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Ein verstörender Alptraum aus Gewalt und Maßlosigkeit in dörflicher Idylle 'Je unfreier und armseliger das Leben ist, desto stärker werden unsere Vorstellungen von einem anderen Dasein, vom Leben in Freiheit und Ehre.' Stig Dagerman Auch das Glück braucht einen Raum, in dem es sich entfalten kann: Schonungslos schildert Stig Dagerman die Hochzeit des Schlachtermeisters Westlund mit Hildur Palm. Statt ländlicher Idylle offenbart Dagermans sezierender Blick ein grausames Geflecht boshafter Charaktere, die einander in Hass, Habsucht, Neid und sexueller Gier verbunden sind. In der Vorbereitung zum…mehr

Produktbeschreibung
Ein verstörender Alptraum aus Gewalt und Maßlosigkeit in dörflicher Idylle 'Je unfreier und armseliger das Leben ist, desto stärker werden unsere Vorstellungen von einem anderen Dasein, vom Leben in Freiheit und Ehre.' Stig Dagerman Auch das Glück braucht einen Raum, in dem es sich entfalten kann: Schonungslos schildert Stig Dagerman die Hochzeit des Schlachtermeisters Westlund mit Hildur Palm. Statt ländlicher Idylle offenbart Dagermans sezierender Blick ein grausames Geflecht boshafter Charaktere, die einander in Hass, Habsucht, Neid und sexueller Gier verbunden sind. In der Vorbereitung zum Fest begegnet die Dorfgemeinde sich selbst - und ertränkt das Entsetzen in einer grotesk geschilderten Nacht voll Gewalt und Alkohol. Stig Dagerman entlarvt das liebliche Bild schwedischer Behaglichkeit zwischen Seen und Wäldern, das nicht nur in Deutschland immer noch vorherrscht. Der expressionistische Stil des Romans ist der Empörung des jungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.2010

Das Bedürfnis nach Trost ist unersättlich

Hölle mit zärtlichen Teufeln und verschämten Glücksboten: In seinem späten Roman "Schwedische Hochzeitsnacht" ist Stig Dagerman als großer Autor der Moderne wiederzuentdecken.

Von Nicole Henneberg

Also dies ist die Hölle", heißt es in Jean Paul Sartres Stück "Bei geschlossenen Türen" ("Huis clos"). "Ihr entsinnt euch: Schwefel, Scheiterhaufen, Bratrost . . . ach, ein Witz! Kein Rost erforderlich, die Hölle, das sind die Anderen."

Jede der Figuren in Stig Dagermans 1949 in Schweden erschienenem Roman "Schwedische Hochzeitsnacht", der jetzt dank der Anderen Bibliothek wieder zugänglich ist, hätte diese Sätze sagen können, denn der Ort, an dem sie leben, nämlich das Dorf Fuxe in der Gegend von Uppsala, ist nicht nur eine Vorstufe der Hölle, sondern die Hölle selbst. Und die Menschen dort, das ist Dagermans moderner Blick, grübeln in ihren Mußestunden darüber nach, weil sie ahnen, dass es irgendwo noch eine andere, glücklichere Welt geben muss. Entkommen werden die eigensinnigen Kleinbauern, verhärmten Mägde und schlaflosen Alten ihren düsteren, gewalterfüllten Räumen nicht - wo könnten sie auch hin, so arm, verstört und enttäuscht wie sie sind.

In einer strengen, elementaren und sehr körperlichen Sprache erzählt Stig Dagerman in seinem letzten Roman von einem Sonnenaufgang bis zum nächsten, dem Hochzeitstag und der Hochzeitsnacht der jungen Bäuerin Hildur, die aus Berechnung, so meinen die Nachbarn, einen reichen Mann heiratet. Das ganze Dorf starrt auf das winzige Glück, die Traurigkeit und groteske Prahlerei dieses Festes.

Dagerman kannte dieses Milieu besser, als ihm lieb war: 1923 wurde er in einem Dorf im uppländischen Kleinbauernland geboren und wuchs, von den Eltern zurückgelassen, bei den Großeltern auf. Schon seit seinem ersten Roman "Die Schlange" (1945), einer "fliegenden Festung des Problemarsenals der vierziger Jahre", wie ein Kritiker schrieb, galt er als Wunderkind der schwedischen Literatur. In nur vier kreativen Jahren, mit monatelangen toten Perioden dazwischen, schrieb er vier Romane, einen Erzählungsband, Filmdrehbücher und Theaterstücke. Außerdem war er aktives Mitglied eines anarcho-syndikalistischen Zirkels in Stockholm und Kulturredakteur von dessen "Arbeiterzeitung". Er arbeitete wie im Rausch, seine Romane entstanden meist in wenigen Wochen, daneben beobachtete er sorgenvoll die Weltpolitik. Wie viele linke schwedische Intellektuelle fühlte er sich persönlich schuldig, weil sein Land sich während des Krieges von Nazideutschland hatte erpressen lassen und nichts zur Befreiung Europas beigetragen hatte.

Im Jahr 1946 reiste Dagerman nach Deutschland, um sich ein Bild von der zerbombten europäischen Kultur und dem Leben in den Ruinen zu machen - eine Erfahrung, der er fast nicht standhielt und die sein Schreiben fundamental veränderte, wie Per Olov Enquist in seinem einfühlsamen Vorwort zur Neuausgabe schreibt: "weg von der von der Kritik gerühmten Abstraktion mit symbolischen Menschen wie in ,Die Insel der Verdammten' hin zu der schneidend realistischen, dünnhäutigen Prosa vom Sommer 1948, die er nach dem ,Deutschen Herbst' schreibt."

Während die Öffentlichkeit das Wunderkind unter Druck setzt, entgleitet ihm sein Leben, auch seine Ehe zerbricht. Trotzdem gelingen Dagerman in diesem Gefühlschaos noch zwei Romane, bevor er sich mit einunddreißig Jahren das Leben nimmt. "Schwedische Hochzeitsnacht" gilt zu Recht als sein wichtigster Roman - nicht nur, weil er viele autobiographische Elemente enthält, sondern weil dessen poetische Schönheit, der Verzweiflung abgerungen, zu einer Liebeserklärung an das Leben wird. Dagerman wollte "mit weit geöffneten Augen unerschrocken die entsetzliche Lage betrachten", und diese höhere Form des Trostes ist ihm auf eine so lebendige, bis heute gültige Weise gelungen, dass sein Roman in den Kanon der großen Literatur gehört. Seine Seiten lesen sich heute als Vermächtnis eines hochkonzentrierten Schriftstellerlebens, das aber keineswegs, wie die zeitgenössische Kritik behauptete, nur von Angst und Trostlosigkeit geprägt war - genauso wenig wie dieser Roman. Es wird darin zwar viel geweint, aber der Autor beobachtet seine Figuren so liebevoll wie Camus seinen tragischen, absurden Helden Sisyphos, den er zum glücklichen Menschen erklärt.

"Von einem bin ich fest überzeugt", schrieb Dagerman kurz vor seinem Tod, "das Bedürfnis des Menschen nach Trost ist unersättlich." Also lässt er seine Figuren träumen und hoffen und schlüpft in ihre geheimsten Gedanken und unwillkürlichen Bewegungen. Am Hochzeitsmorgen sitzt der Vater der Braut in seinem Zimmer, "im Gefängnis, er wie du und ich. Und er sitzt, wo er sitzt, die Uhren ticken wie Taubenschnäbel." Mit stundenlangem, zärtlichem Zureden gelingt es der Tochter, den Verstörten zu waschen, anzuziehen und die Treppe hinabzulocken - ein gutes Omen, denkt sie. Derweil sitzt die Mutter in der Küche und lauscht, denn sie weiß, dass in den leisesten Geräuschen die intimen Geheimnisse des Dorfes stecken. Dagerman ist ein Meister der lakonisch geschilderten, atmosphärischen Details, und die schönsten Kapitel des Romans sind die, in denen nichts geschieht. In den angespannten Stunden vor den Besäufnissen und Fast-Vergewaltigungen der Hochzeitsnacht kann man im Spiel der Schatten, im Quietschen eines sich nähernden Karrens oder in einem verbotenen Klopfen am Fenster all das lesen, was die Figuren verstecken wollen, und was der Autor an ihnen besonders liebt: das Verletzliche, Kindlichtraurige hinter ihrer bäurischen Fassade und ihre für diesen Ort ungehörige Empfindsamkeit. Die verschämt tastenden Schritte, mit denen die Mutter ins örtliche Irrenhaus schleicht, um dort ihren Freund - einen Opernsänger, der nicht mehr singen kann - zu treffen, sind ein einziger Aufschrei: Hatte sie je Anteil an Glück und Schönheit, hat sie überhaupt gelebt?

Doch im Dorf wagen es nur die Landstreicher, offen über so schwierige Fragen zu sprechen. Wie bei Knut Hamsun sind sie verschämte Glücksboten, die erfinden und erzählen müssen: gegen die Sesshaften, die stur im Mist oder im Geld wühlen und darin feststecken. Sie selbst sind ruhelos und frei, aber ohne Wurzeln in dieser Welt. Sie wissen mehr als die Anderen, deshalb soll einer von ihnen das Hochzeitsgedicht schreiben. Die Vagabunden sind die wahren Helden dieses Romans, ihnen gilt die besondere Liebe des Autors. Der Jüngste von ihnen, "ein Wegweiser mit heruntergeklappten Flügeln. Zeigte irgendwo in sich selbst hinein" - wird von Hildur abgewiesen, obwohl sie ihn liebt. Nach dem Selbstmord des Jungen packt sie ihre Trauer in die trotzige Behauptung: "Man nimmt, was man hat. Genau das macht man. Das machen alle." Doch sie weiß, dass sie lügt, denn vielleicht, wie die erwachsene Tochter des Bräutigams einwendet, nimmt man ja auch den, der einem am meisten leid tut.

Zwischen diesen engstirnigen und dünnhäutigen Menschen ist alles kompliziert, denn ihr Geist arbeitet langsam, während die Gefühle sich überschlagen. Als sie den Toten finden, pumpen die Herzen "wie Kolben bei neunzig Kilometer; sie starren in das grüne Gesicht, die Augen wie Sonnenschirme über dem Schreck aufgespannt. Langsam schieben sich die Lider hoch, entblößen ein paar leere Augenhöhlen, die Lippen machen ein paar Schwimmzüge im Schweigen." Es gibt im Roman weder einen perspektivischen Mittelpunkt noch eine einheitliche Zeitachse, und der Leser steckt mitten in der Trauer, den Verblendungen und Sehnsuchtsträumen der Figuren. Sie sind nicht nur den anderen, sondern vor allem sich selbst ausgeliefert und geben sich rückhaltlos preis, wenn sie ihre Selbstgespräche bruchlos in Dialoge übergehen lassen.

Der Erzählerblick schwenkt wie eine Kamera über das Dorf und hält die Verrücktheiten fest, mit denen die Menschen aus der Trostlosigkeit zu fliehen versuchen. Im brutalen Bräutigam, dem reichen Schlachter Westlundt, offenbart sich ein Phantast und "Weltbürger von Gemüt", ein Seelenbruder Peer Gynts, der von amerikanischen Fleischsägen träumt und mit Metzgern aus dem Irrenhaus eine Großschlachterei aufbauen will. Er ist moderner Geschäftsmann - Peer Gynt wollte von den Irren lieber zum Kaiser gekrönt werden. Doch beide stellen, schuldbewusst, die gleiche Angstfrage: Ob auch schlechte Menschen geliebt werden? Bis einer der Landstreicher verkündet, das sei die wahre Kunst: Kafka oder Paul Klee könne jeder verstehen, aber "keiner weiß, wie man die Mörder trösten kann". Ivar, der hier spricht, erscheint mit seiner Sehnsucht nach der "Todesfalle" rückblickend wie ein Alter Ego des Autors. "Ich glaube zu verstehen, dass der Selbstmord der einzige Beweis für die Freiheit des Menschen ist", schrieb Stig Dagerman in tragischer Verblendung kurz vor seinem Tod.

Stig Dagerman: "Schwedische Hochzeitsnacht". Roman. Aus dem Schwedischen von Herbert H. Hegedo. Die Andere Bibliothek im Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010. 288 S., geb., 32,- [Euro].

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Überhaupt wirkt dieser Roman in seiner Diktion sehr existenzialistisch. Und es drängt sich - auch auf die Gefahr hin, Klischees zu bedienen - ein Vergleich mit der Ideenwelt Ingmar Bergmans auf: Dagermans Schwedische Hochzeitsnacht wäre ohne jeden Zweifel

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Auf ein realistisches Sittenbild der schwedischen Gesellschaft darf man bei Stig Dagermans 1949 entstandenen Roman "Schwedische Hochzeit" nicht hoffen, macht Andreas Breitenstein klar, den das Buch als bis heute nachhallender, existentieller "Schrei" tief beeindruck hat. Die ästhetisch und inhaltlich unkonventionellen Merkmale des Buches haben den Rezensenten augenscheinlich sehr gefordert, denn viel an Handlung bietet dieser Roman, der die Vorbereitungen und das Hochzeitsfest der schwangeren Hilgur mit dem ungeliebten Schlachter Westlund in einem schwedischen Dorf schildert, nicht, lässt Breitenstein wissen. Der Leser muss auf einen auktorialen Erzähler verzichten, ständig wechseln die Perspektiven, und Zeit und Raum befinden sich in stetigem Fluss, beschreibt Breitenstein die Schwierigkeiten. Ungeachtet dessen hat ihn Dagermans Roman aber tief in den Bann gezogen, und er preist die "jugendliche Frische", die kraftvollen Bilder und die "eigenwillige Poesie" der düsteren Darstellung dieser durch Gewalt und "archaische Triebe" geprägten Dorfgemeinschaft.

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