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Über einen Zeitraum von zehn Jahren führten die beiden angesehenen DDR-Autorinnen Brigitte Reimann und Christa Wolf einen intensiven Briefwechsel. Persönliches kommt zur Sprache und von den Zeitumständen ist die Rede. Die Korrespondenz endet mit dem Tod Brigitte Reimanns, 1973.

Produktbeschreibung
Über einen Zeitraum von zehn Jahren führten die beiden angesehenen DDR-Autorinnen Brigitte Reimann und Christa Wolf einen intensiven Briefwechsel. Persönliches kommt zur Sprache und von den Zeitumständen ist die Rede. Die Korrespondenz endet mit dem Tod Brigitte Reimanns, 1973.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Ganz begeistert liest Rezensentin Katharina Granzin diesen von einigen Tagebucheinträgen flankierten Briefwechsel zwischen den Schriftstellerinnen Christa Wolf und Brigitte Reimann, der für sie nicht nur Zeugnis einer intensiven intellektuellen Freundschaft darstellt, sondern auch einer Korrespondenzkultur, die im Zuge der digitalen Kommunikationsweise von heute offenbar verloren gegangen ist. Insbesondere das beidseitige Bemühen um sprachliche wie äußere Form imponiert der Kritikerin: Die Verwendung defizitären Papiermaterials werde genauso entschuldigend kommentiert wie etwa der Griff zur Schreibmaschine. So erschöpft sich der Reiz dieser Korrespondenz nicht nur im Nachvollzug "kulturpolitischer Zeitläufe", sondern auch in den Facetten dieser sehr persönlichen Beziehung, wie sie in solchen Formsensiblitäten zum Ausdruck kommen, schreibt die Kritikerin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.05.2016

Feuer, Flamme und Asche
Ein Künstlerroman: Die Neuausgabe des Briefwechsels zwischen Christa Wolf und Brigitte Reimann
Zwei Frauen: Die eine ist 34 Jahre alt, als sie einander näher kennenlernen, die andere 30. Beide sind Schriftstellerinnen, beide stehen noch am Anfang ihrer Autorinnen-Karriere und sind mit ihren Arbeiten doch früh schon bekannt geworden: Brigitte Reimann hat mit ihrer 1961 erschienenen Erzählung „Ankunft im Alltag“ einer ganzen literarischen Richtung, der „Ankunftsliteratur“, den Namen gegeben. Christa Wolfs Erzählung „Der geteilte Himmel“, 1963 erschienen, bildet das DDR-Gegenstück zu Uwe Johnsons vier Jahre zuvor in der BRD publiziertem Roman „Mutmaßungen über Jakob“ und wird heiß diskutiert. Zu Beginn der 1960er-Jahre tritt in der DDR eine neue Autoren-Generation auf die Bühne, Christa Wolf und Brigitte Reimann sind deren weibliche Aushängeschilder.
  Die aber zunächst miteinander nicht viel anfangen können, im Gegenteil. „Ich bin abscheulich brummig“, schreibt Brigitte Reimann am 12. Februar 1960 im Vorzeige-Industriestandort Hoyerswerda, in dessen Kombinat „Schwarze Pumpe“ sie in einer Brigade mitarbeitet und einen „Zirkel schreibender Arbeiter“ leitet, in ihr Tagebuch. Sie hat ihre „beste Feindin“ Christa Wolf im Verdacht, ihr als Jury-Mitglied einen Literaturpreis vermasselt und ihn der Konkurrentin Irmtraud Morgner zugeschanzt zu haben. Eine persönliche Begegnung gut drei Jahre später bringt sie einander auch noch nicht wesentlich näher.
  Erst als sie im Oktober 1963 zusammen als Mitglieder einer Schriftstellerdelegation nach Moskau reisen, freunden sie sich an. „Christa ist so ein Mensch“, schreibt Brigitte Reimann am dritten Reise-Tag, „dem man alles sagen kann, und man weiß es bewahrt. (. . .) Ich glaube, wir verstehen uns jetzt gut (sie ist eine von den ‚Guten‘ nach meiner Kindereinteilung), ich mag sie sehr leiden.“ Während Christa Wolf distanzierter notiert: „Brigitte Reimann. Ein Kapitel für sich. Teilt die Menschen in ‚gute‘ und ‚schlechte‘ ein. Ich hatte viel damit zu tun, ihr solche unhistorischen Gesichtspunkte fragwürdig zu machen. Kam mit ziemlichen Bilderbuchvorstellungen nach Moskau (hier helfen sich alle Menschen gegenseitig, hier sagen junge Leute immerzu Gedichte auf, hier tanzen Bauern auf dem Bahnhof Hopak u. s. w.). War dann von manchem arg enttäuscht, bis . . . sich Verehrer fanden.“ Und sie setzt noch hinzu: „Kein bisschen Selbstbeherrschung. Feuer und Flamme – und fünf Minuten später: Asche. Sie wird immer nur über sich selbst schreiben können: ein großes Handicap.“
  Damit ist ein Verhältnis wie zwischen großer und kleiner Schwester begründet. Intensivieren wird es sich ab 1968, nachdem Gerhard Wolf in Hoyerswerda Brigitte Reimann besucht und seiner Frau versichert hat, wie beeindruckt er von der nun 35-Jährigen ist. Zu diesem Zeitpunkt haben Reimann und Wolf die unfassbar brutalen Funktionärs-Attacken gegen junge Autoren auf dem 11. Plenum des ZK miterlebt, Christa Wolf hat wegen ihres Eintretens für einen verfemten Kollegen ihre ZK-Anwartschaft verloren – „Rückfall in den Stalinismus“ konstatiert Reimann wütend.
  Nimmt aber auch Christa Wolf selbst gegenüber kein Blatt vor den Mund, nachdem sie eine frühe Lesung aus deren neuem Roman-Projekt „Nachdenken über Christa T.“ gehört hat. „ . . . je länger man zuhört, desto mehr spürt man etwas Gezwungenes, wenigstens Gesuchtes in dieser neuen Art zu schreiben. (. . .) Deine neue Erzählweise ist, schroff gesagt, geborgt, oder salopp gesagt: sie steht Dir nicht.“ Brigitte Reimann selbst müht sich derweil mit ihrem Roman „Franziska Linkerhand“, und dies wird auch in den kommenden Jahren so bleiben. Erst 1974, im Jahr nach ihrem frühen Tod, erscheint das Buch, unvollendet. Bei ihrem letzten Besuch am Bett der Todkranken im Februar 1973 hatte Christa Wolf sie noch gefragt, wie der Roman denn enden solle: „Ich befrage sie danach, weil irgendeiner ja den Schluss an ihrer Stelle wird machen müssen.“ Doch dazu kam es am Ende nicht.
  Dass wir der Entwicklung dieser Freundschaft zwischen zwei Schriftstellerinnen, wie sie in Naturell, Lebens-, Arbeits- und Schreibweise unterschiedlicher schwer vorstellbar sind, so detailliert folgen können, ist der Neufassung des Briefwechsels zwischen Christa Wolf und Brigitte Reimann zu danken: Waren in der Ausgabe von 1995 nur die Briefe der beiden enthalten, finden sich nun in der erweiterten Neuausgabe des Aufbau-Verlages auch Tagebuch-Einträge, die das Bild nicht einfach nur abrunden. Erkennbar wird vielmehr, was an Einsichten oder Fragen sie einander nicht zumuten mögen. Reimanns Weigerung, den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts am 21. August 1968 mit ihrer Unterschrift unter eine offizielle Note zu begrüßen, wird nicht zum Gegenstand des Briefwechsels – im Tagebuch aber fragt sie sich, ob sie die Zuwendung ihrer Briefpartnerin vielleicht diesem „stillen Widerstand“ zu danken hat.
  „Die ewige Angst“ vor Rückfällen bei ihrer Krebserkrankung, „die kindlichen Freuden, (. . .) meine Affären, die Unlust am Buch, die Leute hier“, all das findet nicht den Weg aus dem Tagebuch in die Briefe, ebenso wenig wie decouvrierende Erlebnisse mit opportunistischen Kollegen im Verband oder die Schwierigkeiten Brigitte Reimanns mit Christa Wolfs „essayistischer Schreibweise“. Diese wiederum verzeichnet Gespräche mit Brigitte Reimanns Ärzten; die Befunde und entsprechend erschreckenden Zukunftsaussichten teilt sie, tief bekümmert, der ahnungslosen Freundin lieber nicht mit.
  Im Übrigen aber verschweigen sie einander nichts, was sie beschäftigt, und so folgen wir dem Familienleben der Wolfs, dem brutalen Umgang der Behörden mit „Nachdenken über Christa T.“, den Vorarbeiten zu „Kein Ort. Nirgends“ und der immer wieder neu begonnenen Arbeit an dem Roman „Kindheitsmuster“.
   Während Brigitte Reimann trotz Operationen, trotz scheiternder Ehen, Affären und der letzten Neu-Verheiratung bis fast an ihr Lebensende sich an „Franziska Linkerhand“ abarbeitet – zwischendurch aber auch immer wieder bizarre Szenen aus dem Leben einer DDR-Bürgerin beiträgt. Einmal sieht sie während einer hochmögenden „Jahreskonferenz“ zufällig hinter der Bühne „die Regierung zwischen den Kulissen stehen und Bananen futtern“ (was sie sofort in einem Radio-Interview zum Besten gibt). Ein anderes Mal fährt in einem extremen Schneewinter „ein Wagen der Katastrophen-Kommission durch die Straße“, um die Bürger zu etwas aufzurufen: „Ich weiß nicht, wozu, denn nach dem ersten Satz ging der Lautsprecher oder das Mikro kaputt (. . .).“
  Das Alltags- und Arbeitsleben zweier Schriftstellerinnen über ein gutes Jahrzehnt hinweg, unter in vieler Hinsicht erschwerten Bedingungen, ist der Gegenstand dieses lebendigen, von Christa Wolfs Seite aus zunehmend fürsorglicher, stützender, besorgter und tröstender werdenden Austauschs. Wenn sie nach einem neuerlichen krassen Fall von Staats-Willkür im Uwe-Johnson-Ton folgert: „Siehstu, dieß sünt die Froiden des Dahseins“, kann sie sich des sarkastischen Amüsements ihres Gegenübers sicher sein.   
  Aber auch dessen der heutigen Leser. Denn keineswegs erscheint all dies wie Flaschenpost aus einem Geisterreich. Im bewegten Dialog ganz unterschiedlicher Temperamente erzählt sich hier das Leben in einem inzwischen untergegangenen Land wie von selbst. Und wie bei jedem guten Roman staunen wir, wie unmittelbar sich das alles anfühlt – und wie tröstlich irreal zugleich.
FRAUKE MEYER-GOSAU
Das Leben in einem
untergegangenen Land erzählt
sich in diesem Buch wie von selbst
        
Brigitte Reimann, Christa Wolf: Sei gegrüßt und lebe. Eine Freundschaft in Briefen und Tagebüchern 1964 - 1973. Herausgegeben von Angela Drescher. Mit einem Vorwort von Gerhard Wolf. Aufbau Verlag, Berlin 2016. 270 Seiten, 21,95 Euro.
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» Das Alltags- und Arbeitsleben zweier Schriftstellerinnen über ein gutes Jahrzehnt hinweg [...] ist der Gegenstand dieses lebendigen [...] Austauschs. « Frauke Meyer-Gosau Süddeutsche Zeitung 20160524