Die Welt, in der man aufwächst, wird zum Maßstab für die ganze Welt. Doch was, wenn dieser Augenblick, der über unser Leben entscheidet, geprägt ist von Zerstörung, von Verschwinden? Um diese Frage kreist die große Romantrilogie Dieter Fortes, »Das Haus auf meinen Schultern«, einem europäischen Familienepos, das in den Ruinen unseres Jahrhunderts seinen Fluchtpunkt findet. In »Schweigen - oder sprechen?« gibt Dieter Forte in einem langen Gespräch Auskunft über diese Arbeit, die das Unaus- und Unangesprochene unserer jüngsten Vergangenheit berührt. Neben autobiographischen Erinnerungen und Essays steht der Beginn einer neuen Erzählung, die den Schrecken zum Drehpunkt einer neuen Geschichte werden lässt.
Volker Hage begleitet seit Jahren mit Kommentaren und Gesprächen das Werk Dieter Fortes, über das die »Frankfurter Rundschau« schrieb: "Den beiden großen Epen der zweiten Jahrhunderthälfte in Westdeutschland, der »Blechtrommel« und der »Ästhetik des Widerstands«, hat Fortemit seiner Romantrilogie ein drittes zugestellt."
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Volker Hage begleitet seit Jahren mit Kommentaren und Gesprächen das Werk Dieter Fortes, über das die »Frankfurter Rundschau« schrieb: "Den beiden großen Epen der zweiten Jahrhunderthälfte in Westdeutschland, der »Blechtrommel« und der »Ästhetik des Widerstands«, hat Fortemit seiner Romantrilogie ein drittes zugestellt."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2002Hinter der Sprache das Grauen
Luftkrieg und Literatur: Dieter Forte antwortet auf W. G. Sebald
In seinen Zürcher Vorlesungen, die unter dem Titel "Literatur und Luftkrieg" in Buchform vorliegen, hatte W. G. Sebald 1997 konstatiert, daß "wir Deutsche heute ein auffallend geschichtsblindes und traditionsloses Volk" seien. Die Ursache suchte er darin, daß die Nachkriegsliteratur, ganz mit der Wiederherstellung eines positiven Selbstbildes beschäftigt, der kollektiven "Selbstanästhetisierung" der frühen Bundesrepublik Vorschub geleistet habe. Dabei sei ihre katastrophale Vorgeschichte einer zweiten "Liquidierung", nämlich einem Schweigetabu, zum Opfer gefallen. Dieses Schweigen teilte dem Nachgeborenen Sebald (Jahrgang 1944) das Gefühl mit, nichts von den "Ungeheuerlichkeiten im Hintergrund meines eigenen Lebens erfahren zu können". Es war nicht zuletzt ein höchst persönliches Anliegen, das ihn zu dieser Polemik trieb, die hohe Wellen schlug.
Auf diese provokanten Thesen gibt Dieter Forte, der selbst in seiner autobiographischen Trilogie "Das Haus auf meinen Schultern" die Zerstörung seiner Heimatstadt Düsseldorf intensiv geschildert hatte, nun eine ausführliche Antwort. Er setzt seine eigene Erfahrung dagegen: Forte, Jahrgang 1935, hat den Luftkrieg als Kind unmittelbar erlitten und gehört zu jenen, bei denen damals, nach einem Wort Wolf Biermanns, die Lebensuhr stehengeblieben ist. Ein jetzt erschienener Sammelband Fortes, der bereits veröffentlichte und neue literarische Miniaturen, Rezensionen und ein Interview bündelt, umkreist die Frage, ob ein Erlebnis wie das Ausgebombtwerden überhaupt literarisch verarbeitet werden kann.
Dabei stimmt er Sebald in einigen Punkten zu, bestätigt etwa die verheerenden Folgen kollektiver Verdrängung. Gleichzeitig beruft er sich immer wieder auf seine persönliche Verzweiflung als Schriftsteller, der die Erinnerung zu bannen sucht, und macht geltend, daß die "fast körperliche Vernichtung der eigenen Identität" zu Traumatisierungen führt, die erst Jahrzehnte später verbalisiert werden können - sollte das überhaupt möglich sein. Der Preis ist zuweilen ein hoher: Der psychische Apparat droht ständig zu versagen. Völlig unpathetisch macht Forte klar, was die Last der Erinnerung ihm abverlangt; es ist ein Schreiben am Rande des Abgrunds.
Zudem stellt die Erfahrung des absoluten Schreckens, des "Zivilisationsterrors", der sich primär gegen die Zivilbevölkerung richtete, die Literatur vor ein Repräsentationsproblem. Es entsteht eine notwendige Disproportion zwischen Worten und Erfahrung: "Hinter der Sprache existiert natürlich ein Grauen, das nicht mehr schilderbar ist. Es gibt da Grenzen." Innerhalb derer muß sich die Sprache ihren Spielraum erkämpfen: Aus dieser Feststellung spricht Verständnis für die Schweigenden und die Bitte darum, selbst recht verstanden zu werden. Aber auch die Aufforderung, sich der Mühe der Erinnerungsarbeit auszusetzen, besonders als Schriftsteller: Wenn die Literatur "die größten Ereignisse dieses Jahrhunderts ausläßt, dann darf man schon fragen, was sie eigentlich noch wert ist, was sie eigentlich noch schildern will."
Die Feststellung wird Forte zur Maxime: Rigoros setzt er sich den Zumutungen der Vergangenheit aus. "Abschied", der letzte Text des Bandes, gleichzeitig die lang erwartete Anknüpfung an "Das Haus auf meinen Schultern", ist davon gezeichnet. Die Schrecken sind überstanden, nicht aber verarbeitet: Das "abbrechende Todesatmen" durchzieht motivisch den Text, die Schrecken des Kriegs bleiben omnipräsent; schlafende Mitreisende verwandeln sich unversehens in einen "Leichenberg aufgedunsener Körper". Forte, der durch die Kriegserfahrungen eine Zeitlang gestottert hat, schreibt in Sätzen von epischer Länge über die Beschneidung des Atems. Wie der Asthmatiker Proust scheint der Schriftsteller die zerstörte Stimme ersetzen, die vernichtete Poesie der Welt durch ein Maximieren prosaischer Bildkraft ausgleichen und einfangen zu wollen.
Ohne an Strenge in der moralischen Befragung nachzulassen, gelingt es Forte, die ästhetische und existentielle Dimension des Luftkriegserlebnisses zu vertiefen. Die von Sebald angestoßene Debatte verliert ihre Abstraktion, die dadurch entstehen mußte, daß ein nicht unmittelbar Betroffener die Unverhältnismäßigkeit der historischen Fakten und einige wenige Augenzeugenberichte mit einer literarischen Wand des Schweigens konfrontierte. Forte entwickelt aus der Sicht des erlebenden Kindes und des Schriftstellers zugleich in besonderer Art und Weise eine der großen Fragen des zwanzigsten Jahrhunderts, die nach dem Verhältnis von Ethik und Ästhetik. Seine Bemühungen könnten nicht zuletzt dazu dienen, die gerade im angloamerikanischen Raum geführte Diskussion um Trauma und Modernität zu erweitern, die sich bisher bevorzugt um den Ersten Weltkrieg und die Opfer des Holocaust drehte.
NIKLAS BENDER
Dieter Forte: "Schweigen oder Sprechen". Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2002. 94 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Luftkrieg und Literatur: Dieter Forte antwortet auf W. G. Sebald
In seinen Zürcher Vorlesungen, die unter dem Titel "Literatur und Luftkrieg" in Buchform vorliegen, hatte W. G. Sebald 1997 konstatiert, daß "wir Deutsche heute ein auffallend geschichtsblindes und traditionsloses Volk" seien. Die Ursache suchte er darin, daß die Nachkriegsliteratur, ganz mit der Wiederherstellung eines positiven Selbstbildes beschäftigt, der kollektiven "Selbstanästhetisierung" der frühen Bundesrepublik Vorschub geleistet habe. Dabei sei ihre katastrophale Vorgeschichte einer zweiten "Liquidierung", nämlich einem Schweigetabu, zum Opfer gefallen. Dieses Schweigen teilte dem Nachgeborenen Sebald (Jahrgang 1944) das Gefühl mit, nichts von den "Ungeheuerlichkeiten im Hintergrund meines eigenen Lebens erfahren zu können". Es war nicht zuletzt ein höchst persönliches Anliegen, das ihn zu dieser Polemik trieb, die hohe Wellen schlug.
Auf diese provokanten Thesen gibt Dieter Forte, der selbst in seiner autobiographischen Trilogie "Das Haus auf meinen Schultern" die Zerstörung seiner Heimatstadt Düsseldorf intensiv geschildert hatte, nun eine ausführliche Antwort. Er setzt seine eigene Erfahrung dagegen: Forte, Jahrgang 1935, hat den Luftkrieg als Kind unmittelbar erlitten und gehört zu jenen, bei denen damals, nach einem Wort Wolf Biermanns, die Lebensuhr stehengeblieben ist. Ein jetzt erschienener Sammelband Fortes, der bereits veröffentlichte und neue literarische Miniaturen, Rezensionen und ein Interview bündelt, umkreist die Frage, ob ein Erlebnis wie das Ausgebombtwerden überhaupt literarisch verarbeitet werden kann.
Dabei stimmt er Sebald in einigen Punkten zu, bestätigt etwa die verheerenden Folgen kollektiver Verdrängung. Gleichzeitig beruft er sich immer wieder auf seine persönliche Verzweiflung als Schriftsteller, der die Erinnerung zu bannen sucht, und macht geltend, daß die "fast körperliche Vernichtung der eigenen Identität" zu Traumatisierungen führt, die erst Jahrzehnte später verbalisiert werden können - sollte das überhaupt möglich sein. Der Preis ist zuweilen ein hoher: Der psychische Apparat droht ständig zu versagen. Völlig unpathetisch macht Forte klar, was die Last der Erinnerung ihm abverlangt; es ist ein Schreiben am Rande des Abgrunds.
Zudem stellt die Erfahrung des absoluten Schreckens, des "Zivilisationsterrors", der sich primär gegen die Zivilbevölkerung richtete, die Literatur vor ein Repräsentationsproblem. Es entsteht eine notwendige Disproportion zwischen Worten und Erfahrung: "Hinter der Sprache existiert natürlich ein Grauen, das nicht mehr schilderbar ist. Es gibt da Grenzen." Innerhalb derer muß sich die Sprache ihren Spielraum erkämpfen: Aus dieser Feststellung spricht Verständnis für die Schweigenden und die Bitte darum, selbst recht verstanden zu werden. Aber auch die Aufforderung, sich der Mühe der Erinnerungsarbeit auszusetzen, besonders als Schriftsteller: Wenn die Literatur "die größten Ereignisse dieses Jahrhunderts ausläßt, dann darf man schon fragen, was sie eigentlich noch wert ist, was sie eigentlich noch schildern will."
Die Feststellung wird Forte zur Maxime: Rigoros setzt er sich den Zumutungen der Vergangenheit aus. "Abschied", der letzte Text des Bandes, gleichzeitig die lang erwartete Anknüpfung an "Das Haus auf meinen Schultern", ist davon gezeichnet. Die Schrecken sind überstanden, nicht aber verarbeitet: Das "abbrechende Todesatmen" durchzieht motivisch den Text, die Schrecken des Kriegs bleiben omnipräsent; schlafende Mitreisende verwandeln sich unversehens in einen "Leichenberg aufgedunsener Körper". Forte, der durch die Kriegserfahrungen eine Zeitlang gestottert hat, schreibt in Sätzen von epischer Länge über die Beschneidung des Atems. Wie der Asthmatiker Proust scheint der Schriftsteller die zerstörte Stimme ersetzen, die vernichtete Poesie der Welt durch ein Maximieren prosaischer Bildkraft ausgleichen und einfangen zu wollen.
Ohne an Strenge in der moralischen Befragung nachzulassen, gelingt es Forte, die ästhetische und existentielle Dimension des Luftkriegserlebnisses zu vertiefen. Die von Sebald angestoßene Debatte verliert ihre Abstraktion, die dadurch entstehen mußte, daß ein nicht unmittelbar Betroffener die Unverhältnismäßigkeit der historischen Fakten und einige wenige Augenzeugenberichte mit einer literarischen Wand des Schweigens konfrontierte. Forte entwickelt aus der Sicht des erlebenden Kindes und des Schriftstellers zugleich in besonderer Art und Weise eine der großen Fragen des zwanzigsten Jahrhunderts, die nach dem Verhältnis von Ethik und Ästhetik. Seine Bemühungen könnten nicht zuletzt dazu dienen, die gerade im angloamerikanischen Raum geführte Diskussion um Trauma und Modernität zu erweitern, die sich bisher bevorzugt um den Ersten Weltkrieg und die Opfer des Holocaust drehte.
NIKLAS BENDER
Dieter Forte: "Schweigen oder Sprechen". Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2002. 94 S., geb., 12,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der Bombenterror des Zweiten Weltkriegs ist nach Thomas Kraft das Lebensthema Dieter Fortes, das dieser auch in seiner Romantrilogie "Das Haus auf meinen Schultern" abgearbeitet hat, indem er versuchte, Erinnerungen zu evozieren, um an die tiefsten Schichten seiner Erinnerung zu gelangen. Die Qual besteht weiter, das Entsetzen ist nicht gewichen, weiß Kraft nach Lektüre dieses kleinen Bandes. In Prosatexten und kleinen Rezensionen des Autors sowie durch ein Interview mit dem Herausgeber Volker Hage entwirft Forte darin eine kleine Poetik des Schweigens und Schreiben. Forte rufe noch einmal das Schreckensbild jener Düsseldorfer Bombennächte in Erinnerung und äußere sich außerdem über verschiedene Schreibstrategien zur Vergangenheitsbewältigung. So erkläre er das "duale Erzählen", das eine Innen- und Außenperspektive gleichzeitig zusammenzubringen versucht, aus eigener Erfahrung für unzureichend. Auch W.G. Sebalds "nachgestellte Schreibmethode" sei letztlich zum Scheitern verurteilt gewesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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