Sie gehört zu den viel gepriesenen jungen deutschen Autorinnen; gleich ihr erster Roman wurde stark beachtet und mit dem Niedersächsischen Förderpreis für Literatur ausgezeichnet. Kirsten John erzählt in ihrem ungewöhnlichen Debüt die Geschichte der Kunststudentin Katharina, die in ihren Bildern Zuflucht findet vor einer Angst auslösenden Realität. Denn sie ist nur scheinbar glücklich verheiratet, nur scheinbar versöhnt mit ihrer schwierigen Kindheit. In Wahrheit bieten ihr nur die Bilder Zuflucht vor ihrem besitzergreifenden Mann und den Zwängen der Vergangenheit. Erst als ihr verschollener Bruder auftaucht, erinnert sie sich an das Aufbegehren. Mit flammend roten Strichen befreit sie sich endlich aus der Abhängigkeit und lernt das Schwimmen in Blau.
Doppelter Betrug: Kirsten Johns schwermütiges Romandebüt
Katharina, die Ich-Erzählerin des ersten Romans von Kirsten John, muß "schwimmen lernen in Blau", um nicht unterzugehen in Verzweiflung und Depression. Sie malt Bilder "nicht von dieser Welt", wie ihr Kunstlehrer findet, dessen Modell, Geliebte und schließlich Ehefrau sie wird. Sie sei seine Muse, versichert er, was ihn jedoch nicht hindert, sie mit anderen Kunstschülerinnen zu betrügen. Er hält sie für hoch begabt, zwingt sie aber dazu, in "seiner Welt neu geboren" zu werden, und scheut nicht davor zurück, ihre Bilder unter seinem Namen zu verkaufen. Sie läßt es zu, daß er sie doppelt betrügt. Auch weniger Belastete als Katharina flüchten unter solchen Umständen in Krankheiten wie Depressionen.
Kirsten John erzählt Katharinas traurige Geschichte bemerkenswert sprachmächtig im Wechsel zwischen Szenen aus ihrer Kindheit und aus ihrer Entwicklung als Malerin. Ein düsteres Spannungsfeld entsteht da, in welchem die fast psychoanalytisch aufgearbeitete, traumatische Vergangenheit die Gegenwart ständig bedroht.
Gutbürgerliche Elternhäuser können die Hölle sein, und liebesunfähige Eltern zerstören nicht selten das Leben ihrer Kinder. Katharina fühlt sich einzig von ihrem Onkel Daniel verstanden. Doch dieser ist selbst ein Unverstandener, ein verstoßener Außenseiter. Und die Großmutter, bei der vermutlich das ganze Familienunglück beginnt, scheint zur Spezies der boshaften Hexen zu gehören. Tod und Beerdigung der alten Frau treiben die Konflikte auf einen Höhepunkt und zerreißen die Familienbande endgültig, in einer Szene, die auch als Groteske gelesen werden kann und deshalb ein kurzes Lachen erlaubt. Ansonsten mangelt es diesem Roman an jeglicher Spur von Humor; "Leben lernen trotz Grau in Grau" wäre ein treffenderer Titel. Zum Schluß gibt es aber doch noch einen Hoffnungsschimmer: Bei der treuen Freundin darf sich Katharina von ihrer Depression erholen, und vielleicht wird ihr ein Kurs über die "Malerei des Nordischen Symbolismus" neuen Lebensmut geben.
MARIA FRISÉ
Kirsten John: "Schwimmen lernen in Blau". Roman. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart und München 2001. 223 S., geb., 18,90
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