Ein Buch über die Praxis des Zeigens
Innerhalb der Zeige-Forschung haben sich zwei Strömungen herauskristallisiert und zwar die evolutionäre und die phänomenologische Beschreibung des Zeigens. Im ersteren Sinne ist Zeigen etwas Ursprüngliches, ein erster Schritt auf dem evolutionären Weg zur
Sprache. Die zweite Form der Beschreibung widerspricht dieser nicht und kann als deren Ergänzung…mehrEin Buch über die Praxis des Zeigens
Innerhalb der Zeige-Forschung haben sich zwei Strömungen herauskristallisiert und zwar die evolutionäre und die phänomenologische Beschreibung des Zeigens. Im ersteren Sinne ist Zeigen etwas Ursprüngliches, ein erster Schritt auf dem evolutionären Weg zur Sprache. Die zweite Form der Beschreibung widerspricht dieser nicht und kann als deren Ergänzung angesehen werden. Danach hat sich das Zeigen als eigenständige Dimension des menschlichen Handelns (weiter)entwickelt, welche nicht auf Sprache reduziert wird, sondern neben anderen Bewusstseinsleistungen existiert.
Autor Lambert Wiesing setzt sich mit der Frage auseinander, „wer“ etwas zeigt, wenn davon die Rede ist, dass ein Bild etwas zeigt. Da „Zeigen“ eine Handlung ist, muss ein Subjekt vorausgesetzt werden, welches etwas zeigt. Das Subjekt entscheidet darüber, was das Bild zeigen soll. „Das Bild zeigt Paris“ heißt genau genommen „Jemand zeigt jemandem mit dem Bild Paris“.
Aber ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Einerseits gilt als richtig, dass man mit Bildern die realen, sichtbaren Dinge dieser Welt zeigen kann, andererseits ist der Hinweis ebenso überzeugend, dass der Betrachter durch ein Bild keineswegs den realen Gegenstand selbst zu sehen bekommt. Damit stößt man auf eine zentrale Frage der philosophischen Bildtheorie, mit der sich Wiesing im zweiten Teil des Buches beschäftigt..
Der Autor erklärt die Positionen der Illusionstheorie, der Phänomenologie und der neuen Bildmythologie. Bilder und Illusionen haben gemeinsam, dass für den Betrachter etwas sichtbar wird, was im physischen Sinne nicht real gegenwärtig ist. „Für Günther Anders zeigt ein Bild nicht etwas Reales, das nicht-anwesend ist, sondern das Bild zeigt etwas Nicht-Reales, das anwesend ist.“ (69)
Im Zuge der Erläuterungen zur neuen Bildmythologie macht Wiesing auf ein Kategorieproblem aufmerksam. Die Aussage „Ein Bild zeigt das und das“ ist genauso falsch wie die Aussage „Das Gehirn denkt das und das“. (80) In beiden Fällen wird ein physisches Ding vermenschlicht, um einen geistigen Vorgang zu beschreiben.
Wiesing liefert sechs Beschreibungen für das Zeigen. Angefangen mit der pragmatischen Interpretation, wonach das Bild nicht nur, aber auch ein Werkzeug zum Zeigen ist, führt sein Weg zur für alle Kulturen bedeutenden Zentralperspektive.
In einer Zeitschrift werden Bilder in einem eindeutigen Verwendungszusammenhang gezeigt, im Museum ist die Situation eine andere. Das Museum konfrontiert den Besucher mit Bildern, weil sie Bilder sind. Das Bild selbst ist das Objekt der musealen Zeige-Handlung. „Kunstausstellungen zeigen nicht zeigende Bilder, sondern sie zeigen die Möglichkeiten, wie Bilder zeigen können.“ (191)
Wiesing beschäftigt sich mit kausalen Zusammenhängen zwischen Bild und Gegenstand. „Wer mit etwas etwas in der Welt zeigen möchte, muss entweder eine Spur von diesem Etwas zum Zeigen verwenden oder etwas so zum Zeigen verwenden, als wäre es eine Spur.“ (215) Mit „Spur“ ist im weitesten Sinne ein kausaler Zusammenhang gemeint.
„Sehen lassen“ ist ein interdisziplinäres Fachbuch, in dem ein sehr spezielles Thema differenziert analysiert wird. Lambert Wiesing widerspricht darin dem Mythos, Bilder würden allein deshalb etwas zeigen, weil auf ihnen etwas sichtbar ist. Inhaltlich führen die Darstellungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu thematischen Überschneidungen. Dem Leser geht es so, wie dem Autor, bevor er sich mit der Thematik beschäftigt hatte: „Der Begriff erschien mir – heute möchte ich sagen: zu lange – unproblematisch und selbstverständlich.“ (7) Ich hätte mir am Ende der Kapitel kurze Zusammenfassungen mit den wesentlichen Aussagen gewünscht.