Eine junge Frau reist in den Ural, nach Magnitogorsk, diese auf dem Reißbrett entstandene Stadt der Superlative, die auf zwei Erdteilen liegt. In der ehemals verbotenen Zone steht das weltweit größte metallurgische Kombinat, einst Prestigeobjekt Stalins. Für unbestimmte Zeit besucht sie ihren Vater, der hier als Ingenieur eine Industrieanlage errichtet. Er hat sich verändert, seine Tochter spürt das sofort. Es herrscht lähmender Stillstand auf der Baustelle, die Isolation der kleinen Gruppe deutscher Spezialisten, die vom ewigen Schnee bedeckte Weite und Eintönigkeit der Landschaft nagen an den Nerven. Die gigantischen Fabriken und grauen Wohnanlagen auf verseuchtem Boden kontrastieren mit dem Existenzwillen der Menschen, erzeugen ein permanentes Gefühl von Unwirklichkeit und Machtlosigkeit, das Denken und Fühlen beherrscht. Alte Wunden brechen auf: Am Ort der ehemaligen Waffenproduktion des Zweiten Weltkriegs kann die Vergangenheit nicht ruhen. Die einen betrinken sich oder lenke
n sich mit russischen Frauen ab, andere wiederum verschwinden spurlos. Auch die junge Frau fängt eine Beziehung an, zuerst flüchtig, fast bewußtlos. Rußland ist nicht nur eine emotionelle, sondern eine metaphysische Herausforderung, der sie sich stellen muß. Sie spürt, daß ihr Leben in dieser feindlichen Umgebung eine neue Bedeutung erhält.
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n sich mit russischen Frauen ab, andere wiederum verschwinden spurlos. Auch die junge Frau fängt eine Beziehung an, zuerst flüchtig, fast bewußtlos. Rußland ist nicht nur eine emotionelle, sondern eine metaphysische Herausforderung, der sie sich stellen muß. Sie spürt, daß ihr Leben in dieser feindlichen Umgebung eine neue Bedeutung erhält.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005Junge Hoffnungen
ES WURDE ZEIT, daß die junge deutsche Literatur sich der sozialen Wirklichkeit zuwendet. Die Leipziger Autorin Claudia Klischat (geboren 1970) hat in diesem Frühjahr mit ihrem Romandebüt auf radikale Weise versucht, die Abgründe der Gesellschaft auszuleuchten. Ihr virtuos komponiertes Triptychon erzählt aus drei verschiedenen Perspektiven eine tragische Geschichte von Mißbrauch und Traumatisierung - ein mitreißender Bewußtseinsstrom aus der Vorstadthölle. In ein ganz anderes Milieu führt das Debüt des 1976 in Pinneberg geborenen Arztes Jens Petersen. Er erzählt, psychologisch überzeugend, eine Vater-Sohn-Geschichte, in der die Leere nach dem Tod der Mutter von einer polnischen Haushaltshilfe etwas zu handgreiflich ausgefüllt wird - ein leiser, melancholischer Adoleszenzroman. In Marion Poschmanns "Schwarzweißroman" reist eine junge Studentin zu ihrem Vater, der im unwirtlichen Magnitogorsk als Ingenieur arbeitet. Der zweite Roman der jungen, vor allem als Lyrikerin bekannt gewordenen Autorin verbindet die Erfahrung der Fremde mit einer Reflexion über Individualität in der Moderne und zeigt, wie der einzelne im Kraftfeld anonymer Strukturen zu verschwinden droht.
rik.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
ES WURDE ZEIT, daß die junge deutsche Literatur sich der sozialen Wirklichkeit zuwendet. Die Leipziger Autorin Claudia Klischat (geboren 1970) hat in diesem Frühjahr mit ihrem Romandebüt auf radikale Weise versucht, die Abgründe der Gesellschaft auszuleuchten. Ihr virtuos komponiertes Triptychon erzählt aus drei verschiedenen Perspektiven eine tragische Geschichte von Mißbrauch und Traumatisierung - ein mitreißender Bewußtseinsstrom aus der Vorstadthölle. In ein ganz anderes Milieu führt das Debüt des 1976 in Pinneberg geborenen Arztes Jens Petersen. Er erzählt, psychologisch überzeugend, eine Vater-Sohn-Geschichte, in der die Leere nach dem Tod der Mutter von einer polnischen Haushaltshilfe etwas zu handgreiflich ausgefüllt wird - ein leiser, melancholischer Adoleszenzroman. In Marion Poschmanns "Schwarzweißroman" reist eine junge Studentin zu ihrem Vater, der im unwirtlichen Magnitogorsk als Ingenieur arbeitet. Der zweite Roman der jungen, vor allem als Lyrikerin bekannt gewordenen Autorin verbindet die Erfahrung der Fremde mit einer Reflexion über Individualität in der Moderne und zeigt, wie der einzelne im Kraftfeld anonymer Strukturen zu verschwinden droht.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Friedmar Apel ist sichtlich beeindruckt von der überlegenen Sprachkraft und dem eigenartigen Humor der Autorin. Statt wie die älteren russischen Autoren die Weite des Raums zu betonen, unterwirft sie ihn mit Malewitsch und El Lissitzky im Kopf zu einer "geometrischen Ordnung". Worum gehts? Die deutsche Erzählerin des Romans reist in eine entlegene russische Industriestadt, wo ihr Vater als Elektroingenieur am Bau eines Industriekomplexes mitarbeitet. Mit einem an der suprematistischen Malerei geschulten Blick beschreibe Marion Poschmann nun die Arbeiten und eine zunehmende "Diktatur der Dinge" auf dem Bau, die Apel zu einer wachsenden Selbstentfremdung und schließlich zur "Depersonalisierung" der Erzählerin führen sieht. Seltsamerweise schärft dieser Zustand ihre Beobachtungsgabe, wenn auch eher ins Surrealistische, etwa wenn sich "ein roter Mantel durch Magnitogorsk" bewegt. Poschmanns Roman mag großartig sein, aber Apel verhebt sich in seiner Rezension ein wenig: Wenn der Roman "die menschliche Ohnmacht den Dingen gegenüber an ihnen selbst erscheinen" lässt, steigt der Leser aus. Dennoch wirkt die Begeisterung von Apels Rezension ansteckend.
© Perlentaucher Medien GmbH