Die Geschichte einer spontanen und flüchtigen Sommerliebe in der niedersächsischen Seelandschaft - die vielleicht zärtlichste Prosa Arno Schmidts.
Joachim, Schriftsteller und Atheist, verbringt zusammen mit seinem Freund Erich im Sommer 1953 ein paar Urlaubstage am Dümmer, einem niedersächsischen See. Als sie Annemarie und Selma, zwei junge Sekretärinnen, kennenlernen, versuchen die beiden ehemaligen Kriegskameraden ihr Glück. Joachim und Selma verlieben sich ineinander. Gemeinsam paddeln sie auf dem See und verlieren sich in erotischen Traumwelten. Doch immer wieder durchbrechen die rotzigen Kommentare Joachims zu Christentum und Adenauerrestauration das sommerliche Idyll und tauchen die Realität der 50er Jahre in unbarmherzig grelles Licht. Wie stark die gesellschaftlichen Konventionen sind, muss Joachim am Ende selbst schmerzhaft erfahren.
Joachim, Schriftsteller und Atheist, verbringt zusammen mit seinem Freund Erich im Sommer 1953 ein paar Urlaubstage am Dümmer, einem niedersächsischen See. Als sie Annemarie und Selma, zwei junge Sekretärinnen, kennenlernen, versuchen die beiden ehemaligen Kriegskameraden ihr Glück. Joachim und Selma verlieben sich ineinander. Gemeinsam paddeln sie auf dem See und verlieren sich in erotischen Traumwelten. Doch immer wieder durchbrechen die rotzigen Kommentare Joachims zu Christentum und Adenauerrestauration das sommerliche Idyll und tauchen die Realität der 50er Jahre in unbarmherzig grelles Licht. Wie stark die gesellschaftlichen Konventionen sind, muss Joachim am Ende selbst schmerzhaft erfahren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2000Paddeln mit Arno
Der "Seelandschaft mit Pocahontas" auf den schlickdicken Grund gekommen / Von Thomas Wirtz
Unverkennbar: "Ain Pa'lbooooot!!", das samt stocksteifem Benutzer gemächlich vorüberzieht, "weiß, mit flotter, kalkblauer Stromlinie und innen zinnoberrot; herausnehmbare Rückenlehnen; ein Holzpritschelchen als sportlich magerer Sitz (,Morgen nehm ich ma n Kissen mit!')"; auf das fehlende Kissen gebettet der große Dichter, der mienenstreng seinen Weg wasserbahnt mitten durchs Ungefähre, federkieloben, sein Gerät ins Wörtermeer tauchend. Ungebeugt und götzenhaft sitzt er in dieser weißhölzernen Zerbrechlichkeit, weitsichtig den Blick auf das Ufer gerichtet, einsrechts, einslinks und immer diszipliniert sich vorausschaufelnd, den Zuschauer seines Handwerks keines Blickes würdigend, ein abweisend Einsamer, der nicht auf dem Strom der Zeit dahingleitet, sondern auf dem See mit dem merkwürdig gesteigerten Namen "Dümmer" seine verdrießlichen Runden zieht. So bewegt er sich emsig, der große Dichter, doch meidet er die untiefen, die seichten Stellen. Beinahe wäre das Fotopapier unbelichtet geblieben, die Paddelbootsfahrt schon vor dem ersten Schlag ins Wasser gefallen, weil der große Dichter Arno Schmidt nicht klein beigeben wollte. Eine Reise in diesem Adenauerjahr 1953, so Arno zu seiner Frau Alice, sei für sie beide trotz der noch geltenden Flüchtlingsermäßigung auf Bahnfahrten nicht erschwinglich. Topperle und Ringelnatz müssten auch katzenmutterseelenallein im heimatlichen Kastel zurückbleiben, die Manuskripte verlören ihren Aufseher, und überhaupt all die grundwiderlichen Reisegesichter, deren Anblick man in Zug und Bus wie lidlos ausgesetzt sei. Doch Alice, mit der quengelnden Reisestarre ihres Mannes seit Ehejahren vertraut, fand unnachgiebige Worte. Und so brachen sie am 21. Juni, schwerbeladen von Unbehagen, doch ein Hoch in Frankreich sicher im Rücken, ins Oldenburgische auf.
Im ufernahen Pensionshaus der Schomakers fanden sie für acht Mark am Tag eine reinliche Bleibe und im Frühstückszimmer die größte Privatsammlung von Dümmervögeln, blickhungrige und holzwollengestopfte Mitesser, deren flügelschlagende Verwandte sie draußen am See wieder trafen. Natürlich wollte der Dichter auch jenseits der Buchseiten das letzte Wort behalten und packte für sein angeheiratetes Leidwesen die knitterfreien Vorwürfe aus dem Koffer: "Arno allerdings", so hielt es Alice für die Nachwelt fest, "kann auch heute das Meckern nicht unterdrücken." Aber dann wurden es trotzdem noch sonnentolle Tage, der Dichter verbrannte sich seine weltentragenden Schultern und paddelte fortan strahlenabweisend im Rollkragenpullover. Auch das Schwimmen versagte er sich über dem viel zu matschigen Grund, und so richtig behaglich durfte er sich ärgern über die mitgebrachte Landkarte, die wieder einmal die Uferbepflanzung falsch schraffiert hatte, alles haltlose Binsenunweisheiten. Doch am Ende, als das Meckern nichts genützt und ein kleines Reiseglück sich in die Schmutzwäsche eingeschlichen hatte, stoßseufzte der Dichter einen einzigen Wunsch in den ungeglaubten Himmel: Möge doch der Verleger Rowohlt, der bald nicht mehr der seine bleiben wollte, am Ufer des Dümmer ein Schriftstellerwohnheim errichten.
Damit nun aus den Pauschalreiseanekdoten eine Literaturgeschichte wurde, bedurfte es am 10. Juli des Jahres eines Morgentraums, der exakt um neun Uhr fünfzehn zum Handlungsschema fixiert wurde. Und Alice, die bemeckerte Dichterlebensgefährtin und ach so kluge Tagebuchschreiberin, hat wieder einmal Recht, dass nur ein großer Mann "aus diesem fast Nichtgeschehen solch sprühende Erzählung" hatte schreiben können. In wenigen Wochen entsteht aus diesen Reisealltagen am Dümmer die Erzählung "Seelandschaft mit Pocahontas", und alles Erlebte durfte der kaufende Leser bald dort nachlesen: die Unverträglichkeit von Oldenburger Speckkuchen, dessen Fett auch der robuste Magen nicht eine ganze Nacht bei sich behalten wollte, die grünblauen Flecken, die man sich beim Einsteigen ins schwankende Boot holt, die beißenden Liebesnächte.
Und doch versumpft das Erzählen keinen Moment in der unzarten Empirie. Denn der große Dichter durchschießt seine Wirklichkeit mit einem bitteren Tagtraum, die allzubekannte Ehefrau verwandelt er in eine knochenschlanke Textilbekleidungsstenotypistin, die am Urlaubsende wenig sentimental in den verschwindenden Bus gesetzt wird. Es ist ein schuldiges Paradies, ein ergaunerter Naturzustand, der hier am Dümmer seine Grenzen absteckt, ein erotischer Garten Eden, in dem mit harter Mark bezahlt werden muss. Und weil das idyllische Leben nicht zu haben ist, umgarnen nur die Worte einander. Sie sind die Ersatzstoffe in dichterarmen Zeiten, sie verschwenden sich in immer neuen Stellungen und beweisen einen Sprachreichtum, dem nichts im gemeinen Leben gleichkommt. Große Literatur eines armen Poeten: Bis zur Kenntlichkeit hat er sich in der Wortseelandschaft versteckt.
Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach haben nun alle Vorarbeiten zur "Seelandschaft" gesammelt und daraus ein Buch gemacht, wie es sich schöner nicht tagträumen lässt. Alle 638 Notizzettel werden ebenso farbig faksimiliert wie das erste Typoskript, das Arno Schmidt mit Kleber, Stift und Farbband bearbeitet hat, ein wirkliches Handwerk, das von Lust und Schweiß seiner Verfertigung zeugt. Und vor allem finden sich dabei Auszüge aus Alice Schmidts Tagebuch, von dem man nicht genug bekommen kann, weil es so leberfrisch und schnörkellos daherkommt. Wie eine Landkarte weist dieses Tagebuch den literarischen Weg zum "Pocahöntlein" und hält einen lebendigen Ton, der selbst kopfüber in die Literatur hineinspringt. Paddeln mit Arno, sonnendösen neben Alice: Dieses wunderbare Buch nimmt alle Leser mit ins Boot, die auch am Anstößigen nicht den blauen Flecken fürchten.
Arno Schmidt: "Seelandschaft mit Pocahontas". Zettel und andere Materialien. Hrsg. von Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach. Arno Schmidt Stiftung, Bargfeld 2000. 211 S., geb. mit vielen Faks., 180,- DM.
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Der "Seelandschaft mit Pocahontas" auf den schlickdicken Grund gekommen / Von Thomas Wirtz
Unverkennbar: "Ain Pa'lbooooot!!", das samt stocksteifem Benutzer gemächlich vorüberzieht, "weiß, mit flotter, kalkblauer Stromlinie und innen zinnoberrot; herausnehmbare Rückenlehnen; ein Holzpritschelchen als sportlich magerer Sitz (,Morgen nehm ich ma n Kissen mit!')"; auf das fehlende Kissen gebettet der große Dichter, der mienenstreng seinen Weg wasserbahnt mitten durchs Ungefähre, federkieloben, sein Gerät ins Wörtermeer tauchend. Ungebeugt und götzenhaft sitzt er in dieser weißhölzernen Zerbrechlichkeit, weitsichtig den Blick auf das Ufer gerichtet, einsrechts, einslinks und immer diszipliniert sich vorausschaufelnd, den Zuschauer seines Handwerks keines Blickes würdigend, ein abweisend Einsamer, der nicht auf dem Strom der Zeit dahingleitet, sondern auf dem See mit dem merkwürdig gesteigerten Namen "Dümmer" seine verdrießlichen Runden zieht. So bewegt er sich emsig, der große Dichter, doch meidet er die untiefen, die seichten Stellen. Beinahe wäre das Fotopapier unbelichtet geblieben, die Paddelbootsfahrt schon vor dem ersten Schlag ins Wasser gefallen, weil der große Dichter Arno Schmidt nicht klein beigeben wollte. Eine Reise in diesem Adenauerjahr 1953, so Arno zu seiner Frau Alice, sei für sie beide trotz der noch geltenden Flüchtlingsermäßigung auf Bahnfahrten nicht erschwinglich. Topperle und Ringelnatz müssten auch katzenmutterseelenallein im heimatlichen Kastel zurückbleiben, die Manuskripte verlören ihren Aufseher, und überhaupt all die grundwiderlichen Reisegesichter, deren Anblick man in Zug und Bus wie lidlos ausgesetzt sei. Doch Alice, mit der quengelnden Reisestarre ihres Mannes seit Ehejahren vertraut, fand unnachgiebige Worte. Und so brachen sie am 21. Juni, schwerbeladen von Unbehagen, doch ein Hoch in Frankreich sicher im Rücken, ins Oldenburgische auf.
Im ufernahen Pensionshaus der Schomakers fanden sie für acht Mark am Tag eine reinliche Bleibe und im Frühstückszimmer die größte Privatsammlung von Dümmervögeln, blickhungrige und holzwollengestopfte Mitesser, deren flügelschlagende Verwandte sie draußen am See wieder trafen. Natürlich wollte der Dichter auch jenseits der Buchseiten das letzte Wort behalten und packte für sein angeheiratetes Leidwesen die knitterfreien Vorwürfe aus dem Koffer: "Arno allerdings", so hielt es Alice für die Nachwelt fest, "kann auch heute das Meckern nicht unterdrücken." Aber dann wurden es trotzdem noch sonnentolle Tage, der Dichter verbrannte sich seine weltentragenden Schultern und paddelte fortan strahlenabweisend im Rollkragenpullover. Auch das Schwimmen versagte er sich über dem viel zu matschigen Grund, und so richtig behaglich durfte er sich ärgern über die mitgebrachte Landkarte, die wieder einmal die Uferbepflanzung falsch schraffiert hatte, alles haltlose Binsenunweisheiten. Doch am Ende, als das Meckern nichts genützt und ein kleines Reiseglück sich in die Schmutzwäsche eingeschlichen hatte, stoßseufzte der Dichter einen einzigen Wunsch in den ungeglaubten Himmel: Möge doch der Verleger Rowohlt, der bald nicht mehr der seine bleiben wollte, am Ufer des Dümmer ein Schriftstellerwohnheim errichten.
Damit nun aus den Pauschalreiseanekdoten eine Literaturgeschichte wurde, bedurfte es am 10. Juli des Jahres eines Morgentraums, der exakt um neun Uhr fünfzehn zum Handlungsschema fixiert wurde. Und Alice, die bemeckerte Dichterlebensgefährtin und ach so kluge Tagebuchschreiberin, hat wieder einmal Recht, dass nur ein großer Mann "aus diesem fast Nichtgeschehen solch sprühende Erzählung" hatte schreiben können. In wenigen Wochen entsteht aus diesen Reisealltagen am Dümmer die Erzählung "Seelandschaft mit Pocahontas", und alles Erlebte durfte der kaufende Leser bald dort nachlesen: die Unverträglichkeit von Oldenburger Speckkuchen, dessen Fett auch der robuste Magen nicht eine ganze Nacht bei sich behalten wollte, die grünblauen Flecken, die man sich beim Einsteigen ins schwankende Boot holt, die beißenden Liebesnächte.
Und doch versumpft das Erzählen keinen Moment in der unzarten Empirie. Denn der große Dichter durchschießt seine Wirklichkeit mit einem bitteren Tagtraum, die allzubekannte Ehefrau verwandelt er in eine knochenschlanke Textilbekleidungsstenotypistin, die am Urlaubsende wenig sentimental in den verschwindenden Bus gesetzt wird. Es ist ein schuldiges Paradies, ein ergaunerter Naturzustand, der hier am Dümmer seine Grenzen absteckt, ein erotischer Garten Eden, in dem mit harter Mark bezahlt werden muss. Und weil das idyllische Leben nicht zu haben ist, umgarnen nur die Worte einander. Sie sind die Ersatzstoffe in dichterarmen Zeiten, sie verschwenden sich in immer neuen Stellungen und beweisen einen Sprachreichtum, dem nichts im gemeinen Leben gleichkommt. Große Literatur eines armen Poeten: Bis zur Kenntlichkeit hat er sich in der Wortseelandschaft versteckt.
Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach haben nun alle Vorarbeiten zur "Seelandschaft" gesammelt und daraus ein Buch gemacht, wie es sich schöner nicht tagträumen lässt. Alle 638 Notizzettel werden ebenso farbig faksimiliert wie das erste Typoskript, das Arno Schmidt mit Kleber, Stift und Farbband bearbeitet hat, ein wirkliches Handwerk, das von Lust und Schweiß seiner Verfertigung zeugt. Und vor allem finden sich dabei Auszüge aus Alice Schmidts Tagebuch, von dem man nicht genug bekommen kann, weil es so leberfrisch und schnörkellos daherkommt. Wie eine Landkarte weist dieses Tagebuch den literarischen Weg zum "Pocahöntlein" und hält einen lebendigen Ton, der selbst kopfüber in die Literatur hineinspringt. Paddeln mit Arno, sonnendösen neben Alice: Dieses wunderbare Buch nimmt alle Leser mit ins Boot, die auch am Anstößigen nicht den blauen Flecken fürchten.
Arno Schmidt: "Seelandschaft mit Pocahontas". Zettel und andere Materialien. Hrsg. von Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach. Arno Schmidt Stiftung, Bargfeld 2000. 211 S., geb. mit vielen Faks., 180,- DM.
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