Sucher, der Jäger mit dem besonderen Sinn, wird vor seine schwierigste Aufgabe gestellt. Er muss einen Jungen aufspüren, der vor drei Jahren spurlos verschwand. Seine Fährte führt ihn durch Wälder und Städte, zu Gestaltwandlern, Ausgestoßenen und Hexen. Aber kann er den Jungen retten und die Welten wieder in Einklang bringen?
»Man Booker Prize«-Träger Marlon James legt mit »Schwarzer Leopard, roter Wolf« den Auftakt zu einer Trilogie vor, die afrikanische Geschichte und Mythen zu einem gewaltigen Fantasy-Epos verflicht.
»Man Booker Prize«-Träger Marlon James legt mit »Schwarzer Leopard, roter Wolf« den Auftakt zu einer Trilogie vor, die afrikanische Geschichte und Mythen zu einem gewaltigen Fantasy-Epos verflicht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.12.2019Gemetzel in Wakanda
Marlon James neues Fantasy-Epos will ein „schwarzes Game of Thrones“ sein,
verirrt sich aber in einem Dschungel aus Mythologie, Sex- und Gewaltexzessen
VON JONATHAN FISCHER
Seit seinem letzten Roman „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ gilt Marlon James als eine Art literarischer Quentin Tarantino. Ein Autor, der die große Geste des Pop versteht: sexy Gewalt trifft auf gewaltigen Sex. Beides würzt er mit dunklem Humor und einer Sprache, die so basslastig, soulful und rhythmisch versiert auftritt wie der Reggae seiner Heimat Jamaika. Beziehungsweise wie das Straßen-Patois von Kingston.
Das jamaikanische Kreolisch lieferte James das ideale Medium für seine sinnlich gesättigte Semi-Fiktion um Bob Marleys versuchte Ermordung im Jahre 1976 sowie die resultierenden Politpossen und Gang-Kriege. So wahnwitzig seine Figuren auch schillern mögen: Der historische Boden erdet die Geschichte, verleiht ihr seelische Tiefe, macht selbst die Gewaltorgien in seinen Romanen zu mehr als einer grausamen literarischen Fingerübung. James brillierte jedenfalls in diesem aus wechselnden Perspektiven erzählten Gesellschaftsroman darin, moralische und sexuelle Konventionen, wie auch die Machtspiele und Manipulationen zwischen erster und dritter Welt zu demaskieren. Keine Frage: Auf seinem Hometurf ist dieser Mann unschlagbar. 2015 wurde der Roman mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet.
Nach drei in der Geschichte der Karibikinsel verankerten Romanen hatte der Jamaikaner etwas flapsig eine Art „afrikanisches Games Of Thrones“ angekündigt. Nicht nur ein einzelnes Buch. Eine Mammut-Trilogie sollte es werden, ein „Dark Star“ genanntes Opus Magnum der fantastischen Literatur, in dem jeder Band die selbe Geschichte aus dem Blickwinkel eines anderen Protagonisten erzählt. Der Zeitgeist steht auf James’ Seite: Wakanda ist das neue Eichmeter schwarzer Kultur und ein wiederentflammter Afrofuturismus befeuert Bücher, Jazzplatten, Modeschauen und Beyoncés Musikvideos.
„Schwarzer Leopard, roter Wolf“ könnte nun die epische Krönung dieser Bewegung sein. Dick wie eine Hausbibel, in der deutschen Übersetzung 832 Seiten lang und mit einem Register ausgestattet, das über 80 Charaktere in sechs Fantasiekönigreichen aufzählt. Ein Neil-Gaiman-Zitat auf dem Cover verspricht „ein gefährliches, halluzinatorisches, vergangenes Afrika als Fantasiewelt auf Tolkien-Niveau, geschrieben mit der Sprachgewalt einer Angela Carter“. Auch die Rezensenten der großen amerikanischen Medien vom New Yorker über die Washington Post bis zum National Public Radio schwärmten allesamt für diesen „Klassiker der fantastischen Literatur“.
Drastisch ist schon der Einstieg. Sucher, der Anti-Held und für den Roman namensgebende „Rote Wolf“, erklärt aus dem Gefängnis heraus seinem Inquisitor: „Das Kind ist tot. Weiter gibt es nichts zu wissen. Ich höre, im Süden gebe es eine Königin, die denjenigen tötet, der ihr schlechte Kunde bringt. Besiegle ich also mein eigenes Todesurteil, wenn ich ihr den Tod des Jungen melde?“ Das ist das vorweggenommene Ende der Geschichte. Der Rest des Buches behandelt die Fahndung nach diesem möglicherweise königlichen Kind, mit der Sucher aufgrund seiner außergewöhnlichen Nase – er kann Gifte wie auch Lebewesen über viele Meilen hinweg erschnüffeln – beauftragt ist. Eine Suche, die zunehmend zur Gewaltorgie ausartet. Gleich zu Anfang schildert Sucher dem Inquisitor, wie er die anderen fünf Zellen-Insassen erledigt hat: „Das Messer – ich rammte es ihm zwischen die Rippen und hörte sein Herz platzen.“ Erst danach erfahren wir etwas über Suchers Geschichte: Seine Vertreibung durch den grausamen Vater, seine Entwicklung zum zynischen Einzelgänger, für den Liebe nur eine Illusion ist, sein Herumirren zwischen den Welten.
Doch Sucher ist nicht der Einzige auf der Fährte des Kindes: Mit ihm pirscht eine schillernde Schar durch den Urwald, irrt durch Städte aus Türmen, Baumhäusern oder Tunneln, Bibliotheken und Zonen des Zeitstillstands.
Da ist eine Mondhexe, die von unsichtbaren Feinden bedrängt wird. Eine kleine Flussgöttin. Ein geschwätziger Riese. Und ein Büffel mit der Intelligenz eines Menschen. Die einzigen Wesen allerdings, die Sucher etwas bedeuten, sind der schwarze Leopard, sein homoerotisch aufgeladener Gegenpart, dessen Gestalt zwischen Mensch und Raubkatze oszilliert. Und eine Schar von Kindern mit übersinnlichen Kräften. Sucher nimmt sich dieser von der Gesellschaft todgeweihten Außenseiter an, die bei einer Anti-Hexe Zuflucht gefunden hatten – es sind die wenigen Momente, in denen man glaubt, eine menschliche Seelenbewegung in dem verhärmten Söldner-Charakter auszumachen. Dafür wimmelt es nur so von Kampfszenen: Gegen Vampire, fledermausgeflügelte Kannibalen und Omoluzu, eine Art Deckengeister, die sich aus Schatten unter Dächern formen. Doch je mehr Informationen Sucher sammelt, desto mehr schwindet die Gewissheit. Nicht nur wegen der komplexen politischen Spannungen zwischen den verschiedenen Königreichen, sondern auch, weil seine Begleiter oft nicht die sind, als die sie sich ausgeben.
Sicher ist nur der unvermeidliche Zirkel der Rache und des Blutvergießens. James entwirft hier eine afrikanische Dystopie, die mal an die westafrikanischen Märchen von der durchtriebenen Spinne Anansi erinnert, mal an die chaotischen Grausamkeiten der jüngsten Bürgerkriege im Ostkongo, Somalia, dem Südsudan. Man ist versucht, „Schwarzer Leopard, Roter Wolf“ als magisch überhöhte „Herz der Finsternis“-Replik zu lesen, als grimmig aufgeladenes Panoptikum menschlicher Seelenabgründe. Doch dann bremst James den eigenen Flow immer wieder aus – mit einer Sprache, die wohl Fake-Mittelerde-Lingo sein soll, und ungeschlachten Dialogen wie diesem: „‚Warum du mich treten, Sohn einer herumhurenden Halbkatze?‘ ‚Ich hinter dir, du Narr. Was wenn ich dich tret in den ...‘ Ich schwang das Beil, versenkte es tief in Egberes Stirn, zog es heraus und versenkte es in seinem Hals. Ich schwang es wieder und wieder, bis sein Kopf fiel, Ewele schrie und schrie, der Wind töte seinen Bruder… ‚Verschließe dein Gesicht. In sieben Tagen wird sein Kopf nachgewachsen sein. Es sei denn, er entzündet sich, dann wächst ihm nur eine dicke Eiterbeule.‘ ‚Zeig dich, ich will dich totschlagen.‘ ‚Du schlägst meine Zeit tot, Troll.‘“ So geht das oft seitenlang.
Natürlich versteht James es, auf der Klaviatur des Fantasy-Genres zu spielen: Er sät strategisch dunkle Vorahnungen und verleiht seinen Figuren so alptraumhaft-fantasievolle Eigenschaften, dass man vor dem Einschlafen die Decke schon mal ängstlich nach Omoluzu-Geistern absucht. Mit fortschreitender Lektüre aber droht der Leser sich wie der Held Sucher im Dschungel von Namen und Orten zu verlieren. Erschlagen von zu viel Mythenhuberei. Abgestumpft von einer Überdosis ausgerissener Augäpfel.
Gewalt- und Sexszenen sind James Paradedisziplin. Aber ihre comicartige Massierung geht auf Kosten des Plots. Wo bleibt zwischen all den gefickten Gestaltwandlern und geschlachteten Geistwesen noch Platz für Subtilität? Womöglich würde die Aufeinanderfolge aus Waffengängen und einfachen Dialogen als Videospiel ganz gut funktionieren. Oder auch als Fernsehserie. Dann könnte der Nebel aus Action und Verwandlungen eine ganz andere visuelle Ordnung und Eindrücklichkeit erhalten und als Afro-Gegenstück zu „Herr der Ringe“ seine popkulturelle Kraft entfachen. Man würde es vielen der brillant geschriebenen Einzelszenen wünschen. Black-Panther-Star Michael B. Jordan jedenfalls hat schon die Verfilmungsrechte erworben.
JONATHAN FISCHER
Marlon James: „Schwarzer Leopard, roter Wolf“. Roman. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Heyne Hardcore, München 2019. 832 Seiten, 28 Euro.
Neil Gaiman verspricht ein
„vergangenes Afrika als
Fantasiewelt auf Tolkien-Niveau“
Gewalt- und Sexszenen sind
James’ Paradedisziplin, doch hier
gehen sie auf Kosten des Plots
Wenn es um die Literarisierung der Karibik geht, ist dieser Mann unschlagbar: Für seinen Jamaika-Roman „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ wurde Marlon James vor vier Jahren mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet.
Foto: Felix Clay
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Marlon James neues Fantasy-Epos will ein „schwarzes Game of Thrones“ sein,
verirrt sich aber in einem Dschungel aus Mythologie, Sex- und Gewaltexzessen
VON JONATHAN FISCHER
Seit seinem letzten Roman „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ gilt Marlon James als eine Art literarischer Quentin Tarantino. Ein Autor, der die große Geste des Pop versteht: sexy Gewalt trifft auf gewaltigen Sex. Beides würzt er mit dunklem Humor und einer Sprache, die so basslastig, soulful und rhythmisch versiert auftritt wie der Reggae seiner Heimat Jamaika. Beziehungsweise wie das Straßen-Patois von Kingston.
Das jamaikanische Kreolisch lieferte James das ideale Medium für seine sinnlich gesättigte Semi-Fiktion um Bob Marleys versuchte Ermordung im Jahre 1976 sowie die resultierenden Politpossen und Gang-Kriege. So wahnwitzig seine Figuren auch schillern mögen: Der historische Boden erdet die Geschichte, verleiht ihr seelische Tiefe, macht selbst die Gewaltorgien in seinen Romanen zu mehr als einer grausamen literarischen Fingerübung. James brillierte jedenfalls in diesem aus wechselnden Perspektiven erzählten Gesellschaftsroman darin, moralische und sexuelle Konventionen, wie auch die Machtspiele und Manipulationen zwischen erster und dritter Welt zu demaskieren. Keine Frage: Auf seinem Hometurf ist dieser Mann unschlagbar. 2015 wurde der Roman mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet.
Nach drei in der Geschichte der Karibikinsel verankerten Romanen hatte der Jamaikaner etwas flapsig eine Art „afrikanisches Games Of Thrones“ angekündigt. Nicht nur ein einzelnes Buch. Eine Mammut-Trilogie sollte es werden, ein „Dark Star“ genanntes Opus Magnum der fantastischen Literatur, in dem jeder Band die selbe Geschichte aus dem Blickwinkel eines anderen Protagonisten erzählt. Der Zeitgeist steht auf James’ Seite: Wakanda ist das neue Eichmeter schwarzer Kultur und ein wiederentflammter Afrofuturismus befeuert Bücher, Jazzplatten, Modeschauen und Beyoncés Musikvideos.
„Schwarzer Leopard, roter Wolf“ könnte nun die epische Krönung dieser Bewegung sein. Dick wie eine Hausbibel, in der deutschen Übersetzung 832 Seiten lang und mit einem Register ausgestattet, das über 80 Charaktere in sechs Fantasiekönigreichen aufzählt. Ein Neil-Gaiman-Zitat auf dem Cover verspricht „ein gefährliches, halluzinatorisches, vergangenes Afrika als Fantasiewelt auf Tolkien-Niveau, geschrieben mit der Sprachgewalt einer Angela Carter“. Auch die Rezensenten der großen amerikanischen Medien vom New Yorker über die Washington Post bis zum National Public Radio schwärmten allesamt für diesen „Klassiker der fantastischen Literatur“.
Drastisch ist schon der Einstieg. Sucher, der Anti-Held und für den Roman namensgebende „Rote Wolf“, erklärt aus dem Gefängnis heraus seinem Inquisitor: „Das Kind ist tot. Weiter gibt es nichts zu wissen. Ich höre, im Süden gebe es eine Königin, die denjenigen tötet, der ihr schlechte Kunde bringt. Besiegle ich also mein eigenes Todesurteil, wenn ich ihr den Tod des Jungen melde?“ Das ist das vorweggenommene Ende der Geschichte. Der Rest des Buches behandelt die Fahndung nach diesem möglicherweise königlichen Kind, mit der Sucher aufgrund seiner außergewöhnlichen Nase – er kann Gifte wie auch Lebewesen über viele Meilen hinweg erschnüffeln – beauftragt ist. Eine Suche, die zunehmend zur Gewaltorgie ausartet. Gleich zu Anfang schildert Sucher dem Inquisitor, wie er die anderen fünf Zellen-Insassen erledigt hat: „Das Messer – ich rammte es ihm zwischen die Rippen und hörte sein Herz platzen.“ Erst danach erfahren wir etwas über Suchers Geschichte: Seine Vertreibung durch den grausamen Vater, seine Entwicklung zum zynischen Einzelgänger, für den Liebe nur eine Illusion ist, sein Herumirren zwischen den Welten.
Doch Sucher ist nicht der Einzige auf der Fährte des Kindes: Mit ihm pirscht eine schillernde Schar durch den Urwald, irrt durch Städte aus Türmen, Baumhäusern oder Tunneln, Bibliotheken und Zonen des Zeitstillstands.
Da ist eine Mondhexe, die von unsichtbaren Feinden bedrängt wird. Eine kleine Flussgöttin. Ein geschwätziger Riese. Und ein Büffel mit der Intelligenz eines Menschen. Die einzigen Wesen allerdings, die Sucher etwas bedeuten, sind der schwarze Leopard, sein homoerotisch aufgeladener Gegenpart, dessen Gestalt zwischen Mensch und Raubkatze oszilliert. Und eine Schar von Kindern mit übersinnlichen Kräften. Sucher nimmt sich dieser von der Gesellschaft todgeweihten Außenseiter an, die bei einer Anti-Hexe Zuflucht gefunden hatten – es sind die wenigen Momente, in denen man glaubt, eine menschliche Seelenbewegung in dem verhärmten Söldner-Charakter auszumachen. Dafür wimmelt es nur so von Kampfszenen: Gegen Vampire, fledermausgeflügelte Kannibalen und Omoluzu, eine Art Deckengeister, die sich aus Schatten unter Dächern formen. Doch je mehr Informationen Sucher sammelt, desto mehr schwindet die Gewissheit. Nicht nur wegen der komplexen politischen Spannungen zwischen den verschiedenen Königreichen, sondern auch, weil seine Begleiter oft nicht die sind, als die sie sich ausgeben.
Sicher ist nur der unvermeidliche Zirkel der Rache und des Blutvergießens. James entwirft hier eine afrikanische Dystopie, die mal an die westafrikanischen Märchen von der durchtriebenen Spinne Anansi erinnert, mal an die chaotischen Grausamkeiten der jüngsten Bürgerkriege im Ostkongo, Somalia, dem Südsudan. Man ist versucht, „Schwarzer Leopard, Roter Wolf“ als magisch überhöhte „Herz der Finsternis“-Replik zu lesen, als grimmig aufgeladenes Panoptikum menschlicher Seelenabgründe. Doch dann bremst James den eigenen Flow immer wieder aus – mit einer Sprache, die wohl Fake-Mittelerde-Lingo sein soll, und ungeschlachten Dialogen wie diesem: „‚Warum du mich treten, Sohn einer herumhurenden Halbkatze?‘ ‚Ich hinter dir, du Narr. Was wenn ich dich tret in den ...‘ Ich schwang das Beil, versenkte es tief in Egberes Stirn, zog es heraus und versenkte es in seinem Hals. Ich schwang es wieder und wieder, bis sein Kopf fiel, Ewele schrie und schrie, der Wind töte seinen Bruder… ‚Verschließe dein Gesicht. In sieben Tagen wird sein Kopf nachgewachsen sein. Es sei denn, er entzündet sich, dann wächst ihm nur eine dicke Eiterbeule.‘ ‚Zeig dich, ich will dich totschlagen.‘ ‚Du schlägst meine Zeit tot, Troll.‘“ So geht das oft seitenlang.
Natürlich versteht James es, auf der Klaviatur des Fantasy-Genres zu spielen: Er sät strategisch dunkle Vorahnungen und verleiht seinen Figuren so alptraumhaft-fantasievolle Eigenschaften, dass man vor dem Einschlafen die Decke schon mal ängstlich nach Omoluzu-Geistern absucht. Mit fortschreitender Lektüre aber droht der Leser sich wie der Held Sucher im Dschungel von Namen und Orten zu verlieren. Erschlagen von zu viel Mythenhuberei. Abgestumpft von einer Überdosis ausgerissener Augäpfel.
Gewalt- und Sexszenen sind James Paradedisziplin. Aber ihre comicartige Massierung geht auf Kosten des Plots. Wo bleibt zwischen all den gefickten Gestaltwandlern und geschlachteten Geistwesen noch Platz für Subtilität? Womöglich würde die Aufeinanderfolge aus Waffengängen und einfachen Dialogen als Videospiel ganz gut funktionieren. Oder auch als Fernsehserie. Dann könnte der Nebel aus Action und Verwandlungen eine ganz andere visuelle Ordnung und Eindrücklichkeit erhalten und als Afro-Gegenstück zu „Herr der Ringe“ seine popkulturelle Kraft entfachen. Man würde es vielen der brillant geschriebenen Einzelszenen wünschen. Black-Panther-Star Michael B. Jordan jedenfalls hat schon die Verfilmungsrechte erworben.
JONATHAN FISCHER
Marlon James: „Schwarzer Leopard, roter Wolf“. Roman. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Heyne Hardcore, München 2019. 832 Seiten, 28 Euro.
Neil Gaiman verspricht ein
„vergangenes Afrika als
Fantasiewelt auf Tolkien-Niveau“
Gewalt- und Sexszenen sind
James’ Paradedisziplin, doch hier
gehen sie auf Kosten des Plots
Wenn es um die Literarisierung der Karibik geht, ist dieser Mann unschlagbar: Für seinen Jamaika-Roman „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ wurde Marlon James vor vier Jahren mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet.
Foto: Felix Clay
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Jonathan Fischer scheint überfordert von Marlon James' Ziegelstein von einem Roman. Die vielen Vorschusslorbeeren für den "literarischen Tarantino" und sein Fantasy-Epos möchte Fischer dem Autor gern wieder ausrupfen. Die Geschichte der Suche nach dem königlichen Kind und die folgenden bluttriefenden Racheorgien wirken auf Fischer zwar alptraumhaft fesselnd und mitunter wie eine "magisch überhöhte" Version von Joseph Conrads "Herz der Finsternis", doch unterläuft der Autor solche Vergleiche immer wieder mit "ungeschlachten" Dialogen und wenig subtiler "Mythenhuberei". Solch "comicartige Massierung" schadet dem Plot, meint Fischer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ich habe es nicht mehr aus der Hand legen können.« stern, Florian Gless