Dieses Buch wird Kontroversen hervorrufen: Es trifft zum einen ins Herz der Geschichtsmythen, Verklärungen und Verkitschungen, zum anderen verweist es auf Versäumnisse der Historikerzunft. Das Schwarzbuch der Habsburger ist keineswegs der Ruf nach billiger Denunziation, sondern der Aufruf, sich auf die faszinierende Suche nach einer überraschenden und spannenden Vielschichtigkeit zu machen.
Es gibt einen allgemeinen Einblick in die Fehlentwicklungen eines Staates auf bestimmten Gebieten wie Krieg, Außenpolitik, Wirtschaft und Gesellschaft, territoriale Expansion, innerer Widerstand. Untermauert wird der bisher ausgesparte bzw. stark vernachlässigte Blick auf die Habsburger durch Betrachtungen einzelner Persönlichkeiten und Analysen zeitgenössischer Quellen. Dahinter steht der Wunsch anzuerkennen, dass es in der Geschichte kaum ein Entweder-oder, sondern meist ein Sowohl-als- auch gibt. Mit diesem Buch ist ein Anfang für eine moderne ganzheitliche Sicht einer wichtigen Periode derGeschichte gemacht.
Es gibt einen allgemeinen Einblick in die Fehlentwicklungen eines Staates auf bestimmten Gebieten wie Krieg, Außenpolitik, Wirtschaft und Gesellschaft, territoriale Expansion, innerer Widerstand. Untermauert wird der bisher ausgesparte bzw. stark vernachlässigte Blick auf die Habsburger durch Betrachtungen einzelner Persönlichkeiten und Analysen zeitgenössischer Quellen. Dahinter steht der Wunsch anzuerkennen, dass es in der Geschichte kaum ein Entweder-oder, sondern meist ein Sowohl-als- auch gibt. Mit diesem Buch ist ein Anfang für eine moderne ganzheitliche Sicht einer wichtigen Periode derGeschichte gemacht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2003Die Kaiser von Quacktanien
Ach, was muß man oft von bösen Herrschern hören oder lesen, wie zum Beispiel diesen Habsburgern
"Der Krieg der österreichischen Armee begann mit Militärgerichten. Tagelang hingen die echten und die vermeintlichen Verräter an den Bäumen auf den Kirchplätzen, zur Abschreckung der Lebendigen. Aber weit und breit waren die Lebenden geflohen", berichtet Joseph Roth in seinem Roman "Radetzkymarsch" über den Untergang des Habsburgerreiches. Roth gilt als Apologet der Donaumonarchie.
Das eben erschienene "Schwarzbuch der Habsburger" kann zweifelsohne nicht als Apologie des (gerne von sich selbst so genannten) Erzhauses gelesen werden, bemühen die Verfasser sich doch, den bequemen und großartig verkitschten Geschichtsmythos, der sich um das ehemalige Kaiserhaus gewunden hat, zu zertrümmern und wie ein großer Zerstörer dieses Werk neben die Bände vom Untergang Roms, der Zerstörung Karthagos und den Sturz Trojas zu stellen. Entsprechend wütende Reaktionen hat das Buch deshalb schon vor seinem Erscheinen in Österreich ausgelöst.
Man kann ihm freilich einiges ankreiden, und die meisten dieser Vorwürfe müssen sich auf den recht unsauberen Umgang mit der Terminologie (der leider immer noch übliche Begriffswirrwarr mit Heiligem Römischen Reich, dem Zusatz "deutscher Nation" oder Deutsches Reich - das dürfte in einem Werk von Historikern nicht mehr passieren) beziehen. Zudem fehlt ein Register, und die Literaturangaben der Fußnoten sind nicht alle im Anhang aufzuspüren. Offenbar war auch die Koordination der Beiträge vor der Drucklegung nicht völlig frei von Friktionen - allesamt Fehler, die ein aufmerksames Lektorat leicht hätte ausmerzen können. Daß es sich die Autoren zu leicht gemacht hätten, kann man dem Schwarzbuch trotzdem nicht vorhalten.
In einem weiten Bogen von den Zeiten Kaiser Maximilians I. (1508 bis 1519) bis zu Karl, dem Letzten (1916 bis 1918), versuchen Hannes Leidinger, Verena Moritz und Berndt Schippler vor allem die Mär von der schicksalsbedingten Getriebenheit der armen reichen Männer auf den Boden der historischen Tatsachen zurückzuführen und somit von verklärten und verklärenden Elementen zu entschleiern. Die Geschichtsforschung, so die drei Verfasser, habe dies bislang kaum versucht oder habe darin nicht genügend Unterstützung erfahren. Aufklärerische Werke stießen durch überkommene, aber weitverbreitete Habsburg-Promotion auf größere Widerstände. Den Ursprung dieser Propaganda sehen sie "in der Zeit der Entstehung des österreichischen Kaiserreiches während der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches. Dem recht heterogenen Mitteleuropa versuchte man damals insbesondere durch die Dynastie eine Klammer der Gemeinsamkeit zu verpassen." Kurzem Aufklärungswillen während der zwanziger Jahre trat das autoritär-faschistische Ständestaatregime (1933/1934 bis 1938) mit seinen guten Kontakten zum Erzhaus entgegen, und die auch darin begründete Gegnerschaft der Nationalsozialisten zu den Habsburgern öffnete einer Verkitschung der schlechten alten Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geradezu Tür und Tor.
Freilich ist das neue Werk auch ein sehr österreichisches Buch, will es doch mit den Versäumnissen insbesondere der in der Alpenrepublik verbreiteten Geschichtsklischees und den Mängeln der österreichischen Geschichtsvermittlung in Schule und Studium aufräumen. Leicht sei es, werfen Kritiker den Autoren vor, am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts eine Anklage zu formulieren? Ja, nur ist dies eben noch nicht passiert, und die bisherige, auch republikskonforme Geschichtsschreibung vermittelte nur das Besondere an den Habsburgern, deren Bild, deren Überzeugung von ihrem Gottesgnadentum.
Wenn etwa sonst die aufgeklärte Haltung Maria Theresias in österreichischen Geschichtsbüchern hervorgehoben wird, so halten die drei Autoren dieser Verklärung ihre Sittenkommission gegen sogenannte liederliche Weibsbilder, die Behandlung der Protestanten und die Verschickung nach Siebenbürgen vor. Nicht zuletzt, und das hören die Österreicher gar nicht gerne, waren die Einwohner Schlesiens nicht wirklich unglücklich, als die preußische Armee das Land für die Hohenzollern in Besitz nahm - die meisten Schlesier waren Protestanten.
"Das Schwarzbuch der Habsburger" ist auch ein Buch mit aktuellem Bezug, weil es in Zeiten neoliberaler Kahlschläge im Sozialstaat schon als mutig gelten kann, wenn man Sätze wie diese liest, freilich hier in Bezugnahme auf Joseph II.: "Eine derartige Interpretation der josefinischen Erneuerungsarbeit erzeugt das Bild vom Vater Staat, der aus purer Menschenliebe seine Wohltaten über seine dankbar staunenden, weil geistig klein gehaltenen Kinder ergießt. Der Nutzen der Sozialpolitik für den Staat selbst wird mehr oder weniger diskret ausgeblendet."
Nicht späte Rache ist das Anliegen dieses Buches - einen unaufgeregten Umgang mit der Vergangenheit ohne Walzerseligkeit oder Kaiserkitsch will es bieten. In Zeiten, wo zum Beispiel dem Kunsthistorischen Museum in Wien nicht viel mehr einfiel, als in einer Sonderschau über Polen (Thesauri Poloniae - Schatzkammer Polen) die besonderen Bezüge Polens zu den Habsburgern oder in einer Ausstellung im Palais Harrach (Zeit des Aufbruchs - Budapest und Wien zwischen Historismus und Avantgarde) die Bezüge zwischen den beiden Hauptstädten und Wachzentralen des Habsburger Völkerkerkers aufzuzeigen, ist selbst ein so dünnes Werk, trotz zahlreicher Mängel, bitter vonnöten.
MARTIN LHOTZKY
Hannes Leidinger, Verena Moritz, Berndt Schippler: "Das Schwarzbuch der Habsburger". Die unrühmliche Geschichte eines Herrschergeschlechts. Mit Vorbemerkungen von Gerhard Jagschitz und Karl Vocelka. Deuticke Verlag, Wien 2003. 319 S., 9 Abb., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ach, was muß man oft von bösen Herrschern hören oder lesen, wie zum Beispiel diesen Habsburgern
"Der Krieg der österreichischen Armee begann mit Militärgerichten. Tagelang hingen die echten und die vermeintlichen Verräter an den Bäumen auf den Kirchplätzen, zur Abschreckung der Lebendigen. Aber weit und breit waren die Lebenden geflohen", berichtet Joseph Roth in seinem Roman "Radetzkymarsch" über den Untergang des Habsburgerreiches. Roth gilt als Apologet der Donaumonarchie.
Das eben erschienene "Schwarzbuch der Habsburger" kann zweifelsohne nicht als Apologie des (gerne von sich selbst so genannten) Erzhauses gelesen werden, bemühen die Verfasser sich doch, den bequemen und großartig verkitschten Geschichtsmythos, der sich um das ehemalige Kaiserhaus gewunden hat, zu zertrümmern und wie ein großer Zerstörer dieses Werk neben die Bände vom Untergang Roms, der Zerstörung Karthagos und den Sturz Trojas zu stellen. Entsprechend wütende Reaktionen hat das Buch deshalb schon vor seinem Erscheinen in Österreich ausgelöst.
Man kann ihm freilich einiges ankreiden, und die meisten dieser Vorwürfe müssen sich auf den recht unsauberen Umgang mit der Terminologie (der leider immer noch übliche Begriffswirrwarr mit Heiligem Römischen Reich, dem Zusatz "deutscher Nation" oder Deutsches Reich - das dürfte in einem Werk von Historikern nicht mehr passieren) beziehen. Zudem fehlt ein Register, und die Literaturangaben der Fußnoten sind nicht alle im Anhang aufzuspüren. Offenbar war auch die Koordination der Beiträge vor der Drucklegung nicht völlig frei von Friktionen - allesamt Fehler, die ein aufmerksames Lektorat leicht hätte ausmerzen können. Daß es sich die Autoren zu leicht gemacht hätten, kann man dem Schwarzbuch trotzdem nicht vorhalten.
In einem weiten Bogen von den Zeiten Kaiser Maximilians I. (1508 bis 1519) bis zu Karl, dem Letzten (1916 bis 1918), versuchen Hannes Leidinger, Verena Moritz und Berndt Schippler vor allem die Mär von der schicksalsbedingten Getriebenheit der armen reichen Männer auf den Boden der historischen Tatsachen zurückzuführen und somit von verklärten und verklärenden Elementen zu entschleiern. Die Geschichtsforschung, so die drei Verfasser, habe dies bislang kaum versucht oder habe darin nicht genügend Unterstützung erfahren. Aufklärerische Werke stießen durch überkommene, aber weitverbreitete Habsburg-Promotion auf größere Widerstände. Den Ursprung dieser Propaganda sehen sie "in der Zeit der Entstehung des österreichischen Kaiserreiches während der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches. Dem recht heterogenen Mitteleuropa versuchte man damals insbesondere durch die Dynastie eine Klammer der Gemeinsamkeit zu verpassen." Kurzem Aufklärungswillen während der zwanziger Jahre trat das autoritär-faschistische Ständestaatregime (1933/1934 bis 1938) mit seinen guten Kontakten zum Erzhaus entgegen, und die auch darin begründete Gegnerschaft der Nationalsozialisten zu den Habsburgern öffnete einer Verkitschung der schlechten alten Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geradezu Tür und Tor.
Freilich ist das neue Werk auch ein sehr österreichisches Buch, will es doch mit den Versäumnissen insbesondere der in der Alpenrepublik verbreiteten Geschichtsklischees und den Mängeln der österreichischen Geschichtsvermittlung in Schule und Studium aufräumen. Leicht sei es, werfen Kritiker den Autoren vor, am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts eine Anklage zu formulieren? Ja, nur ist dies eben noch nicht passiert, und die bisherige, auch republikskonforme Geschichtsschreibung vermittelte nur das Besondere an den Habsburgern, deren Bild, deren Überzeugung von ihrem Gottesgnadentum.
Wenn etwa sonst die aufgeklärte Haltung Maria Theresias in österreichischen Geschichtsbüchern hervorgehoben wird, so halten die drei Autoren dieser Verklärung ihre Sittenkommission gegen sogenannte liederliche Weibsbilder, die Behandlung der Protestanten und die Verschickung nach Siebenbürgen vor. Nicht zuletzt, und das hören die Österreicher gar nicht gerne, waren die Einwohner Schlesiens nicht wirklich unglücklich, als die preußische Armee das Land für die Hohenzollern in Besitz nahm - die meisten Schlesier waren Protestanten.
"Das Schwarzbuch der Habsburger" ist auch ein Buch mit aktuellem Bezug, weil es in Zeiten neoliberaler Kahlschläge im Sozialstaat schon als mutig gelten kann, wenn man Sätze wie diese liest, freilich hier in Bezugnahme auf Joseph II.: "Eine derartige Interpretation der josefinischen Erneuerungsarbeit erzeugt das Bild vom Vater Staat, der aus purer Menschenliebe seine Wohltaten über seine dankbar staunenden, weil geistig klein gehaltenen Kinder ergießt. Der Nutzen der Sozialpolitik für den Staat selbst wird mehr oder weniger diskret ausgeblendet."
Nicht späte Rache ist das Anliegen dieses Buches - einen unaufgeregten Umgang mit der Vergangenheit ohne Walzerseligkeit oder Kaiserkitsch will es bieten. In Zeiten, wo zum Beispiel dem Kunsthistorischen Museum in Wien nicht viel mehr einfiel, als in einer Sonderschau über Polen (Thesauri Poloniae - Schatzkammer Polen) die besonderen Bezüge Polens zu den Habsburgern oder in einer Ausstellung im Palais Harrach (Zeit des Aufbruchs - Budapest und Wien zwischen Historismus und Avantgarde) die Bezüge zwischen den beiden Hauptstädten und Wachzentralen des Habsburger Völkerkerkers aufzuzeigen, ist selbst ein so dünnes Werk, trotz zahlreicher Mängel, bitter vonnöten.
MARTIN LHOTZKY
Hannes Leidinger, Verena Moritz, Berndt Schippler: "Das Schwarzbuch der Habsburger". Die unrühmliche Geschichte eines Herrschergeschlechts. Mit Vorbemerkungen von Gerhard Jagschitz und Karl Vocelka. Deuticke Verlag, Wien 2003. 319 S., 9 Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Martin Lhotzky findet es an der Zeit, dass mit den Geschichtsmythen um das Kaiserhaus Habsburg aufgeräumt wird. Trotz "zahlreicher Mängel" löse "Das Schwarzbuch der Habsburger" von Hannes Leidinger, Verena Moritz und Berndt Schippler diesen Anspruch ein, freut sich Lhotzky. Er kritisiert vor allem wissenschaftliche Unsauberkeiten. Die Terminologie sei schludrig, ein Register fehle vollkommen und die Literaturangaben der Fußnoten seien teilweise in der Bibliografie nicht mehr wiederzufinden. Inhaltlich bescheinigt der Rezensent dem Werk aber aufklärerische Qualitäten und nennt es einen "großen Zerstörer" lange unhinterfragter Ansichten. Den Autoren ist es gelungen die Vergangenheit "auf den Boden der historischen Tatsachen zurückzuführen und somit von verklärten und verklärenden Elementen zu entschleiern", resümiert Lhotzky und hofft, dass nach Lektüre dieses Werks, Geschichtsklischees zwischen "Walzerseligkeit und Kaiserkitsch" endgültig der Vergangenheit angehören.
© Perlentaucher Medien GmbH
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