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Auszug aus der Reportage "Andererseits" von Randolph Braumann Einerseits ist Zürich eine sehr strenge, sehr ordnungsliebende Stadt. In der Beatengasse, Nähe Hauptbahnhof, handelte ich mir eine Ordnungsstrafe von 60 Franken ein "für das Parkieren auf zwei Parkfeldern". Sie müssen sich das so vorstellen: Ich hatte eine große Lücke zwischen zwei Autos entdeckt, beachtete jedoch nicht die Tatsache, dass ich mit den Vorderrädern auf Parkfeld 8 stand, mit den Hinterrädern auf Parkfeld 9. Das heißt, eigentlich beachtete ich das schon, denn ich warf Münzen in beide Parkingmeter. Ich respektiere…mehr

Produktbeschreibung
Auszug aus der Reportage "Andererseits" von Randolph Braumann Einerseits ist Zürich eine sehr strenge, sehr ordnungsliebende Stadt. In der Beatengasse, Nähe Hauptbahnhof, handelte ich mir eine Ordnungsstrafe von 60 Franken ein "für das Parkieren auf zwei Parkfeldern". Sie müssen sich das so vorstellen: Ich hatte eine große Lücke zwischen zwei Autos entdeckt, beachtete jedoch nicht die Tatsache, dass ich mit den Vorderrädern auf Parkfeld 8 stand, mit den Hinterrädern auf Parkfeld 9. Das heißt, eigentlich beachtete ich das schon, denn ich warf Münzen in beide Parkingmeter. Ich respektiere nämlich die Zürcher "Ordnungsbussenliste" (wird tatsächlich so geschrieben; die Schweizer kennen kein ß). Meine Zweifachzahlung nützte mir allerdings nix. Denn die "Signalisationsverordnung" sagt: "Wo Parkfelder gekennzeichnet sind, dürfen Fahrzeuge nur innerhalb dieser Felder parkiert werden."

Am Tage meines Einzugs in eine Wohnung an der Alten Feldeggstrasse fragte mich der Hausmeister, wieso ich mich nicht rechtzeitig bei der Polizei umgemeldet hätte. Meinen Briefkasten hatte er schon kontrolliert und geleert. Ich hatte sehr stark den Eindruck, dass er mich für ein Mitglied der Antiimperialistischen Zellen hielt. Solche Erlebnisse prägen.

Andererseits ist Zürich eine wahre Multikultistadt, in der an die 15 Sprachgruppen friedlich miteinander leben. Zu den Schweizer Idiomen kommen zum Beispiel Englisch, Serbisch, Kroatisch, Portugiesisch, Spanisch, Iwrith, Jiddisch, Arabisch, Russisch, Ungarisch (die Zürcher sagen "Hungárisch"), Tamilisch, Wolof, Wienerisch. Hier kann man im Einkaufsgewusel an der Bahnhofstrasse ein Alphorn aufbauen oder als Drag Queen herumlaufen, ohne komisch angesehen zu werden. "Drag Queens sind menschliche Wesen in Frauenkleidern, vielmehr: in Kleidern, die sie sich unter Frauenkleidern vorstellen" (sagt der Schriftsteller Philipp Tingler, auf den ich später sicher noch mal zurückkomme).

Einerseits ist Zürich eine Stadt der gepflegten Körperverhüllung. Die Leute sind überwiegend sehr gut gekleidet: Banker im dunklen Dreiteiler von Hannes B., Werbeleute im schwarzen Bügelfreien von Zähringer + Kleist, obercoole Direktorinnen mit Transparenten von der lokalen Designerin Rosanna Gates und auf hochhackigen Schuhen von Booster.

Andererseits gehört es im Sommer einfach zum Leben, sich auszuziehen und in die "Badi" zu gehen: ins Strandbad Tiefenbrunnen (Volksmund: Tuntenbrunnen), ins Strandbad Mythenquai, in die Frauenbadi in der Nähe der Quaibrücke oder in die Utoquaibadi.Die Badeanstalten sind (zum Teil hölzerne und schwimmende) Paläste, die noch
aus jenen fast schon vergessenen Jahrhunderten stammen, als Damen und Herren sich getrennt der Körperkultur widmeten. Und heute?

Auch heute haben in der Frauenbadi nur Frauen Zutritt - tagsüber. Mittwochs und samstags können Männer und Frauen zumindest die Abende gemeinsam genießen, mit einem Drink in der Hand und den Füßen im Wasser. In der Barfussbar. Schuhe werden am Eingang deponiert, wie vor einer Moschee.

In der Utoquaibadi liegen die Herren, die unter sich sein wollen, auf der linken Terrasse, die Damen auf der rechten. Auf der mittleren Terrasse dürfen Damen und Herren liegen. Nun ist es aber so, dass die Herren-Terrasse vor etwa zwei Generationen zur Homo-Terrasse geworden ist, auf der permanent ein Wettbewerb um die klitzekleinste Badehose tobt. So etwas - nun, sagen wir mal bürgerlich, Unzüchtiges - gibt's einfach nicht in Hamburg, Berlin oder München. Was ist die plumpe Nacktheit im Münchner Englischen Garten schon gegen diese Show, bei der die äußerst knappen Badehosen "gewissermaßen den Blick bis auf die Prostata freigeben" (das sage nicht ich, das sagt Philipp Tingler).

Ach, war das eine schöne Zeit, als ich einen Sommer lang im Bellerive au Lac wohnte, Zimmer 503, also hoch genug, um einen alles umfassenden Blick auf die Utoquaibadi zu haben. Damals glaubte ich tatsächlich, eine große Mehrheit der menschlichen Körper sei schlank und ästhetisch. Ein schöner Sommertraum, geträumt in Zürich ...

Einerseits. Andererseits.

Es wird Zeit, darauf hinzuweisen, dass es einen Verantwortlichen gibt für dieses Einerseits/Andererseits. Der Mann heißt Huldrych Zwingli.Sein
Denkmal steht am Limmatquai vor dem Helmhaus. Aber es ist mehr von ihm geblieben als nur ein Denkmal. Zwingli war - neben Luther und Calvin - einer der großen Reformatoren. Als Chorherr am Grossmünster veröffentlichte er ab 1522 Schriften, die zu den eindrucksvollsten sozial-ethischen Zeugnissen der Reformationszeit gehören, zum Beispiel "Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit".

Nach Zwinglis Auffassung sind die konkreten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zustände am Maßstab der Heiligen Schrift, der "Göttlichen Gerechtigkeit", zu prüfen.

Aber: Auch bei offenkundigem Missbrauch sollen Änderungen nur schrittweise und vorsichtig, im Rahmen der Rechtsordnung, vorgenommen werden, da bestehende Verpflichtungen, Übereinkommen und Verträge, deren Garantie die Obrigkeit übernommen hat, gehalten werden müssen. Der Zehnte gehört zum Bereich der menschlichen Gerechtigkeit. Das Eintreiben dieser Abgabe liegt in der Verantwortung der weltlichen Obrigkeit, da es eine geistliche Gerichtsbarkeit (nämlich die des katholischen Bischofs) nicht mehr gibt.

Zwingli starb, 47-jährig, 1531 im so genannten Kappeler Krieg gegen die katholischen Innerschweizer. Doch die Ideen des ernsten, disziplinierten Reformators haben Zürich nun schon ein halbes Jahrtausend lang geprägt. Die Zürcher, jedenfalls die alteingesessenen Familien, sind Zwinglianer, Spartaner. Da wird nicht laut geredet und nicht geprotzt.

Nehmen wir als Beispiel das, was zuerst auffällt, wenn man als Tourist in eine Stadt hineinfährt: die Architektur. Zürich ist eine der reichsten Städte der Welt. Der Schriftsteller Urs Widmer nennt es einen "Bischofssitz in der Religion des Geldes" (der Papst dieser Religionsgemeinschaft residiert in New York). Warum aber gibt es hier keine Paläste des Geldes, keine prahlerischen Bankentürme wie etwa in Frankfurt? Schlendern Sie doch mal über die Bahnhofstrasse: ein Geldinstitut neben dem anderen, aber alle vierstöckig, unauffällig. "Wenn wir Gäste aus dem Ausland in Zürich herumführen müssen, wissen wir nicht, was wir ihnen zeigen sollen", sagen Mathias Niggli und Daniel Müller, zwei junge Architekten, die gern höher hinausmöchten.

Zwar können sie ihren Gästen erzählen, dass der Paradeplatz unterkellert ist und dass diese Keller voll sind mit Geld und Gold - aber sie müssen augenzwinkernd hinzufügen, dass das vielleicht nur ein Gerücht ist. Oder auch die Wahrheit, denn irgendwo muss der sagenhafte Reichtum doch real existieren, wenn er sich schon nicht oberirdisch präsentiert.

In unnachahmlicher Klarheit kommentiert die "Neue Zürcher Zeitung": "Lieber keine Kostenüberschreitung als ein bauliches Ereignis. Das ist die zürcherische Haltung bei öffentlichen privaten Bauten ... Bauen ist hier nicht primär Architektur und Kunst, sondern ein demokratischer Prozess. Er bewirkt, dass an der Limmat selbst die Häuser klug und fleissig sind." ...
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