Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2007Mit einer Strahlkraft, der neue Stilrichtungen bis heute wenig anhaben können
Alles in diesem Leben ging rasend schnell: David Henderson schreibt eine Biographie über Jimi Hendrix, der sich musikalisch als Gesamtkunstwerk zelebrierte
Es macht Spaß, den Deutschen dabei zuzuschauen, wie sie eine Uschi Obermeier als Inbegriff der wilden sechziger Jahre feiern. Das Ineinander von kommunikativer Verklemmtheit, sozialem Statusdenken und ökonomischer Diszi-plinierung glaubt in der Figur der Uschi Obermeier das Maximum all dessen sehen zu können, was es selbst nicht ist.
Wie aber fast jeder gleich ahnt, ist das ein hübscher kleiner Selbstbetrug, damit man nicht einer Wildheit ins Auge schauen muss, die den eigenen Lebenszuschnitt als das erkennbar macht, was er ist. Kein Wunder also, dass Uschi Obermeier gar nichts zu sagen vermag auf die Frage, welchen Eindruck sie von Jimi Hendrix gehabt habe. Sie hat zwar mit ihm geschlafen und zählt ihn zu den besseren Liebhabern in ihrem Leben, aber sonst? Sie sei halt zu aufgeregt gewesen, gab sie ehrlich zu Protokoll. Verstehen kann man sie, denn mit Hendrix war ihr jemand begegnet, der Musik- und Lebensstilrevolution machte, während die Studenten sich in den Orthodoxien des Unangepassten einrichteten.
Auf dem Monterey Pop Festival 1967 hatte Jimi Hendrix einem völlig in Bann geschlagenen Publikum vorgeführt, was Intensität bedeutet. Seine Interpretation des Hits "Wild Thing" war ungeheuerlich. Während die Originalversion der Troggs aus dem Vorjahr sich eigentlich wie ein Dementi seines Titels anhörte, führte Hendrix einen Liebesakt zwischen Musiker und Gitarre auf offener Bühne vor, der mit einer in Brand versetzten Gitarre endete, die die merkwürdigsten Geräusche an die Wand aus Marshall-Boxen sandte. Hendrix hatte zuvor wie ein Besessener mit der Gitarre getanzt, sein Instrument mit Hüfte, Zunge und Zähnen gespielt. Dieser Auftritt ist Legende geworden und sollte Hendrix später in die Verlegenheit bringen, vor dem erwartungsvollen Publikum dasselbe immer aufs Neue wiederholen zu sollen.
All das wäre nur eine weitere Episode in der an Episoden reichen Geschichte der Rockmusik, wenn Musik und Person nicht bis heute eine Strahlkraft besäßen, der die Zeit und neue Stilrichtungen wenig anhaben können. Das liegt zum einen an der unfassbaren musikalischen Begabung Hendrix', der als Autodidakt und ohne Noten lesen zu können sich problemlos mit theoretisch versierten Jazzgrößen wie Miles Davis austauschen konnte. Zum anderen verkörpert Hendrix eine absolute künstlerische Hingabe und einen Lebenszuschnitt, der in seiner unaufgeregten Unbedingtheit bis heute inspirierend wirkt.
Um so erfreulicher ist, dass nun die Hendrix-Biographie des amerikanischen Musikjournalisten David Henderson vorliegt. Sie ist nicht gerade gut lektoriert und mehr als einmal geschwätzig. Der Biograph ist der große auktoriale Erzähler, der sogar weiß, was Jimi Hendrix dachte und empfand, kurz bevor er im September 1970, wenige Monate vor seinem achtundzwanzigsten Geburtstag, unter bis heute nicht geklärten Umständen an einer Überdosis von allem starb, gerade vier Jahre nach seinem ersten Erscheinen in der Londoner Musikszene. Anfang des Jahres 1967 hatte er mit "Hey Joe" seinen ersten Hit.
Die Nachlässigkeiten dieser Biographie kann man verschmerzen, weil sie insgesamt viele bemerkenswerte Geschichten um diesen Ausnahmegitarristen erzählt, der aus Blues- und Jazzelementen und unter virtuosem Einsatz elektronischer Mittel eine ganz eigene musikalische Klangwelt - Electric Ladyland - schuf. Gerade mal vier Jahre hatte Hendrix Zeit für seine musikalische Entwicklung. Alles in diesem Leben ging rasend schnell: Hendrix' Kindheit und Jugend, die er teils bei wechselnden Verwandten seiner Mutter, teils in der Welt seines Vaters, eines schwarzen Jazzsteppers, zubrachte. Seine Mutter, indianisch-irischer Abstammung, starb früh. Und irgendwo saß der junge Hendrix und zupfte auf einer einsaitigen Ukulele, bevor er seine erste Gitarre bekam. Eindringlich schildert Henderson, wie Hendrix durch die ekstatischen Auftritte schwarzer Saxophonisten beeinflusst war, die ganze Säle in Raserei versetzten.
Henderson wiederholt in seinem Buch frühere Rassismusvorwürfe gegen Mitch Mitchell und Noel Redding, Schlagzeuger und Bassist seiner Band "Jimi Hendrix Experience". In den neunziger Jahre stritt man sich deswegen schon vor Gericht, aber wenn Animositäten in der Band wuchsen, dann wahrscheinlich eher deshalb, weil die Inszenierung in der Presse und bei Auftritten ganz auf Hendrix gerichtet war und seine Mitspieler wörtlich im Dunklen stehenließ. Hendrix' Vater war einst nicht begeistert vom Wunsch seines Sohnes, Gitarrist werden zu wollen. "Aber wenn du das schon machst, dann mach es wenigstens so ungewöhnlich und gut, wie du nur kannst", soll er seinem Sohn auf den Weg gegeben haben. Jimi Hendrix hat sich daran gehalten und wurde weit mehr als ein wilder Mann der Rockmusik.
MICHAEL JEISMANN
David Henderson: "'Scuse me while I kiss the sky". Das Leben von Jimi Hendrix. Aus dem Englischen von Susanne Pastorini. Bosworth Musikverlag, Berlin 2006. 504 S., zahlr. Abb., br., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alles in diesem Leben ging rasend schnell: David Henderson schreibt eine Biographie über Jimi Hendrix, der sich musikalisch als Gesamtkunstwerk zelebrierte
Es macht Spaß, den Deutschen dabei zuzuschauen, wie sie eine Uschi Obermeier als Inbegriff der wilden sechziger Jahre feiern. Das Ineinander von kommunikativer Verklemmtheit, sozialem Statusdenken und ökonomischer Diszi-plinierung glaubt in der Figur der Uschi Obermeier das Maximum all dessen sehen zu können, was es selbst nicht ist.
Wie aber fast jeder gleich ahnt, ist das ein hübscher kleiner Selbstbetrug, damit man nicht einer Wildheit ins Auge schauen muss, die den eigenen Lebenszuschnitt als das erkennbar macht, was er ist. Kein Wunder also, dass Uschi Obermeier gar nichts zu sagen vermag auf die Frage, welchen Eindruck sie von Jimi Hendrix gehabt habe. Sie hat zwar mit ihm geschlafen und zählt ihn zu den besseren Liebhabern in ihrem Leben, aber sonst? Sie sei halt zu aufgeregt gewesen, gab sie ehrlich zu Protokoll. Verstehen kann man sie, denn mit Hendrix war ihr jemand begegnet, der Musik- und Lebensstilrevolution machte, während die Studenten sich in den Orthodoxien des Unangepassten einrichteten.
Auf dem Monterey Pop Festival 1967 hatte Jimi Hendrix einem völlig in Bann geschlagenen Publikum vorgeführt, was Intensität bedeutet. Seine Interpretation des Hits "Wild Thing" war ungeheuerlich. Während die Originalversion der Troggs aus dem Vorjahr sich eigentlich wie ein Dementi seines Titels anhörte, führte Hendrix einen Liebesakt zwischen Musiker und Gitarre auf offener Bühne vor, der mit einer in Brand versetzten Gitarre endete, die die merkwürdigsten Geräusche an die Wand aus Marshall-Boxen sandte. Hendrix hatte zuvor wie ein Besessener mit der Gitarre getanzt, sein Instrument mit Hüfte, Zunge und Zähnen gespielt. Dieser Auftritt ist Legende geworden und sollte Hendrix später in die Verlegenheit bringen, vor dem erwartungsvollen Publikum dasselbe immer aufs Neue wiederholen zu sollen.
All das wäre nur eine weitere Episode in der an Episoden reichen Geschichte der Rockmusik, wenn Musik und Person nicht bis heute eine Strahlkraft besäßen, der die Zeit und neue Stilrichtungen wenig anhaben können. Das liegt zum einen an der unfassbaren musikalischen Begabung Hendrix', der als Autodidakt und ohne Noten lesen zu können sich problemlos mit theoretisch versierten Jazzgrößen wie Miles Davis austauschen konnte. Zum anderen verkörpert Hendrix eine absolute künstlerische Hingabe und einen Lebenszuschnitt, der in seiner unaufgeregten Unbedingtheit bis heute inspirierend wirkt.
Um so erfreulicher ist, dass nun die Hendrix-Biographie des amerikanischen Musikjournalisten David Henderson vorliegt. Sie ist nicht gerade gut lektoriert und mehr als einmal geschwätzig. Der Biograph ist der große auktoriale Erzähler, der sogar weiß, was Jimi Hendrix dachte und empfand, kurz bevor er im September 1970, wenige Monate vor seinem achtundzwanzigsten Geburtstag, unter bis heute nicht geklärten Umständen an einer Überdosis von allem starb, gerade vier Jahre nach seinem ersten Erscheinen in der Londoner Musikszene. Anfang des Jahres 1967 hatte er mit "Hey Joe" seinen ersten Hit.
Die Nachlässigkeiten dieser Biographie kann man verschmerzen, weil sie insgesamt viele bemerkenswerte Geschichten um diesen Ausnahmegitarristen erzählt, der aus Blues- und Jazzelementen und unter virtuosem Einsatz elektronischer Mittel eine ganz eigene musikalische Klangwelt - Electric Ladyland - schuf. Gerade mal vier Jahre hatte Hendrix Zeit für seine musikalische Entwicklung. Alles in diesem Leben ging rasend schnell: Hendrix' Kindheit und Jugend, die er teils bei wechselnden Verwandten seiner Mutter, teils in der Welt seines Vaters, eines schwarzen Jazzsteppers, zubrachte. Seine Mutter, indianisch-irischer Abstammung, starb früh. Und irgendwo saß der junge Hendrix und zupfte auf einer einsaitigen Ukulele, bevor er seine erste Gitarre bekam. Eindringlich schildert Henderson, wie Hendrix durch die ekstatischen Auftritte schwarzer Saxophonisten beeinflusst war, die ganze Säle in Raserei versetzten.
Henderson wiederholt in seinem Buch frühere Rassismusvorwürfe gegen Mitch Mitchell und Noel Redding, Schlagzeuger und Bassist seiner Band "Jimi Hendrix Experience". In den neunziger Jahre stritt man sich deswegen schon vor Gericht, aber wenn Animositäten in der Band wuchsen, dann wahrscheinlich eher deshalb, weil die Inszenierung in der Presse und bei Auftritten ganz auf Hendrix gerichtet war und seine Mitspieler wörtlich im Dunklen stehenließ. Hendrix' Vater war einst nicht begeistert vom Wunsch seines Sohnes, Gitarrist werden zu wollen. "Aber wenn du das schon machst, dann mach es wenigstens so ungewöhnlich und gut, wie du nur kannst", soll er seinem Sohn auf den Weg gegeben haben. Jimi Hendrix hat sich daran gehalten und wurde weit mehr als ein wilder Mann der Rockmusik.
MICHAEL JEISMANN
David Henderson: "'Scuse me while I kiss the sky". Das Leben von Jimi Hendrix. Aus dem Englischen von Susanne Pastorini. Bosworth Musikverlag, Berlin 2006. 504 S., zahlr. Abb., br., 19,95 [Euro].
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