Wenn Holy die Decke auf den Kopf fällt, geht sie in "Vanessas Salon". Hier findet sie außer Klatsch auch ein offenes Ohr für ihre Sorgen, immer Trost und manchmal Rat. Der Mensch braucht Kontakt, sonst wird er sonderbar, meinen dort alle, und wenn Holy wieder zu Hause ist, hat sie nicht nur eine neue Frisur, sondern weiß, wie andere mit dem Leben umgehen, und fühlt sich gleich besser. In so einem Salon ließen sich Geschichten hören wie die von Holy oder Paul oder Ottilia. Und wenn man so genau beobachten würde wie Gabriele Wohmann, könnte man den Moment ausmachen, in dem sie erkennen, wie die Liebe ist oder das Unglück. Man kann sich aber auch gleich in das Wohmann'sche Parallel-Universum aus skurrilen oder tröstlichen Beziehungen begeben und eines lernen: sie zu durchschauen.
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"Eine unbestechliche Beobachterin." Die Zeit
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2008Herdplatte kaputt
Gabriele Wohmann schaut sich die Kratzer des Alltags an
Weit mehr als hundert Bücher sind es, die Gabriele Wohmann in einem Schriftstellerinnenleben von rund fünfzig Jahren hervorgebracht hat, und jedes neue wirft die Frage auf, was es denn nun noch an Neuem bringe. Denn Wohmanns Bücher sind sich an Personal und Thematik über die Zeiten hinweg recht ähnlich geblieben, wie sich auch die Rezensionen ähneln, die das zufrieden oder unzufrieden konstatieren. Wahrscheinlich ist sich sogar Wohmanns Publikum ähnlich geblieben, jenes Publikum aus mittleren Gesellschaftsschichten, das hingebungsvoll jene spezifisch deutsche Institution der Dichterlesungen frequentiert in der Erwartung, dort etwas von dem Geheimnis der Poesie zu erhaschen. Gabriele Wohmann hat dieses Publikum in vielen Lesereisen um sich versammelt, und es dürfte, mit ihr älter geworden, weiterhin das Gros ihrer Leserschaft darstellen.
Aktuelles fließt in das Neue allerdings immer wieder ein: "9/11" als Ermunterung zum Beispiel, denn "die New Yorker machen doch auch weiter". Oder die Australientouristik, aber eine unechte, laborierte freilich, denn dort sieht es eben nicht ganz wie in "Arizona" aus. Da sind die konkreten, griffigen Skizzen von deutschen Vorstädten - "klebriges kleines Asia-Lokal, ein Waschsalon, eine Apotheke" - schon besser und genauer. Nur ist der Ekel über die Langeweile mittelbürgerlicher Alltäglichkeit und ihres Ambiente bereits ein wenig abgestanden und im Grunde Wessi-Literatur, also Fortsetzung jener altbundesrepublikanischen Kulturkritik, mit der Wohmann in den sechziger Jahren ihre großen Erfolge hatte. Das schließt Amüsantes auch heute noch nicht aus, wie der skurrile, jedoch vergebliche Mörike-Wahn jener zwei kulturbeflissenen Damen, mit dem sie die Aufmerksamkeit eines berühmten Professors auf sich ziehen möchten, denn der hatte, wie sie glauben, auf höchst originelle Weise ein Mörike-Gedicht interpretiert. Quelle ist, nebenbei bemerkt, ein Beitrag Hans Mayers zur "Frankfurter Anthologie".
Moderne Partnerschaftsproblematik oder all das, was aus deutscher Einheit und fremder Einwanderung an Konflikten entstand, ist nicht mehr Wohmanns Feld, muss es aber auch nicht sein. Erweckt werden die Erwartungen lediglich, weil sie mit der langen Reihe ihrer Romane und Erzählungen von sich selbst das Bild einer Art von Chronistin deutscher Verhältnisse geschaffen hat, was sie indes im Grunde nie war. So berührt sie denn schließlich am meisten in den kleinen, ganz unambitiösen, aber aufmerksam ins Innere hineinhorchenden Szenen wie derjenigen von einer alten Dame namens Ottilie Klein, einer Mutter, die bei den vielbeschäftigten Kindern wohnt. Die brauchen ihr Geld und ihre Hilfe, aber als Naturwissenschaftler auch Ruhe für ihre Forschung. Als Pedanten der Ordnung stört sie freilich jeder Kratzer auf der Herdplatte, den die alte Frau verursacht, die wiederum, bedrückt vom "Geschimpftwerden", in immer neues Ungeschick stolpert, bis ihr eines Tages von einem "netten Burschen" praktische Hilfe zuteil wird und sie sich in ein paar Tränen der Rührung und des Dankes befreien kann: "Sie war ganz hin vor Erstaunen und auf eine vollkommen glückliche Weise unglücklich: Sie konnte ja weinen!" Es ist eine Kurzgeschichte in aller schönen Gedrängtheit, eine Alltagsszene, genau und konkret erzählt, nichts Besonderes und doch ein kleines Kunstwerk, dessentwegen auch dieses neue Buch von Gabriele Wohmann wieder ein Willkommen verdient.
GERHARD SCHULZ
Gabriele Wohmann: "Schwarz und ohne alles". Erzählungen. Aufbau Verlag , Berlin 2008. 221 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gabriele Wohmann schaut sich die Kratzer des Alltags an
Weit mehr als hundert Bücher sind es, die Gabriele Wohmann in einem Schriftstellerinnenleben von rund fünfzig Jahren hervorgebracht hat, und jedes neue wirft die Frage auf, was es denn nun noch an Neuem bringe. Denn Wohmanns Bücher sind sich an Personal und Thematik über die Zeiten hinweg recht ähnlich geblieben, wie sich auch die Rezensionen ähneln, die das zufrieden oder unzufrieden konstatieren. Wahrscheinlich ist sich sogar Wohmanns Publikum ähnlich geblieben, jenes Publikum aus mittleren Gesellschaftsschichten, das hingebungsvoll jene spezifisch deutsche Institution der Dichterlesungen frequentiert in der Erwartung, dort etwas von dem Geheimnis der Poesie zu erhaschen. Gabriele Wohmann hat dieses Publikum in vielen Lesereisen um sich versammelt, und es dürfte, mit ihr älter geworden, weiterhin das Gros ihrer Leserschaft darstellen.
Aktuelles fließt in das Neue allerdings immer wieder ein: "9/11" als Ermunterung zum Beispiel, denn "die New Yorker machen doch auch weiter". Oder die Australientouristik, aber eine unechte, laborierte freilich, denn dort sieht es eben nicht ganz wie in "Arizona" aus. Da sind die konkreten, griffigen Skizzen von deutschen Vorstädten - "klebriges kleines Asia-Lokal, ein Waschsalon, eine Apotheke" - schon besser und genauer. Nur ist der Ekel über die Langeweile mittelbürgerlicher Alltäglichkeit und ihres Ambiente bereits ein wenig abgestanden und im Grunde Wessi-Literatur, also Fortsetzung jener altbundesrepublikanischen Kulturkritik, mit der Wohmann in den sechziger Jahren ihre großen Erfolge hatte. Das schließt Amüsantes auch heute noch nicht aus, wie der skurrile, jedoch vergebliche Mörike-Wahn jener zwei kulturbeflissenen Damen, mit dem sie die Aufmerksamkeit eines berühmten Professors auf sich ziehen möchten, denn der hatte, wie sie glauben, auf höchst originelle Weise ein Mörike-Gedicht interpretiert. Quelle ist, nebenbei bemerkt, ein Beitrag Hans Mayers zur "Frankfurter Anthologie".
Moderne Partnerschaftsproblematik oder all das, was aus deutscher Einheit und fremder Einwanderung an Konflikten entstand, ist nicht mehr Wohmanns Feld, muss es aber auch nicht sein. Erweckt werden die Erwartungen lediglich, weil sie mit der langen Reihe ihrer Romane und Erzählungen von sich selbst das Bild einer Art von Chronistin deutscher Verhältnisse geschaffen hat, was sie indes im Grunde nie war. So berührt sie denn schließlich am meisten in den kleinen, ganz unambitiösen, aber aufmerksam ins Innere hineinhorchenden Szenen wie derjenigen von einer alten Dame namens Ottilie Klein, einer Mutter, die bei den vielbeschäftigten Kindern wohnt. Die brauchen ihr Geld und ihre Hilfe, aber als Naturwissenschaftler auch Ruhe für ihre Forschung. Als Pedanten der Ordnung stört sie freilich jeder Kratzer auf der Herdplatte, den die alte Frau verursacht, die wiederum, bedrückt vom "Geschimpftwerden", in immer neues Ungeschick stolpert, bis ihr eines Tages von einem "netten Burschen" praktische Hilfe zuteil wird und sie sich in ein paar Tränen der Rührung und des Dankes befreien kann: "Sie war ganz hin vor Erstaunen und auf eine vollkommen glückliche Weise unglücklich: Sie konnte ja weinen!" Es ist eine Kurzgeschichte in aller schönen Gedrängtheit, eine Alltagsszene, genau und konkret erzählt, nichts Besonderes und doch ein kleines Kunstwerk, dessentwegen auch dieses neue Buch von Gabriele Wohmann wieder ein Willkommen verdient.
GERHARD SCHULZ
Gabriele Wohmann: "Schwarz und ohne alles". Erzählungen. Aufbau Verlag , Berlin 2008. 221 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Freundlich begrüßt Gerhard Schulz den neuesten Erzählband von Gabriele Wohmann, auch wenn ihn die Werke der Schriftstellerin nach über hundert Büchern nicht mehr wirklich vom Hocker reißen. Er konstatiert bei Wohmann eine gewisse Konstanz von Personal und Thematik über die Zeiten hinweg, die sich auch in den Rezensionen zu ihren Büchern spiegelt. Im Grunde sieht er auch in den neueren Werken der Autorin die "Fortsetzung jener altbundesrepublikanischen Kulturkritik, mit der Wohmann in den sechziger Jahren ihre großen Erfolge hatte". So wirken einige Erzählungen des aktuellen Bands auf ihn ein wenig angestaubt. Dennoch findet er auch hier veritable Perlen. Besonders stark und auch berührend scheint ihm die Autorin vor allem in den "kleinen, ganz unambitiösen, aber aufmerksam ins Innere hineinhorchenden Szenen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Wohmanns Erzählungen sind ungetrübt, lesen sich pur wie Kaffee ganz ohne Zucker oder Milch, sind inspiriert von der Freude am Extrem.« Georg Magirius RBB Kulturradio 20091018