Ausgezeichnet mit dem Bayerischen Buchpreis - Ein tiefgründiger, dabei humorvoller Roman über die Kraft der Kunst in dunklen Zeiten
Wie fängt man eine Zukunft an, die eigentlich schon aufgehört hat? Mit einem Streifen Meer zwischen sich und seiner Heimat, seiner Sprache, sich selbst? Kurt Schwitters ist 49, als ihn die Nationalsozialisten zur Flucht aus Hannover zwingen. Sein Erfolg, Werk, Besitz, die Eltern und seine Frau Helma bleiben zurück. Die Kunst weicht der Kunst des Überlebens. In Norwegen, London und endlich dem Lake District beginnt Schwitters' zweites Leben in fremder Sprache. Wantee, die neue Frau an seiner Seite, hält ihn auf Kurs und seinen Kopf über Wasser, selbst als der Wortkünstler verstummt. Im Merzbau hat Schwitters einen anderen Weg gefunden, um Himmel und Heiterkeit, das Funkeln der Wiesen und die Durchsichtigkeit der Luft einzufangen. Mit irrwitziger Disziplin, bis zur Erschöpfung. Wer ihn dabei beobachtet, begreift: Kunst bildet die Welt nicht nach. Sie übersetzt sie in Formen, die uns berühren.
In ihrem Roman folgt Ulrike Draesner dem Schriftsteller und bildenden Künstler Kurt Schwitters ins Exil. Es sprechen Kurt, seine Frau, sein Sohn, seine Geliebte. In einer virtuosen Mischung aus Fakten und Fiktion entsteht das Panorama einer Zeit, in der angesichts einer brennenden Welt neu um Freiheit und Kultur gerungen wird. Ein tiefgründiger, dabei humorvoller Roman über die Kraft der Kunst, darüber, wie sie entsteht und was sie vermag.
Ausstattung: Mit farbigem Poster im Umschlag
Wie fängt man eine Zukunft an, die eigentlich schon aufgehört hat? Mit einem Streifen Meer zwischen sich und seiner Heimat, seiner Sprache, sich selbst? Kurt Schwitters ist 49, als ihn die Nationalsozialisten zur Flucht aus Hannover zwingen. Sein Erfolg, Werk, Besitz, die Eltern und seine Frau Helma bleiben zurück. Die Kunst weicht der Kunst des Überlebens. In Norwegen, London und endlich dem Lake District beginnt Schwitters' zweites Leben in fremder Sprache. Wantee, die neue Frau an seiner Seite, hält ihn auf Kurs und seinen Kopf über Wasser, selbst als der Wortkünstler verstummt. Im Merzbau hat Schwitters einen anderen Weg gefunden, um Himmel und Heiterkeit, das Funkeln der Wiesen und die Durchsichtigkeit der Luft einzufangen. Mit irrwitziger Disziplin, bis zur Erschöpfung. Wer ihn dabei beobachtet, begreift: Kunst bildet die Welt nicht nach. Sie übersetzt sie in Formen, die uns berühren.
In ihrem Roman folgt Ulrike Draesner dem Schriftsteller und bildenden Künstler Kurt Schwitters ins Exil. Es sprechen Kurt, seine Frau, sein Sohn, seine Geliebte. In einer virtuosen Mischung aus Fakten und Fiktion entsteht das Panorama einer Zeit, in der angesichts einer brennenden Welt neu um Freiheit und Kultur gerungen wird. Ein tiefgründiger, dabei humorvoller Roman über die Kraft der Kunst, darüber, wie sie entsteht und was sie vermag.
Ausstattung: Mit farbigem Poster im Umschlag
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für Rezensent Stefan Trinks unternimmt Ulrike Draesner nicht weniger, als dem im Exil verstummten Sprachkünstler Kurt Schwitters seine Sprache zurückzugeben. Dabei findet Trinks Draesners Roman sprachlich gar nicht durchweg schön. Doch darum kann es nicht gehen, findet er, wenn es um Schwitters geht. Draesner macht das ganz gut, so Trinks, Schwitters' Kunst und Denken und Sprache in den Text hineinzunehmen. Und Autofiktion ist hier sowieso angebracht, weil die Quellen schwach sind, erklärt Trinks. Für den Rezensenten ein fesselndes, das tragische "Seelendrama" im Exil glaubwürdig und nachfühlbar wiedergebendes Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2020Der Mann mit zwei Gräbern
Ulrike Draesners neuer Roman erzählt von Flucht und Exil des Jahrhundertkünstlers Kurt Schwitters.
Von Stefan Trinks
Wie kommt man gratis ins Kino? Diesen Aphorismus von Kurt Schwitters stellt Ulrike Draesner ihrem autofiktionalen Roman über den Künstler voran. Da seine Antwort "Durch den Ausgang" lautete, ist das Motto des Buches gesetzt. Schwitters, seit 72 Jahren tot, war der große Vertikulierer der Welt und ihrer Kunst. ANNA war ihm immer lieber von hinten als von vorn. Mit seiner Ursonate stellte er - obwohl von den Dadaisten offiziell abgelehnt - die Musik auf den Kopf und erfand nebenbei die Klangskulptur der Moderne. Mit seinen im Atelier der elterlichen Villa in Hannover durch drei Stockwerke wuchernden MERZbau (eine Neuwortfindung, gewonnen aus dem hinteren Ende von "Kommerz- und Privatbank") nahm er die Idee der Rauminstallationen und "Environments" der Jetztzeit vorweg. Dass die Pop-Art nicht in Warhol, vielmehr in des Briten Richard Hamiltons Collage "What is it that makes today's homes so different, so appealing?" 1956 ihre Initialzündung hatte, wissen die Engländer; sie wissen aber ebenso, dass sich Hamiltons auch sprachkünstlerisches Werk den Collagen von Schwitters verdankte, die auf der Insel jedes Kind kennt.
Nicht zuletzt verkörperte der Künstler im norwegischen Exil und insbesondere in England auch "den anderen Deutschen", die exakte Kehrseite eines stolzbesoffenen Nationalsozialisten. All diese Schwitter'schen Innovationen der Kunst sowie die von ihm entworfenen Gegenbilder sind kunstvoll eingewoben in Ulrike Draesners Blick in den Kopf des Universalkünstlers und der Versprachlichung von dessen mutmaßlichen Gedanken, die unser aller Überlegungen sein könnten.
Vielleicht kann man sich einem solchen Künstler wirklich nur über die Form der Autofiktion nähern, denn obschon ein Gerüst von festen biographischen Fakten existiert, sind seit Schwitters' Exil von 1937 an belastbare schriftliche Quellen karg - es ist beispielsweise nicht einmal klar, ob sein Körper in dem Grab in England oder in jenem in Hannover ruht. Das Exil bildet den Ausgangspunkt für Draesners fesselnden Roman, und wie der innerlich zerrissene, heimatverbundene Schwitters angesichts der nebenan vonstatten gehenden Ausräumung einer jüdischen Villa die ersten fünfzig Seiten lang mit sich ringt, ob Exil oder nicht und wenn ja, mit wie vielen, ist großes, jederzeit nachfühlbares Seelendrama: Der Sohn Ernst, Kommunist, muss mit nach Norwegen, die - anders als er - treue Ehefrau Helma, geschützt durch ihre Partei-Mutter, soll Schwitters' vier ererbte Mietshäuser als Einkommensquelle verwalten, nachdem er als Gestalter bei Pelikan entlassen wurde.
Nicht alle Leser werden solche stakkatohaften Satzkettenglieder schön finden: "Ein grauer Lastwagen. Scheint etwas zu suchen, so langsam wie er fährt. Kein Firmenname, keine Aufschrift. Jeder macht Werbung, manche nicht." Das klingt, als wäre die Autorin mit dem Exilanten zusammen auf der Flucht. Oft stellt sich der Eindruck ein, die gehetzt rohen Passagen dienten lediglich als Behelfsbrücken, um das sprachliche Gold an ihrem Ende umso faszinierender schimmern zu lassen, was dem im Kern tragischen Stoff - Schwitters muss neunundvierzigjährig sein gesamtes Werk zurücklassen und verstummt mindestens als Sprachkünstler völlig in der fremden Zunge - stilistisch durchaus angemessen wäre. Das beste aber an diesen Perlen ist: "Nigel-nagel-maschsee-Hitlerneu" (ein von 1934 an ausgehobener künstlicher See im Herzen Hannovers, der an weiteren drei Stellen wie Vineta aus dem Text auftaucht), "Zootiere, die ihm die Farbe Braun retteten", oder ein mephistophelischer Fiktivdialog auf dem Polizeipräsidium zwischen dem Künstler und einem Kunstblockwart über die angebliche Ähnlichkeit von MERZbau und faschistischem "Ausmerzen" - all das könnte von Schwitters selbst stammen, womit der Roman enorm an Glaubwürdigkeit gewinnt, zumal die Sprachjuwelen wieder an dessen reale Werke erinnern. So gibt Draesner einem der wichtigsten Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts die Stimme zurück, die ihm durch das Exil genommen wurde.
Ulrike Draesner: "Schwitters". Roman.
Penguin Verlag, München 2020. 480 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ulrike Draesners neuer Roman erzählt von Flucht und Exil des Jahrhundertkünstlers Kurt Schwitters.
Von Stefan Trinks
Wie kommt man gratis ins Kino? Diesen Aphorismus von Kurt Schwitters stellt Ulrike Draesner ihrem autofiktionalen Roman über den Künstler voran. Da seine Antwort "Durch den Ausgang" lautete, ist das Motto des Buches gesetzt. Schwitters, seit 72 Jahren tot, war der große Vertikulierer der Welt und ihrer Kunst. ANNA war ihm immer lieber von hinten als von vorn. Mit seiner Ursonate stellte er - obwohl von den Dadaisten offiziell abgelehnt - die Musik auf den Kopf und erfand nebenbei die Klangskulptur der Moderne. Mit seinen im Atelier der elterlichen Villa in Hannover durch drei Stockwerke wuchernden MERZbau (eine Neuwortfindung, gewonnen aus dem hinteren Ende von "Kommerz- und Privatbank") nahm er die Idee der Rauminstallationen und "Environments" der Jetztzeit vorweg. Dass die Pop-Art nicht in Warhol, vielmehr in des Briten Richard Hamiltons Collage "What is it that makes today's homes so different, so appealing?" 1956 ihre Initialzündung hatte, wissen die Engländer; sie wissen aber ebenso, dass sich Hamiltons auch sprachkünstlerisches Werk den Collagen von Schwitters verdankte, die auf der Insel jedes Kind kennt.
Nicht zuletzt verkörperte der Künstler im norwegischen Exil und insbesondere in England auch "den anderen Deutschen", die exakte Kehrseite eines stolzbesoffenen Nationalsozialisten. All diese Schwitter'schen Innovationen der Kunst sowie die von ihm entworfenen Gegenbilder sind kunstvoll eingewoben in Ulrike Draesners Blick in den Kopf des Universalkünstlers und der Versprachlichung von dessen mutmaßlichen Gedanken, die unser aller Überlegungen sein könnten.
Vielleicht kann man sich einem solchen Künstler wirklich nur über die Form der Autofiktion nähern, denn obschon ein Gerüst von festen biographischen Fakten existiert, sind seit Schwitters' Exil von 1937 an belastbare schriftliche Quellen karg - es ist beispielsweise nicht einmal klar, ob sein Körper in dem Grab in England oder in jenem in Hannover ruht. Das Exil bildet den Ausgangspunkt für Draesners fesselnden Roman, und wie der innerlich zerrissene, heimatverbundene Schwitters angesichts der nebenan vonstatten gehenden Ausräumung einer jüdischen Villa die ersten fünfzig Seiten lang mit sich ringt, ob Exil oder nicht und wenn ja, mit wie vielen, ist großes, jederzeit nachfühlbares Seelendrama: Der Sohn Ernst, Kommunist, muss mit nach Norwegen, die - anders als er - treue Ehefrau Helma, geschützt durch ihre Partei-Mutter, soll Schwitters' vier ererbte Mietshäuser als Einkommensquelle verwalten, nachdem er als Gestalter bei Pelikan entlassen wurde.
Nicht alle Leser werden solche stakkatohaften Satzkettenglieder schön finden: "Ein grauer Lastwagen. Scheint etwas zu suchen, so langsam wie er fährt. Kein Firmenname, keine Aufschrift. Jeder macht Werbung, manche nicht." Das klingt, als wäre die Autorin mit dem Exilanten zusammen auf der Flucht. Oft stellt sich der Eindruck ein, die gehetzt rohen Passagen dienten lediglich als Behelfsbrücken, um das sprachliche Gold an ihrem Ende umso faszinierender schimmern zu lassen, was dem im Kern tragischen Stoff - Schwitters muss neunundvierzigjährig sein gesamtes Werk zurücklassen und verstummt mindestens als Sprachkünstler völlig in der fremden Zunge - stilistisch durchaus angemessen wäre. Das beste aber an diesen Perlen ist: "Nigel-nagel-maschsee-Hitlerneu" (ein von 1934 an ausgehobener künstlicher See im Herzen Hannovers, der an weiteren drei Stellen wie Vineta aus dem Text auftaucht), "Zootiere, die ihm die Farbe Braun retteten", oder ein mephistophelischer Fiktivdialog auf dem Polizeipräsidium zwischen dem Künstler und einem Kunstblockwart über die angebliche Ähnlichkeit von MERZbau und faschistischem "Ausmerzen" - all das könnte von Schwitters selbst stammen, womit der Roman enorm an Glaubwürdigkeit gewinnt, zumal die Sprachjuwelen wieder an dessen reale Werke erinnern. So gibt Draesner einem der wichtigsten Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts die Stimme zurück, die ihm durch das Exil genommen wurde.
Ulrike Draesner: "Schwitters". Roman.
Penguin Verlag, München 2020. 480 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ulrike Draesner begleitet in ihrem biografischen Roman 'Schwitters' den Künstler Kurt Schwitters ins Exil nach Norwegen und England. Mit einer ganz eigenen, hochmusikalischen Sprache beschreibt sie den Kampf des Künstlers gegen das Verstummen.« Bayerischer Buchpreis 2020 - aus der Begründung der Jury