Texte von Goethe bis heute versammelt, die von der besonderen Anziehungskraft Indiens auf Europa während der letzten zwei Jahrhunderte erzählen. Sie zeigen, wie europäische Wunschbilder einen Indienmythos erschufen und verwandelten, bis zu der erwartungsvollen Annäherung an das Indien von heute. Mit Texten unter anderem von: Herder, Goethe, Novalis, den Brüdern Schlegel, Jean Paul, Heinrich Heine, Friedrich Rückert, Schopenhauer, Nietzsche, Max Müller, Hermann Hesse, Stefan Zweig bis hin zu Martin Mosebach, Ilja Trojanow und Peter Sloterdijk.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2006Blumiger Wahnsinn
Lotusblüten, aufgeblasene Ghandis und eine Lady mit Nilpferdpeitsche: Neuerscheinungen über Indien zur Frankfurter Buchmesse
Pfeffer, Zimt und Lotusblumen, schöne, vergeistigte Menschen, die keiner Fliege etwas antun würden? Deutsche haben Indien oft als Gegenbild zur europäischen Welt beschrieben, wenn auch aus der Ferne, ohne das Land selbst zu kennen. Die Anthologie "Sehnsucht nach Indien" versammelt jetzt literarische Indien-Texte vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart: Herder beschrieb Indien noch schwärmerisch als "Goldenes Zeitalter", die Romantiker machten es zum Sinnbild der Sehnsucht. Heinrich Heine ironisierte dann endlich die Indien-Klischees: "Am Ganges duftets und leuchtets / Und Riesenbäume blühn / Und schöne, stille Menschen / Vor Lotusblumen knien." Erst 1869 wurde der Suezkanal eröffnet. Die Schriftsteller, die nun nach Indien reisten, mußten Erträumtes von Erlebtem trennen. Eine Entzauberung: Günter Grass zum Beispiel sprach dann später nicht mehr von Lotusblumen, sondern von "blumigem Wahnsinn".
Indien hat eine Milliarde Einwohner, über 600 Sprachen und etliche Religionen. Kann es dennoch so etwas geben wie eine indische Identität, einen gemeinsamen Nenner in einem vielfältigen Volk? Das Buch "Die Inder. Porträt einer Gesellschaft" versucht diese Frage zu beantworten. Die Autoren Sudhir und Katharina Kakar, ein indischer Psychoanalytiker und eine deutsche Religionswissenschaftlerin, werfen den Blick von innen und von außen auf das Land, beschreiben vorsichtig Gemeinsamkeiten: den Stellenwert der Familie zum Beispiel, das Kastenwesen, die Einstellung zum Körper.
Den Anspruch, in seinem Buch "Indien und seine tausend Gesichter" die Wahrheit über Indien verbreiten zu wollen, weist der norwegische Autor Tor Favorik vorsichtshalber gleich im Vorwort zurück: Er verspricht jedoch "viele wichtige Bruchstücke davon". Auf seiner 10 000 Kilometer langen Rundreise durch das Land hat Favorik diese Bruchstücke gesammelt und aufgeschrieben: Reiseerlebnisse, Zeitungsartikel, Sagen, Geschichte und Politik. Entstanden ist ein Buch, das vom Lesegefühl an einen guten Roman herankommt. Die Kapitel tragen verlockende Überschriften wie "Jetzt rede ich!", "http://bangalore.com" oder "Halt die Klappe, ich halt's nicht mehr aus" und beschreiben zum Beispiel Begegnungen mit einem der Attentäter Mahatma Gandhis oder einer Hebamme, die beim Töten von weiblichen Säuglingen hilft. Unvermeidlich war wohl die Schilderung des berühmten "Lachclubs" in Bombay: Jeden Morgen versammeln sich die Mitglieder am Strand, um ausgiebig und grundlos zu lachen, anders, so der Gründer des Clubs, sei das Leben in Bombay ja gar nicht auszuhalten.
Ein Nebeneinander von Buddhas, Bollywood und bunten Saris - auch der erstaunliche und sogar lustige Bildband "Indien - Einst & Jetzt" versucht, die vielen Facetten Indiens zu erfassen. Das Buch läßt sich aus zwei Richtungen lesen: Von der einen Seite blättert man sich durch das historische Indien aus fünf Jahrtausenden, von der anderen durch moderne Bilder des Landes. Zwei bekannte indische Journalisten leiten mit einem Essay die Fotos ein: Rudrangshu Mukherjee, der unter anderem in Princeton lehrte, skizziert die Geschichte Indiens über fünf Jahrtausende. Und Vir Sanghvi, Herausgeber der "Hindustan Times", beschreibt die Geschichte des modernen Indiens nach der Unabhängigkeit von 1947 bis heute.
Schon vorher war Indien jedoch moderner, als der westliche Blick erwartet. Das beweist spätestens die Lektüre von "Die Lady mit der Nilpferdpeitsche": Dahinter steckt kein Domina-Roman, sondern das Porträt einer Frau, die ab Mitte der dreißiger Jahre in der indischen Filmindustrie Staub aufwirbelte: Fearless Nadia wurde sie genannt. Wer nur eine Szene aus einem ihrer Filme gesehen hat, versteht, warum. Geboren als Mary Evans, blond und pummelig, springt sie in knappen Shorts herum, beschenkt Arme, verprügelt ihre Feinde und reitet wie der Teufel. Eine Mischung aus Stuntfrau, Robin Hood und weiblichem Zorro mit Peitsche und Maske, die sich keß erlaubte, was keine Schauspielerin in Indien vor ihr je gewagt hätte. Die Mutter eines unehelichen Sohnes hatte viele Affären, später heiratete sie einen der Gründer ihrer Filmfirma "Wadia Movietone". Ein echtes Geschenk: die DVD, die als Extra im hinteren Buchdeckel steckt. So kann man Fearless Nadia auch in Aktion sehen.
ANNE-DORE KROHN
Veena Kade-Luthra (Herausgeber): "Sehnsucht nach Indien. Literarische Annäherungen von Goethe bis Günter Grass". C.-H.-Beck-Verlag, 285 Seiten, 9,90 Euro.
Tor Farovik: "Indien und seine tausend Gesichter. Menschen, Mythen, Landschaften". National-Geographic-Taschenbuch, 444 Seiten, 12 Euro.
Sudhir und Katharina Kakar: "Die Inder. Porträt einer Gesellschaft". C.-H.-Beck-Verlag, 205 Seiten, 19,90 Euro.
Rudrangshu Mukherjee, Vir Sanghvi: "Indien - Einst & Jetzt". Frederking & Thaler, 270 Seiten, 50 Euro.
Dorothee Wenner: "Die Lady mit der Nilpferdpeitsche. Das Leben der indischen Kinolegende Fearless Nadia". Mit farbigem Postkartensatz und DVD. Parthas-Verlag 2006, 261 Seiten, 38 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lotusblüten, aufgeblasene Ghandis und eine Lady mit Nilpferdpeitsche: Neuerscheinungen über Indien zur Frankfurter Buchmesse
Pfeffer, Zimt und Lotusblumen, schöne, vergeistigte Menschen, die keiner Fliege etwas antun würden? Deutsche haben Indien oft als Gegenbild zur europäischen Welt beschrieben, wenn auch aus der Ferne, ohne das Land selbst zu kennen. Die Anthologie "Sehnsucht nach Indien" versammelt jetzt literarische Indien-Texte vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart: Herder beschrieb Indien noch schwärmerisch als "Goldenes Zeitalter", die Romantiker machten es zum Sinnbild der Sehnsucht. Heinrich Heine ironisierte dann endlich die Indien-Klischees: "Am Ganges duftets und leuchtets / Und Riesenbäume blühn / Und schöne, stille Menschen / Vor Lotusblumen knien." Erst 1869 wurde der Suezkanal eröffnet. Die Schriftsteller, die nun nach Indien reisten, mußten Erträumtes von Erlebtem trennen. Eine Entzauberung: Günter Grass zum Beispiel sprach dann später nicht mehr von Lotusblumen, sondern von "blumigem Wahnsinn".
Indien hat eine Milliarde Einwohner, über 600 Sprachen und etliche Religionen. Kann es dennoch so etwas geben wie eine indische Identität, einen gemeinsamen Nenner in einem vielfältigen Volk? Das Buch "Die Inder. Porträt einer Gesellschaft" versucht diese Frage zu beantworten. Die Autoren Sudhir und Katharina Kakar, ein indischer Psychoanalytiker und eine deutsche Religionswissenschaftlerin, werfen den Blick von innen und von außen auf das Land, beschreiben vorsichtig Gemeinsamkeiten: den Stellenwert der Familie zum Beispiel, das Kastenwesen, die Einstellung zum Körper.
Den Anspruch, in seinem Buch "Indien und seine tausend Gesichter" die Wahrheit über Indien verbreiten zu wollen, weist der norwegische Autor Tor Favorik vorsichtshalber gleich im Vorwort zurück: Er verspricht jedoch "viele wichtige Bruchstücke davon". Auf seiner 10 000 Kilometer langen Rundreise durch das Land hat Favorik diese Bruchstücke gesammelt und aufgeschrieben: Reiseerlebnisse, Zeitungsartikel, Sagen, Geschichte und Politik. Entstanden ist ein Buch, das vom Lesegefühl an einen guten Roman herankommt. Die Kapitel tragen verlockende Überschriften wie "Jetzt rede ich!", "http://bangalore.com" oder "Halt die Klappe, ich halt's nicht mehr aus" und beschreiben zum Beispiel Begegnungen mit einem der Attentäter Mahatma Gandhis oder einer Hebamme, die beim Töten von weiblichen Säuglingen hilft. Unvermeidlich war wohl die Schilderung des berühmten "Lachclubs" in Bombay: Jeden Morgen versammeln sich die Mitglieder am Strand, um ausgiebig und grundlos zu lachen, anders, so der Gründer des Clubs, sei das Leben in Bombay ja gar nicht auszuhalten.
Ein Nebeneinander von Buddhas, Bollywood und bunten Saris - auch der erstaunliche und sogar lustige Bildband "Indien - Einst & Jetzt" versucht, die vielen Facetten Indiens zu erfassen. Das Buch läßt sich aus zwei Richtungen lesen: Von der einen Seite blättert man sich durch das historische Indien aus fünf Jahrtausenden, von der anderen durch moderne Bilder des Landes. Zwei bekannte indische Journalisten leiten mit einem Essay die Fotos ein: Rudrangshu Mukherjee, der unter anderem in Princeton lehrte, skizziert die Geschichte Indiens über fünf Jahrtausende. Und Vir Sanghvi, Herausgeber der "Hindustan Times", beschreibt die Geschichte des modernen Indiens nach der Unabhängigkeit von 1947 bis heute.
Schon vorher war Indien jedoch moderner, als der westliche Blick erwartet. Das beweist spätestens die Lektüre von "Die Lady mit der Nilpferdpeitsche": Dahinter steckt kein Domina-Roman, sondern das Porträt einer Frau, die ab Mitte der dreißiger Jahre in der indischen Filmindustrie Staub aufwirbelte: Fearless Nadia wurde sie genannt. Wer nur eine Szene aus einem ihrer Filme gesehen hat, versteht, warum. Geboren als Mary Evans, blond und pummelig, springt sie in knappen Shorts herum, beschenkt Arme, verprügelt ihre Feinde und reitet wie der Teufel. Eine Mischung aus Stuntfrau, Robin Hood und weiblichem Zorro mit Peitsche und Maske, die sich keß erlaubte, was keine Schauspielerin in Indien vor ihr je gewagt hätte. Die Mutter eines unehelichen Sohnes hatte viele Affären, später heiratete sie einen der Gründer ihrer Filmfirma "Wadia Movietone". Ein echtes Geschenk: die DVD, die als Extra im hinteren Buchdeckel steckt. So kann man Fearless Nadia auch in Aktion sehen.
ANNE-DORE KROHN
Veena Kade-Luthra (Herausgeber): "Sehnsucht nach Indien. Literarische Annäherungen von Goethe bis Günter Grass". C.-H.-Beck-Verlag, 285 Seiten, 9,90 Euro.
Tor Farovik: "Indien und seine tausend Gesichter. Menschen, Mythen, Landschaften". National-Geographic-Taschenbuch, 444 Seiten, 12 Euro.
Sudhir und Katharina Kakar: "Die Inder. Porträt einer Gesellschaft". C.-H.-Beck-Verlag, 205 Seiten, 19,90 Euro.
Rudrangshu Mukherjee, Vir Sanghvi: "Indien - Einst & Jetzt". Frederking & Thaler, 270 Seiten, 50 Euro.
Dorothee Wenner: "Die Lady mit der Nilpferdpeitsche. Das Leben der indischen Kinolegende Fearless Nadia". Mit farbigem Postkartensatz und DVD. Parthas-Verlag 2006, 261 Seiten, 38 Euro.
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