Habib Tengour ist der Prototyp des maghrebinischen Migranten: "Das Exil ist mein Beruf, ihn zu wechseln ist hart", resümiert er schon als 29-Jähriger seine Lebens- und Berufserfahrung. Später formuliert er jenes Motto, das die Lebensläufe ganzer Generationen (nicht nur) maghrebinischer Migranten reflektiert: "Es gibt wohl einen klar umgrenzten Raum genannt Maghreb, doch der Maghrebiner ist immer anderswo. Und er verwirklicht sich nur dort."
Tengours Figuren sind Grenzgänger, die Grenzen so flirrend wie vielfältig, zwischen Diesseits und Jenseits, Tradition und Moderne, Traumwelt und Tagwelt, Orient und Okzident, dem Wir und dem Ich. Zwischen Welten, die Tengour schreibend zu fusionieren und zu explorieren versucht.
Poesie aus dem Maghreb führt im deutschen Sprachraum traditionell ein Schattendasein. Wer stöbert, findet wohl hier und da einige Gedichte in Zeitschriften, Anthologien oder Sondernummern, doch allerhöchstens eine Handvoll Lyrikbände. Ein erstaunlicher Befund, der in krassem Gegensatz zur Verlagsstatistik des frankophonen Maghreb steht, denn auf einen Roman kommen im Schnitt zwei Gedichtbände: Reflex der legendären Vorliebe für Lyrik in der arabischen Welt, die vor der Sprachgrenze keineswegs Halt macht.
Wir haben den Bogen über ein Vierteljahrhundert Tengourscher Lyrik gespannt, von 1981 bis 2003: im Mittelfeld die politisch bewegten Texte der 1990er, die auf kollektive Belange, auf Bürgerkrieg, Emigration und Exil fokussieren; an den Endpolen die sanfteren Texte, die der Selbstreflexion des lyrischen Subjekts Platz einräumen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Tengours Figuren sind Grenzgänger, die Grenzen so flirrend wie vielfältig, zwischen Diesseits und Jenseits, Tradition und Moderne, Traumwelt und Tagwelt, Orient und Okzident, dem Wir und dem Ich. Zwischen Welten, die Tengour schreibend zu fusionieren und zu explorieren versucht.
Poesie aus dem Maghreb führt im deutschen Sprachraum traditionell ein Schattendasein. Wer stöbert, findet wohl hier und da einige Gedichte in Zeitschriften, Anthologien oder Sondernummern, doch allerhöchstens eine Handvoll Lyrikbände. Ein erstaunlicher Befund, der in krassem Gegensatz zur Verlagsstatistik des frankophonen Maghreb steht, denn auf einen Roman kommen im Schnitt zwei Gedichtbände: Reflex der legendären Vorliebe für Lyrik in der arabischen Welt, die vor der Sprachgrenze keineswegs Halt macht.
Wir haben den Bogen über ein Vierteljahrhundert Tengourscher Lyrik gespannt, von 1981 bis 2003: im Mittelfeld die politisch bewegten Texte der 1990er, die auf kollektive Belange, auf Bürgerkrieg, Emigration und Exil fokussieren; an den Endpolen die sanfteren Texte, die der Selbstreflexion des lyrischen Subjekts Platz einräumen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2009Die Tataren sind los
Tataren kommen aus dem Osten. Ursprünglich stammen sie aus der Mongolei, von wo sie unter Führung Dschingis Khans nach Westen stürmten und auf ihrem Weg zum beliebten Feindbild avancierten. Aber das ist lange her, und der Name hat an Kontur verloren: Tataren? Wer waren die noch mal? So jedenfalls stellt es der algerische, seit Jahren in Paris lebende Dichter und Ethnologe Habib Tengour dar, dem man historische Ignoranz darum allerdings nicht vorwerfen kann. Bei Tengour sind "Tataren" eine Chiffre für die Fremden, wo auch immer sie herkommen. "Besagter Tatar" heißt eins von Tengours nun in einer zweisprachigen Ausgabe erschienenen Gedichten, und dieser Tatar verwandelt sich in alles, was die westliche Furcht ihm anträgt: Er kann zum Terroristen werden, zum mittellosen Flüchtling, zum skurrilen Bauern aus östlichem Hinterland, den es unpassenderweise in eine westliche Großstadt verschlagen hat. In scharfen Bildern zeigt Tengour, wie sich an der Figur des Fremden die unterschiedlichsten Phantasien entzünden und ihn in eine mythische Gestalt verwandeln, zum Protagonisten einer Geschichte, die er selbst kaum kennt und noch weniger gelebt hat. Wenn also von den stürmischen Tataren früherer Zeiten heute noch ein Befehl ausginge, dann wäre es der, die eigene Wahrnehmung zu schärfen, in der Begegnung mit den Fremden Fakten und Fiktionen auseinanderzuhalten. Es mag ein Glück sein, in zwei Kulturen zu leben, erfährt man in Tengours sämtlich dem Thema des Exils gewidmeten Gedichten. Ein Glück, noch mehr aber eine Kunst: die Kunst, im Sturm der Bilder man selbst zu bleiben. (Habib Tengour: "Seelenperlmutt". Gedichte. Französisch-Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Regina Keil-Sagawe. Verlag Hans Schiler, Berlin, 2009. 129 S., br., 18,- [Euro].) nipp
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tataren kommen aus dem Osten. Ursprünglich stammen sie aus der Mongolei, von wo sie unter Führung Dschingis Khans nach Westen stürmten und auf ihrem Weg zum beliebten Feindbild avancierten. Aber das ist lange her, und der Name hat an Kontur verloren: Tataren? Wer waren die noch mal? So jedenfalls stellt es der algerische, seit Jahren in Paris lebende Dichter und Ethnologe Habib Tengour dar, dem man historische Ignoranz darum allerdings nicht vorwerfen kann. Bei Tengour sind "Tataren" eine Chiffre für die Fremden, wo auch immer sie herkommen. "Besagter Tatar" heißt eins von Tengours nun in einer zweisprachigen Ausgabe erschienenen Gedichten, und dieser Tatar verwandelt sich in alles, was die westliche Furcht ihm anträgt: Er kann zum Terroristen werden, zum mittellosen Flüchtling, zum skurrilen Bauern aus östlichem Hinterland, den es unpassenderweise in eine westliche Großstadt verschlagen hat. In scharfen Bildern zeigt Tengour, wie sich an der Figur des Fremden die unterschiedlichsten Phantasien entzünden und ihn in eine mythische Gestalt verwandeln, zum Protagonisten einer Geschichte, die er selbst kaum kennt und noch weniger gelebt hat. Wenn also von den stürmischen Tataren früherer Zeiten heute noch ein Befehl ausginge, dann wäre es der, die eigene Wahrnehmung zu schärfen, in der Begegnung mit den Fremden Fakten und Fiktionen auseinanderzuhalten. Es mag ein Glück sein, in zwei Kulturen zu leben, erfährt man in Tengours sämtlich dem Thema des Exils gewidmeten Gedichten. Ein Glück, noch mehr aber eine Kunst: die Kunst, im Sturm der Bilder man selbst zu bleiben. (Habib Tengour: "Seelenperlmutt". Gedichte. Französisch-Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Regina Keil-Sagawe. Verlag Hans Schiler, Berlin, 2009. 129 S., br., 18,- [Euro].) nipp
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