Die Herausforderungen des Schwimmbadbaus sind vielfältig. Denn Menschen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen treffen sich in öffentlichen Bädern - zur Erholung oder zur sportlichen Betätigung. Und auch im Laufe der Zeiten haben sich die Auffassungen darüber, was ein öffentliches Bad leisten soll, stets geändert.
Matthias Oloew liefert in seinem Buch eine umfassende Darstellung der Bau- und Architekturgeschichte des Schwimmbads. Im Zentrum stehen die vielfältigen Bezüge zwischen Architektur und Ausstattung der Bäder einerseits und dem Wandel gesellschaftlicher Strukturen und politischer Systeme andererseits. Die Bauaufgabe hat sich deswegen immer wieder verändert und musste sich gelegentlich neu erfinden, um ihrer Funktion als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge gerecht zu werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Matthias Oloew liefert in seinem Buch eine umfassende Darstellung der Bau- und Architekturgeschichte des Schwimmbads. Im Zentrum stehen die vielfältigen Bezüge zwischen Architektur und Ausstattung der Bäder einerseits und dem Wandel gesellschaftlicher Strukturen und politischer Systeme andererseits. Die Bauaufgabe hat sich deswegen immer wieder verändert und musste sich gelegentlich neu erfinden, um ihrer Funktion als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge gerecht zu werden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2019Der gemeinschaftliche Drang zum Wasser
Gleichberechtigung in Badehose: Matthias Oloew hat zweihundert Jahre Baugeschichte deutscher Frei- und Hallenbäder erforscht und herausgefunden, wie wichtig diese für die kommunale Daseinsvorsorge sind.
Sie gehören, zumal in diesen Tagen, zu den angenehmen Selbstverständlichkeiten vieler Städte: Schwimmbäder. Es sind klassenlose Orte, die Menschen dazu einladen, sich in ihrer freigelegten, schutzlosen Körperlichkeit sowohl ins Wasser wie auch in Gesellschaft zu begeben. "Frei und gleichberechtigt" soll dieses Erlebnis sein, und so lautet auch der Titel einer beeindruckenden Dissertation über die Architekturgeschichte dieser Einrichtung, die nun unter der eingängigen Überschrift "Schwimmbäder" erschienen ist. Der Historiker Matthias Oloew, von Beruf Pressesprecher der Berliner Bäderbetriebe, vollzieht nach, wie sich die Bauaufgabe "öffentliches Bad" entwickelt hat, und konzentriert sich dafür, von exemplarischen Ausnahmen abgesehen, auf städtische Hallenoder Freibäder in Deutschland.
Für seine Analyse wählt er einen überzeugenden Kristallisationspunkt: die kommunale Daseinsvorsorge. Denn auch wenn dem menschlichen Drang zum Wasser schon die römische Antike mit dem Bau von Thermen nachkam - das gemeinschaftliche Baden in der Neuzeit wird erst mit der aufkommenden Industrialisierung wiederentdeckt, als sich die hygienischen Zustände in den immer dichter bevölkerten Städten zur Katastrophe auswachsen. In den ersten, um 1830 gegründeten Badeanstalten, mit denen Oloews Rückblick beginnt, geht es nicht um Leibesübungen, sondern um die Reinigung mit Wasser und Kernseife, selbstredend streng nach Geschlechtern und sozialem Stand getrennt. Doch schon bald werden die für das sogenannte Volksbad strukturell prägenden Vorkehrungen - Badewannen und Brausebäder - um Schwimmbecken ergänzt. Es ist die Zeit, in der sich neue medizinische Erkenntnisse in Sachen Prävention und Gesunderhaltung durchsetzen und sowohl die sportliche Ertüchtigung als auch die Sorge um den eigenen Körper keine alleinigen Privilegien der besseren Gesellschaft mehr sind.
Dass sich in seinen Schilderungen der Anfänge des öffentlichen Badewesens in Deutschland kein Hinweis darauf findet, dass in den besagten Zeitraum auch die Gründung des Kaiserreichs fällt und sich in der Folge die Aufgaben des Staates neu sortieren, verwundert zunächst, doch der Autor hält die politische Zeitgeschichte auch in den folgenden Kapiteln konsequent auf Abstand: Wenn in dieser Retrospektive überhaupt von Zäsuren die Rede sein kann, folgen sie der Bauhistorie.
Oloew definiert mit der Zeit bis 1918, den Zwischenkriegsjahren und der bis in die Gegenwart reichenden Nachkriegsära drei voneinander abgrenzbare Epochen der Schwimmbadarchitektur, deren jeweils prägende Bauten er mit großer Lust an der ungeheuren Fülle seines Materials untersucht. Von der Palazzo-Pracht gründerzeitlicher Volksbäder über die Sportschwimmhallen der reformerischen Moderne bis hin zu den funktionalistischen Hallenbad-Vitrinen der Nachkriegsjahrzehnte - an ihrer Architektur lässt sich die Karriere der öffentlichen Badeanstalt von einer Institution der Volkshygiene zu einem Ort der Reproduktion nachvollziehen, ganz im Sinne des Modernisten Sigfried Giedions, der 1935 anlässlich der Ausstellung "Das Bad von heute" eine Lebensweise des "brutalen Menschenverbrauchs" beklagt, die das öffentliche Bad mit dem Angebot "totaler Regeneration" kompensieren soll.
Sowohl die jeweiligen Entstehungsbedingungen als auch die planerische Leistung belegt der Verfasser mit zahlreichen Quellen und Bildmaterial, so für das typologisch prägende Stadtbad Mitte in Berlin von Carlo Jelkmann und Heinrich Tessenow (1930), das von Max Frisch geplante Freibad am Letziggraben in Zürich (1949) und die großmannssüchtige "Schwimmoper" in Wuppertal (1957) von Friedrich Hetzelt und Fritz Leonhardt. Neben den Archivalien und Planungsunterlagen von mehreren Dutzend exemplarischer Bäderbauten hat Oloew auch Protokolle von Gremiensitzungen und kommunalpolitischen Abstimmungen studiert - sein Werk dürfte im Hinblick auf Umfang und systematische Gründlichkeit einzigartig sein. Dennoch gerät ihm mit seiner stupenden Revue von Einzelbauwerken die gleich zu Anfang formulierte und vielleicht fruchtbarste Frage seiner Arbeit ein wenig aus dem Blick: "Gibt es eine erkennbare Architektur der Daseinsvorsorge, vielleicht sogar eine Architekturikonografie der Daseinsvorsorge?" Dafür müsste er sich freilich mit einem Begriff auseinandersetzen, mit dem er, obwohl er sich explizit davon leiten lässt, freimütig hadert, geht doch der Terminus "Daseinsvorsorge" auf das Jahr 1938 zurück, als der Jurist Ernst Forsthoff einen Leistungskatalog unveräußerlicher, existenzsichernder Dienste für die Kommunalverwaltungen aufsetzt. "Die Jahreszahl deutet es an: Daseinsvorsorge ist ein problematischer Begriff", und zwar nicht nur wegen seiner Entstehungszeit, "sondern weil er schwammig ist."
An dieser Stelle hätte man sich einen beherzteren Zugriff auf die allumfassende Bedingtheit des Begriffs gewünscht, denn was Daseinsvorsorge an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten zu leisten hat - und das ist eigentlich der heuristische Vorteil dieser historisch und politisch elastischen Kategorie -, erzählt viel über die Verfasstheit einer Gesellschaft und der Aufgaben, die sie sich mit Blick auf ihr Gedeihen gibt. Dementsprechend gehört das Schwimmbad in einen Betrachtungszusammenhang mit den baulichen Manifestationen anderer städtischer Versorgungsinstitutionen, von Theatern über Parks bis hin zu den Bauten kommunaler Wasser- und Elektrizitätswerke. Dass er sich dann doch ausschließlich auf das Schwimmbad konzentriert, schmälert die dokumentarische Leistung dieses Buches keinesfalls.
Seine Schlussbemerkungen widmet der Autor den gestalterischen Prinzipien eines zeitgemäßen Schwimmbads der Daseinsvorsorge - erlebnisorientiert, urban, rational, räumlich differenziert - und fragt, welcher baulichen Vorkehrungen es bedarf, damit zum Beispiel auch strenggläubige Musliminnen in seinen Genuss kommen können. Dass ihm als Antwort nur der Verweis auf die quasi-wilhelminische, blickdichte Absonderung einzelner Nutzergruppen wie im Volksbad der Gründerzeit bleibt, scheint ihn selbst zu überraschen.
CORNELIA DÖRRIES.
Matthias Oloew: "Schwimmbäder".
200 Jahre Architekturgeschichte des öffentlichen Bades.
Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2019. 392 S., Abb., geb., 79, - [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gleichberechtigung in Badehose: Matthias Oloew hat zweihundert Jahre Baugeschichte deutscher Frei- und Hallenbäder erforscht und herausgefunden, wie wichtig diese für die kommunale Daseinsvorsorge sind.
Sie gehören, zumal in diesen Tagen, zu den angenehmen Selbstverständlichkeiten vieler Städte: Schwimmbäder. Es sind klassenlose Orte, die Menschen dazu einladen, sich in ihrer freigelegten, schutzlosen Körperlichkeit sowohl ins Wasser wie auch in Gesellschaft zu begeben. "Frei und gleichberechtigt" soll dieses Erlebnis sein, und so lautet auch der Titel einer beeindruckenden Dissertation über die Architekturgeschichte dieser Einrichtung, die nun unter der eingängigen Überschrift "Schwimmbäder" erschienen ist. Der Historiker Matthias Oloew, von Beruf Pressesprecher der Berliner Bäderbetriebe, vollzieht nach, wie sich die Bauaufgabe "öffentliches Bad" entwickelt hat, und konzentriert sich dafür, von exemplarischen Ausnahmen abgesehen, auf städtische Hallenoder Freibäder in Deutschland.
Für seine Analyse wählt er einen überzeugenden Kristallisationspunkt: die kommunale Daseinsvorsorge. Denn auch wenn dem menschlichen Drang zum Wasser schon die römische Antike mit dem Bau von Thermen nachkam - das gemeinschaftliche Baden in der Neuzeit wird erst mit der aufkommenden Industrialisierung wiederentdeckt, als sich die hygienischen Zustände in den immer dichter bevölkerten Städten zur Katastrophe auswachsen. In den ersten, um 1830 gegründeten Badeanstalten, mit denen Oloews Rückblick beginnt, geht es nicht um Leibesübungen, sondern um die Reinigung mit Wasser und Kernseife, selbstredend streng nach Geschlechtern und sozialem Stand getrennt. Doch schon bald werden die für das sogenannte Volksbad strukturell prägenden Vorkehrungen - Badewannen und Brausebäder - um Schwimmbecken ergänzt. Es ist die Zeit, in der sich neue medizinische Erkenntnisse in Sachen Prävention und Gesunderhaltung durchsetzen und sowohl die sportliche Ertüchtigung als auch die Sorge um den eigenen Körper keine alleinigen Privilegien der besseren Gesellschaft mehr sind.
Dass sich in seinen Schilderungen der Anfänge des öffentlichen Badewesens in Deutschland kein Hinweis darauf findet, dass in den besagten Zeitraum auch die Gründung des Kaiserreichs fällt und sich in der Folge die Aufgaben des Staates neu sortieren, verwundert zunächst, doch der Autor hält die politische Zeitgeschichte auch in den folgenden Kapiteln konsequent auf Abstand: Wenn in dieser Retrospektive überhaupt von Zäsuren die Rede sein kann, folgen sie der Bauhistorie.
Oloew definiert mit der Zeit bis 1918, den Zwischenkriegsjahren und der bis in die Gegenwart reichenden Nachkriegsära drei voneinander abgrenzbare Epochen der Schwimmbadarchitektur, deren jeweils prägende Bauten er mit großer Lust an der ungeheuren Fülle seines Materials untersucht. Von der Palazzo-Pracht gründerzeitlicher Volksbäder über die Sportschwimmhallen der reformerischen Moderne bis hin zu den funktionalistischen Hallenbad-Vitrinen der Nachkriegsjahrzehnte - an ihrer Architektur lässt sich die Karriere der öffentlichen Badeanstalt von einer Institution der Volkshygiene zu einem Ort der Reproduktion nachvollziehen, ganz im Sinne des Modernisten Sigfried Giedions, der 1935 anlässlich der Ausstellung "Das Bad von heute" eine Lebensweise des "brutalen Menschenverbrauchs" beklagt, die das öffentliche Bad mit dem Angebot "totaler Regeneration" kompensieren soll.
Sowohl die jeweiligen Entstehungsbedingungen als auch die planerische Leistung belegt der Verfasser mit zahlreichen Quellen und Bildmaterial, so für das typologisch prägende Stadtbad Mitte in Berlin von Carlo Jelkmann und Heinrich Tessenow (1930), das von Max Frisch geplante Freibad am Letziggraben in Zürich (1949) und die großmannssüchtige "Schwimmoper" in Wuppertal (1957) von Friedrich Hetzelt und Fritz Leonhardt. Neben den Archivalien und Planungsunterlagen von mehreren Dutzend exemplarischer Bäderbauten hat Oloew auch Protokolle von Gremiensitzungen und kommunalpolitischen Abstimmungen studiert - sein Werk dürfte im Hinblick auf Umfang und systematische Gründlichkeit einzigartig sein. Dennoch gerät ihm mit seiner stupenden Revue von Einzelbauwerken die gleich zu Anfang formulierte und vielleicht fruchtbarste Frage seiner Arbeit ein wenig aus dem Blick: "Gibt es eine erkennbare Architektur der Daseinsvorsorge, vielleicht sogar eine Architekturikonografie der Daseinsvorsorge?" Dafür müsste er sich freilich mit einem Begriff auseinandersetzen, mit dem er, obwohl er sich explizit davon leiten lässt, freimütig hadert, geht doch der Terminus "Daseinsvorsorge" auf das Jahr 1938 zurück, als der Jurist Ernst Forsthoff einen Leistungskatalog unveräußerlicher, existenzsichernder Dienste für die Kommunalverwaltungen aufsetzt. "Die Jahreszahl deutet es an: Daseinsvorsorge ist ein problematischer Begriff", und zwar nicht nur wegen seiner Entstehungszeit, "sondern weil er schwammig ist."
An dieser Stelle hätte man sich einen beherzteren Zugriff auf die allumfassende Bedingtheit des Begriffs gewünscht, denn was Daseinsvorsorge an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten zu leisten hat - und das ist eigentlich der heuristische Vorteil dieser historisch und politisch elastischen Kategorie -, erzählt viel über die Verfasstheit einer Gesellschaft und der Aufgaben, die sie sich mit Blick auf ihr Gedeihen gibt. Dementsprechend gehört das Schwimmbad in einen Betrachtungszusammenhang mit den baulichen Manifestationen anderer städtischer Versorgungsinstitutionen, von Theatern über Parks bis hin zu den Bauten kommunaler Wasser- und Elektrizitätswerke. Dass er sich dann doch ausschließlich auf das Schwimmbad konzentriert, schmälert die dokumentarische Leistung dieses Buches keinesfalls.
Seine Schlussbemerkungen widmet der Autor den gestalterischen Prinzipien eines zeitgemäßen Schwimmbads der Daseinsvorsorge - erlebnisorientiert, urban, rational, räumlich differenziert - und fragt, welcher baulichen Vorkehrungen es bedarf, damit zum Beispiel auch strenggläubige Musliminnen in seinen Genuss kommen können. Dass ihm als Antwort nur der Verweis auf die quasi-wilhelminische, blickdichte Absonderung einzelner Nutzergruppen wie im Volksbad der Gründerzeit bleibt, scheint ihn selbst zu überraschen.
CORNELIA DÖRRIES.
Matthias Oloew: "Schwimmbäder".
200 Jahre Architekturgeschichte des öffentlichen Bades.
Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2019. 392 S., Abb., geb., 79, - [Euro].
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