»Roßbacher glänzt mit intellektuellem Anspruch und Sinn für Komik« (Die Presse) - auch in ihrem zweiten Roman
Ihr Debüt war ein Paukenschlag: Verlangen nach Drachen hob sich »als buntschillernder Exot aus dem Grau deutschsprachiger Erstlinge hervor« (SZ) - dank glänzender Adaption des altwienerischen Tons, skurriler Figuren, hanebüchener Handlung und derb-komischer Sprache. Schwätzen und Schlachten treibt das alles auf die Spitze.Diesmal also Berlin, diesmal drei junge Helden, ein Mordfall und ein Versagen auf ganzer Linie. Dazu eine Erzählerin, die Teil des Geschehens ist und sich nach Kräften bemüht, den Überblick zu behalten, ein Kaffeehaus im Prenzlauer Berg, in dem in einem fort geredet wird, während Mehlspeisen verzehrt werden, ein Hausmusiktrio, jede Menge Ungereimtheiten und ein Muster aus Raute, Fliege, Sechseck, Fünfeck, Zehneck, das den Schlüssel zu allem bilden könnte, wenn ... Ja, wenn Stanjic, der Österreichflüchtling, Glaser, der Mann aus den neuen Medien, und von Sydow, der sich nach den Frauen verzehrt, ohne je eine zu bekommen, sich nur ein bisschen besser als Detektive eigneten - und eins und eins zusammengezählt hätten. Verena Roßbacher erschafft einen ganz eigenen Kosmos, in dem ihre monomanischen Figuren darum ringen, ihre Sicht der Dinge mit der allgemeinen Verfasstheit der Welt zusammenzubringen. Voller Komik, Skurrilität und Lust an der zielführenden Abschweifung wird hier erzählt, und etwas Großes entsteht: der Diskurs- und Gesellschaftsroman unserer Zeit! Ein Lesevergnügen, das dem Leser die Augen öffnet und übergehen lässt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Ihr Debüt war ein Paukenschlag: Verlangen nach Drachen hob sich »als buntschillernder Exot aus dem Grau deutschsprachiger Erstlinge hervor« (SZ) - dank glänzender Adaption des altwienerischen Tons, skurriler Figuren, hanebüchener Handlung und derb-komischer Sprache. Schwätzen und Schlachten treibt das alles auf die Spitze.Diesmal also Berlin, diesmal drei junge Helden, ein Mordfall und ein Versagen auf ganzer Linie. Dazu eine Erzählerin, die Teil des Geschehens ist und sich nach Kräften bemüht, den Überblick zu behalten, ein Kaffeehaus im Prenzlauer Berg, in dem in einem fort geredet wird, während Mehlspeisen verzehrt werden, ein Hausmusiktrio, jede Menge Ungereimtheiten und ein Muster aus Raute, Fliege, Sechseck, Fünfeck, Zehneck, das den Schlüssel zu allem bilden könnte, wenn ... Ja, wenn Stanjic, der Österreichflüchtling, Glaser, der Mann aus den neuen Medien, und von Sydow, der sich nach den Frauen verzehrt, ohne je eine zu bekommen, sich nur ein bisschen besser als Detektive eigneten - und eins und eins zusammengezählt hätten. Verena Roßbacher erschafft einen ganz eigenen Kosmos, in dem ihre monomanischen Figuren darum ringen, ihre Sicht der Dinge mit der allgemeinen Verfasstheit der Welt zusammenzubringen. Voller Komik, Skurrilität und Lust an der zielführenden Abschweifung wird hier erzählt, und etwas Großes entsteht: der Diskurs- und Gesellschaftsroman unserer Zeit! Ein Lesevergnügen, das dem Leser die Augen öffnet und übergehen lässt.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Verena Roßbacher erhebt in ihrem neuen, zweiten Roman "Schwätzen und Schlachten" die Abschweifung zur Kunstform, berichtet Tim Caspar Boehme. Ganz am Anfang steht ein Mord, bis die Geschichte aber dann wieder bei ihm angekommen ist, braucht es eine Weile, verrät der Rezensent. Auch die langen Dialogen zwischen David Stanjic und Frederik von Sydow, die sich Sorgen um ihren Freund Simon Glaser machen, in dessen Wohnung sie ein Manuskript voller Gewaltfantasien entdeckt haben, sind unterbrochen von langen Einschüben, "absichtlichem Den-Faden-Verlieren", nur um ihn dann abrupt wieder aufzunehmen, erklärt Boehme. Zwischendurch streut die Erzählerin noch "dezente Kritik am Literaturbetrieb", wenn sie sich mit ihrem Lektor trifft und ihr Buch gegen Kürzungen verteidigt, "kurz und knackig" solle die Geschichte gar nicht sein, so der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2014Wilde Tanten, falsche Spur
Alles ist möglich, nichts gesichert: Verena Roßbachers skurriler Schelmenroman "Schwätzen und Schlachten"
"Ein Mord und gleich drei Hochzeiten, das klingt doch nach einem tollen Buch", meint der Lektor - und die Erzählerin bereut sofort, dass sie ihm von diesem Fall überhaupt erzählt hat. Was sie mit ihm, der vor allem den Markt im Auge hat und vor der Vertreterkonferenz zittert, noch für Kämpfe auszufechten hat, ahnt sie nicht - doch ihre Grundsatzdiskussionen werden zu einer besonders amüsanten Verfremdungsebene des Romans. Er spielt natürlich in Berlin, weil dort heute alle jungen Schriftsteller leben, einschließlich der Autorin selbst, die ihrem Alter Ego beim Schreiben spöttisch über die Schulter schaut. Die oft nur angedeuteten Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen beflügeln den Roman ungemein.
Er beginnt an einem heiteren Tag im Sommer 2012, als der Germanistikstudent Sydow, der Medienkünstler Glaser und der berufslose Stanjic (nur Nachnamen, fordert ihr Lektor - das klingt respektvoller) sich in einem schrägen, scheinbar aus der Zeit gefallenen Café in Berlin-Mitte kennenlernen. Weil der plüschige Ort so gar nicht zum coolen Flair der Hauptstadt passt, leuchtet es sofort ein, dass gerade hier jener mächtige Strom melancholischen Räsonierens und verdrehten Welt-Erzählens entspringt, der den Roman zum großen Lesevergnügen und gewitzten Anti-Berlin-Roman macht. Von diesen adretten Sesselchen, argwöhnisch bewacht von Sydows preußisch-straffer Oma, nehmen die vielen lustvoll erzählten Abschweifungen, Umwege und sprachakrobatischen Missverständnisse zwischen den dreien ihren schwungvollen Anfang - sie suchen in der jungen deutschen Literatur ihresgleichen und erinnern an Bohumil Hrabals Schelmenstücke.
Auch in Roßbachers erstem, in Wien spielendem Roman ("Sehnsucht nach Drachen") gab es ein eindrucksvolles Wirtinnen-Monster: Dort hieß es Klara, war eine Mischung aus Undine und Vamp und trieb alle Männer, einschließlich Stanjic, durch ihre fordernde Unentschlossenheit zur Verzweiflung. Jetzt ist Stanjic die rettende Flucht nach Berlin gelungen, und unter der Fuchtel von Oma Sydow, die die Jungen zwingen will, endlich erwachsen zu werden, läuft er zu großer Form auf: hingebungsvoll, ätzend und so unermüdlich wie Thomas Bernhard schimpft er auf die österreichische Verkommenheit, leidet bühnentauglich an der unverständlichen Welt, die ihn umgibt, und findet letztlich den Schlüssel nicht nur für die ganze Romankonstruktion, sondern auch für die rätselhafte Spannung, die sich immer bedrohlicher um die drei Helden herum aufbaut.
Wie einen klassischen Schelmenroman hat die Autorin die sechshundert Seiten in 139 knappe Kapitel mit erklärenden Überschriften unterteilt - aus deren Widersprüchen und Sprüngen sie ein zusätzliches burleskes Spiel macht: "Spielen Sie öfter mal mit Ihrer Schwimmnudel" heißt es da, "Üble Folgen der Laktoseintoleranz" oder "Schlachten - darum geht es". Doch diese schauerliche Überschrift ist ernst gemeint und eröffnet eine absonderliche, äußerst unterhaltsame Detektivgeschichte, die sich zum Schelmen- und Entwicklungsroman gesellt und dessen Spannungsbögen mit ihren eigenen durchkreuzt (wobei man viel über die Sollbruchstellen jener Gattungen erfährt). Jetzt geht es nicht mehr um das katastrophal schwierige Verhältnis zwischen Männern und Frauen und den Weltschmerz von drei Liebeskranken, sondern buchstäblich um Leben und Tod.
Eine verquere Tragik durchzieht den Roman, und das müsse so sein, sagte die 1979 in Vorarlberg geborene Autorin, die in Zürich Philosophie, Germanistik und Theologie studiert und das Leipziger Literaturinstitut absolviert hat, bei Gelegenheit, denn sie halte "Humor für unumgänglich im Umgang mit der Verzweiflung, alles andere ist ja eine eigentliche Frechheit". Also treibt sie mit leichter, aber unnachgiebiger Hand jede Szene und jede Facette dieser verstolperten Heldenwanderung auf die Spitze und lässt sie, in Umkehrung ihrer kathartischen Wirkung, in eine brillante Groteske kippen: Der Mord, vor dem Sydow und Stanjic zittern, passiert unweit des Sydowschen Landgutes vor laufender Kamera - unglücklicherweise vermischt sich die Aktion mit einer Wildschweinhatz. An dem fröhlich überinstrumentierten Weihnachtschaos in dem brüchigen Gutshaus in Mecklenburg-Vorpommern hätte nicht nur jeder Psychoanalytiker, sondern auch jeder Kommunikationstheoretiker seine helle Freude: Menschen brechen durch Fußböden und landen in fremden Betten (zwei unserer Helden finden so ins Eheglück), während Oma Sydow die anarchische Sippe mit dem Megafon dirigiert und die Plätzchen-AG beschimpft. Während dieser Tage leben Sydow und Stanjic, wie Asterix und Obelix, in einem burlesken Widerstandsnest gegen den tückischen Rest der Welt.
Zurück in Berlin, wird es ernst: Den Kampf ums Überleben muss jeder für sich bestehen, und Antworten auf brennende Fragen gibt es keine. Wie nebenbei liefert der Roman das Porträt einer ratlosen Generation, die ihre Ideen längst ausgeschlachtet sieht: Sie haben sich für kreativ gehalten und stellen mit dreißig fest, dass Literatur und Kunst ihnen nicht weiterhelfen - und die Neuen Medien schon gar nicht. Letztere kommen bei Roßbacher noch schlechter weg als Österreichs katastrophaler Seelenzustand: Glaser dreht Kurzfilme, in denen er, ohne ihr Wissen, das Liebesleben seiner Freunde ausbeutet. Und seine selbstgefällige Kunstphilosophie verstärkt die Demütigung nur noch, bis Stanjic sich zu wehren beginnt. Wie er das macht - das ist ein typischer, dreifacher Roßbacher-Salto mit tadellosem Finish. Ein skurriles Detail: Das Klopapier in Glasers Wohnung, das mit Informationen über "aperiodische Muster" bedruckt ist, bringt Stanjic auf die entscheidende Idee. Jetzt hilft ihm sein poetischer Blick, der ihm sonst nur das Leben schwergemacht hat, und zusammen mit Sydow, dem Sprachtüftler, erklärt er die ganze wuchernde Geschichte zum "Ornamentbaukasten". Seine Teile lassen sich dann nicht nur endlos neu kombinieren, sondern auch um die eigene Achse drehen und funktionieren wie Vexierbilder: Spitzfindigkeiten mutieren zu Bedrohungen und umgekehrt - Trost lauert also überall.
Ein dickes Buch, Ironie, Klamauk, politische Inkorrektheiten, heillose Verwicklungen - "wir machen alles falsch", jammert die Erzählerin bei einem der vielen Treffen mit ihrem Lektor. Er mischt sich ständig ein, verkündet steile Thesen zur "Allerneuesten Deutschen Literatur" und verlangt "knackige Liebesszenen". Ein Glück, dass die Erzählerin in diesen Dingen unerbittlich ist und ihn, wie eine moderne Scheherezade, hinhält. Sie schreibt und schreibt, bis er sich geschlagen gibt. Und Roßbachers ungebärdige Fabulierlust ist das Glück des Lesers: Denn an welcher Stelle man den Roman auch aufschlägt - sofort ergreift einen dieser wirbelnde Sog aus böser Larmoyanz und Sprachwitz, der so präzise und musikalisch gearbeitet ist, dass er bis zur letzten Seite nicht abreißt.
NICOLE HENNEBERG.
Verena Roßbacher: "Schwätzen und Schlachten".
Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2014. 640 S. , 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alles ist möglich, nichts gesichert: Verena Roßbachers skurriler Schelmenroman "Schwätzen und Schlachten"
"Ein Mord und gleich drei Hochzeiten, das klingt doch nach einem tollen Buch", meint der Lektor - und die Erzählerin bereut sofort, dass sie ihm von diesem Fall überhaupt erzählt hat. Was sie mit ihm, der vor allem den Markt im Auge hat und vor der Vertreterkonferenz zittert, noch für Kämpfe auszufechten hat, ahnt sie nicht - doch ihre Grundsatzdiskussionen werden zu einer besonders amüsanten Verfremdungsebene des Romans. Er spielt natürlich in Berlin, weil dort heute alle jungen Schriftsteller leben, einschließlich der Autorin selbst, die ihrem Alter Ego beim Schreiben spöttisch über die Schulter schaut. Die oft nur angedeuteten Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen beflügeln den Roman ungemein.
Er beginnt an einem heiteren Tag im Sommer 2012, als der Germanistikstudent Sydow, der Medienkünstler Glaser und der berufslose Stanjic (nur Nachnamen, fordert ihr Lektor - das klingt respektvoller) sich in einem schrägen, scheinbar aus der Zeit gefallenen Café in Berlin-Mitte kennenlernen. Weil der plüschige Ort so gar nicht zum coolen Flair der Hauptstadt passt, leuchtet es sofort ein, dass gerade hier jener mächtige Strom melancholischen Räsonierens und verdrehten Welt-Erzählens entspringt, der den Roman zum großen Lesevergnügen und gewitzten Anti-Berlin-Roman macht. Von diesen adretten Sesselchen, argwöhnisch bewacht von Sydows preußisch-straffer Oma, nehmen die vielen lustvoll erzählten Abschweifungen, Umwege und sprachakrobatischen Missverständnisse zwischen den dreien ihren schwungvollen Anfang - sie suchen in der jungen deutschen Literatur ihresgleichen und erinnern an Bohumil Hrabals Schelmenstücke.
Auch in Roßbachers erstem, in Wien spielendem Roman ("Sehnsucht nach Drachen") gab es ein eindrucksvolles Wirtinnen-Monster: Dort hieß es Klara, war eine Mischung aus Undine und Vamp und trieb alle Männer, einschließlich Stanjic, durch ihre fordernde Unentschlossenheit zur Verzweiflung. Jetzt ist Stanjic die rettende Flucht nach Berlin gelungen, und unter der Fuchtel von Oma Sydow, die die Jungen zwingen will, endlich erwachsen zu werden, läuft er zu großer Form auf: hingebungsvoll, ätzend und so unermüdlich wie Thomas Bernhard schimpft er auf die österreichische Verkommenheit, leidet bühnentauglich an der unverständlichen Welt, die ihn umgibt, und findet letztlich den Schlüssel nicht nur für die ganze Romankonstruktion, sondern auch für die rätselhafte Spannung, die sich immer bedrohlicher um die drei Helden herum aufbaut.
Wie einen klassischen Schelmenroman hat die Autorin die sechshundert Seiten in 139 knappe Kapitel mit erklärenden Überschriften unterteilt - aus deren Widersprüchen und Sprüngen sie ein zusätzliches burleskes Spiel macht: "Spielen Sie öfter mal mit Ihrer Schwimmnudel" heißt es da, "Üble Folgen der Laktoseintoleranz" oder "Schlachten - darum geht es". Doch diese schauerliche Überschrift ist ernst gemeint und eröffnet eine absonderliche, äußerst unterhaltsame Detektivgeschichte, die sich zum Schelmen- und Entwicklungsroman gesellt und dessen Spannungsbögen mit ihren eigenen durchkreuzt (wobei man viel über die Sollbruchstellen jener Gattungen erfährt). Jetzt geht es nicht mehr um das katastrophal schwierige Verhältnis zwischen Männern und Frauen und den Weltschmerz von drei Liebeskranken, sondern buchstäblich um Leben und Tod.
Eine verquere Tragik durchzieht den Roman, und das müsse so sein, sagte die 1979 in Vorarlberg geborene Autorin, die in Zürich Philosophie, Germanistik und Theologie studiert und das Leipziger Literaturinstitut absolviert hat, bei Gelegenheit, denn sie halte "Humor für unumgänglich im Umgang mit der Verzweiflung, alles andere ist ja eine eigentliche Frechheit". Also treibt sie mit leichter, aber unnachgiebiger Hand jede Szene und jede Facette dieser verstolperten Heldenwanderung auf die Spitze und lässt sie, in Umkehrung ihrer kathartischen Wirkung, in eine brillante Groteske kippen: Der Mord, vor dem Sydow und Stanjic zittern, passiert unweit des Sydowschen Landgutes vor laufender Kamera - unglücklicherweise vermischt sich die Aktion mit einer Wildschweinhatz. An dem fröhlich überinstrumentierten Weihnachtschaos in dem brüchigen Gutshaus in Mecklenburg-Vorpommern hätte nicht nur jeder Psychoanalytiker, sondern auch jeder Kommunikationstheoretiker seine helle Freude: Menschen brechen durch Fußböden und landen in fremden Betten (zwei unserer Helden finden so ins Eheglück), während Oma Sydow die anarchische Sippe mit dem Megafon dirigiert und die Plätzchen-AG beschimpft. Während dieser Tage leben Sydow und Stanjic, wie Asterix und Obelix, in einem burlesken Widerstandsnest gegen den tückischen Rest der Welt.
Zurück in Berlin, wird es ernst: Den Kampf ums Überleben muss jeder für sich bestehen, und Antworten auf brennende Fragen gibt es keine. Wie nebenbei liefert der Roman das Porträt einer ratlosen Generation, die ihre Ideen längst ausgeschlachtet sieht: Sie haben sich für kreativ gehalten und stellen mit dreißig fest, dass Literatur und Kunst ihnen nicht weiterhelfen - und die Neuen Medien schon gar nicht. Letztere kommen bei Roßbacher noch schlechter weg als Österreichs katastrophaler Seelenzustand: Glaser dreht Kurzfilme, in denen er, ohne ihr Wissen, das Liebesleben seiner Freunde ausbeutet. Und seine selbstgefällige Kunstphilosophie verstärkt die Demütigung nur noch, bis Stanjic sich zu wehren beginnt. Wie er das macht - das ist ein typischer, dreifacher Roßbacher-Salto mit tadellosem Finish. Ein skurriles Detail: Das Klopapier in Glasers Wohnung, das mit Informationen über "aperiodische Muster" bedruckt ist, bringt Stanjic auf die entscheidende Idee. Jetzt hilft ihm sein poetischer Blick, der ihm sonst nur das Leben schwergemacht hat, und zusammen mit Sydow, dem Sprachtüftler, erklärt er die ganze wuchernde Geschichte zum "Ornamentbaukasten". Seine Teile lassen sich dann nicht nur endlos neu kombinieren, sondern auch um die eigene Achse drehen und funktionieren wie Vexierbilder: Spitzfindigkeiten mutieren zu Bedrohungen und umgekehrt - Trost lauert also überall.
Ein dickes Buch, Ironie, Klamauk, politische Inkorrektheiten, heillose Verwicklungen - "wir machen alles falsch", jammert die Erzählerin bei einem der vielen Treffen mit ihrem Lektor. Er mischt sich ständig ein, verkündet steile Thesen zur "Allerneuesten Deutschen Literatur" und verlangt "knackige Liebesszenen". Ein Glück, dass die Erzählerin in diesen Dingen unerbittlich ist und ihn, wie eine moderne Scheherezade, hinhält. Sie schreibt und schreibt, bis er sich geschlagen gibt. Und Roßbachers ungebärdige Fabulierlust ist das Glück des Lesers: Denn an welcher Stelle man den Roman auch aufschlägt - sofort ergreift einen dieser wirbelnde Sog aus böser Larmoyanz und Sprachwitz, der so präzise und musikalisch gearbeitet ist, dass er bis zur letzten Seite nicht abreißt.
NICOLE HENNEBERG.
Verena Roßbacher: "Schwätzen und Schlachten".
Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2014. 640 S. , 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Verena Roßbachers Ideensturzbach ist ein delirierendes Vergnügen.« Florian Kessler Die Zeit 20140301