Gorch Fock ist der Namenspatron des deutschen Segelschulschiffs. In seiner Biographie zeichnet Rüdiger Schütt erstmals ein differenziertes Bild vom Mann hinter dem Mythos. 1880 als Johann Kinau auf Finkenwerder geboren, 1916 in der Schlacht am Skagerrak gefallen, steht Gorch Fock für Abenteuerlust und Mannesmut, für hehre Ideale und den Überlebenskampf auf hoher See. Sein Roman 'Seefahrt ist not!' machte ihn zum Bestsellerautor. Heute heißen Schiffe, Schulen und Biersorten nach ihm. Seine Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten hatte fatale Folgen. Glorifizierung einerseits, Dämonisierung andererseits bestimmen seither das Bild. Doch wer war Gorch Fock wirklich? Ein Militarist und Vordenker der NS-Ideologie? Ein Hurra-Patriot? Oder ein talentierter Schriftsteller und kritischer Beobachter einer ungezügelten Industrialisierung? Der Titel zeigt einen radikal widersprüchlichen Menschen, der hin- und hergerissen zwischen Wunsch und Wirklichkeit an den eigenen Ansprüchen scheitert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2016Zweimal Tod am Skagerrak
Gorch Fock und die See
Am 31. Mai 1916 stößt die deutsche Hochseeflotte auf die britische Armada. Etwa 250 Schiffe bekämpfen sich auf der Höhe der dänischen Nordwestküste beim Skagerrak. Gegen 18 Uhr erhält die "Wiesbaden" einen Volltreffer; acht Stunden später sinkt der Kreuzer. Von den 589 Besatzungsmitgliedern wird nur ein Heizer überleben. Unter den Gefallenen ist der 35 Jahre alte Matrose Johann Kinau, längst berühmt als Gorch Fock. Mehrere Wochen treibt er in seiner Schwimmweste auf dem Wasser, schließlich wird sein angespülter Leichnam auf einer Insel entdeckt. "In dem Bericht der schwedischen Behörden heißt es, dass der tote Gorch Fock neben der Erkennungsmarke einen schlichten goldenen Ring mit den Initialen seiner Frau bei sich trug. Außerdem fand sich in den Taschen der Schwimmweste seine Bordkladde mit letzten Notizen. Am 2. Juli bestattete man ihn auf der kleinen Schäreninsel Stensholmen, zusammen mit anderen Soldaten", schreibt Rüdiger Schütt in seiner vorzüglichen Biographie über den Autor des 1912 erschienenen Bestsellers "Seefahrt ist not!": Romanheld Klaus Mewes geht übrigens, allein auf hoher See zum Fischfang, bei einem Sturm nahe dem Skagerrak heroisch unter, weil er auf keinen Fall die Notflagge zeigen und sich von einem englischen Trawler "ins Schlepptau nehmen lassen" will!
Als Zwölfjähriger wollte Kinau Fischer werden, wurde aber gleich auf der ersten Fangreise seekrank. Daher erlernte er einen kaufmännischen Beruf: "Schreibend erschafft er sich eine Traumwelt, in der die Hauptpersonen zur See fahren und ein Abenteuer nach dem anderen erleben, während an Land der graue Alltag seinen Lauf nimmt." Von 1905 an publizierte er unter Pseudonym in Zeitungen, verfasste Theaterstücke und erzielte dann mit "Seefahrt ist not!" den großen Durchbruch, so dass er sich am Arbeitsplatz bei der Hapag zu erkennen gab. 1914 zählte er zu den Kriegsbegeisterten, verfasste militante Lyrik. Der "Prediger der Furchtlosigkeit" kam nach der Musterung zur Infanterie, war Anfang 1916 als Stabssoldat vor Verdun eingesetzt. Im April durfte er zur II. Matrosendivision nach Wilhelmshaven. Als sein Seemannstod bekanntwurde, ehrte man ihn mit Gedenkfeiern. Kinaus Familie und Freunde vermarkteten durch Neuausgaben und eigenwillige Bearbeitungen den Gorch-Fock-Mythos. Nach 1933 instrumentalisierte ihn die NS-Propaganda. Durch die Popularität des Schulschiffes der Bundesmarine habe sich der Name Gorch Fock seit 1958 vom ursprünglichen Träger gelöst (Schiffsmotiv auf dem Zehnmarkschein) und eigne sich zur Bezeichnung von Bieren und Schnäpsen. Laut Schütt bieten seine Texte für jeden etwas, "für reaktionäre Nationalisten ebenso wie für weltoffene Europäer".
RAINER BLASIUS
Rüdiger Schütt: "Seefahrt ist not!". Gorch Fock - Die Biographie. Lambert Schneider Verlag, Darmstadt 2016. 224 S., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gorch Fock und die See
Am 31. Mai 1916 stößt die deutsche Hochseeflotte auf die britische Armada. Etwa 250 Schiffe bekämpfen sich auf der Höhe der dänischen Nordwestküste beim Skagerrak. Gegen 18 Uhr erhält die "Wiesbaden" einen Volltreffer; acht Stunden später sinkt der Kreuzer. Von den 589 Besatzungsmitgliedern wird nur ein Heizer überleben. Unter den Gefallenen ist der 35 Jahre alte Matrose Johann Kinau, längst berühmt als Gorch Fock. Mehrere Wochen treibt er in seiner Schwimmweste auf dem Wasser, schließlich wird sein angespülter Leichnam auf einer Insel entdeckt. "In dem Bericht der schwedischen Behörden heißt es, dass der tote Gorch Fock neben der Erkennungsmarke einen schlichten goldenen Ring mit den Initialen seiner Frau bei sich trug. Außerdem fand sich in den Taschen der Schwimmweste seine Bordkladde mit letzten Notizen. Am 2. Juli bestattete man ihn auf der kleinen Schäreninsel Stensholmen, zusammen mit anderen Soldaten", schreibt Rüdiger Schütt in seiner vorzüglichen Biographie über den Autor des 1912 erschienenen Bestsellers "Seefahrt ist not!": Romanheld Klaus Mewes geht übrigens, allein auf hoher See zum Fischfang, bei einem Sturm nahe dem Skagerrak heroisch unter, weil er auf keinen Fall die Notflagge zeigen und sich von einem englischen Trawler "ins Schlepptau nehmen lassen" will!
Als Zwölfjähriger wollte Kinau Fischer werden, wurde aber gleich auf der ersten Fangreise seekrank. Daher erlernte er einen kaufmännischen Beruf: "Schreibend erschafft er sich eine Traumwelt, in der die Hauptpersonen zur See fahren und ein Abenteuer nach dem anderen erleben, während an Land der graue Alltag seinen Lauf nimmt." Von 1905 an publizierte er unter Pseudonym in Zeitungen, verfasste Theaterstücke und erzielte dann mit "Seefahrt ist not!" den großen Durchbruch, so dass er sich am Arbeitsplatz bei der Hapag zu erkennen gab. 1914 zählte er zu den Kriegsbegeisterten, verfasste militante Lyrik. Der "Prediger der Furchtlosigkeit" kam nach der Musterung zur Infanterie, war Anfang 1916 als Stabssoldat vor Verdun eingesetzt. Im April durfte er zur II. Matrosendivision nach Wilhelmshaven. Als sein Seemannstod bekanntwurde, ehrte man ihn mit Gedenkfeiern. Kinaus Familie und Freunde vermarkteten durch Neuausgaben und eigenwillige Bearbeitungen den Gorch-Fock-Mythos. Nach 1933 instrumentalisierte ihn die NS-Propaganda. Durch die Popularität des Schulschiffes der Bundesmarine habe sich der Name Gorch Fock seit 1958 vom ursprünglichen Träger gelöst (Schiffsmotiv auf dem Zehnmarkschein) und eigne sich zur Bezeichnung von Bieren und Schnäpsen. Laut Schütt bieten seine Texte für jeden etwas, "für reaktionäre Nationalisten ebenso wie für weltoffene Europäer".
RAINER BLASIUS
Rüdiger Schütt: "Seefahrt ist not!". Gorch Fock - Die Biographie. Lambert Schneider Verlag, Darmstadt 2016. 224 S., 24,95 [Euro].
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»vorzügliche[...] Biographie« Frankfurter Allgemeine Zeitung »lesenswerte Biographie« Saarländischer Rundfunk »Rüdiger Schütt hat eine lesenswerte und aufschlussreiche Biografie geschrieben, die auch neugierig auf Focks Texte macht.« Radio Bremen - Nordwestradio »In seiner Biographie über den Schriftsteller Gorch Fock zeichnet der Literaturwissenschaftler Rüdiger Schütt ein differenziertes Bild des Namenspatrons für das deutsche Segelschulschiff der Bundesmarine.« Deutschlandradio Kultur