 Seiten, weil der übersprudelnde Erzähldrang seiner Verfasserin sich dagegen sträubt, zielgerichtet zu sein. In 139 Kapiteln mit lustigen Titeln wie „Israel ist ein heißes Land“ oder „Der Auftritt des Schnösels“ hat die 1979 geborene österreichische Autorin ihr Buch aufgefächert, allzu lange mag sie bei einem Sujet nicht verweilen.
Zusammengehalten wird dieses quecksilbrig-quicklebendige Buch von seinen Hauptfiguren und den Schauplätzen. Letztere werden munter gewechselt, aber zentral sind Berlin und die Szene-Bar „Visite ma tente“ in Prenzlauer Berg, aber auch das „Liebling“, ein Anwesen in Mecklenburg-Vorpommern, und Zürcher Erfahrungen spielen ebenso eine Rolle wie der Antipode der preußischen Hauptstadt, Österreich. Dorther – und aus Roßbachers Erstling „Verlangen nach Drachen“ – kommt Stanjic, der Ex-Freund der Ich-Erzählerin namens Verena Roßbacher. Er ist ein Österreich-Flüchtiger, der sich auch in der Schweiz herumgetrieben hat.
Zusammen mit Glaser, dem „Mann aus den Neuen Medien“, und Frederik von Sydow, der, eine der verlässlichsten Konstanten des Buchs, von „meiner Frau“ spricht, aber keine hat, bildet Stanjic eine Taugenichtsgemeinschaft, die jedes Weltproblem auf Berliner Szenegerede herunterbrechen muss, denn alle Figuren des Romans, so verspricht ein kleines Nachwort, „sind auch im richtigen Leben genau so, wie sie im Buch vorkommen“. Abgesehen von den Namen: von Sydow etwa – dessen Oma das „Visite ma tente“ zu führen scheint – ist jener Mathias, dem das Buch schließlich gewidmet wurde, weil er am Ende bei der Ich-Erzählerin gelandet ist.
Aber verfügt dieses fabulierende Buch denn über eine Handlung? Doch, es gibt sogar eine ganze Menge Erzählstränglein, die mit Sydows Frauensuche und vielen anderen Motiven zu tun haben. Im Hintergrund aber dräut ein paar Hundert Seiten lang die ganz große Story: Es gibt nämlich einen Mord. Ja. Nur kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass er eine jener Schandtaten ist, die in ein Buch geraten, weil dessen Verfasserin partout keine Lust hatte, eine dröge Normalhandlung abzuspulen und sich gesagt hat: Wenn unbedingt etwas rein muss, was die Geschichten zwischen meinen Figuren durch eine dekorative große Geschichte unterlegt und verschandelt, dann bitte ein Mord.
Also wartet und wartet der Leser, bis sich der Mörder einstellen mag, oder wenigstens die blutige Tat. Gegen Ende des Buchs gibt es denn auch ein paar Seiten, die sich dem Spannungsziel nähern, doch natürlich verdreht die Autorin auch dieses Sujet elegant: Ein furchterregender Moment ist es, als ein Mann einen Revolver schwingt und Tötungsabsichten verrät, doch die werden ihm umgehend selbst zum Verhängnis. Das Motiv des Möchtegerntäters war Eifersucht. Auch er ist, wie zuerst Stanjic, der Anziehungskraft der Ich-Erzählerin zum Opfer gefallen.
Ihr Romandebüt „Verlangen nach Drachen“, das die Hommage an Heimito von Doderer („Die Wiederkehr der Drachen“) im Titel trug, hat Verena Roßbacher aus der Sicht der verlassenen Männer einer Karla Grün erzählt, der faszinierend leeren Mitte eines Kaffeehausensembles. Nun ordnet die in Vorarlberg und in der Schweiz aufgewachsene Autorin wieder die spiralartige Erzählbewegung um ein eigensinnig-direktes, charmantes, narzisstisch-verspieltes Alter Ego herum an.
Zur Spielstruktur des Texts gehört eine geschickt gewählte Puffer-Figur, die jede Kritik an der Weitschweifigkeit ins Leere laufen lässt. Lektor Olaf, der ständig schnöselig-rechthaberisch dazwischen fährt, bleibt in seiner Mäkelei demonstrativ klischeehaft, was heißen will: Ist doch klar, dass ich, die Erzählerin, richtigliege, und jeder, der an dem Buch herumnörgelt, soll sich hüten, denn im nächsten taucht er selber auf. Immerhin ringt Lektor Olaf der Autorin ab, beim nächsten Manuskript nicht mehr als hundert Seiten zu liefern.
„Schwätzen und Schlachten“ kann man nicht einfach so herunterlesen, schon wegen der Rösselsprung-Abfolge der oft winzigen thematischen Einheiten. „Visite ma tente“, besuch’ mein Zelt, sollen die napoleonischen Soldaten den Mädchen zugeflüstert haben. Daher, heißt es, komme der Begriff Fisimatenten. Das erzählt Verena Roßbacher nicht, aber es dürfte ihr gefallen, dass der Name ihres Hauptschauplatzes von diesem Lockruf her kommt.
Doch das elegant-intelligente Palaver dieses Romans produziert auf die Dauer auch eine gewisse „Diskursmüdigkeit“, die von den Figuren selber verspürt wird – man soll sich dieser Müdigkeit nicht schämen, stattdessen lieber mal aufhören zu lesen, um an einem anderen Ort wieder einzusteigen, denn es gibt viele lustig-giftige, manchmal provokative Geschichten in diesem Buch, die man nicht verpassen sollte.
Etwa die der Klezmer-Band, die von den drei nicht-jüdischen, nichtsnutzigen männlichen Hauptfiguren zeitweise aufgestellt wird, um Berliner Juden ein Ständchen zu bringen. Einfach mal, um zu schauen, „was passiert“ – und natürlich auch, um den immer noch latenten Schuldkomplex der Nachgeborenen ein wenig zu zerbröseln.
In Verena Roßbachers „Verlangen nach Drachen“ war Wien der Hauptschauplatz. Dass Berlin als Hauptschauplatz diesem zweiten Buch guttut, ist zu bezweifeln. Die Autorin, der zu ihrer neuen Stadt noch nicht richtig viel einfällt, kommt gelegentlich dem Mainstream, dem sie sich formal doch so genüsslich verweigert, recht nahe. Eine frankophile Berliner Bar wirkt derzeit leider noch immer geheimnisloser als das Wiener Kaffeehaus des Herrn Neugröschl. Die frische stilisierte Verrücktheit, die den Erstling prägte, ist insgesamt etwas zurückgefahren. Das ist schade, aber sie kann ja wiederkommen.
Es gibt in diesem Roman einen
Mord – aber gibt es ihn wirklich?
Verena Roßbacher: Schwätzen und Schlachten. Roman. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2014. 631 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 21,99 Euro.
Eine Erzählerin voller Verlangen nach Drachen und Lust auf Fisimatenten: Verena Roßbacher.
Foto: Sarah Schlatter
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Schwätzen und Schlachten“ – Verena
Roßbacher pfeift auf den gradlinigen Roman
VON HANS-PETER KUNISCH
Hier geht es nicht zur Sache, hier wird lange gefackelt, hier wird um den heißen Brei herumgeredet, hier werden viele Worte gemacht.“ Offensiv und taktisch geschickt kündigt der Klappentext Verena Roßbachers „Schwätzen und Schlachten“ an. Denn dieser Roman kommt auf seine 630 Seiten, weil der übersprudelnde Erzähldrang seiner Verfasserin sich dagegen sträubt, zielgerichtet zu sein. In 139 Kapiteln mit lustigen Titeln wie „Israel ist ein heißes Land“ oder „Der Auftritt des Schnösels“ hat die 1979 geborene österreichische Autorin ihr Buch aufgefächert, allzu lange mag sie bei einem Sujet nicht verweilen.
Zusammengehalten wird dieses quecksilbrig-quicklebendige Buch von seinen Hauptfiguren und den Schauplätzen. Letztere werden munter gewechselt, aber zentral sind Berlin und die Szene-Bar „Visite ma tente“ in Prenzlauer Berg, aber auch das „Liebling“, ein Anwesen in Mecklenburg-Vorpommern, und Zürcher Erfahrungen spielen ebenso eine Rolle wie der Antipode der preußischen Hauptstadt, Österreich. Dorther – und aus Roßbachers Erstling „Verlangen nach Drachen“ – kommt Stanjic, der Ex-Freund der Ich-Erzählerin namens Verena Roßbacher. Er ist ein Österreich-Flüchtiger, der sich auch in der Schweiz herumgetrieben hat.
Zusammen mit Glaser, dem „Mann aus den Neuen Medien“, und Frederik von Sydow, der, eine der verlässlichsten Konstanten des Buchs, von „meiner Frau“ spricht, aber keine hat, bildet Stanjic eine Taugenichtsgemeinschaft, die jedes Weltproblem auf Berliner Szenegerede herunterbrechen muss, denn alle Figuren des Romans, so verspricht ein kleines Nachwort, „sind auch im richtigen Leben genau so, wie sie im Buch vorkommen“. Abgesehen von den Namen: von Sydow etwa – dessen Oma das „Visite ma tente“ zu führen scheint – ist jener Mathias, dem das Buch schließlich gewidmet wurde, weil er am Ende bei der Ich-Erzählerin gelandet ist.
Aber verfügt dieses fabulierende Buch denn über eine Handlung? Doch, es gibt sogar eine ganze Menge Erzählstränglein, die mit Sydows Frauensuche und vielen anderen Motiven zu tun haben. Im Hintergrund aber dräut ein paar Hundert Seiten lang die ganz große Story: Es gibt nämlich einen Mord. Ja. Nur kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass er eine jener Schandtaten ist, die in ein Buch geraten, weil dessen Verfasserin partout keine Lust hatte, eine dröge Normalhandlung abzuspulen und sich gesagt hat: Wenn unbedingt etwas rein muss, was die Geschichten zwischen meinen Figuren durch eine dekorative große Geschichte unterlegt und verschandelt, dann bitte ein Mord.
Also wartet und wartet der Leser, bis sich der Mörder einstellen mag, oder wenigstens die blutige Tat. Gegen Ende des Buchs gibt es denn auch ein paar Seiten, die sich dem Spannungsziel nähern, doch natürlich verdreht die Autorin auch dieses Sujet elegant: Ein furchterregender Moment ist es, als ein Mann einen Revolver schwingt und Tötungsabsichten verrät, doch die werden ihm umgehend selbst zum Verhängnis. Das Motiv des Möchtegerntäters war Eifersucht. Auch er ist, wie zuerst Stanjic, der Anziehungskraft der Ich-Erzählerin zum Opfer gefallen.
Ihr Romandebüt „Verlangen nach Drachen“, das die Hommage an Heimito von Doderer („Die Wiederkehr der Drachen“) im Titel trug, hat Verena Roßbacher aus der Sicht der verlassenen Männer einer Karla Grün erzählt, der faszinierend leeren Mitte eines Kaffeehausensembles. Nun ordnet die in Vorarlberg und in der Schweiz aufgewachsene Autorin wieder die spiralartige Erzählbewegung um ein eigensinnig-direktes, charmantes, narzisstisch-verspieltes Alter Ego herum an.
Zur Spielstruktur des Texts gehört eine geschickt gewählte Puffer-Figur, die jede Kritik an der Weitschweifigkeit ins Leere laufen lässt. Lektor Olaf, der ständig schnöselig-rechthaberisch dazwischen fährt, bleibt in seiner Mäkelei demonstrativ klischeehaft, was heißen will: Ist doch klar, dass ich, die Erzählerin, richtigliege, und jeder, der an dem Buch herumnörgelt, soll sich hüten, denn im nächsten taucht er selber auf. Immerhin ringt Lektor Olaf der Autorin ab, beim nächsten Manuskript nicht mehr als hundert Seiten zu liefern.
„Schwätzen und Schlachten“ kann man nicht einfach so herunterlesen, schon wegen der Rösselsprung-Abfolge der oft winzigen thematischen Einheiten. „Visite ma tente“, besuch’ mein Zelt, sollen die napoleonischen Soldaten den Mädchen zugeflüstert haben. Daher, heißt es, komme der Begriff Fisimatenten. Das erzählt Verena Roßbacher nicht, aber es dürfte ihr gefallen, dass der Name ihres Hauptschauplatzes von diesem Lockruf her kommt.
Doch das elegant-intelligente Palaver dieses Romans produziert auf die Dauer auch eine gewisse „Diskursmüdigkeit“, die von den Figuren selber verspürt wird – man soll sich dieser Müdigkeit nicht schämen, stattdessen lieber mal aufhören zu lesen, um an einem anderen Ort wieder einzusteigen, denn es gibt viele lustig-giftige, manchmal provokative Geschichten in diesem Buch, die man nicht verpassen sollte.
Etwa die der Klezmer-Band, die von den drei nicht-jüdischen, nichtsnutzigen männlichen Hauptfiguren zeitweise aufgestellt wird, um Berliner Juden ein Ständchen zu bringen. Einfach mal, um zu schauen, „was passiert“ – und natürlich auch, um den immer noch latenten Schuldkomplex der Nachgeborenen ein wenig zu zerbröseln.
In Verena Roßbachers „Verlangen nach Drachen“ war Wien der Hauptschauplatz. Dass Berlin als Hauptschauplatz diesem zweiten Buch guttut, ist zu bezweifeln. Die Autorin, der zu ihrer neuen Stadt noch nicht richtig viel einfällt, kommt gelegentlich dem Mainstream, dem sie sich formal doch so genüsslich verweigert, recht nahe. Eine frankophile Berliner Bar wirkt derzeit leider noch immer geheimnisloser als das Wiener Kaffeehaus des Herrn Neugröschl. Die frische stilisierte Verrücktheit, die den Erstling prägte, ist insgesamt etwas zurückgefahren. Das ist schade, aber sie kann ja wiederkommen.
Es gibt in diesem Roman einen
Mord – aber gibt es ihn wirklich?
Verena Roßbacher: Schwätzen und Schlachten. Roman. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2014. 631 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 21,99 Euro.
Eine Erzählerin voller Verlangen nach Drachen und Lust auf Fisimatenten: Verena Roßbacher.
Foto: Sarah Schlatter
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Verena Roßbachers Ideensturzbach ist ein delirierendes Vergnügen.« Florian Kessler Die Zeit 20140301