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Philadelphia im Jahr 1793. In der Stadt wütet das Gelbfieber. Ein junger schwarzer Wanderprediger irrt auf der verzweifelten Suche nach einer mysteriösen afrikanischen Frau durch die Stadt. Doch sein Versuch, sie zu finden und zu retten, treibt ihn immer mehr in eine Gesellschaft, die von Gewalt und Hass beherrscht ist - und in der Weiß und Schwarz strikt getrennt sind.

Produktbeschreibung
Philadelphia im Jahr 1793. In der Stadt wütet das Gelbfieber. Ein junger schwarzer Wanderprediger irrt auf der verzweifelten Suche nach einer mysteriösen afrikanischen Frau durch die Stadt. Doch sein Versuch, sie zu finden und zu retten, treibt ihn immer mehr in eine Gesellschaft, die von Gewalt und Hass beherrscht ist - und in der Weiß und Schwarz strikt getrennt sind.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2002

Auf der Suche nach der afrikanischen Prophetin
Von falschen Prophezeiungen richtig geführt: John Edgar Widemans Epos der vergeblichen Hoffnung

Der historische Roman ist ein tückisches Genre, das den Schriftsteller, der nicht gehörig aufpaßt, fast magisch in den Kitsch und die terribles simplifications lockt. John Edgar Wideman weiß, weshalb er zu Beginn seines Buchs eine Warntafel postiert. Klug beginnt er den Roman, indem er die Logik seiner Form evoziert: Da sinniert der melancholische Romancier der Gegenwart über sein Schreiben und die Frage, "was er mit dem jungen Afrikaner im achtzehnten Jahrhundert teilte, dessen Geschichte er erzählen wollte". Die Antwort erteilt ihm seine Ohnmacht: "ein allumhüllendes Schweigen, das sie beide vergaß". Wir haben mit den Welten, in die wir mit unserem historischen Interesse hinabsteigen, nur eines wirklich gemeinsam: das Vergessen. Der Roman beginnt mit dem Dunkel des eigenen Augenblicks und mit dem Bewußtsein, daß das eigene Leben "porös" ist, daß es zusammenhängt mit Vergangenheiten: Aber läßt sich diesen etwas anderes ablauschen als Katastrophen, die ins Vergessen sinken?

Zu den unheimlichsten Episoden, die Canetti in "Masse und Macht" nacherzählt, gehört die von der "Selbstzerstörung der Xosas" oder, wie man heute schreibt, Xhosa. Bei jenem südafrikanischen Viehzüchterstamm, den die englische Verwaltung der Kapkolonie seit Jahrzehnten immer weiter zurückgedrängt hatte, gebar sich im Jahr 1857 nach diversen Kämpfen die verzweifelte Prophetie, die Toten des Stammes würden auferstehen und die Weißen vernichtend schlagen helfen - unter einer Bedingung. Die Xhosa mußten selbst ihren Reichtum und ganzen Stolz vernichten: ihre Viehherden. So geschah es. Der Stamm schlachtete seine Herden und zerstörte alle Nahrungsmittel. Die Toten kehrten nicht zurück, Zehntausende verhungerten, die Xhosa existierten nicht mehr als eigene Macht.

Diese Episode wirft im Erzählgeflecht von Widemans Roman, der das alte Afrika und das alte wie das gegenwärtige Amerika verknüpft, ihren Schatten auf die Handlung, die einen jungen schwarzen Wanderprediger im Seuchenjahr 1793 nach Philadelphia führt. "In der Stadt der brüderlichen Liebe fand ich das von Krankheit und Sterben verwüstete Land des Traums der afrikanischen Prophetin." Seine Geschichte ist ein Epos der vergeblichen Hoffnung - vergeblich vor allem die Annahme, Weiß und Schwarz könnten zumindest an den Rändern der amerikanischen Gesellschaft in Ruhe zusammen existieren.

Widemans Roman, geschrieben nicht heroisch à la "Roots" oder im Sinn einer Anklage, sondern ironisch-tragisch, entrinnt allerdings nicht ganz der Versuchung des Pittoresken: Es ist bezeichnend, daß man als dekoratives Filetstück im Zentrum des Buchs eine längere Beschreibung des englischen Malers Stubbs und seines manischen Hangs zur Anatomie findet. Stubbs, in England vor allem als Pferde-Porträtist bekannt, mußte - da seine Sezierleidenschaft den hübschen Topos von Wissenschaft, Kunst und Wahn abgibt - in den letzten Jahren mehrfach in Romanen auftreten. Nun findet sich auch Widemans Protagonist unversehens als Leibdiener des jungen Stubbs wieder. Die bemühte Verknüpfung über den "Irrsinn" sowohl der Sklaverei wie des losgelassenen anatomischen Interesses, schließlich über eine hochsymbolische Szene, in welcher der Leichnam einer schwangeren Negerin interessierten Anatomen zum Kauf angeboten wird, will nicht gelingen. Es ist, als wolle sich diese Geschichte von altem afro-amerikanischen Leid, von Liebe und Geduld und der Grausamkeit der Weißen, etwas kulturellen Glanz in Europa borgen. Das ist bedauerlich, denn Wideman hätte ohnedies genug zu erzählen, vor allem, wie man sein Leben willig in die Irre treibt, "von falschen Prophezeiungen, falschen Versprechungen geführt".

Der Roman ist so etwas wie die Paraphrase eines Halbsatzes bei Canetti: "... wie lebendig die Toten der Xosas sind". Diese Lebendigkeit der Toten ist furchtbar, aber sie ist auch das, was der Roman herbeisehnt: die Wiederbelebung des Untergegangenen. Nach allen Irrungen endet "Schwarzes Blut" mit einer eigenartigen, gewaltsamen Wendung. Der Rahmen schließt sich, wenn auch asymmetrisch, mit einem Brief, den der Sohn des Romanciers dem Vater schreibt. "Habe soeben ,Schwarzes Blut' zu Ende gelesen. Gratuliere." Und dann hat der Sohn bei eigenen Studien zur Geschichte der Sklaverei erstaunliche Fragmente gefunden - Briefe des Bruders der Hauptfigur in des Vaters Roman. Er zitiert einen, der mit den Worten schließt: "... doch es wird eine Zeit kommen, des bin ich gewiß, die uns wieder vereint. Sei festen Mutes. Dein Bruder." Diese Hoffnung ist als historische durch den Roman bereits desavouiert, aber der Satz hat hier etwas quasi Prophetisches. Ein weiteres falsches Versprechen? Es bleibt unklar, ob der Schluß eine sentimentale Kapitulation des auktorialen Willens vor einer beliebigen Hoffnung darstellt oder ob er als ironische Steigerung von Vergeblichkeit zu lesen wäre. Doch gerade diese Ambivalenz ist bemerkenswert.

Insofern gehört der schön übersetzte Text aus dem Jahr 1996 trotz etwas bedenklicher Konstruktionen zum Interessantesten, was die afroamerikanische Literatur in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Nicht umsonst heißt das Buch im Original "The Cattle Killing". Was den deutschen Verlag, der die schöne Courage hatte, das Werk eines wenig bekannten Autors zu veröffentlichen, veranlassen konnte, hieraus den schwülstigen, nichtssagenden Titel "Schwarzes Blut" zu machen, ist schwer zu begreifen. Aber man hat ja schon vor zwei Jahren Widemans "Two Cities" als "Himmel unter den Füßen" herausgebracht.

John Edgar Wideman: "Schwarzes Blut". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Uda Strätling. Claassen Verlag, München 2002. 255 S., geb., 19,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Das 1996 im Original erschienene Buch ist für den Rezensenten Thomas Leuchtenmüller "ein Meilenstein afroamerikanischer Nachkriegsliteratur". Es ist weniger der Inhalt (es geht um einen schwarzen Laienprediger und Ex-Sklaven, der sich 1793 auf die Suche nach einer rätselhaften Frau macht) als vielmehr die Form des Buches, die es Leuchtenmüller angetan hat. In der "keineswegs einfach zu lesenden", aus inneren Monologen, Sprüngen, nüchternen Beschreibungen, Dokumenten und Traumsequenzen sich zusammensetzenden Struktur blitzt immer wieder die "Virtuosität des Sprachkünstlers, der alle Register zieht", auf. So gelingt es dem Autor etwa, das Blut symbolisch aufzuladen, "deftig-lebensnahe Dialoge" und "lyrische Passagen" zu kombinieren und dabei dennoch einen "federleichten und ungekünstelten Ton" zu wahren. Ganz frei von bemüht oder ostentativ wirkenden Passagen ist das Buch zwar nicht, warnt Leuchtenmüller, aber sie bleiben erträglich durch Widemans Kunst der Balance zwischen der Klage über das erfahrene Leid (ein zentrales Sujet afroamerikanischen Schrifttums), der Schilderung von Gewalt und Rassismus einerseits und der Liebe andererseits und zwischen Distanz und Parteinahme.

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