Das Enthüllungsbuch über die Missstände bei der Bundeswehr Brutale Initiationsriten, Fehlentscheidungen unter Angst und Stress, kaum zu bewältigende Aufgaben in Auslandseinsätzen: Die Bundeswehr sieht sich Herausforderungen gegenüber, für die sie weder die Ausbildungs- noch die Managementstrukturen hat und vor allem nicht das psychisch und physisch vorbereitete Personal. In seinem provokanten Buch zeigt Achim Wohlgethan die Innenansicht einer Armee, die weder den Anforderungen von Freiheit, Verantwortung, Offenheit gerecht wird noch die Aufgaben in einer globalisierten Welt erfüllen kann - und der es vor allem an wehrpolitischen Konzepten, personeller Ausstattung und politischer Führung mangelt. Die Missstände werden anhand hunderter Aussagen von Soldaten, Angehörigen und Politikern belegt.Mit brisanten Fallbeispielen, gestützt auf Aussagen von Soldaten und Politikern, die sich erstmals an die Öffentlichkeit wagen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2011Ein StUffz sieht schwarz
Mit dem Blick von unten: Bundeswehr heute und morgen
Achim Wohlgethan verfügt über Einsatzerfahrungen, denn der frühere Stabsunteroffizier hat von 1995 bis 2007 als Fallschirmjäger gedient, und als ehemaliger Angehöriger eines Spezialzugs der "Division Spezielle Operationen" ist ihm Afghanistan vertraut. Dies war schon den beiden Büchern zu entnehmen, die er als einer der ersten Soldaten der Bundeswehr über den Dienst in Kundus und Kabul verfasste. Der Blick auf die Bundeswehr aus der Perspektive der Gruppe der Unteroffiziere ohne Portepee, die in der Hierarchie über den Mannschaftsdienstgraden und unter den Feldwebeln rangiert, verspricht andere Einsichten als die eines Stabsoffiziers oder Generals.
Zunächst wird ein Defizit aufgezeigt, das alle Angehörigen der Streitkräfte sehen: "Wer bei der Erfüllung eines Auftrages unablässig von Gewalt umgeben ist, der hat ein Anrecht auf Akzeptanz, Anerkennung und auch Respekt vonseiten jener, die ihm den Auftrag erteilt haben." Diese Akzeptanz in Politik und Öffentlichkeit zu vergrößern, ist das Anliegen des Autors. Die realistische Einschätzung des Afghanistan-Einsatzes hält der Fallschirmjäger allein deshalb für erschwert, weil das Bundesministerium der Verteidigung für die Presseberichterstattung zunächst weder den Gebrauch der Worte "getötete Soldaten", "Gefallene" oder gar "Krieg" erlaubt habe. So hätten bei Anschlägen getötete Soldaten ihr Leben bei einem "Unfall" lassen müssen. Vor allem dieses "Taktieren, Tricksen, Schönfärben gegenüber der Öffentlichkeit" verstärke die allgemeine Unwissenheit über die Einsatzwirklichkeit.
Kann man dem Autor hier noch folgen, so verhindern die weiteren Kapitel jedoch eine Zustimmung. Zwar wird durchaus viel Beklagenswertes beklagt, aber die Attacken auf Politik, Wirtschaft und militärische Vorgesetzte lassen schnell jegliches Maß vermissen. Wohlgethan konstatiert, dass "der Fisch immer vom Kopf stinke", und daher dominieren für ihn "Schattenminister, Geheimgruppen, Informationsmanipulationen und Führungsverhalten nach Gutsherrenart" den Alltag im Ministerium. Solche Pauschalierungen sind für das Buch typisch. Sie können auch nicht durch berechtigte Beanstandungen des Wehrbeauftragten des Bundestages abgemildert werden. Immerhin erfährt dessen Arbeit eine positive Bewertung.
Deutsche Industrieunternehmen, die im Rüstungsbereich tätig sind, erhalten schlechte Noten, etwa für die überlange Dauer der "Umsetzung" des Großprojekts Transportflugzeug A 400 M. Die von der Politik verursachten Probleme werden allerdings nicht erwähnt. Wie überhaupt viele Hintergründe, mit denen sich das Bundesministerium der Verteidigung konfrontiert sieht, dem Autor unbekannt zu sein scheinen. So lässt sich aber mit dem Blick von unten nach oben leichter schelten.
Besondere Schelte erhält der Verteidigungsausschuss des Bundestages, weil schon der berufliche Hintergrund, Fachwissen sowie Lebenserfahrung seiner Mitglieder keine ausreichende Vertrautheit mit militärischen Themen erwarten ließen. Nun entspricht die Zusammensetzung eines Parlaments in einer Demokratie nicht der eines Ständestaates. Und es bleibt zu bezweifeln, ob Stabsunteroffizieren oder Generalen außer Diensten als Ausschussmitglieder den Herausforderungen und Zwängen von Politik und Haushalt wirklich besser begegnen könnten. Abschließend traut der Autor der künftigen Berufsarmee Bundeswehr nicht nur die Entwicklung zum Staat im Staate, sondern eine Einflussnahme auf Regierungsentscheidungen zu. Er mutmaßt sogar, hohe Militärs könnten eine Unzufriedenheit in der Bevölkerung für ihre eigenen Ziele nutzen, um die Staatsmacht an sich zu reißen. "Schwarzbücher" prangern Negatives an, um Veränderungen anzustoßen und Positives zu schaffen. Ein derart polemischer Frontalangriff mit düsteren Mutmaßungen dient diesem Anliegen nicht. Verbesserungen für die Bundeswehr bedürfen der Geduld, des politischen Geschicks und diplomatischen Vorgehens. Attacken führen eben nicht automatisch zum Sieg.
REINER POMMERIN
Achim Wohlgethan: Schwarzbuch Bundeswehr. Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen. Verlag C. Bertelsmann, München 2011. 286 S., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit dem Blick von unten: Bundeswehr heute und morgen
Achim Wohlgethan verfügt über Einsatzerfahrungen, denn der frühere Stabsunteroffizier hat von 1995 bis 2007 als Fallschirmjäger gedient, und als ehemaliger Angehöriger eines Spezialzugs der "Division Spezielle Operationen" ist ihm Afghanistan vertraut. Dies war schon den beiden Büchern zu entnehmen, die er als einer der ersten Soldaten der Bundeswehr über den Dienst in Kundus und Kabul verfasste. Der Blick auf die Bundeswehr aus der Perspektive der Gruppe der Unteroffiziere ohne Portepee, die in der Hierarchie über den Mannschaftsdienstgraden und unter den Feldwebeln rangiert, verspricht andere Einsichten als die eines Stabsoffiziers oder Generals.
Zunächst wird ein Defizit aufgezeigt, das alle Angehörigen der Streitkräfte sehen: "Wer bei der Erfüllung eines Auftrages unablässig von Gewalt umgeben ist, der hat ein Anrecht auf Akzeptanz, Anerkennung und auch Respekt vonseiten jener, die ihm den Auftrag erteilt haben." Diese Akzeptanz in Politik und Öffentlichkeit zu vergrößern, ist das Anliegen des Autors. Die realistische Einschätzung des Afghanistan-Einsatzes hält der Fallschirmjäger allein deshalb für erschwert, weil das Bundesministerium der Verteidigung für die Presseberichterstattung zunächst weder den Gebrauch der Worte "getötete Soldaten", "Gefallene" oder gar "Krieg" erlaubt habe. So hätten bei Anschlägen getötete Soldaten ihr Leben bei einem "Unfall" lassen müssen. Vor allem dieses "Taktieren, Tricksen, Schönfärben gegenüber der Öffentlichkeit" verstärke die allgemeine Unwissenheit über die Einsatzwirklichkeit.
Kann man dem Autor hier noch folgen, so verhindern die weiteren Kapitel jedoch eine Zustimmung. Zwar wird durchaus viel Beklagenswertes beklagt, aber die Attacken auf Politik, Wirtschaft und militärische Vorgesetzte lassen schnell jegliches Maß vermissen. Wohlgethan konstatiert, dass "der Fisch immer vom Kopf stinke", und daher dominieren für ihn "Schattenminister, Geheimgruppen, Informationsmanipulationen und Führungsverhalten nach Gutsherrenart" den Alltag im Ministerium. Solche Pauschalierungen sind für das Buch typisch. Sie können auch nicht durch berechtigte Beanstandungen des Wehrbeauftragten des Bundestages abgemildert werden. Immerhin erfährt dessen Arbeit eine positive Bewertung.
Deutsche Industrieunternehmen, die im Rüstungsbereich tätig sind, erhalten schlechte Noten, etwa für die überlange Dauer der "Umsetzung" des Großprojekts Transportflugzeug A 400 M. Die von der Politik verursachten Probleme werden allerdings nicht erwähnt. Wie überhaupt viele Hintergründe, mit denen sich das Bundesministerium der Verteidigung konfrontiert sieht, dem Autor unbekannt zu sein scheinen. So lässt sich aber mit dem Blick von unten nach oben leichter schelten.
Besondere Schelte erhält der Verteidigungsausschuss des Bundestages, weil schon der berufliche Hintergrund, Fachwissen sowie Lebenserfahrung seiner Mitglieder keine ausreichende Vertrautheit mit militärischen Themen erwarten ließen. Nun entspricht die Zusammensetzung eines Parlaments in einer Demokratie nicht der eines Ständestaates. Und es bleibt zu bezweifeln, ob Stabsunteroffizieren oder Generalen außer Diensten als Ausschussmitglieder den Herausforderungen und Zwängen von Politik und Haushalt wirklich besser begegnen könnten. Abschließend traut der Autor der künftigen Berufsarmee Bundeswehr nicht nur die Entwicklung zum Staat im Staate, sondern eine Einflussnahme auf Regierungsentscheidungen zu. Er mutmaßt sogar, hohe Militärs könnten eine Unzufriedenheit in der Bevölkerung für ihre eigenen Ziele nutzen, um die Staatsmacht an sich zu reißen. "Schwarzbücher" prangern Negatives an, um Veränderungen anzustoßen und Positives zu schaffen. Ein derart polemischer Frontalangriff mit düsteren Mutmaßungen dient diesem Anliegen nicht. Verbesserungen für die Bundeswehr bedürfen der Geduld, des politischen Geschicks und diplomatischen Vorgehens. Attacken führen eben nicht automatisch zum Sieg.
REINER POMMERIN
Achim Wohlgethan: Schwarzbuch Bundeswehr. Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen. Verlag C. Bertelsmann, München 2011. 286 S., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Weit übers Ziel hinaus geschossen scheint Reiner Pommerin dieses "Schwarzbuch Bundeswehr" von Achim Wohlgethan. Dass der einsatzerprobte frühere Stabsunteroffizier Anerkennung und Respekt für die Truppe fordert, scheint ihm zwar sehr berechtigt. Auch die vom Autor angeprangerten Missstände beim Bund findet er "beklagenswert". Aber die dann folgenden Attacken auf Politik, Wirtschaft und militärische Vorgesetzte sind in seinen Augen höchst pauschal und insgesamt maßlos. Missfallen hat ihm zudem der polemische Ton des Autors. Sein Fazit: ein Buch, das der Sache der Bundeswehr nicht dienlich ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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