Die Arbeit versteht Kleists Erzählung Die Verlobung in St. Domingo (1811) als Bestandteil des Rassendiskurses und des Geschlechterdiskurses um 1800. Sie orientiert sich methodisch an diskursanalytischen Verfahren, sucht also nicht nach verborgenen Bedeutungen der Rassen- oder der Geschlechterdifferenz, um dem Text keine Kohärenz zu verleihen, die nicht seine eigene ist. In einer detaillierten Textanalyse werden an Hand der Selbst- und Fremdbilder der Protagonisten die Herstellungsmechanismen von weiblichen und männlichen Positionen in ihrer Verknüpfung mit schwarzen und weißen Positionen untersucht. Die Aussagen über 'Rasse' und Geschlecht treten in Beziehung zu den Aussagen anderer Texte, die sich wie Kleists Erzählung in der Schnittfläche beider Diskurse situieren (neben historiographischen und geographischen Schriften u.a. Ziegler: Die Mohrinn 1802, Contessa: St. Amand 1801, Störchel: Der Erste der Schwarzen 1803, Albrecht: Scenen der Liebe in Americas heissen Zonen 1810, Körner: Toni 1812). Obwohl der Platz der Verlobung in St. Domingo in diesem komplexen diskursiven Feld auch durch exklusive Erzählstrategien der Veruneindeutigung bestimmt wird, zeigt doch die Analyse der Herstellungsmechanismen von 'Rasse' und Geschlecht, daß der Text Kleists in dieser Beziehung eine nicht unwesentliche Einschränkung seiner gewöhnlich angenommenen Singularität erfährt.