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Produktdetails
  • Verlag: Nikol Verlag
  • Sonderausg.
  • Seitenzahl: 336
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 538g
  • ISBN-13: 9783933203342
  • ISBN-10: 3933203341
  • Artikelnr.: 09533001
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.1998

Keiner killt so schön wie wir
Leichen zum Dessert, Frauen zur Emanzipation: Über Gift- und andere Morde

Hélène Jegado hatte das Zimmermädchen Françoise liebevoll gepflegt, bevor sie ihr die tödliche Dosis verabreichte. Alle Welt staunte, mit welcher Geduld die Krankenschwester Françoise gewaschen hatte, angezogen und gefüttert. Erst später stellte sich heraus, daß die kräftige Brühe mit Arsen angereichert war. Hélène Jegado war die "Frau mit der weißen Leber", und von den "Giftmorden aus drei Jahrhunderten", so der Untertitel des Buches "Gastmahl der Mörderin", gingen immerhin vierzig auf ihr Konto.

Giftmorde sind elitär: Sie erfordern Berechnung, Disziplin und Intelligenz. Gift gilt als die diskreteste und "eleganteste" Art, einen Menschen zu töten. Es macht weder Lärm noch Flecken und wirkt nahezu unsichtbar. In einer berühmten Szene läßt Hitchcock Cary Grant ein verdächtiges Glas Milch servieren. Hitchcock mußte eine Glühbirne in das Glas versenken, um die Gefahr anzudeuten.

Tatzeit der sieben Kapitel ist das neunzehnte und beginnende zwanzigste Jahrhundert. Tatort ist fast immer das Bürgertum, eine Welt der gestärkten Tischdecken und sauberen Vorhänge, eine wohlsortierte Gesellschaft, in die langsam das Grauen eindringt. Die Autoren rekonstruieren das Geschehen aus Zeugnissen oder Protokollen und füllen die Lücken in einem unaufdringlichen, wenn auch etwas plüschigen Plauderton. Moralische Anwandlungen fehlen ebenso wie Mitleid. Fast alle Opfer sind geizig, feige oder dumm.

Kalt strahlt dagegen die Entschlossenheit der Täter: Karl Hopf, einer der wenigen Männer der Verbrechersammlung, schickte seiner Frau einen Rosenstrauß ins Krankenhaus, der mit Cholerabakterien präpariert war. Zuvor hatte Hopf die Bakterien an Hunden getestet und so ein Mittel gegen Staupe entdeckt. Es war eine Notlösung: Arsen ließ sich seit 1836 im toten Körper nachweisen.

Die Autoren geben nicht nur einen Einblick in die Entwicklung der forensischen Chemie, sondern auch eine klitzekleine Typologie des Giftmörders: Charakteristisch ist offenbar ein übersteigerter Altruismus, ganz wie im Falle der Jegado. Die scheinbar liebevolle Pflege dient nicht nur zur Tarnung der Mordabsichten. Offenbar bilden eine an Selbstaufgabe grenzende Pflegebereitschaft und ein tiefer Menschenhaß die Extreme der Täterseele.

Die beiden Werke über das Morden sind Mosaiksteine in der andauernden Diskussion über die Nachtseite der Menschheit, über ewige Geißeln wie Gewalt, Schmerz und Tod. In den Debatten über das absolute Böse und seine Vertreter auf Erden brechen sich diffuse Ängste und Unsicherheiten Bahn, die in Zeiten fundamentaler politischer und gesellschaftlicher Umbrüche spürbar werden. Doch während sich das "Gastmahl der Mörderin" konsumieren läßt wie leichtes Teegebäck mit einem zugegebenermaßen etwas seltsamen Mandelduft, servieren Christian Bolte und Klaus Dimmler ein riesiges blutiges Steak mit einem Haufen bunter Beilagen.

Ihr Anspruch ist kühn. Sie fordern die - lange überfällige - Anerkennung der Frau als Mörderin: "Daß zarte Frauenhände zu extremen Gewalttaten imstande sein können, sorgt auch in unseren Tagen noch für Aufsehen." Nachdem Frauen in Beruf, Familie und Kunst dem Manne - so gut wie - ebenbürtig sind, sollen sie es auch im Verbrechen sein. Der Mord beim Mann bleibt eine grausige Tat. Bei der Frau aber wird er zum emanzipatorischen Akt. Dahinter steht die Annahme, daß Frauen anders morden als Männer. Und in der Tat: In ihrem schlüssigsten Kapitel, das den politischen Mörderinnen gewidmet ist, gelingt den Autoren der Nachweis: So wie ihre männlichen Streiter kämpfen auch Judith oder Charlotte Corday, die Mörderin Marats, für hehre Ziele. Aber nur die Frau muß dabei schön und keusch sein, um sich für die "unweibliche Tat" zu legitimieren.

Diese Spannung bringt androgyne Wesen wie etwa die "Jungfrau in Waffen" hervor: Mit Jeanne d'Arc wird die Mörderin zum Neutrum. Doch in ihr theoretisches Prokrustesbett spannen die beiden Autoren auch Höllenfürstinnen wie die ungarische Gräfin Báthory: Zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts folterte die Adelige Hunderte junger Frauen mit Zangen, Brennscheren und Eiswasser zu Tode. Einzig die Erfindung der "Eisernen Jungfrau", einer mit Nägeln gespickten Rüstung, wird ihr wohl zu Unrecht zugeschrieben.

Daß die Autoren das Gemetzel mit einer schwer erträglichen Liebe zum Detail schildern, darf als eine Frage des persönlichen Geschmacks übergangen werden. Ein blutiges Steak ist eben nicht jedermanns Sache. Ihre Deutung aber läßt den Leser doch schlucken: Die Gräfin habe nicht nur in einer brutalen Zeit gelebt: "Die doppelte Unterdrückung, der Elisabeth Báthory als Frau und als Person mit exzentrischen, ,unnatürlichen' Neigungen ausgesetzt war, führte in eine menschliche Katastrophe." Zweifellos beweist die blutige Elisabeth, daß auch Frauen übler Sadismen fähig sind. Nur: Sie werden nicht zu Monstern, weil sie als Frauen unterdrückt werden. Man mag solche Bestialitäten als totale Überschreitung ethischer Grenzen, als absolute Selbstverwirklichung betrachten. Sie als letztes Aufgebot im Geschlechterkampf darzustellen ist bestenfalls grob fahrlässig.

An anderer Stelle räumen die Autoren ein, daß der "Aggressions- und Konfrontationswille" eine Konstante der menschlichen Gesellschaft sei, ob sie aus Männern oder nur aus Frauen bestehe. Ansonsten geben Bolte und Dimmler sich einer motivgeschichtlichen Völlerei hin: Sie plündern Küche und Keller der Menschheitsgeschichte, bedienen sich in der Bibel und der Antike, in Literatur und Kino. Schon gehen die theoretischen Ansätze unter im wilden Reigen der Hexen und Kindsmörderinnen, der Lolitas und "femmes fatales", der schwarzen Witwen und irren Kinder, der Geisterheilerinnen und weiblichen Vampire. Irgendwann werden auch die Bardot, die Dietrich und diverse Männer Opfer dieser Sammelwut, obwohl sie mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Aber da ist die Geschichte der Mörderinnen längst zum monströsen Pin-up-Kalender geworden. Und die gute Idee erstickt. Das kommt davon, wenn man sich den Teller zu voll häuft. SONJA ZEKRI

Peter Kaiser, Norbert Moc, Heinz-Peter Zierholz: "Das Gastmahl der Mörderin". Giftmorde aus drei Jahrhunderten. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1997. 256 S., geb., 29,80 DM.

Christian Bolte, Klaus Dimmler: "Schwarze Witwen und Eiserne Jungfrauen". Geschichte der Mörderinnen. Reclam-Verlag, Leipzig 1997. 337 S., geb., 45,- DM.

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