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Das Leben, die Liebe, die Erinnerung - all das sind ernste Sachen. Doch Italo Calvino, der nicht nur in Italien als moderner Klassiker des 20. Jahrhunderts gilt, liebte gerade die Dinge, mit denen nicht zu spaßen ist. So ernst konnte nichts auf der Welt sein, dass er daran nicht seinen Witz und seine Intelligenz versuchte. Erstmalig liegen hier seine Sämtlichen Erzählungen, das Herzstück seines Werks, in einer deutschen Ausgabe vor: Ob in den "Abenteuern einer Badenden", den "Abenteuern eines Kurzsichtigen" oder den "Abenteuern eines Ehepaars", mit der ihm eigenen Fabulierkunst seziert Calvino…mehr

Produktbeschreibung
Das Leben, die Liebe, die Erinnerung - all das sind ernste Sachen. Doch Italo Calvino, der nicht nur in Italien als moderner Klassiker des 20. Jahrhunderts gilt, liebte gerade die Dinge, mit denen nicht zu spaßen ist. So ernst konnte nichts auf der Welt sein, dass er daran nicht seinen Witz und seine Intelligenz versuchte. Erstmalig liegen hier seine Sämtlichen Erzählungen, das Herzstück seines Werks, in einer deutschen Ausgabe vor: Ob in den "Abenteuern einer Badenden", den "Abenteuern eines Kurzsichtigen" oder den "Abenteuern eines Ehepaars", mit der ihm eigenen Fabulierkunst seziert Calvino alles, was eine kleine Affäre zu einer schwierigen Liebschaft macht - ein literarisches Ereignis.
Autorenporträt
Italo Calvino wurde 1923 geboren, wuchs in San Remo auf und starb 1985 in Siena. Sein Werk erscheint bei Hanser, zuletzt u.a. Warum Klassiker lesen? (2003), Die unsichtbaren Städte (2007), und Ich bedaure, daß wir uns nicht kennen (Briefe 1941-1985, 2007).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2013

Die Wahrheit ist ein rostender Angelhaken

Endlich aus dem staubigen Labyrinth der Bibliotheken befreit: Ein Band mit Italo Calvinos "Sämtlichen Erzählungen" weckt die Lebensleidenschaft, eine Sehnsucht nach Weite und Leichtigkeit.

Wieder einmal lässt er auf sich warten: Weiß inzwischen doch ganz Rom, dass Caesar an diesen Iden des März 44 vor Christus ermordet werden soll. Das herrliche Frühlingswetter hat die Familien mit ihren Picknickkörben ins Grüne getrieben und kümmert sich keinen Deut um die Zukunft der Republik. Die ersten Schwalben flitzen fröhlich über die Pinien hinweg, und die verzagten Verschwörer, ihre kalten Dolche unter der Toga verborgen, tummeln sich in der Vorhalle des Senats, täuschen zwangloses Plaudern vor oder pfeifen ungeduldig vor sich hin. Warum hätten sie nicht schon an den Kalenden des Februar zuschlagen können? Zu spät. Plötzlich fangen sie an, über die Pros und Contras zu räsonieren, bis sie zur historischen Großtat bald nicht mehr imstande sein dürften, an sich selbst träge geworden wie dieser schöne Tag im März.

Willkommen im Kosmos des Italo Calvino: Wer sonst könnte in einer Kürzestgeschichte wie dieser, "Ein schöner Tag im März", so anarchisch unbeschwert und frech die Enttäuschung über die tumbe Unbesonnenheit vieler Italiener unter dem selbsternannten Caesar Benito Mussolini karikieren und nebenher die stillstandssatten und kleinkrämerischen Richtungskämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei? Ihr war Calvino zwanzigjährig beigetreten, weil sie sich effektiver organisiert gab als andere Formationen der Resistenza und nicht wie ein Trupp Wilderer verdrossen durch die Wälder Liguriens stapfte.

Wer im Leben Glück hat, kann die Geschichte seiner Kindheit erzählen, ohne Faschisten erwähnen zu müssen, Folterkeller und Namen von Menschen, die von Telefonmasten hingen. Bis zu seinem Ende wünschte sich Calvino, alle Diktatoren hätten die Bilder von Mussolinis Hinrichtung auf dem Nachttisch stehen; doch bald war er es leid, seine besten Jahre damit zu vergeuden, "die Große Sache" und die Literatur zu versöhnen wie zwei ewig zerstrittene Geschwister, die ohnehin nicht derselben Familie angehörten. Der Kommunismus befahl keine Literatur der Verneinung, sondern die Verneinung der Literatur und hatte eine Schar von frömmelnden Stümpern fließbandrasch Romane von wohlmeinender Langeweile produzieren lassen, "neorealistisch", mit Figuren aus Gummi, humorlos, hysterisch und trist. Und die Wahrheit über Stalins Herrschaft gab Calvino den Rest: Zeit seines Lebens steckte sie in seinem Kopf "gleich einem rostenden Angelhaken" fest.

Hatte er auf der Durchreise durch die "dekadenten, denkfaulen USA" eben noch Weihrauch für den Kommunismus verbrannt, misstraute er von nun an allem, was sich einfach ausnahm und entschieden, und würde die Legitimation seines Daseins in der Neuerfindung des Universums suchen, den "Cosmicomics", im Bau "Unsichtbarer Städte" und in der "glühenden Geometrie" eines "Schlosses, worin sich Schicksale kreuzen". Und je älter, desto kühner wurde er, arbeitete noch im Jahr seines Todes an Geschichten über die fünf Sinne - und die Pointe seiner vielleicht besten, die er nie geschrieben hat, über den sechsten, gab er zumindest einem Journalisten preis: Der Tod Gottes lässt die Engel in einer prekären Lage zurück. Denn was, fragen sie sich plötzlich verzweifelt, mögen wohl "Engel" sein?

"Nimm beim Wachsen an Leichtigkeit zu" wurde zu Calvinos Maxime, erhebe dich aus der unerträglichen Schwere und wage einen Kranichblick über das Dächergewirr deiner liebsten Städte, San Remo, Paris, New York. Auf die Politik sollte man sich, dachte er, nur so weit einlassen, um sich vor ihr schützen zu können. Ihre Ideale erreichte sie nie; die Literatur die ihren durchaus. Verantwortung übernahm Calvino, "verträumter Gast von einem anderen Stern", lediglich für sein schriftstellerisches Tun, und seine "Maniographie der immer vorletzten Fassung" porträtierte er in der Erzählung "Abenteuer eines Photographen", worin der zunächst knipsfaule Antonio der Obsession verfällt, die von anderen systematisch übersehenen Momente festzuhalten, die Fotos dann zerstückelt und diese abermals fotografiert. Beängstigend fast in seiner unaufgeregten Konsequenz und zappeligen Neugier, machte sich Calvino täglich ans Werk, als wäre er nie vollständig zur Welt gekommen und sähe Bleistift und Papier zum ersten Mal. "Die Leser sollen ihren Spaß haben, nicht ich." 1957, im Publikationsjahr seines "Barons auf den Bäumen", der sich weigert, jemals wieder von seinem Blätterkontinent in den Lüften herabzusteigen, verließ Calvino die Kommunistische Partei.

Groß war der Zorn der stets übelnehmerischen Genossen ob Calvinos vermeintlicher Hals-über-Kopf-Abtrünnigkeit: Galgengesichtig maulten sie von ihren morschen Barrikaden, er wälze sich in der Frivolität einer weltentfremdeten Nur-Literatur und mache ein moralisches Vakuum daraus. Hatten sie recht? Die Gefahr bestand - und wie glücklich enttäuscht ist man, mit der Ausgabe seiner teils erstmals und immer brillant übersetzten gesammelten Erzählungen "Schwierige Liebschaften" keine bloß raffiniert "postmodern" strukturierten Vergnügungen vor sich zu haben, die sich bis zum beliebigen Undsoweiter in sich selbst spiegeln und selbst bei grüblerischen Akademikern bestenfalls für Minuten angestrengter Erholung sorgen.

Zuweilen Reisen um die Welt auf nur drei, vier Seiten und Wunder an Anmut und Witz, chargieren sie zwischen Realitätsnähe und Phantastik hin und zurück. In der frühen Geschichte "Von gleicher Substanz wie das Blut" breitet sich gleich der ganze Calvino vor uns aus: Nachdem die deutschen Besatzer die Mutter verhaftet haben, flüchten die Söhne in ein Partisanenversteck, wo die halbblinde Großmutter hockt und so viele Greuel in ihrem gnadenlos klaren Gedächtnis bewahrt hat, dass man ihr die Folterung der Tochter durch die SS verschweigt und sich in einer Diskussion über die Weltzeitalter insgeheim das Ende des Krieges erhofft.

Bisweilen freilich entgeht Calvinos "leggerezza", diese Melange aus Leichtigkeit, Frohsinn, Frühlingsgefühl, der Falle des schlichten Kalauerns nicht - etwa wenn eine passionierte Schwimmerin das Unterteil ihres Bikinis verliert und sich ihre Beschämung zu einer solch existenzdurchbohrenden Angst steigert, dass sie stundenlang im Wasser treibt und gar den Selbstmord erwägt. Dann verwandeln sich Calvinos Phantasien in Irrlichter, die kein Leser einzufangen vermag, und man wünscht sich seine Lehrmeister Robert Louis Stevenson und Jorge Luis Borges als Lektoren an seiner Seite, die ihm raten: "Lassen Sie das weg." Und so ist das streng durchkomponierte Bravourstück des Bandes die Schauerkomödie "Die argentinische Ameise", die eine ähnlich schleichende Schockwirkung zu erzielen vermag wie jener Augenblick in Calvinos Roman "Wenn ein Reisender in einer Winternacht", da "du", der durchgängig geduzte Leser, erkennen muss, dass "du" die Internierung und Exekution eines Dissidenten in Indonesien verschuldet hast.

Zwecks Neuanfang zieht ein zerstrittenes Ehepaar mit Kind an die ligurische Küste, die von Endlosarmeen emsiger Riesenameisen bevölkert ist. Im Dauerkrieg gegen sie bilden Nachbarn einander bekämpfende Fraktionen; konstruieren konkurrierende Ameisentötungsmaschinerien; verlieren den Verstand; werden von den Ameisen zerfressen oder nehmen allmählich ihre Gestalt an, bis das Meer, eingedunkelt, voll ist von ihnen - so wie unser Leben oft von kümmerlichstem Daseinseinerlei, das den Blick auf "die Neue Welt eines jeden Morgens" verstellt.

In "Abenteuer eines Poeten" sieht der Dichter Usnelli in der Schönheit seiner geliebten Delia "das blendendste Innere der Sonne", nicht in Worte zu fassen, da "in diesem Inneren der Sonne die Stille war". Immer wollte Calvino seine Leser unter Einsatz aller verbalen Ressourcen dazu bringen, mit angehaltenem Atem über unendliche Weinfelder und das gutmütige Grollen der Brandung auf eine Insel zu schauen, "die aussieht wie ein mit Bergen beladenes Schiff, das weit hinten am Horizont schwebt". Wen verwundert es noch, dass Calvino sein Alter Ego "Palomar", als der, daseinserschöpft, beschlossen hat, die Welt aus den Augen eines Toten zu betrachten, sterben lässt? Damit beendete Calvino sein letztes Buch. "Ohne dich gibt es die Welt gar nicht - also verlier keinen Tag."

MARKUS GASSER.

Italo Calvino: "Schwierige Liebschaften". Sämtliche Erzählungen.

Aus dem Italienischen von Nino Erné, Julia M. Kirchner, Burkhart Kroeber, Helene Moser, Heinz Riedt, Oswalt von Nostiz und Caesar Rymarowicz. Mit einem Nachwort von Volker Breidecker. Carl Hanser Verlag, München 2013. 848 S., geb., 35,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Anlass zur Schwärmerei bieten Italo Calvinos gesammelte Erzählungen aus den Jahren 1948 bis 1970, hier in einer noch vom Autor vorgenommenen Anordnung, für Rezensentin Maike Albath. An der Schwerelosigkeit und Eleganz, an der Märchenhaftigkeit und Erkenntnishaltigkeit der Texte berauscht sich die Rezensentin gern. Ob Calvino die Leiden eines kurzsichtigen Casanovas untersucht, Arbeiter- oder Presseschreiber-Milieus unter die Lupe nimmt oder den Widerstandskämpfern in die ligurischen Berge folgt, immer erkennt und bewundert die Rezensentin die Neugier des Autors, seinen speziellen Blick auf die facettenreiche Realität und seine klare, zeitlose Sprache. Das einige der Texte in diesem Band erstmals auf Deutsch vorliegen, ist für Albath ein kleines Fest.

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