Das erste komplette Nachschlagewerk über das regionale Funktionärskorps der SED zwischen der Gründung im April 1946 und dem faktischen Ende der Partei im Dezember 1989. Das Lexikon bietet 543 Kurzbiographien der 1. und 2. Vorsitzenden der Landesvorstände bzw. 1. und 2. Sekretäre der Landesleitungen der SED, der Ministerpräsidenten der Länder und der hauptamtlichen Sekretäre der Bezirksleitungen und der Gebietsleitung Wismut sowie der Vorsitzenden der Räte der Bezirke mit Angaben zu ihrer Herkunft, ihrer beruflichen und politischen Entwicklung, ihren Funktionen sowie zu ihrem weiteren Werdegang nach 1989/90. Ein aufschlussreiches Werk zu Kontinuität und Wandel sowie Erfolg und Misserfolg der Kaderpolitik der SED-Führung.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2011Ein Sekretär war doch schon wer
Die mittlere SED-Führungsebene - biographisch erfasst
Ulbricht und Honecker - die Namen der SED-Chefs sind geläufig. Aber auch von Schabowski, Mittag oder dem Chefideologen Hager hat der politisch und historisch Interessierte schon gehört. Wer aber weiß schon, dass Werner Wittig von 1964 bis 1976 Erster Sekretär der Bezirksleitung Potsdam der SED war? Dabei spielte die Bezirksebene im Rahmen der Durchsetzung der SED-Herrschaft eine erhebliche Rolle. Das jetzt vorliegende Buch ist mehr als ein schlichtes Nachschlagewerk: Es zeigt in seinem einführenden Teil auch einige Ansatzpunkte zu weiterer prosopographischer Forschung auf. Zunächst legen die Herausgeber die Quellenlage dar, und die wirft Fragen auf. Zu einem erheblichen Teil beruhen die Informationen des biographischen Teils auf Selbstauskünften Betroffener oder ihrer Angehörigen. Ist das eine verlässliche Basis? Die Herausgeber thematisieren das Problem, zeigen auf, wie sie quellenkritisch an solche Informationen herangegangen sind.
Es folgt ein Kapitel über die Geschichte der Organisationsstruktur der SED. Immerhin entsteht die Partei ja noch vor der DDR und lange bevor der ostdeutsche Teilstaat sich 1952 von der Gliederung in Länder verabschiedet und zu einer Bezirksstruktur in einem zentralistischen Einheitsstaat übergeht. Die SED-Organisationsstruktur folgt dem. Danach allerdings verändern sich die Strukturen nur noch graduell: Bestimmte Themengebiete werden zeitweise in den Bezirkssekretariaten (die nach westlichem Verständnis eine Vorstandsfunktion haben) personell abgebildet, dann werden die Bezirkssekretäre für Landwirtschaft wieder abgeschafft.
Daran, dass die Ersten Bezirkssekretäre in aller Regel zugleich Mitglieder des Zentralkomitees der SED waren, änderte sich dagegen in den 40 Jahren DDR nichts. Zu den 15 Bezirksleitungen muss man übrigens die gesonderte "Gebietsleitung Wismut" hinzurechnen, unter deren Anleitung die in der "Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut", also im Uranbergbau tätigen Parteimitglieder geführt wurden. Einen weiteren zahlenmäßig bedeutenden Bereich der SED dagegen betrachtet der Band nicht: Die Politische Hauptverwaltung der Nationalen Volksarmee, die einem Bezirk gleichkam, wird ebenso mit keinem Wort erwähnt wie die vom ZK geführte Kreisleitung im Ministerium für Staatssicherheit.
Es folgt eine knappe, aber hochinteressante Einführung in die Rang- und Sozialstruktur dieser Spitzenfunktionäre der mittleren Ebene. Deutlich wird, wie die ersten 15 Jahre der Partei von regelmäßigen Säuberungen geprägt sind. Immer wieder werden auch ranghohe Offizielle bis hin zu den Ersten Sekretären abgelöst - wegen Unfähigkeit oder eher noch wegen "Abweichlertum", besonders in den Jahren von 1958 bis 1963. Das schafft Raum für jüngeren Nachwuchs, so dass Anfang der sechziger Jahre jene damals noch junge Generation ans Ruder kommt, die dann weitgehend bis zum Ende der SED-Herrschaft für personelle Kontinuität, aber auch inhaltliche Stagnation sorgte. Mit der Ernennung zum Ersten Sekretär eines Bezirks war dann in fast allen Fällen auch das Ende der Karriereleiter erreicht: Die Spitzenfunktionäre der SED in Ost-Berlin rekrutierten sich aus den eigenen Reihen und nicht aus der "Provinz". Der Abschnitt über "Grundsätze der Kaderpolitik der SED" zeigt aber auch auf, dass etwa der Frauenanteil unter den genannten Funktionären verschwindend gering war: 37 der 543 im Lexikonteil aufgeführten Funktionäre waren Frauen.
So ist ein rundum gelungenes Buch anzuzeigen: ein präzises, detailliertes und nützliches Nachschlagewerk, mit einer klug argumentierenden systematischen Einführung, in dem aber leider die "bewaffneten Organe" fehlen.
WINFRIED HEINEMANN
Mario Niemann/Andreas Herbst (Herausgeber): SED-Kader. Die mittlere Ebene. Biographisches Lexikon der Sekretäre der Landes- und Bezirksleitungen, der Ministerpräsidenten und der Vorsitzenden der Räte der Bezirke 1946 bis 1989. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2010. 591 S., 58,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die mittlere SED-Führungsebene - biographisch erfasst
Ulbricht und Honecker - die Namen der SED-Chefs sind geläufig. Aber auch von Schabowski, Mittag oder dem Chefideologen Hager hat der politisch und historisch Interessierte schon gehört. Wer aber weiß schon, dass Werner Wittig von 1964 bis 1976 Erster Sekretär der Bezirksleitung Potsdam der SED war? Dabei spielte die Bezirksebene im Rahmen der Durchsetzung der SED-Herrschaft eine erhebliche Rolle. Das jetzt vorliegende Buch ist mehr als ein schlichtes Nachschlagewerk: Es zeigt in seinem einführenden Teil auch einige Ansatzpunkte zu weiterer prosopographischer Forschung auf. Zunächst legen die Herausgeber die Quellenlage dar, und die wirft Fragen auf. Zu einem erheblichen Teil beruhen die Informationen des biographischen Teils auf Selbstauskünften Betroffener oder ihrer Angehörigen. Ist das eine verlässliche Basis? Die Herausgeber thematisieren das Problem, zeigen auf, wie sie quellenkritisch an solche Informationen herangegangen sind.
Es folgt ein Kapitel über die Geschichte der Organisationsstruktur der SED. Immerhin entsteht die Partei ja noch vor der DDR und lange bevor der ostdeutsche Teilstaat sich 1952 von der Gliederung in Länder verabschiedet und zu einer Bezirksstruktur in einem zentralistischen Einheitsstaat übergeht. Die SED-Organisationsstruktur folgt dem. Danach allerdings verändern sich die Strukturen nur noch graduell: Bestimmte Themengebiete werden zeitweise in den Bezirkssekretariaten (die nach westlichem Verständnis eine Vorstandsfunktion haben) personell abgebildet, dann werden die Bezirkssekretäre für Landwirtschaft wieder abgeschafft.
Daran, dass die Ersten Bezirkssekretäre in aller Regel zugleich Mitglieder des Zentralkomitees der SED waren, änderte sich dagegen in den 40 Jahren DDR nichts. Zu den 15 Bezirksleitungen muss man übrigens die gesonderte "Gebietsleitung Wismut" hinzurechnen, unter deren Anleitung die in der "Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut", also im Uranbergbau tätigen Parteimitglieder geführt wurden. Einen weiteren zahlenmäßig bedeutenden Bereich der SED dagegen betrachtet der Band nicht: Die Politische Hauptverwaltung der Nationalen Volksarmee, die einem Bezirk gleichkam, wird ebenso mit keinem Wort erwähnt wie die vom ZK geführte Kreisleitung im Ministerium für Staatssicherheit.
Es folgt eine knappe, aber hochinteressante Einführung in die Rang- und Sozialstruktur dieser Spitzenfunktionäre der mittleren Ebene. Deutlich wird, wie die ersten 15 Jahre der Partei von regelmäßigen Säuberungen geprägt sind. Immer wieder werden auch ranghohe Offizielle bis hin zu den Ersten Sekretären abgelöst - wegen Unfähigkeit oder eher noch wegen "Abweichlertum", besonders in den Jahren von 1958 bis 1963. Das schafft Raum für jüngeren Nachwuchs, so dass Anfang der sechziger Jahre jene damals noch junge Generation ans Ruder kommt, die dann weitgehend bis zum Ende der SED-Herrschaft für personelle Kontinuität, aber auch inhaltliche Stagnation sorgte. Mit der Ernennung zum Ersten Sekretär eines Bezirks war dann in fast allen Fällen auch das Ende der Karriereleiter erreicht: Die Spitzenfunktionäre der SED in Ost-Berlin rekrutierten sich aus den eigenen Reihen und nicht aus der "Provinz". Der Abschnitt über "Grundsätze der Kaderpolitik der SED" zeigt aber auch auf, dass etwa der Frauenanteil unter den genannten Funktionären verschwindend gering war: 37 der 543 im Lexikonteil aufgeführten Funktionäre waren Frauen.
So ist ein rundum gelungenes Buch anzuzeigen: ein präzises, detailliertes und nützliches Nachschlagewerk, mit einer klug argumentierenden systematischen Einführung, in dem aber leider die "bewaffneten Organe" fehlen.
WINFRIED HEINEMANN
Mario Niemann/Andreas Herbst (Herausgeber): SED-Kader. Die mittlere Ebene. Biographisches Lexikon der Sekretäre der Landes- und Bezirksleitungen, der Ministerpräsidenten und der Vorsitzenden der Räte der Bezirke 1946 bis 1989. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2010. 591 S., 58,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sehr nützlich findet Rezensent Winfried Heinemann dieses Lexikon der mittleren Ebene der SED-Kader, das Mario Niemann und Andreas Herbst herausgegeben haben. Neben dem Lexikonteil, der 543 Funktionäre aufführt, bietet das Werk eine in seinen Augen überaus gelungene Einführung, die u.a. die Quellenlage erläutert, die Geschichte der Organisationsstruktur der SED darlegt, die Rang- und Sozialstruktur der Funktionäre der mittleren Ebene schildert und die Prinzipien der Kaderpolitik der SED erklärt. Dies alles findet Heinemann sehr aufschlussreich und informativ dargestellt. Deutlich wird für ihn u.a., dass es in den ersten 15 Jahren der Partei regelmäßig Säuberungen gab. Insgesamt lobt er die Genauigkeit des Werks, seinen Reichtum an Details und die "klug argumentierende systematische" Einführung. Einziger Minuspunkt ist für den Rezensenten das Fehlen der sogenannten "bewaffneten Organe".
© Perlentaucher Medien GmbH
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