Ein beherzter Aufbruch nach Utopia Von einer Schachaufgabe, die keine ist, den Mysterien der Hegelschen Dialektik und der Logik der Liebe: eine faszinierende Reise ins Leningrad der 70er-Jahre und ins St. Petersburg von heute.
Mit diesem klugen und hochkomischen Roman knüpft Jens Sparschuh an seinen Bestseller Der Zimmerspringbrunnen an, doch wird der Blick jetzt weiter nach Osten gerichtet und von deutsch-russischen Beziehungen erzählt.
Das Leben von Alexander, einem freiberuflichen Rundfunkautor, läuft aus dem Ruder, und das liegt vor allem an Jelena, seiner Zufallsbekanntschaft von der Schönhauser Allee: Die schöne Russin vertreibt die Einsamkeit aus seinem Leben und erobert sein Herz, ohne dass er das gleich merken würde. Und das, was sie ihm von ihrem Leben in Russland erzählt, macht die Zeit, die er in den 70er-Jahren als Student der Philosophie und Logik in Leningrad verbrachte, wieder lebendig. Die Erinnerungen an sein Leben im internationalen Wohnheim und an die abgründigen Seminare bei seinem Logikdozenten Bergelson führen den Leser in eine untergegangene Welt und in hochaktuelle Fragestellungen. Als Alexander erkennt, dass er schon damals auf der Suche nach der schwarzen Dame war, muss er sich erneut auf den Weg machen, denn Jelena ist plötzlich verschwunden. Zum Glück plant sein Freund Blosse, Unternehmer mit einem Faible für Kultur und mit einer originellen Theorie des produktiven Verlustmachens, eine Geschäftsreise nach St. Petersburg. Als Dolmetscher kehrt Alexander mit ihm an die Orte seiner Vergangenheit zurück und landet in einer fremden und befremdlichen Welt - immer in der Hoffnung, Jelena dort wiederzutreffen.
Sparschuh gelingt ein Kunststück: Er zeigt das Leningrader Seminar für Logik als Enklave des freien Denkens, einen Absolventen, der seine Lebensrätsel zu lösen versucht, und eine postkommunistische Metropole auf dem Weg in den entfesselten Kapitalismus - voller Wehmut und funkelnder Ironie.
»Sparschuhzeigt so schön wie vor ihm allenfalls Ionesco, dass Logisches und Absurdes Geschwister sind.« Berliner Morgenpost
Mit diesem klugen und hochkomischen Roman knüpft Jens Sparschuh an seinen Bestseller Der Zimmerspringbrunnen an, doch wird der Blick jetzt weiter nach Osten gerichtet und von deutsch-russischen Beziehungen erzählt.
Das Leben von Alexander, einem freiberuflichen Rundfunkautor, läuft aus dem Ruder, und das liegt vor allem an Jelena, seiner Zufallsbekanntschaft von der Schönhauser Allee: Die schöne Russin vertreibt die Einsamkeit aus seinem Leben und erobert sein Herz, ohne dass er das gleich merken würde. Und das, was sie ihm von ihrem Leben in Russland erzählt, macht die Zeit, die er in den 70er-Jahren als Student der Philosophie und Logik in Leningrad verbrachte, wieder lebendig. Die Erinnerungen an sein Leben im internationalen Wohnheim und an die abgründigen Seminare bei seinem Logikdozenten Bergelson führen den Leser in eine untergegangene Welt und in hochaktuelle Fragestellungen. Als Alexander erkennt, dass er schon damals auf der Suche nach der schwarzen Dame war, muss er sich erneut auf den Weg machen, denn Jelena ist plötzlich verschwunden. Zum Glück plant sein Freund Blosse, Unternehmer mit einem Faible für Kultur und mit einer originellen Theorie des produktiven Verlustmachens, eine Geschäftsreise nach St. Petersburg. Als Dolmetscher kehrt Alexander mit ihm an die Orte seiner Vergangenheit zurück und landet in einer fremden und befremdlichen Welt - immer in der Hoffnung, Jelena dort wiederzutreffen.
Sparschuh gelingt ein Kunststück: Er zeigt das Leningrader Seminar für Logik als Enklave des freien Denkens, einen Absolventen, der seine Lebensrätsel zu lösen versucht, und eine postkommunistische Metropole auf dem Weg in den entfesselten Kapitalismus - voller Wehmut und funkelnder Ironie.
»Sparschuhzeigt so schön wie vor ihm allenfalls Ionesco, dass Logisches und Absurdes Geschwister sind.« Berliner Morgenpost
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2007Logik auf der Datscha
Jens Sparschuh probt russische Varianten / Von Marius Meller
Es hätte ein großer Wurf werden sollen und können: ein Roman über die Grundlagen der Logik, über die Grenzen des Kapitalismus, über die Liebe und über ein absurdes Schachproblem. Dem Berliner Schriftsteller Jens Sparschuh, dem Autor des ebenso witzigen wie eleganten Romans "Der Zimmerspringbrunnen" (1995) ist unbedingt zuzutrauen, dass er so etwas wie den großen Zeitroman in einer spezifisch Sparschuhschen Erscheinungsform eines Tages beim Lesepublikum abliefert. Aber der Roman "Schwarze Dame" erfüllt diese große Hoffnung noch nicht.
Alexander ist mäßig beschäftigter Hörfunkautor und verliebt sich in die junge Russin Jelena, die er in Berlin auf der Schönhauser Allee zufällig trifft. Doch die schwarze Dame verdunkelt sich weiter, ist nicht mehr auffindbar, und Alexander nimmt die Gelegenheit wahr, seinen neuen Bekannten, Schachpartner und Freund Blosse als Dolmetscher auf eine Geschäftsreise nach Sankt Petersburg zu begleiten. Denn Alexander kann Russisch, er hat in den siebziger Jahren dort einige Jahre Logik und Philosophie studiert - wie auch der Autor Jens Sparschuh.
Aber dort findet Alexander nicht wie erhofft seine Angebetete, sondern immer neue Erinnerungen an seine Studienzeit bei dem kauzigen Logik-Genie Bergelson. Dieser lud einst seinen Studenten, dessen Begabung er erkannte, auf seine Datscha ein, um Hilfe bei seiner deutschsprachigen Hegel-Lektüre zu erhalten. Bergelson ließ sich und seine Studenten an der Grundlegung der klassischen Logik aus dem Satz der Identität gehörig zweifeln. Schließlich, so Bergelson, sei ja beim "p = p" das eine "p" vom anderen schon dadurch verschieden, dass es jeweils auf der anderen Seite des Gleichheitszeichens stehe. Und gibt es überhaupt in der Welt so etwas wie Identität jenseits der logischen und mathematischen Sprachspiele?
Die Schilderung dieser Logikseminare - die so etwas wie Ausdrucksformen des inneren Exils im Ostblock darstellen - ist dem Autor überzeugend gelungen und macht das enorme Ausdruckspotential Jens Sparschuhs deutlich. Aber leider hapert es bei der Aufhängung dieses geglückten Abschnitts in der Gesamtanlage der Prosa: Rückblende und erzählte Gegenwart bilden keinen gemeinsamen Resonanzraum; man hat den Eindruck, dass die Leningrad-Passagen für sich stehen und die Fortführung in die Jetztzeit nicht wirklich erfordern. Und auch die schnippischen Bemerkungen des auktorialen Autors verfehlen leider ihre beabsichtigte Wirkung: Das Spiel mit der Gattungstradition des Romans wirkt wie eine bemühte Reminiszenz an die klassische Moderne, nicht wie ein geistreiches Spiel - es nervt bisweilen.
Auch Alexanders sanguinischer Freund Blosse, der mit seiner Unternehmensphilosophie des kreativen Schrumpfens einen an sich interessanten Typus der Wirtschaftswelt repräsentiert, hängt als Figur in der Luft - er ist allzu holzschnitthaft als Gegenfigur zum logischen Melancholiker Alexanders angelegt. Das Schachproblem, dessen Bearbeitung sich durch den ganzen Roman zieht, ist nur lösbar, wenn die üblichen Regeln des Spiels aufgehoben werden - ein Verweis auf den Spielcharakter der Logik.
Leider hat Jens Sparschuh sein verlässliches literarisches Niveau mit diesem Buch nicht erreicht und einen zwar thematisch beeindruckenden, aber ästhetisch nicht überzeugenden Roman vorgelegt.
Jens Sparschuh: "Schwarze Dame". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 340 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jens Sparschuh probt russische Varianten / Von Marius Meller
Es hätte ein großer Wurf werden sollen und können: ein Roman über die Grundlagen der Logik, über die Grenzen des Kapitalismus, über die Liebe und über ein absurdes Schachproblem. Dem Berliner Schriftsteller Jens Sparschuh, dem Autor des ebenso witzigen wie eleganten Romans "Der Zimmerspringbrunnen" (1995) ist unbedingt zuzutrauen, dass er so etwas wie den großen Zeitroman in einer spezifisch Sparschuhschen Erscheinungsform eines Tages beim Lesepublikum abliefert. Aber der Roman "Schwarze Dame" erfüllt diese große Hoffnung noch nicht.
Alexander ist mäßig beschäftigter Hörfunkautor und verliebt sich in die junge Russin Jelena, die er in Berlin auf der Schönhauser Allee zufällig trifft. Doch die schwarze Dame verdunkelt sich weiter, ist nicht mehr auffindbar, und Alexander nimmt die Gelegenheit wahr, seinen neuen Bekannten, Schachpartner und Freund Blosse als Dolmetscher auf eine Geschäftsreise nach Sankt Petersburg zu begleiten. Denn Alexander kann Russisch, er hat in den siebziger Jahren dort einige Jahre Logik und Philosophie studiert - wie auch der Autor Jens Sparschuh.
Aber dort findet Alexander nicht wie erhofft seine Angebetete, sondern immer neue Erinnerungen an seine Studienzeit bei dem kauzigen Logik-Genie Bergelson. Dieser lud einst seinen Studenten, dessen Begabung er erkannte, auf seine Datscha ein, um Hilfe bei seiner deutschsprachigen Hegel-Lektüre zu erhalten. Bergelson ließ sich und seine Studenten an der Grundlegung der klassischen Logik aus dem Satz der Identität gehörig zweifeln. Schließlich, so Bergelson, sei ja beim "p = p" das eine "p" vom anderen schon dadurch verschieden, dass es jeweils auf der anderen Seite des Gleichheitszeichens stehe. Und gibt es überhaupt in der Welt so etwas wie Identität jenseits der logischen und mathematischen Sprachspiele?
Die Schilderung dieser Logikseminare - die so etwas wie Ausdrucksformen des inneren Exils im Ostblock darstellen - ist dem Autor überzeugend gelungen und macht das enorme Ausdruckspotential Jens Sparschuhs deutlich. Aber leider hapert es bei der Aufhängung dieses geglückten Abschnitts in der Gesamtanlage der Prosa: Rückblende und erzählte Gegenwart bilden keinen gemeinsamen Resonanzraum; man hat den Eindruck, dass die Leningrad-Passagen für sich stehen und die Fortführung in die Jetztzeit nicht wirklich erfordern. Und auch die schnippischen Bemerkungen des auktorialen Autors verfehlen leider ihre beabsichtigte Wirkung: Das Spiel mit der Gattungstradition des Romans wirkt wie eine bemühte Reminiszenz an die klassische Moderne, nicht wie ein geistreiches Spiel - es nervt bisweilen.
Auch Alexanders sanguinischer Freund Blosse, der mit seiner Unternehmensphilosophie des kreativen Schrumpfens einen an sich interessanten Typus der Wirtschaftswelt repräsentiert, hängt als Figur in der Luft - er ist allzu holzschnitthaft als Gegenfigur zum logischen Melancholiker Alexanders angelegt. Das Schachproblem, dessen Bearbeitung sich durch den ganzen Roman zieht, ist nur lösbar, wenn die üblichen Regeln des Spiels aufgehoben werden - ein Verweis auf den Spielcharakter der Logik.
Leider hat Jens Sparschuh sein verlässliches literarisches Niveau mit diesem Buch nicht erreicht und einen zwar thematisch beeindruckenden, aber ästhetisch nicht überzeugenden Roman vorgelegt.
Jens Sparschuh: "Schwarze Dame". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 340 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.08.2007Die Lösung liegt immer außerhalb
Viele lose Enden: Jens Sparschuhs Roman „Schwarze Dame”
An der Landstraße nach Klein Lüben steht ein halb entblätterter Ahornbaum. An ihm ist weiter nichts erwähnenswert. Mit der Geschichte hat er nichts zu tun. Aber, sagt der Erzähler, „weil er schon dasteht, sollte er nicht unerwähnt bleiben. Er wird dort auch noch stehen, wenn diese Geschichte längst zu Ende ist.” Doch leider sieht man die Geschichte vor lauter Bäumen nicht. Es gibt eine Menge randständiger Details in Jens Sparschuhs Roman „Schwarze Dame”, von denen man sich schon beim Lesen fragt, welche Funktion ihnen wohl zukommen könnte. Handlungsstränge werden mit viel Aufwand begonnen und versickern dann auf halber Strecke, wenn sie gerade interessant zu werden versprechen. Auch die Hoffnung, all die angefangenen Geschichten würden am Ende doch noch zusammengeführt, erfüllt sich nicht. Doch womöglich ist das Absicht. 1+1 muss nicht unbedingt 2 ergeben. Auch das lehrt dieser Roman, der in den spannendsten Passagen Probleme der Logik verhandelt.
Jens Sparschuh, der den „Zimmerspringbrunnen”, einen der erfolgreichsten Romane über die Wendezeit, geschrieben hat, studierte von 1972 bis 1978 Logik und Philosophie in Leningrad. Damalige Fächer: Dialektischer Materialismus, Kritik der nichtmarxistischen Philosophie und so weiter. Die Erfahrungen dieser Jahre gab er nun an seine Romanfigur Alexander weiter, der sich als freischaffender Autor durch die mediale Marktwirtschaft schlägt und von sich sagt: „Dafür, dass er Experte für etwas war, das es nicht mehr gab, hatte er erstaunlich lange durchgehalten.” Die Schilderung des Autorendaseins am Computer mit den fortgesetzten Versuchen, Disziplin in den Alltag zu bekommen und den philosophischen Begriff der „Existenz” mit der Arbeitsmarkttechnik der „Existenzgründung” in Übereinstimmung zu bringen, ist amüsant zu lesen. Alexander schreibt ein Radiofeature über Bahnhöfe in den Texten von Iwan Bunin. Bahnhöfe sind ihm „schicksalhafte Schnittpunkte von Nähe und Ferne”. Das Thema weist auf sein eigenes Schicksal voraus, denn er verliebt sich in eine geheimnisvolle Russin, die, während er noch glaubt, sein Leben in Zukunft an ihrer Seite zu verbringen, eines Tages spurlos verschwunden ist.
Ein Spiel und ein Zeitvertreib
Parallel dazu wird die Geschichte des schwerreichen Immobilienmaklers Blosse erzählt, eines Mannes, der die Effizienz der Schrumpfung vertritt, also kein typischer Vertreter der Wirtschaftswelt ist. Trotz theoretischer Neigung zum Verzicht lässt er sich eine grandiose Villa an der Elbe renovieren. Das wird ebenso ausführlich dargestellt wie die Geschichte seiner Familie und des Unternehmens. Doch dann gerät Blosse aus dem Blick, und wenn er 150 Seiten später wieder auftaucht, hat man ihn schon fast vergessen. Da muss sich dann der Erzähler einmischen mit der Bemerkung: „Von dem haben wir lange nichts gehört!” Solche Aufdringlichkeiten des Erzählers gibt es immer wieder, und sie nerven. Er wird schon in der Vorbemerkung hervorgehoben, in der es heißt: „Alle Personen dieser Geschichte haben wirklich gelebt – bis auf den Erzähler.” Doch wozu es nötig ist, ihn als handelnde, organisierende und mit einem leicht verschmockten Humor ausgestattete Instanz im Text zu installieren, erschließt sich nicht. Es ist ein Spielchen, das der Autor mit sich selbst spielt, als müsse er sich mit der Ironisierung seiner letztinstanzlichen Allwissenheit die Zeit vertreiben.
Der mittlere, ergiebigste Romanteil führt zurück in die siebziger Jahre, in die Studienzeit nach Leningrad. Er liest sich wie eine eingeschobene Erzählung, die zunächst keinen Bezug zum vorigen hat. Hier bekommt der Logikprofessor Bergelson seinen großen Auftritt, ein Mann mit dicker Brille und Aktentasche, der an einer Logik des Widerspruchs arbeitet. Wenn p = p ist, kann p unmöglich p sein, behauptet er, denn das eine p steht links vom Gleichheitszeichen, das andere aber rechts. Identisch sind sie also nicht. Von dieser Einsicht aus lässt sich die Welt aus den Angeln heben. Bergelson ist es auch, der Alexander mit dem Schwarze-Dame-Problem konfrontiert, bei dem Figuren auf dem Schachbrett so zu einem gleichseitigen Viereck aufgestellt werden müssen, dass die Lösung außerhalb des Schachbretts liegt, gerade deshalb aber, weil sie aus dem Rahmen fällt, nicht gefunden werden kann. Dieses Prinzip mag dann auch auf Alexanders russische Liebesgeschichte anwendbar sein, um irgendwie den Bogen zu schlagen.
Im dritten Teil kehrt Alexander als Blosses Dolmetscher für ein paar Tage zurück ins Petersburg der Gegenwart. Er ist auf der Suche nach seiner Russin, findet sie aber nicht. Das Geschehen ist eher uninteressant, etwa so wie der Ahorn an der Straße nach Klein Lüben. Was wird aus Blosse, aus der Firma, aus der Villa? Und was wird aus Alexander und seiner Liebe? Man weiß es nicht. Immerhin: „Bunins Bahnhöfe” werden gesendet. Doch wenn die Grundgesetze der Logik und des Erzählens aufgehoben werden, kommt kein Roman als geschlossenes Ganzes dabei heraus, sondern nur eine Ansammlung von Einzelteilen, die sich nicht summieren lassen. Die Lösung liegt außerhalb des Erzählten. Das macht die Lektüre trotz einiger heiterer Momente eher unbefriedigend. JÖRG MAGENAU
JENS SPARSCHUH: Schwarze Dame. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 342 Seiten, 18,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Viele lose Enden: Jens Sparschuhs Roman „Schwarze Dame”
An der Landstraße nach Klein Lüben steht ein halb entblätterter Ahornbaum. An ihm ist weiter nichts erwähnenswert. Mit der Geschichte hat er nichts zu tun. Aber, sagt der Erzähler, „weil er schon dasteht, sollte er nicht unerwähnt bleiben. Er wird dort auch noch stehen, wenn diese Geschichte längst zu Ende ist.” Doch leider sieht man die Geschichte vor lauter Bäumen nicht. Es gibt eine Menge randständiger Details in Jens Sparschuhs Roman „Schwarze Dame”, von denen man sich schon beim Lesen fragt, welche Funktion ihnen wohl zukommen könnte. Handlungsstränge werden mit viel Aufwand begonnen und versickern dann auf halber Strecke, wenn sie gerade interessant zu werden versprechen. Auch die Hoffnung, all die angefangenen Geschichten würden am Ende doch noch zusammengeführt, erfüllt sich nicht. Doch womöglich ist das Absicht. 1+1 muss nicht unbedingt 2 ergeben. Auch das lehrt dieser Roman, der in den spannendsten Passagen Probleme der Logik verhandelt.
Jens Sparschuh, der den „Zimmerspringbrunnen”, einen der erfolgreichsten Romane über die Wendezeit, geschrieben hat, studierte von 1972 bis 1978 Logik und Philosophie in Leningrad. Damalige Fächer: Dialektischer Materialismus, Kritik der nichtmarxistischen Philosophie und so weiter. Die Erfahrungen dieser Jahre gab er nun an seine Romanfigur Alexander weiter, der sich als freischaffender Autor durch die mediale Marktwirtschaft schlägt und von sich sagt: „Dafür, dass er Experte für etwas war, das es nicht mehr gab, hatte er erstaunlich lange durchgehalten.” Die Schilderung des Autorendaseins am Computer mit den fortgesetzten Versuchen, Disziplin in den Alltag zu bekommen und den philosophischen Begriff der „Existenz” mit der Arbeitsmarkttechnik der „Existenzgründung” in Übereinstimmung zu bringen, ist amüsant zu lesen. Alexander schreibt ein Radiofeature über Bahnhöfe in den Texten von Iwan Bunin. Bahnhöfe sind ihm „schicksalhafte Schnittpunkte von Nähe und Ferne”. Das Thema weist auf sein eigenes Schicksal voraus, denn er verliebt sich in eine geheimnisvolle Russin, die, während er noch glaubt, sein Leben in Zukunft an ihrer Seite zu verbringen, eines Tages spurlos verschwunden ist.
Ein Spiel und ein Zeitvertreib
Parallel dazu wird die Geschichte des schwerreichen Immobilienmaklers Blosse erzählt, eines Mannes, der die Effizienz der Schrumpfung vertritt, also kein typischer Vertreter der Wirtschaftswelt ist. Trotz theoretischer Neigung zum Verzicht lässt er sich eine grandiose Villa an der Elbe renovieren. Das wird ebenso ausführlich dargestellt wie die Geschichte seiner Familie und des Unternehmens. Doch dann gerät Blosse aus dem Blick, und wenn er 150 Seiten später wieder auftaucht, hat man ihn schon fast vergessen. Da muss sich dann der Erzähler einmischen mit der Bemerkung: „Von dem haben wir lange nichts gehört!” Solche Aufdringlichkeiten des Erzählers gibt es immer wieder, und sie nerven. Er wird schon in der Vorbemerkung hervorgehoben, in der es heißt: „Alle Personen dieser Geschichte haben wirklich gelebt – bis auf den Erzähler.” Doch wozu es nötig ist, ihn als handelnde, organisierende und mit einem leicht verschmockten Humor ausgestattete Instanz im Text zu installieren, erschließt sich nicht. Es ist ein Spielchen, das der Autor mit sich selbst spielt, als müsse er sich mit der Ironisierung seiner letztinstanzlichen Allwissenheit die Zeit vertreiben.
Der mittlere, ergiebigste Romanteil führt zurück in die siebziger Jahre, in die Studienzeit nach Leningrad. Er liest sich wie eine eingeschobene Erzählung, die zunächst keinen Bezug zum vorigen hat. Hier bekommt der Logikprofessor Bergelson seinen großen Auftritt, ein Mann mit dicker Brille und Aktentasche, der an einer Logik des Widerspruchs arbeitet. Wenn p = p ist, kann p unmöglich p sein, behauptet er, denn das eine p steht links vom Gleichheitszeichen, das andere aber rechts. Identisch sind sie also nicht. Von dieser Einsicht aus lässt sich die Welt aus den Angeln heben. Bergelson ist es auch, der Alexander mit dem Schwarze-Dame-Problem konfrontiert, bei dem Figuren auf dem Schachbrett so zu einem gleichseitigen Viereck aufgestellt werden müssen, dass die Lösung außerhalb des Schachbretts liegt, gerade deshalb aber, weil sie aus dem Rahmen fällt, nicht gefunden werden kann. Dieses Prinzip mag dann auch auf Alexanders russische Liebesgeschichte anwendbar sein, um irgendwie den Bogen zu schlagen.
Im dritten Teil kehrt Alexander als Blosses Dolmetscher für ein paar Tage zurück ins Petersburg der Gegenwart. Er ist auf der Suche nach seiner Russin, findet sie aber nicht. Das Geschehen ist eher uninteressant, etwa so wie der Ahorn an der Straße nach Klein Lüben. Was wird aus Blosse, aus der Firma, aus der Villa? Und was wird aus Alexander und seiner Liebe? Man weiß es nicht. Immerhin: „Bunins Bahnhöfe” werden gesendet. Doch wenn die Grundgesetze der Logik und des Erzählens aufgehoben werden, kommt kein Roman als geschlossenes Ganzes dabei heraus, sondern nur eine Ansammlung von Einzelteilen, die sich nicht summieren lassen. Die Lösung liegt außerhalb des Erzählten. Das macht die Lektüre trotz einiger heiterer Momente eher unbefriedigend. JÖRG MAGENAU
JENS SPARSCHUH: Schwarze Dame. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 342 Seiten, 18,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kurz und deutlich urteilt Rezensent Marius Meller: Das bisher vom Autor gewohnte Niveau wird in diesem Roman "nicht erreicht". Der Rezensent hat zwar viel Gutes über den Text zu sagen, so gefallen ihm insbesondere jene Passagen, die in Leningrad spielen, die gelehrten Gespräche zwischen den Philosophiestudenten und ihrem Mentor und überhaupt die Ausmalung jener "Ausdruckformen des inneren Exils im Ostblock". Aber die in Rückblende erzählte Geschichte will sich, so Meller, nicht gut einfügen in die Liebesgeschichte zwischen Berlin und St. Petersburg. Auch die Männerfreundschaft zwischen Alexander und Blosse hat ihn nicht überzeugt; zu "holzschnitthaft" sei der eine als Gegenspieler des anderen gezeichnet. Die große Hoffnung, dass Jens Sparschuh eines Tages "den großen Zeitroman" schreiben wird, hat Meller deshalb aber nicht aufgegeben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Sparschuh wollte vor allem intelligent unterhalten und das ist ihm mit diesem kleinen Roman auf jeden Fall gelungen.« Jörg Sundermeier Berliner Zeitung