Papa ist tot - und nun? Nach vielen Jahren treffen sich die Zwillingsschwestern Alessandra und Marinella in der Wohnung ihres verstorbenen Vaters wieder, wo er die beiden einst im Alter von acht Jahren verlassen hat.Die Schwestern, mittlerweile achtundvierzig Jahre alt, könnten unterschiedlicher nicht sein und haben sich kaum etwas zu sagen. Und doch müssen Alessandra und Marinella jetzt miteinander reden. Weil aber zu vieles zu lange unausgesprochen geblieben ist, weil die eine sich immer noch nicht »richtig« erinnert und die andere die gleichen Spielchen treibt wie vor vierzig Jahren, kommt es in der kleinen Wohnung zu turbulenten Szenen.Die Erinnerung an den Vater und sein plötzliches Verschwinden, an die kleinen Glücksmomente, Geheimnisse und Grausamkeiten einer Familie führen zu einem furiosen Wortgefecht - mal tieftraurig, mal hochkomisch, vor allem aber voller zärtlicher Gemeinheiten, wie sie nur Geschwister einander antun können.Und dann steht plötzlich die Nachbarin in der Tür, die dem Vater offenbar weit näher stand als Alessandra und Marinella . . .
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.01.2016Dschungelclinch
Göttinnen des Gemetzels:
Marcello Fois’ „Schwestern“
Gibt es etwas Biestigeres als ein entzweites Schwesternpaar? Auch als erwachsene Frauen fallen Marinella und Alessandra übereinander her, werfen sich uralte Versäumnisse an den Kopf, zetern, was das Zeug hält und treffen instinktiv den wundesten Punkt der anderen. Genussvoll und mit viel Gespür für Rhythmus entfaltet der sardische Schriftsteller Marcello Fois, durch historische Romane und düstere Krimis international bekannt geworden, den Zwist eines Zwillingspaares. „Schwestern. Die alte Geschichte“ heißt der schmale Band, der keine Genrebezeichnung trägt, in vier Kapitel unterteilt ist und einer Novelle ähnelt, denn es gibt einen indirekt vermittelten Wendepunkt. Der Clou liegt darin, dass er sich dem Leser erschließt, während die selbstgerechtere der Zwillingsschwestern im Dunkeln tappt.
Fois ist mit den Clanstrukturen Sardiniens vertraut, wo Anthropologen bis heute die Gesetze der faida, der Blutrache, studieren, und er vermittelt durch die Wahl des Schauplatzes das Klaustrophobische der Schwesternbeziehung. In der Wohnung ihres verstorbenen Vaters treffen Marinella und Alessandra aufeinander, das Wohnzimmer ist mit einer Dschungeltapete ausgestattet. Wie auf einer Bühne hat jede ihren Auftritt, es hagelt Dialoge, mal macht die eine einen Stich, mal die andere. Zwischendurch schweigen sie, wie es nur Sardinnen können. Im Handumdrehen sind sie bei den alten Geschichten angelangt, Urmuster von Geschwisterbindungen: Rivalitäten, Rollenzuschreibungen, Privatlegenden. Der Vater hatte Mutter und Töchter verlassen, als die Kinder noch klein waren, aber auf viel mehr können sich die beiden nicht einigen. Der Zeitpunkt, zu dem es geschah, ist ebenso ungewiss wie die Augenfarbe des Vaters.
Während Alessandra alles im Griff hat, Ehemann, Beruf und Kinder nebenbei managt und seit jeher weiß, wo es langgeht und wie man das Leben zu nehmen hat, ist die Astrophysikerin Marinella ewig unsicher und immer noch auf Unterstützung angewiesen. Durchbrochen wird das amüsante Gekeife durch die Nachbarin, die mit einem ganz anderen Blick auf den abtrünnigen Vater aufwartet. Einen Moment lang verbünden sich Marinella und Alessandra gegen die Dame, die wie in einem Theaterstück die Funktion des Störenfrieds übernimmt. Doch dann geht es weiter wie zuvor. Die eine deckelt, die andere trickst, und am Ende weiß man vor allem eines: Mit Schwestern ist nicht zu spaßen.
MAIKE ALBATH
Marcello Fois: Schwestern. Die alte Geschichte. Aus dem Italienischen von Esther Hansen. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2015. 138 S., 15,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Göttinnen des Gemetzels:
Marcello Fois’ „Schwestern“
Gibt es etwas Biestigeres als ein entzweites Schwesternpaar? Auch als erwachsene Frauen fallen Marinella und Alessandra übereinander her, werfen sich uralte Versäumnisse an den Kopf, zetern, was das Zeug hält und treffen instinktiv den wundesten Punkt der anderen. Genussvoll und mit viel Gespür für Rhythmus entfaltet der sardische Schriftsteller Marcello Fois, durch historische Romane und düstere Krimis international bekannt geworden, den Zwist eines Zwillingspaares. „Schwestern. Die alte Geschichte“ heißt der schmale Band, der keine Genrebezeichnung trägt, in vier Kapitel unterteilt ist und einer Novelle ähnelt, denn es gibt einen indirekt vermittelten Wendepunkt. Der Clou liegt darin, dass er sich dem Leser erschließt, während die selbstgerechtere der Zwillingsschwestern im Dunkeln tappt.
Fois ist mit den Clanstrukturen Sardiniens vertraut, wo Anthropologen bis heute die Gesetze der faida, der Blutrache, studieren, und er vermittelt durch die Wahl des Schauplatzes das Klaustrophobische der Schwesternbeziehung. In der Wohnung ihres verstorbenen Vaters treffen Marinella und Alessandra aufeinander, das Wohnzimmer ist mit einer Dschungeltapete ausgestattet. Wie auf einer Bühne hat jede ihren Auftritt, es hagelt Dialoge, mal macht die eine einen Stich, mal die andere. Zwischendurch schweigen sie, wie es nur Sardinnen können. Im Handumdrehen sind sie bei den alten Geschichten angelangt, Urmuster von Geschwisterbindungen: Rivalitäten, Rollenzuschreibungen, Privatlegenden. Der Vater hatte Mutter und Töchter verlassen, als die Kinder noch klein waren, aber auf viel mehr können sich die beiden nicht einigen. Der Zeitpunkt, zu dem es geschah, ist ebenso ungewiss wie die Augenfarbe des Vaters.
Während Alessandra alles im Griff hat, Ehemann, Beruf und Kinder nebenbei managt und seit jeher weiß, wo es langgeht und wie man das Leben zu nehmen hat, ist die Astrophysikerin Marinella ewig unsicher und immer noch auf Unterstützung angewiesen. Durchbrochen wird das amüsante Gekeife durch die Nachbarin, die mit einem ganz anderen Blick auf den abtrünnigen Vater aufwartet. Einen Moment lang verbünden sich Marinella und Alessandra gegen die Dame, die wie in einem Theaterstück die Funktion des Störenfrieds übernimmt. Doch dann geht es weiter wie zuvor. Die eine deckelt, die andere trickst, und am Ende weiß man vor allem eines: Mit Schwestern ist nicht zu spaßen.
MAIKE ALBATH
Marcello Fois: Schwestern. Die alte Geschichte. Aus dem Italienischen von Esther Hansen. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2015. 138 S., 15,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de