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Ryszard Krynicki zählt zu den "wichtigsten lyrischen Stimmen" (Ilma Rakusa) aus Polen. Dieser Band versammelt eine breite Auswahl seines Schaffens, von den widerständigen politischen Gedichten bis zu den Haikus der letzten Jahre, in denen Krynicki die ganze Schönheit und Vergänglichkeit der Welt zu bündeln vermag. "Ein Pfauenauge? / Brüchige Schönheit, trauernd / die Flügel faltend." Krynickis Gedichte sind fast immer eine Reflexion der eigenen Machtlosigkeit gegenüber einer widersprüchlichen, oft rätselhaften Wirklichkeit. Doch dabei sind sie auch eine unmissverständliche Verteidigung der…mehr

Produktbeschreibung
Ryszard Krynicki zählt zu den "wichtigsten lyrischen Stimmen" (Ilma Rakusa) aus Polen. Dieser Band versammelt eine breite Auswahl seines Schaffens, von den widerständigen politischen Gedichten bis zu den Haikus der letzten Jahre, in denen Krynicki die ganze Schönheit und Vergänglichkeit der Welt zu bündeln vermag. "Ein Pfauenauge? / Brüchige Schönheit, trauernd / die Flügel faltend." Krynickis Gedichte sind fast immer eine Reflexion der eigenen Machtlosigkeit gegenüber einer widersprüchlichen, oft rätselhaften Wirklichkeit. Doch dabei sind sie auch eine unmissverständliche Verteidigung der Poesie. "Alles können wir verlieren, / alles kann man uns nehmen, // nur nicht das freie, / das namenlose Wort."
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Autorenporträt
Ryszard Krynicki, geboren 1943 im Lager Windberg, St. Valentin, Deutsches Reich, ist ein polnischer Dichter, Übersetzer deutscher Lyrik (u.a. Paul Celan und Nelly Sachs) und Verleger und gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der zeitgenössischen polnischen Poesie. 2015 wurde er für sein Werk mit dem Zbigniew-Herbert-Literaturpreis ausgezeichnet. Ryszard Krynicki lebt in Krakau. Bei Hanser erschien der Gedichtband "Sehen wir uns noch?" (2017).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2017

Seine Sphinx ist eine Schnecke
Ein Auswahlband des polnischen Lyrikers und Übersetzers Ryszard Krynicki

Als in Polen Krieg und Besatzungsterror und die schlimmste Zeit des Kommunismus vergangen waren, kam es nach 1956 zu einer Art von Normalisierung der gesellschaftlichen Lage. "Kleine Stabilisierung" nannte man das; ihr entsprach in der Literatur der "kleine Realismus". Die Schriftsteller schmiegten sich der Wirklichkeit an, akzeptierten die Machtverhältnisse in der fortdauernden Diktatur, schraubten ihren Anspruch, die Welt zu interpretieren oder gar zu verändern, deutlich herunter.

Das konnte nicht gutgehen. Spätestens mit dem zornigen Manifest "Die nicht dargestellte Welt" (1974) der Dichter Julian Kornhauser und Adam Zagajewski wurde in der Literatur eine neue Zeitrechnung eingeläutet. Ryszard Krynicki fragte in jenen Jahren einen Dichter als fiktiven Gesprächspartner: "Aber unterscheidest du die Himmelsrichtungen, und wenn ja, / für welche sprichst du dich aus: verteidigst du die Würde, / oder erliegst du der Gewalt? / Oder scheint dir vielleicht, die Dichtung, / das sei der längste Urlaub des Lebens?"

Schon vor der Prosa hatte sich in der Lyrik eine neue Unruhe verbreitet. Der erste Schock für viele Intellektuelle ereignete sich 1968, als ein Stück von Adam Mickiewicz zensiert werden sollte, Studenten protestierten und die Machthaber als Antwort eine antisemitische Kampagne entfesselten. Darauf reagierten die Dichter: mit einer Hinwendung zur bisher "nicht dargestellten" Welt, mit der Suche nach einer neuen Ethik und einer glaubwürdigen Sprache. Manche schlossen sich wie Krynicki der entstehenden Opposition an oder gingen ins Exil.

Diese Lyriker werden inzwischen als "Neue Welle" oder als "Generation 68" bezeichnet. Ryszard Krynicki ist unter ihnen einer der wichtigsten. Von ihm ist bereits einiges in Deutschland erschienen. Nun schlägt ein neues Buch mit Gedichten, viele davon erstmals übersetzt, einen Bogen von 1969 bis fast in die Gegenwart.

Es ist ein facettenreicher Krynicki, der hier präsentiert wird. "Ich bestehe aus Zellen: / aber wie weit entfernt / von ihrer unmenschlichen Vollkommenheit." In dieser haikuartigen Kürze schrieb er gelegentlich schon in den siebziger Jahren; in jüngster Zeit immer öfter. In diesem Gedicht blitzt Selbstzweifel auf, aus anderen Versen spricht von der Geschichte genährte Angst vor der Zukunft. "Alles kann man uns nehmen", heißt es dort, Bücher, Bilder, Bernsteinketten, "nur nicht das freie, / das namenlose Wort, / auch wenn es uns nur durchrieselt."

Ein wichtiges Element in Krynickis Lyrik ist die Asche. Krieg und Nachkrieg, Asche der Kindheit. "Was für ein Glück", ist ein frühes Gedicht überschrieben: Zwei überlebende Juden treffen sich glücklich am Zentralbahnhof in Warschau, "der aufgebaut ist auf der Asche, den Atemzügen und dem Staub der Toten". Und sie tun das, was sie tun können: Sie erinnern sich. An Himmel und Landschaft, an Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Mitleid, "an das Alpha und Omega des in der umgesiedelten Luft flach / begrabenen Rauchs". An verbrannte Bücher, alte und neue Verfolger und "die nur noch in unseren Herzen weiterlebenden Mädchen".

Krynicki wurde 1943 als Sohn von Zwangsarbeitern in einem Lager in Österreich geboren. Daran knüpft er im Gedicht "Geburtsurkunde" an ("als auf dem Transport Geborenem / fiel mir der Todesplatz zu"). Später landete die Familie in Gorzów (Landsberg an der Warthe), in einem Haus zuvor vertriebener Deutscher. Heute lebt Krynicki in Krakau, wo er mit sejner Frau Krystyna seit 1989 den Literaturverlag "a5" betreibt. Seine spärlichen späten Gedichte sind vielfach Notate von Reisen: in deutsche Großstädte oder auf den Spuren Kafkas, Celans und Pounds. Viele deutsche Dichter hat er übersetzt. Bertolt Brecht, einem von ihnen, schickt er hier süffisant die Frage hinterher, warum er sich denn im schlimmen Amerika jahrelang so wohl gefühlt habe.

Unter den Dichtern der Neuen Welle ging Krynicki früh den Weg der Verknappung, bis fast an die Grenze zur Stille. "Du bist mein einziges Vaterland, Schweigen, // in dem alle vergeblichen Worte / enthalten sind", heißt es in einem hier leider nicht vertretenen Gedicht. Schweigen, Weile, Langsamkeit - und die Schnecke. Schon vor drei Jahrzehnten zitierte Krynicki den Haiku-Dichter Kobayashi Issa: "Klettere, kleine Schnecke, / den Berg Fuji hinauf, / aber langsam." Seitdem verfolgt ihn dieses Tier, erscheint auf seinem Hochhausbalkon, erscheint ihm als Sphinx, als radikaler Widerspruch zur Unbehaustheit und Hektik unserer Zeit. Am Ende spricht er die Schnecke, "meine ältere Schwester", direkt an: "Beide wissen wir nicht, / wozu wir geschaffen wurden. / Beide notieren wir stumme Fragen, / jeder mit seiner intimsten Schrift: / mit Angstschweiß, Samen, Schleim."

GERHARD GNAUCK

Ryszard Krynicki: "Sehen wir uns noch?" Gedichte.

Aus dem Polnischen von Karl Dedecius u. a.

Carl Hanser Verlag, München 2017. 164 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Bei aller Skepsis durchzieht ein Glaube an die Kraft der Poesie diese Zeilen, wie man ihm nur selten begegnet. Gut vorstellbar, dass von Krynickis Versen weit mehr bleiben wird als nur Spuren von Asche oder die 'kaum lesbaren Abdrücke / von Katzenpfoten' auf dem Manuskript." Nico Bleutge, Süddeutsche Zeitung, 29.08.17