Familiengeschichte ist - wenn man sie richtig zu lesen versteht - ein Buch der Schicksale, der zufälligen Begegnungen und notwendigen Folgen, der Kreuzung von großer und alltäglicher Geschichte, des menschlich Besonderen und Folgenreichen.
Kaum einer der jüngeren Autoren kann so elegant und detailreich über dieses Thema schreiben wie Fridolin Schley: Verbunden sind die fünf langen Erzählungen von 'Schwimmbadsommer' durch sechs kleine Variationen über den Vater; Miniaturen, die Schleys poetisches Deutungsvermögen und seinen Witz in Reinform zeigen. Der Autor versteht es, unserem scheinbar friedlichen Alltag die dramatischen Spannungen abzulauschen, nebenbei wunderschöne Liebesgeschichten schreibt, wie die Tennisgeschichte, bei der der Matchwinner doch der eifersüchtige Verlierer ist.
Kaum einer der jüngeren Autoren kann so elegant und detailreich über dieses Thema schreiben wie Fridolin Schley: Verbunden sind die fünf langen Erzählungen von 'Schwimmbadsommer' durch sechs kleine Variationen über den Vater; Miniaturen, die Schleys poetisches Deutungsvermögen und seinen Witz in Reinform zeigen. Der Autor versteht es, unserem scheinbar friedlichen Alltag die dramatischen Spannungen abzulauschen, nebenbei wunderschöne Liebesgeschichten schreibt, wie die Tennisgeschichte, bei der der Matchwinner doch der eifersüchtige Verlierer ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2003Hauptberuf Sohn
Satzball vergeben: Fridolin Schley erzählt vom Erwachsenwerden
Er ist ein ziemlich braver Bursche, der Erzähler in Fridolin Schleys zweitem Buch, das biographisch anmutende Kurzgeschichten enthält. Ein braver Sohn einer ebenso braven, bildungsbürgerlichen Familie. Die Eltern, beide ehemalige Philosophie-Studenten, lesen gemeinsam mit ihm die Gerechten von Albert Camus "im Wohnzimmer mit verteilten Rollen", bis die Mutter "nach dem Rollbraten sehen" muß. Auch sonst sind die Positionen klar verteilt in Schleys wohlhabendem Münchner Vorstadtkosmos: Die Familie ist Mitglied im örtlichen Tennisverein, kredenzt dem Sprößling vor den Vereinsmeisterschaften "Haferbrei, so wie immer, wenn etwas Wichtiges bevorstand" - und bringt ihm zum Finale "das kleine Handtuch" vorbei.
Der Sohn wiederum bedankt sich bei den Eltern mit einem Pokal, mit einem "Einserabi", mit einer Reportage über Jugendliche im zerbombten Sarajevo, mit der er sich Hoffnungen auf einen Förderpreis für junge Journalisten macht. Und avanciert spätestens dann zum Traum jeder Schwiegermutter, als er beim Schäferstündchen mit der Freundin artig aus Weischedels Philosophischer Hintertreppe vorliest: "Jedesmal, wenn er bei ihr blieb, einen Philosophen." Schleys Rückblick auf ein westdeutsches Heranwachsen in besseren Kreisen wirkt tatsächlich so heile und unangekränkelt von jedweder Anfechtung, als hätte ihm dabei der Drehbuchautor einer "Traumschiff"-Folge für Philosophie-Erstsemester zur Seite gestanden.
Zur pubertären Herausforderung wird hier bereits ein titelspendender "Schwimmbadsommer", in dem der Neuntkläßler die großen Ferien ausnahmsweise einmal daheim verbringen muß: "Abscheulich, dieses Gefühl, im August zuhause aufzuwachen, wie vergessen, wie zum Sommer nicht eingeladen", erinnert sich der junge Mann jammervoll. Ja, abscheulich - doch gibt es nicht größere Probleme? Etwa der für Teenager übliche Generationskonflikt? Schlechte Noten? Zukunftsangst? Gar nagender Liebeskummer? Keine Silbe davon erfährt man von Schleys "Erinnerungstourist" bei der Analyse des eigenen Werdegangs. Wirklich eklige Pickelprobleme haben hier stets andere, deren kleinere und größere Bruchlandungen er dann schildert wie ein Voyeur mit gehörigem Sicherheitsabstand. Als sich etwa ein Klassenkamerad kurz vor dem Abitur mit dem Auto zu Tode rast, entfährt dem Erzähler: "Schon seltsam, die Sache mit der Trauer . . . Bald würde man die Freude über das Einserabi unterdrücken müssen." Es sind solche blasierten Bemerkungen, die Schleys Erzählerfigur schnell als Streber diskreditieren, der kaum persönliche Mängel eingestehen kann.
Ganz offensichtlich ist er an der zentralen Aufgabe des Erwachsenwerdens - der Abnabelung von den Eltern - gescheitert. Nicht weniger als gleich fünf der zehn Kapitel sind im Buch dem Vater gewidmet, unter der wiederkehrenden Überschrift: "Vater ist . . . ". Das klingt nicht umsonst wie "Liebe ist . . .", jener in den achtziger Jahren unter Pärchen beliebten Aphorismen-Serie. Denn egal, mit welchem früheren Idol der Sohn seinen alten Herrn auch vergleicht, ob er nun den Indianerhäuptling Tecumseh heranzieht, den Tennisspieler Ivan Lendl, den Fußballer Frank Mill, James Dean oder John F. Kennedy: Vati ist und bleibt für ihn immer noch der Größte. Neben einem "Schelmencharme", einer Ähnlichkeit mit "dem fabelhaften Robert Redford", bundesligareifen Fußballerqualitäten und anderen Heldentaten billigt der Filius ihm sogar die Befähigung zu, zu "küssen, als hätte er die entsprechende Fakultas mit Prädikat erworben". Kurzum: Dieser Vater wirkt wie aus dem California-Dreamboy-Kalender entsprungen.
Und die übertriebene Hommage des Sohnes an ihn ist leider gar nicht ironisch gemeint. Schließlich hat Schley, Jahrgang 1976, nachweislich ein Faible dafür, den Biographien von Eltern und Großeltern nachzuspüren. Schon sein Debütroman "Verloren, mein Vater" war der Bericht eines Sohnes, der das unverhoffte Verschwinden des Vaters nutzt, um seiner Herkunft genauer auf die Schliche zu kommen. Doch war Schleys Tonfall damals längst nicht so dünkelhaft wie diesmal, wo sein Erzähler explizit "stolz" darauf ist, von einem "dollen Studenten" abzustammen. Man fragt sich im Zweitling unwillkürlich, wie ein Lektor eigentlich so viel an Selbstgefälligkeit überlesen konnte, die um so ärgerlicher anmutet, als der bereits mehrfach prämierte Nachwuchsautor durchaus Schreibtalent besitzt.
Das wird besonders in "Schöner Ball" deutlich, der einzig wirklich gelungenen Geschichte des Bandes. Endlich bekommt der berichtende Sohn einmal den altklugen Kopf aus den Büchern und kassiert überdies eine echte Niederlage. Auch wenn er das Juniorenfinale der Gautinger Tennismeisterschaften noch bravourös gewinnt, weil er plötzlich jene "Rückhand von Stefan Edberg" beherrscht, um die er andere sonst nur beneidet, geht der Erfolgsverwöhnte diesmal als Verlierer vom Platz: Denn nach dem "Spielrausch" holt ihn die bittere Erkenntnis ein, daß es immer noch etwas "anderes auf der Welt gibt, das Eifersucht verdient". Dieses Etwas heißt in seinem Fall Martina, ist "eine gänzlich andere Form von Mensch" - und dummerweise nicht in ihn, sondern seinen geschlagenen Gegner verliebt.
Es sind genau solche, fast unmerkliche Umschlagspunkte, die aus Biographien unverhofft Schicksale machen - und aus Pubertätsgeschichten mit einem Mal Literatur. Doch Schreiben so ganz ohne Risiko, so ganz ohne Preisgabe seiner selbst und vor allem ohne dabei die Hand des Vaters jemals ganz loszulassen, geht eben einfach nicht.
GISA FUNCK
Fridolin Schley: "Schwimmbadsommer". Erzählungen. Verlag C. H. Beck, München 2003. 240 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Satzball vergeben: Fridolin Schley erzählt vom Erwachsenwerden
Er ist ein ziemlich braver Bursche, der Erzähler in Fridolin Schleys zweitem Buch, das biographisch anmutende Kurzgeschichten enthält. Ein braver Sohn einer ebenso braven, bildungsbürgerlichen Familie. Die Eltern, beide ehemalige Philosophie-Studenten, lesen gemeinsam mit ihm die Gerechten von Albert Camus "im Wohnzimmer mit verteilten Rollen", bis die Mutter "nach dem Rollbraten sehen" muß. Auch sonst sind die Positionen klar verteilt in Schleys wohlhabendem Münchner Vorstadtkosmos: Die Familie ist Mitglied im örtlichen Tennisverein, kredenzt dem Sprößling vor den Vereinsmeisterschaften "Haferbrei, so wie immer, wenn etwas Wichtiges bevorstand" - und bringt ihm zum Finale "das kleine Handtuch" vorbei.
Der Sohn wiederum bedankt sich bei den Eltern mit einem Pokal, mit einem "Einserabi", mit einer Reportage über Jugendliche im zerbombten Sarajevo, mit der er sich Hoffnungen auf einen Förderpreis für junge Journalisten macht. Und avanciert spätestens dann zum Traum jeder Schwiegermutter, als er beim Schäferstündchen mit der Freundin artig aus Weischedels Philosophischer Hintertreppe vorliest: "Jedesmal, wenn er bei ihr blieb, einen Philosophen." Schleys Rückblick auf ein westdeutsches Heranwachsen in besseren Kreisen wirkt tatsächlich so heile und unangekränkelt von jedweder Anfechtung, als hätte ihm dabei der Drehbuchautor einer "Traumschiff"-Folge für Philosophie-Erstsemester zur Seite gestanden.
Zur pubertären Herausforderung wird hier bereits ein titelspendender "Schwimmbadsommer", in dem der Neuntkläßler die großen Ferien ausnahmsweise einmal daheim verbringen muß: "Abscheulich, dieses Gefühl, im August zuhause aufzuwachen, wie vergessen, wie zum Sommer nicht eingeladen", erinnert sich der junge Mann jammervoll. Ja, abscheulich - doch gibt es nicht größere Probleme? Etwa der für Teenager übliche Generationskonflikt? Schlechte Noten? Zukunftsangst? Gar nagender Liebeskummer? Keine Silbe davon erfährt man von Schleys "Erinnerungstourist" bei der Analyse des eigenen Werdegangs. Wirklich eklige Pickelprobleme haben hier stets andere, deren kleinere und größere Bruchlandungen er dann schildert wie ein Voyeur mit gehörigem Sicherheitsabstand. Als sich etwa ein Klassenkamerad kurz vor dem Abitur mit dem Auto zu Tode rast, entfährt dem Erzähler: "Schon seltsam, die Sache mit der Trauer . . . Bald würde man die Freude über das Einserabi unterdrücken müssen." Es sind solche blasierten Bemerkungen, die Schleys Erzählerfigur schnell als Streber diskreditieren, der kaum persönliche Mängel eingestehen kann.
Ganz offensichtlich ist er an der zentralen Aufgabe des Erwachsenwerdens - der Abnabelung von den Eltern - gescheitert. Nicht weniger als gleich fünf der zehn Kapitel sind im Buch dem Vater gewidmet, unter der wiederkehrenden Überschrift: "Vater ist . . . ". Das klingt nicht umsonst wie "Liebe ist . . .", jener in den achtziger Jahren unter Pärchen beliebten Aphorismen-Serie. Denn egal, mit welchem früheren Idol der Sohn seinen alten Herrn auch vergleicht, ob er nun den Indianerhäuptling Tecumseh heranzieht, den Tennisspieler Ivan Lendl, den Fußballer Frank Mill, James Dean oder John F. Kennedy: Vati ist und bleibt für ihn immer noch der Größte. Neben einem "Schelmencharme", einer Ähnlichkeit mit "dem fabelhaften Robert Redford", bundesligareifen Fußballerqualitäten und anderen Heldentaten billigt der Filius ihm sogar die Befähigung zu, zu "küssen, als hätte er die entsprechende Fakultas mit Prädikat erworben". Kurzum: Dieser Vater wirkt wie aus dem California-Dreamboy-Kalender entsprungen.
Und die übertriebene Hommage des Sohnes an ihn ist leider gar nicht ironisch gemeint. Schließlich hat Schley, Jahrgang 1976, nachweislich ein Faible dafür, den Biographien von Eltern und Großeltern nachzuspüren. Schon sein Debütroman "Verloren, mein Vater" war der Bericht eines Sohnes, der das unverhoffte Verschwinden des Vaters nutzt, um seiner Herkunft genauer auf die Schliche zu kommen. Doch war Schleys Tonfall damals längst nicht so dünkelhaft wie diesmal, wo sein Erzähler explizit "stolz" darauf ist, von einem "dollen Studenten" abzustammen. Man fragt sich im Zweitling unwillkürlich, wie ein Lektor eigentlich so viel an Selbstgefälligkeit überlesen konnte, die um so ärgerlicher anmutet, als der bereits mehrfach prämierte Nachwuchsautor durchaus Schreibtalent besitzt.
Das wird besonders in "Schöner Ball" deutlich, der einzig wirklich gelungenen Geschichte des Bandes. Endlich bekommt der berichtende Sohn einmal den altklugen Kopf aus den Büchern und kassiert überdies eine echte Niederlage. Auch wenn er das Juniorenfinale der Gautinger Tennismeisterschaften noch bravourös gewinnt, weil er plötzlich jene "Rückhand von Stefan Edberg" beherrscht, um die er andere sonst nur beneidet, geht der Erfolgsverwöhnte diesmal als Verlierer vom Platz: Denn nach dem "Spielrausch" holt ihn die bittere Erkenntnis ein, daß es immer noch etwas "anderes auf der Welt gibt, das Eifersucht verdient". Dieses Etwas heißt in seinem Fall Martina, ist "eine gänzlich andere Form von Mensch" - und dummerweise nicht in ihn, sondern seinen geschlagenen Gegner verliebt.
Es sind genau solche, fast unmerkliche Umschlagspunkte, die aus Biographien unverhofft Schicksale machen - und aus Pubertätsgeschichten mit einem Mal Literatur. Doch Schreiben so ganz ohne Risiko, so ganz ohne Preisgabe seiner selbst und vor allem ohne dabei die Hand des Vaters jemals ganz loszulassen, geht eben einfach nicht.
GISA FUNCK
Fridolin Schley: "Schwimmbadsommer". Erzählungen. Verlag C. H. Beck, München 2003. 240 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Als erstaunlich harmlos und "ungewöhnlich affirmativ" schildert Sebastian Domsch die Prosa von Fridolin Frey, der seines Erachtens zu der Generation der jüngeren Schriftsteller zählt, denen die Eltern keine Feindbilder mehr darstellen und die diesbezüglich entsprechend wenig Konfliktstoff empfinden. Mit "affirmativ" meint Domsch denn auch die liebevolle Ehrung des Vaters allgemein, denn zwischen die fünf längeren Erzählungen hat Frey kleine Miniaturen geklemmt, die den Vater - stets positiv - in den verschiedensten Rollen zeigen: als Lehrmeister und Spielgefährten, als Indianerhäuptling, Ivan Lendl oder auch JFK. Diese liebevollen Skizzen gefallen Domsch, weil sie "gänzlich unpathetisch" ausfallen, wie er sagt. In den eigentlichen Erzählungen käme dagegen manchmal etwas Leerlauf auf, da es Frey doch an Reibung mit seiner Umgebung zu fehlen scheine. Was passieren könnte, wenn sich Frey von der privaten Vergangenheitsbewältigung, wo es ja nicht viel zu bewältigen gilt, wie es scheint, freigeschrieben hat, deutet sich für Domsch in der vorletzten Erzählung "Bis Hicki kommt" an. Hier verlässt Frey das Münchener Milieu und gerät in den deutschen Osten: unglaubhaft, befindet Domsch, und viel zu harmlos.
© Perlentaucher Medien GmbH
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