Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dass es viel Spaß macht, die Angst zu verlieren, lernt Hubert Spiegel bei der spanischen Kinderbuchautorin Mar Pavón und ihrem Zeichner Vitali Konstantinov. Die Geschichte des kleinen Nino, der zum Geburtstag Besuch von sechs langbärtigen Freunden bekommt, die mit ihm feiern möchten, liest Spiegel als Parabel auf das Fremde und Angsteinflößende, das oft nur das Unbekannte, anders Aussehende ist. Wie durch Unkenntnis aus Harmlosem Gefährliches und aus Freund Feind werden kann, lässt sich hier besichtigen, meint der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2015Diese Langbärte machen mir Angst!
Aber nur, solange du sie nicht kennst: Nino feiert ein schräges Geburtstagsfest
Wir haben Angst vor der Angst. Das ist nicht gut. Ohne Angst gäbe es uns nicht mehr. Wir wären in jedes Loch gefallen, in jede Falle getappt, aus jedem Kahn gekippt, in jede Schlucht gestürzt, in jede Klamm gesegelt und jedem scharfzahnigen Tier zum Opfer gefallen. Vom Mops zerrissen, vom Winde verweht. Ausgestorben.
Nur weil wir Angst haben, leben wir noch. Und weil wir nicht immer wissen, wie wir mit unseren Ängsten umgehen sollen, machen wir uns das Leben oft so schwer. In der Bäckerei, zum Beispiel. Da kommen doch tatsächlich sechs langbärtige, sehr, sehr finster aussehende Gesellen herein, kaufen sechs Brote, kämmen sich die Bärte, und dann fährt einer von ihnen auf dem Blütoziped einfach davon. Muss man da nicht Angst bekommen?
Oder neulich in der Metzgerei. Kommen da doch tatsächlich fünf langbärtige, sehr, sehr finster aussehende Gesellen herein, kaufen fünf Würste, kämmen sich die Bärte, und dann fährt einer von ihnen auf dem Rotorrad einfach davon. Kein Wunder, dass die Kunden mit den Zähnen klappern.
Oder vorvorgestern in der Spielzeughandlung. Tatsächlich, vier langbärtige, sehr, sehr finster aussehende Gesellen kommen herein, kaufen vier Luftballons, kämmen sich die Bärte, und dann fährt einer von ihnen mit dem Kreiselator davon. Muss man da nicht einen spitzen Schrei ausstoßen?
Nein, muss man nicht. "Sechs Langbärte" heißt das neue Buch von der spanischen Kinderbuchautorin Mar Pavón und dem Zeichner und Illustrator Vitali Konstantinov, der in den letzten Jahren Bücher über einen kleinen Waffenfreund ("Als Bernhard ein Loch in den Himmel schoss"), Eltern im Dauerstreit ("Ungeheuer") und den großen weiten Nachthimmel über uns illustriert hat ("Planeten, Sterne, Galaxien"). Auch vor der Unendlichkeit des Weltalls oder einem nebelverhangenen Nachthimmel kann man sich schließlich fürchten. Jetzt hat Konstantinov die Geschichte des kleinen Nino bebildert, der an seinem sechsten Geburtstag Besuch von seinen sechs langbärtigen Freunden bekommt, die für Nino eingekauft haben, um ein schönes Fest mit ihm zu feiern.
Die sechs wilden schwarzen Männer waren nicht nur in der Bäckerei, beim Metzger, in der Spielzeughandlung, dem Buchladen und in einer Konditorei, wo sie eine große Torte kauften, sondern auch beim Kostümverleih, wo sie sich rote Clownsnasen besorgt haben. Die furchterregend großen schwarzen Haarbüschel, die ihnen bösborstig vom Kopf abstehen als wären es die Fangtentakel einer Feuerqualle, entpuppen sich als Gamsbärte und große Federn, die sie sich an ihre Trachtenhüte gesteckt haben. Denn die Langbärte mögen zwar Vorder-, Mittel- oder Hinterwäldler sein, aber gefährlich sind sie nicht. Sie sehen nur anders aus als die anderen Kunden beim Metzger, beim Bäcker, im Buchladen. Die Angst vor dem Fremden haben wir, weil wir das, was wir nicht kennen, nicht gut einschätzen können. Wir könnten uns ja auch tatsächlich täuschen, wenn wir bloßem Augenschein und dem ersten Eindruck vertrauen. Aus Angst, Harmloses und Gefährliches, Freund und Feind nicht auseinanderhalten zu können, verwechseln wir Angst mit Vorsicht und Vorsicht mit Feindseligkeit. Wir sollten keine Angst vor der Angst haben, aber es macht großen Spaß, sie zu verlieren.
HUBERT SPIEGEL.
Mar Pavón, Vitali Konstantinov: "Sechs Langbärte".
Aus dem Spanischen von Katharina Diestelmeier. Aladin Verlag, Hamburg 2015, 40 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aber nur, solange du sie nicht kennst: Nino feiert ein schräges Geburtstagsfest
Wir haben Angst vor der Angst. Das ist nicht gut. Ohne Angst gäbe es uns nicht mehr. Wir wären in jedes Loch gefallen, in jede Falle getappt, aus jedem Kahn gekippt, in jede Schlucht gestürzt, in jede Klamm gesegelt und jedem scharfzahnigen Tier zum Opfer gefallen. Vom Mops zerrissen, vom Winde verweht. Ausgestorben.
Nur weil wir Angst haben, leben wir noch. Und weil wir nicht immer wissen, wie wir mit unseren Ängsten umgehen sollen, machen wir uns das Leben oft so schwer. In der Bäckerei, zum Beispiel. Da kommen doch tatsächlich sechs langbärtige, sehr, sehr finster aussehende Gesellen herein, kaufen sechs Brote, kämmen sich die Bärte, und dann fährt einer von ihnen auf dem Blütoziped einfach davon. Muss man da nicht Angst bekommen?
Oder neulich in der Metzgerei. Kommen da doch tatsächlich fünf langbärtige, sehr, sehr finster aussehende Gesellen herein, kaufen fünf Würste, kämmen sich die Bärte, und dann fährt einer von ihnen auf dem Rotorrad einfach davon. Kein Wunder, dass die Kunden mit den Zähnen klappern.
Oder vorvorgestern in der Spielzeughandlung. Tatsächlich, vier langbärtige, sehr, sehr finster aussehende Gesellen kommen herein, kaufen vier Luftballons, kämmen sich die Bärte, und dann fährt einer von ihnen mit dem Kreiselator davon. Muss man da nicht einen spitzen Schrei ausstoßen?
Nein, muss man nicht. "Sechs Langbärte" heißt das neue Buch von der spanischen Kinderbuchautorin Mar Pavón und dem Zeichner und Illustrator Vitali Konstantinov, der in den letzten Jahren Bücher über einen kleinen Waffenfreund ("Als Bernhard ein Loch in den Himmel schoss"), Eltern im Dauerstreit ("Ungeheuer") und den großen weiten Nachthimmel über uns illustriert hat ("Planeten, Sterne, Galaxien"). Auch vor der Unendlichkeit des Weltalls oder einem nebelverhangenen Nachthimmel kann man sich schließlich fürchten. Jetzt hat Konstantinov die Geschichte des kleinen Nino bebildert, der an seinem sechsten Geburtstag Besuch von seinen sechs langbärtigen Freunden bekommt, die für Nino eingekauft haben, um ein schönes Fest mit ihm zu feiern.
Die sechs wilden schwarzen Männer waren nicht nur in der Bäckerei, beim Metzger, in der Spielzeughandlung, dem Buchladen und in einer Konditorei, wo sie eine große Torte kauften, sondern auch beim Kostümverleih, wo sie sich rote Clownsnasen besorgt haben. Die furchterregend großen schwarzen Haarbüschel, die ihnen bösborstig vom Kopf abstehen als wären es die Fangtentakel einer Feuerqualle, entpuppen sich als Gamsbärte und große Federn, die sie sich an ihre Trachtenhüte gesteckt haben. Denn die Langbärte mögen zwar Vorder-, Mittel- oder Hinterwäldler sein, aber gefährlich sind sie nicht. Sie sehen nur anders aus als die anderen Kunden beim Metzger, beim Bäcker, im Buchladen. Die Angst vor dem Fremden haben wir, weil wir das, was wir nicht kennen, nicht gut einschätzen können. Wir könnten uns ja auch tatsächlich täuschen, wenn wir bloßem Augenschein und dem ersten Eindruck vertrauen. Aus Angst, Harmloses und Gefährliches, Freund und Feind nicht auseinanderhalten zu können, verwechseln wir Angst mit Vorsicht und Vorsicht mit Feindseligkeit. Wir sollten keine Angst vor der Angst haben, aber es macht großen Spaß, sie zu verlieren.
HUBERT SPIEGEL.
Mar Pavón, Vitali Konstantinov: "Sechs Langbärte".
Aus dem Spanischen von Katharina Diestelmeier. Aladin Verlag, Hamburg 2015, 40 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 5 J.
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