In this uncompromising essay, Jonathan Crary presents the obvious but unsayable reality: our 'digital age' is synonymous with the disastrous terminal stage of global capitalism and its financialization of social existence, mass impoverishment, ecocide, and military terror. Scorched Earth surveys the wrecking of a living world by the internet complex and its devastation of communities and their capacities for mutual support. This polemic by the author of 24/7 dismantles the presumption that social media could be instruments of radical change and contends that the networks and platforms of transnational corporations are intrinsically incompatible with a habitable earth or with the human interdependence needed to build egalitarian post-capitalist forms of life.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2022Verbrannte Erde
Eine Attacke auf den digitalen Kapitalismus
Die aktuelle Flut von Büchern zum Thema Klimawandel kombiniert die Analyse der tristen Lage meist mit der Hoffnung, dass es noch Rettung gibt und das Schlimmste sich verhüten lässt, wenn wir nur endlich entschlossen handelten. Nicht so Jonathan Crary in seinem Büchlein mit dem sprechenden Titel "Scorched Earth" - "Verbrannte Erde". Für Crary ist die Katastrophe schon gegenwärtig - und eine Verbesserung der Lage lässt sich seiner Ansicht nach nur durch denkbar radikale Schritte erreichen: Wir müssen den Kapitalismus überwinden und bei der Gelegenheit auch gleich Abschied von der Digitalisierung nehmen.
Diese Botschaft wird mit großer Vehemenz wieder und wieder ausformuliert. Sie ist letztlich der einzige rote Faden des Textes - das Buch hat kein Inhaltsverzeichnis und die drei Kapitel haben keine Titel. Diese Strukturlosigkeit ist wohl Absicht; entsprechend ist man mit einer Flut von Beobachtungen und Bewertungen konfrontiert. Crary verfolgt keinen theoretischen, sondern einen aktivistischen Anspruch. Er will aufrütteln, und dafür ist ihm fast jedes Mittel recht.
Dass es hier nicht um Theorie geht und der Streitaxt der Vorrang vor der feinen Klinge gegeben wird, macht Crary gleich zu Beginn des Buches deutlich: "Mein Ziel ist es nicht, eine nuancierte theoretische Analyse vorzulegen, sondern in einer Zeit des Notstands die Wahrheit gemeinsamer Erkenntnisse und Erfahrungen zu bekräftigen und darauf zu bestehen, dass Formen der radikalen Verweigerung anstelle von Anpassung und Resignation nicht nur möglich, sondern notwendig sind." Einerseits gelingt diese Übung, andererseits scheitert sie grandios.
Die titelgebende Diagnose der verbrannten Erde gewinnt durch die katastrophalen Brände und Dürrekrisen, die in diesem Jahr in Europa wüten, durchaus an Plausibilität. Und das Buch ist dort erkenntnisfördernd und aufrüttelnd, wo es die Schattenseiten der Digitalisierung und der allgegenwärtigen Vernetzung schildert. Die von Crary eindringlich beschriebenen ökologischen Folgen des digitalen Wandels sind nach wie vor ein unterschätztes Thema im Nachhaltigkeitsdiskurs. Crary hat einen Punkt, wenn er darauf hinweist, dass katastrophale Umweltfolgen drohen, wenn Milliarden von Menschen rund um die Uhr mit Strom versorgt werden sollen. Crarys "Wahrheit" zu diesem Themenkomplex gibt im besten Sinne des Wortes zu denken.
Auch mit der Verknüpfung zwischen ökologischen und sozialen Problemlagen macht Crary einen bedenkenswerten Punkt. Der Kunstkritiker Crary fungiert hier als Wirtschaftskritiker - und wenig überraschend ist seine Kritik nicht nur ökologisch motiviert, sondern ganz wesentlich auch kulturell: Unsere Wirtschaftsweise, so könnte man sein Buch zuspitzen, zerstört nicht nur den Planeten, sondern auch unseren Geist und sorgt für eine "Kolonisierung des Bewusstseins". Eine der "wichtigsten Errungenschaften der sogenannten Wissensökonomie", schreibt Crary, "ist die Massenproduktion von Unwissenheit, Dummheit und Gehässigkeit".
Die diagnostizierten ökologischen und gesellschaftlichen Schäden sind für den Autor keine desaströse Abweichung von einer besseren Normalität, sondern Charakteristikum einer Wirtschaftsweise, der Zerstörung und Verfall systematisch eingeschrieben ist: "Die Realität einer durch die Technowissenschaft in eine Müllhalde verwandelten Welt ist keine Anomalie, die man hätte beheben können oder vielleicht noch beheben wird, sondern sie ist der Funktionsweise des Kapitalismus der verbrannten Erde immanent." Daher auch der programmatische Untertitel: Die verbrannte Erde kann nicht mit Konsumveränderungen oder politischen Programmen gelöscht werden, sondern nur auf revolutionäre Weise.
Diesem Anspruch folgt der gesamte Text, der von Zuspitzungen und bisweilen Übertreibungen geprägt ist. Fragende Abwägung fehlt hier leider vollständig: Crary folgt seiner Ankündigung, Nuancen auszublenden. Entsprechend schwarz-weiß ist das Bild der Welt, das er in diesem Buch zeichnet. Darin liegt die große Schwäche dieses Textes: Die Diagnose, der Kapitalismus sei an allem schuld und die Digitalisierung habe ausschließlich negative Auswirkungen, ist nicht eben tiefschürfend.
Das wirft die Frage auf, welche politischen und ökonomischen Folgerungen sich wohl aus Crarys Überlegungen ergeben: Wie könnte ein demokratischer und friedlicher Übergang zu einer Welt aussehen, die den Kapitalismus "überwunden" und das Internet abgedreht hat? Beim Lesen drängt sich der Gedanke auf, dass man vielleicht doch lieber anonymen Marktkräften ausgesetzt sein möchte als dem maßlosen Besserwissertum von Kunstprofessoren oder jakobinischen Meinungskontrolleuren, die genau wissen, was gut und richtig ist.
Aber wie gesagt: Man kann "Scorched Earth" durchaus mit Erkenntnisgewinn lesen. Es besteht freilich die Gefahr, dass man irgendwann ermattet ob der Kanonade an Katastrophenbildern. Der Text ist leider ein Paradebeispiel für ein Denken, das sich in seiner Radikalität gefällt und dabei jegliches Maß verliert. Damit tut Crary seinem Anliegen keinen Gefallen - denn letztlich mündet seine Fundamentalkritik in reichlich naiven Transformationsphantasien und in einer bitteren Hoffnungslosigkeit. Insoweit hinterlässt er selbst verbrannte Erde. FRED LUKS
Jonathan Crary: "Scorched Earth". Beyond the Digital Age to a Post-Capitalist World. Verso Books, London/New York 2022, 144 Seiten, 13 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Attacke auf den digitalen Kapitalismus
Die aktuelle Flut von Büchern zum Thema Klimawandel kombiniert die Analyse der tristen Lage meist mit der Hoffnung, dass es noch Rettung gibt und das Schlimmste sich verhüten lässt, wenn wir nur endlich entschlossen handelten. Nicht so Jonathan Crary in seinem Büchlein mit dem sprechenden Titel "Scorched Earth" - "Verbrannte Erde". Für Crary ist die Katastrophe schon gegenwärtig - und eine Verbesserung der Lage lässt sich seiner Ansicht nach nur durch denkbar radikale Schritte erreichen: Wir müssen den Kapitalismus überwinden und bei der Gelegenheit auch gleich Abschied von der Digitalisierung nehmen.
Diese Botschaft wird mit großer Vehemenz wieder und wieder ausformuliert. Sie ist letztlich der einzige rote Faden des Textes - das Buch hat kein Inhaltsverzeichnis und die drei Kapitel haben keine Titel. Diese Strukturlosigkeit ist wohl Absicht; entsprechend ist man mit einer Flut von Beobachtungen und Bewertungen konfrontiert. Crary verfolgt keinen theoretischen, sondern einen aktivistischen Anspruch. Er will aufrütteln, und dafür ist ihm fast jedes Mittel recht.
Dass es hier nicht um Theorie geht und der Streitaxt der Vorrang vor der feinen Klinge gegeben wird, macht Crary gleich zu Beginn des Buches deutlich: "Mein Ziel ist es nicht, eine nuancierte theoretische Analyse vorzulegen, sondern in einer Zeit des Notstands die Wahrheit gemeinsamer Erkenntnisse und Erfahrungen zu bekräftigen und darauf zu bestehen, dass Formen der radikalen Verweigerung anstelle von Anpassung und Resignation nicht nur möglich, sondern notwendig sind." Einerseits gelingt diese Übung, andererseits scheitert sie grandios.
Die titelgebende Diagnose der verbrannten Erde gewinnt durch die katastrophalen Brände und Dürrekrisen, die in diesem Jahr in Europa wüten, durchaus an Plausibilität. Und das Buch ist dort erkenntnisfördernd und aufrüttelnd, wo es die Schattenseiten der Digitalisierung und der allgegenwärtigen Vernetzung schildert. Die von Crary eindringlich beschriebenen ökologischen Folgen des digitalen Wandels sind nach wie vor ein unterschätztes Thema im Nachhaltigkeitsdiskurs. Crary hat einen Punkt, wenn er darauf hinweist, dass katastrophale Umweltfolgen drohen, wenn Milliarden von Menschen rund um die Uhr mit Strom versorgt werden sollen. Crarys "Wahrheit" zu diesem Themenkomplex gibt im besten Sinne des Wortes zu denken.
Auch mit der Verknüpfung zwischen ökologischen und sozialen Problemlagen macht Crary einen bedenkenswerten Punkt. Der Kunstkritiker Crary fungiert hier als Wirtschaftskritiker - und wenig überraschend ist seine Kritik nicht nur ökologisch motiviert, sondern ganz wesentlich auch kulturell: Unsere Wirtschaftsweise, so könnte man sein Buch zuspitzen, zerstört nicht nur den Planeten, sondern auch unseren Geist und sorgt für eine "Kolonisierung des Bewusstseins". Eine der "wichtigsten Errungenschaften der sogenannten Wissensökonomie", schreibt Crary, "ist die Massenproduktion von Unwissenheit, Dummheit und Gehässigkeit".
Die diagnostizierten ökologischen und gesellschaftlichen Schäden sind für den Autor keine desaströse Abweichung von einer besseren Normalität, sondern Charakteristikum einer Wirtschaftsweise, der Zerstörung und Verfall systematisch eingeschrieben ist: "Die Realität einer durch die Technowissenschaft in eine Müllhalde verwandelten Welt ist keine Anomalie, die man hätte beheben können oder vielleicht noch beheben wird, sondern sie ist der Funktionsweise des Kapitalismus der verbrannten Erde immanent." Daher auch der programmatische Untertitel: Die verbrannte Erde kann nicht mit Konsumveränderungen oder politischen Programmen gelöscht werden, sondern nur auf revolutionäre Weise.
Diesem Anspruch folgt der gesamte Text, der von Zuspitzungen und bisweilen Übertreibungen geprägt ist. Fragende Abwägung fehlt hier leider vollständig: Crary folgt seiner Ankündigung, Nuancen auszublenden. Entsprechend schwarz-weiß ist das Bild der Welt, das er in diesem Buch zeichnet. Darin liegt die große Schwäche dieses Textes: Die Diagnose, der Kapitalismus sei an allem schuld und die Digitalisierung habe ausschließlich negative Auswirkungen, ist nicht eben tiefschürfend.
Das wirft die Frage auf, welche politischen und ökonomischen Folgerungen sich wohl aus Crarys Überlegungen ergeben: Wie könnte ein demokratischer und friedlicher Übergang zu einer Welt aussehen, die den Kapitalismus "überwunden" und das Internet abgedreht hat? Beim Lesen drängt sich der Gedanke auf, dass man vielleicht doch lieber anonymen Marktkräften ausgesetzt sein möchte als dem maßlosen Besserwissertum von Kunstprofessoren oder jakobinischen Meinungskontrolleuren, die genau wissen, was gut und richtig ist.
Aber wie gesagt: Man kann "Scorched Earth" durchaus mit Erkenntnisgewinn lesen. Es besteht freilich die Gefahr, dass man irgendwann ermattet ob der Kanonade an Katastrophenbildern. Der Text ist leider ein Paradebeispiel für ein Denken, das sich in seiner Radikalität gefällt und dabei jegliches Maß verliert. Damit tut Crary seinem Anliegen keinen Gefallen - denn letztlich mündet seine Fundamentalkritik in reichlich naiven Transformationsphantasien und in einer bitteren Hoffnungslosigkeit. Insoweit hinterlässt er selbst verbrannte Erde. FRED LUKS
Jonathan Crary: "Scorched Earth". Beyond the Digital Age to a Post-Capitalist World. Verso Books, London/New York 2022, 144 Seiten, 13 Euro.
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