Aus großer Nähe, relevant, poetisch, humorvoll und eindringlich erzählt Jens Mühling von einem Meer zwischen den Trennlinien Europas, von seinen Ufer- und Wasserbewohnern, seinen Strömungen und Migrationswegen, seiner Vergangenheit und Zukunft - und führt uns vor Augen, dass alle Grenzen letztlich fließende sind.
«Ich habe das Schwarze Meer von allen Seiten gesehen, und von keiner Seite war es schwarz. Es war silbrig, als ich im Frühling die noch menschenleeren Strände der russischen Kaukasusküste entlangfuhr. Es wurde blau, als ich im Mai Georgien erreichte. In der Türkei schien es dem Grün der Teeplantagen und Haselnussfelder an seinen Ufern ähnlicher zu werden, und grün blieb es, bis ich im Spätsommer den Bosporus erreichte. Die ersten Herbststürme färbten es braun, als über der Küste Bulgariens die Vögel südwärts und die Touristen heimwärts zogen. Im rumänischen Donaudelta schien der Himmel so tief über dem Meer zu hängen, dass sein bleierner Ton auf das Wasser abfärbte. Als ich die Ukraine erreichte, schoben die Wellen schmutzgraue Eisschollen über die Strände. Erst auf der Krim hellte die Wintersonne das Meer wieder auf, und hier nahm es den Ton an, den es in meiner Erinnerung immer haben wird: ein trübes, milchiges Grün, wie ein Sud aus Algen und Sonnencreme.»
«Ich habe das Schwarze Meer von allen Seiten gesehen, und von keiner Seite war es schwarz. Es war silbrig, als ich im Frühling die noch menschenleeren Strände der russischen Kaukasusküste entlangfuhr. Es wurde blau, als ich im Mai Georgien erreichte. In der Türkei schien es dem Grün der Teeplantagen und Haselnussfelder an seinen Ufern ähnlicher zu werden, und grün blieb es, bis ich im Spätsommer den Bosporus erreichte. Die ersten Herbststürme färbten es braun, als über der Küste Bulgariens die Vögel südwärts und die Touristen heimwärts zogen. Im rumänischen Donaudelta schien der Himmel so tief über dem Meer zu hängen, dass sein bleierner Ton auf das Wasser abfärbte. Als ich die Ukraine erreichte, schoben die Wellen schmutzgraue Eisschollen über die Strände. Erst auf der Krim hellte die Wintersonne das Meer wieder auf, und hier nahm es den Ton an, den es in meiner Erinnerung immer haben wird: ein trübes, milchiges Grün, wie ein Sud aus Algen und Sonnencreme.»
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2021Gespräche mit dem Schnauzbart
Welch tolle Idee: Jens Mühling ist rund um das Schwarze Meer gefahren. Der Berliner Journalist hat Bücher über Russland und die Ukraine geschrieben, hat in Moskau gelebt und spricht etwas Türkisch. Seine Reise beginnt in Russland, an der schmalen Meerenge zur Krim, also gleich an einem politisch schwierigen Ort. Stets geht es durch ein Völkerwirrwarr aus Klein- und Kleinstethnien, willkürliche Grenzen haben diese Menschen einer Nation zugeordnet. Einer der zentralen Sätze des Buches ist, wer sich zivilisiert fühlen wolle, brauche barbarische Nachbarn. Denn Mühling findet unterwegs immer Menschen, die schlecht reden über andere, oft die Nachbarn, immer über die Roma. Man hört von wenig bekannten Volksgruppen, etwa von den Mescheten - georgischen Türken oder türkischen Georgiern. Er trifft auf Griechen, die Türkisch sprechen - in Russland. Es ist alles sehr verwirrend, aber der Autor sortiert es gut für die Leser. Man ist nach der Lektüre klüger als vorher, und dennoch hat Mühling ein unterhaltsames, gut lesbares Reisebuch geschrieben. In der langen Reisereportage ist der Autor präsent, aber nicht im Vordergrund, und er freut sich auch einfach übers Unterwegssein, wenn er "das Grinsen nicht aus dem Gesicht bekommt" bei der Fahrt über den Bosporus, während der er Möwen mit Sesamkringeln füttert. Störend ist nur, dass Mühling fast einzig Männer trifft. Oft alte Männer, mit prächtigen Schnauzbärten; Taxifahrer, Gastarbeiter, Fischer und Forscher. Als würden am Schwarzen Meer keine Frauen leben, als hätten Frauen nichts zu erzählen. Erst in der Ukraine ändert sich das. Ausgerechnet dort kommt es zu einer ergreifenden Begegnung mit einer Geschichte von großem Unglück. Wie benommen sitzt man danach da. Vielleicht möchte Jens Mühling gar nicht als Reisebuchautor bezeichnet werden, aber sein aktuelles Buch gehört zu den besten dieser Gattung.
bär
"Schwere See. Eine Reise um das Schwarze Meer" von Jens Mühling. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 320 Seiten. Gebunden, 22 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Welch tolle Idee: Jens Mühling ist rund um das Schwarze Meer gefahren. Der Berliner Journalist hat Bücher über Russland und die Ukraine geschrieben, hat in Moskau gelebt und spricht etwas Türkisch. Seine Reise beginnt in Russland, an der schmalen Meerenge zur Krim, also gleich an einem politisch schwierigen Ort. Stets geht es durch ein Völkerwirrwarr aus Klein- und Kleinstethnien, willkürliche Grenzen haben diese Menschen einer Nation zugeordnet. Einer der zentralen Sätze des Buches ist, wer sich zivilisiert fühlen wolle, brauche barbarische Nachbarn. Denn Mühling findet unterwegs immer Menschen, die schlecht reden über andere, oft die Nachbarn, immer über die Roma. Man hört von wenig bekannten Volksgruppen, etwa von den Mescheten - georgischen Türken oder türkischen Georgiern. Er trifft auf Griechen, die Türkisch sprechen - in Russland. Es ist alles sehr verwirrend, aber der Autor sortiert es gut für die Leser. Man ist nach der Lektüre klüger als vorher, und dennoch hat Mühling ein unterhaltsames, gut lesbares Reisebuch geschrieben. In der langen Reisereportage ist der Autor präsent, aber nicht im Vordergrund, und er freut sich auch einfach übers Unterwegssein, wenn er "das Grinsen nicht aus dem Gesicht bekommt" bei der Fahrt über den Bosporus, während der er Möwen mit Sesamkringeln füttert. Störend ist nur, dass Mühling fast einzig Männer trifft. Oft alte Männer, mit prächtigen Schnauzbärten; Taxifahrer, Gastarbeiter, Fischer und Forscher. Als würden am Schwarzen Meer keine Frauen leben, als hätten Frauen nichts zu erzählen. Erst in der Ukraine ändert sich das. Ausgerechnet dort kommt es zu einer ergreifenden Begegnung mit einer Geschichte von großem Unglück. Wie benommen sitzt man danach da. Vielleicht möchte Jens Mühling gar nicht als Reisebuchautor bezeichnet werden, aber sein aktuelles Buch gehört zu den besten dieser Gattung.
bär
"Schwere See. Eine Reise um das Schwarze Meer" von Jens Mühling. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 320 Seiten. Gebunden, 22 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mühlings intensive Beobachtungen, sein scharfer Sinn für gute Geschichten machen dieses Reisebuch zu einem großen Gewinn. Denn solche Erlebnisse sind es, die den wahren Reisenden vom Urlauber unterscheiden. Hans Gasser Süddeutsche Zeitung 20200310