Marktplatzangebote
16 Angebote ab € 1,10 €
Produktdetails
  • Verlag: Kiepenheuer
  • Seitenzahl: 91
  • Abmessung: 185mm
  • Gewicht: 146g
  • ISBN-13: 9783378006195
  • ISBN-10: 3378006196
  • Artikelnr.: 23973415
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.1999

Der Schweinekrauler
Peter Kihlgård und der plötzliche Reichtum in Skeppsklint

Nach seinen Ausweispapieren handelt es sich bei dem schlaksigen jüngeren Mann mit den langen Armen und Beinen und der unermüdlichen Arbeitskraft um einen gewissen Georg Pettersson aus Skeppsklint, einem kleinen Dorf an der Ostsee hoch in Schwedens Norden. Aber alle in Skeppsklint wissen, dass das nicht stimmt, schließlich haben sie den Mann erst mit diesen Dokumenten versorgt. Die stammen aus der Hinterlassenschaft eines Dörflers, der im Winter im Meer ertrank, und sollen nun dazu dienen, den Mann vor Polizei- und Behördenzugriff zu schützen und so sein Bleiben im Dorf zu sichern. Denn er ist vital geworden für die dörfliche Gemeinschaft, die es vor seinem überraschenden Auftauchen in strengerem Sinne gar nicht gab: als Ursache und Garant vorher nicht vorstellbaren Reichtums, an dem praktisch alle partizipieren.

Dabei ist und bleibt seine wahre Identität unbekannt, denn der Mann ist taubstumm; als er auftauchte, gingen erste Vermutungen in Richtung "finnischer Dorftrottel". Es bedurfte deshalb einiger glücklicher Zufälle, dass er überhaupt im Dorf geduldet wurde; die Duldung wandelte sich in so etwas wie Akzeptanz, als ein Arbeitsvermögen bei Stegbau, Hausverschönerung und Fischfang sichtbar wurde und sogar durch Arbeitszeitbeschränkungen eingedämmt werden musste: Den Dörflern war es unbehaglich, ihn weiter werkeln zu hören, während sie den Feierabend zu genießen suchten.

Zur besonders schützenswerten Zentralgestalt wird der Taubstumme allerdings erst, als ein hinzugezogener Schlachter es nicht schafft, Sven Sjöströms Schwein fachgerecht ins Jenseits zu befördern, der Taubstumme ungefragt einspringt und die Arbeit so erledigt, dass ein Zuschauer sinniert: "Derweise sollte einer selbst sterben dürfen" - nämlich grund- und grunzzufrieden, auf das Behaglichste gekrault von einem Mann, der dann mit dem Messer so blitzschnell zusticht, dass für Stimmungstrübung gar keine Zeit mehr bleibt.

Die zweite, größere Sensation ist die Qualität des von Sjöström großzügig offerierten Schweinebratens, denn "keiner hatte je etwas ähnliches geschmeckt". Als es dem Taubstummen in einem Kontrollversuch auch noch gelingt, Fossbergs "grantigen Eber" erst prämortal "fromm und verbindlich wie einen Staubsaugervertreter" auftreten zu lassen und dessen Fleisch dann wiederum ungekannt lecker ist, setzen die Skeppsklinter kollektiv auf Schweineboom, mit dem Vermarktungsmotto "extrem exclusiv und unverschämt teuer", mit Sven Sjöström als zentralem Futtermischer und dem Taubstummen als Schlachter.

"Alles verlief erstaunlich reibungslos", das rare Qualitätsfleisch erzielt das Zehnfache des Üblichen, die Dörfler erwerben Carports und Motorsägen, aber sorgen sich auch um das Wohlbefinden des Taubstummen, indem sie Viktoria dringend nahe legen, auf dessen hilfloses Liebeswerben einzugehen. Die siebzehnjährige Göteborgerin, meist mit roten Lederhosen bekleidet, "bei denen keiner begriff, wie sie in die reingekommen war", und von ihren Eltern zeitweise zu Oma und Opa aufs Land zwangsverfrachtet, um sie aus dem Einflussbereich ihrer milde krawallbereiten Großstadtclique zu entfernen, lässt sich nach Widerständen - "es ist nicht eben leicht, ein Handicap zu ignorieren" - auf das Abenteuer ein, mit wiederum ungeahnten Folgen: während ihrer zeitweisen Abwesenheit vom Taubstummen erzeugte autoerotische Lautemissionen provozieren im Dorf in Kettenreaktion bald "die Musik des Gospelchors der Fleischlichkeit" mit nachfolgender mirakulöser Fruchtbarkeit, die, einmal medial ruchbar geworden und weltweit verbreitet, Skeppsklinter Fleisch als kostbarstes Aphrodisiakum erscheinen und seinen Preis explodieren lässt.

"Schwein im Glück" ist eine moralische Burleske mit offenem Ausgang, voller Tempo, Witz und Stilwechseln, in Kürzestkapiteln zwischen einer halben und drei (kleinen) Seiten. In Schweden erschien der Text im letzten Jahr als Teil von Peter Kihlgårds Buch "Serenader", dort ist er seit Jahren ein etablierter Autor. Hier versucht es der deutsche Verlag wohl mit einer bislang eher in der Popmusikbranche üblichen Strategie, der Single-Auskopplung vor dem Erscheinen des ganzen Albums. Die könnte aufgehen: Dieser Schwedenhappen macht Appetit auf Peter Kihlgårds ganzes Smörgasbrod, und er kann, das mag den happigen Preis für einen kleinen Text relativieren, fast ohne Geschmacksverlust mehrfach verschlungen werden.

BURKHARD SCHERER

Peter Kihlgård: "Schwein im Glück". Ein Märchen. Aus dem Schwedischen übersetzt von Gisela Kosubek. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1999. 91 S., geb., 22,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr