Gedanken über den Tag hinaus - das geistig-politische Vermächtnis Konrad Adenauers. Drei Jahrzehnte nach dem Tod Konrad Adenauers legt seine langjährige Mitarbeiterin Anneliese Poppinga eine umfangreiche Zitatensammlung des ersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland vor - ein authentisches Zeugnis seiner Wertvorstellungen, politischen Grundsätze, Ziele und Motive. Dieses unentbehrliche Kompendium zeigt Adenauer aus nächster Nähe als einen Staatsmann, der weit über den Tag hinaus dachte. Erstaunlich ist die hohe Aktualität vieler Zitate. Auch wenn sich in der Zwischenzeit einiges auf der politischen Bühne verändert hat, belegen die Aussagen Konrad Adenauers auf das eindrücklichste, daß viele Probleme und Aufgaben über die Jahre hinweg die gleichen geblieben sind. Manches liest sich wie ein Leitsatz für die heutige Zeit - und wäre es wert, beherzigt zu werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.1997Eine gewisse Verehrung
Aber Aphoristiker war Adenauer wohl doch nicht
Konrad Adenauer: "Seid wach für die kommenden Jahre". Grundsätze - Erfahrungen - Einsichten. Herausgegeben von Anneliese Poppinga. Gustav Lübbe-Verlag, Bergisch Gladbach 1997, 487 Seiten, 49,80 Mark.
Mit Adenauer durch das Jahr - dieser Gedanke an einen Buchtitel könnte einem Leser der Aphorismen Adenauers kommen, die seine langjährige Sekretärin Anneliese Poppinga zusammengestellt hat. Frau Poppinga war in Adenauers Kanzlerzeit und den bitteren Jahren danach ihm nahe. Daraus folgte, überaus verständlicherweise, eine gewisse Verehrung. Frau Poppinga hat sich nach Adenauers Tod als Historikerin einen Namen gemacht, im Sinne des Pflegens des Erbes Adenauers, soweit es sich in seinem Rhöndorfer Haus auffinden ließ und dort bewahrt wurde. Ein Aphoristiker war Adenauer freilich nicht; das ist auch nicht die Aufgabe eines Politikers, der unter den Bedingungen eines Parteien-Pluralismus handelt.
Deshalb sind Adenauers Sprüche nicht zu einem Zitaten-Schatzkästlein geworden für aus politischem Anlaß gehaltene Festreden, von einigen Zynismen abgesehen wie dem Spruch über die Abstufungen der Wahrheit, der gern erwähnt (aber von Frau Poppinga nicht verzeichnet) wird. Dennoch bieten die Sprüche Adenauers, die fast durchweg aus allgemein zugänglichen Quellen stammen (von Bundestagsprotokollen bis zu Niederschriften von CDU-Parteitagen und Zeitungs-Interviews) ein plastisches Bild des "Alten" - mit seiner List, mit der er das, was er meinte, verschleierte, und mit seinem Mut, gelegentlich doch deutlich zu sagen, was er wollte. Seine Herkunft aus kleinbürgerlichen Verhältnissen kommt in einem Zitat Adenauers aus einer Rede vor dem Bundesvorstand der CDU im Jahre 1958 zum Ausdruck: Grundlage eines guten christlichen Lebens sei "weder die Armut noch der Reichtum, sondern ein mäßiger Besitz". Da zeigt sich Adenauer als der Christlich-Soziale, der er war, und davon könnte der Luxusmensch Lafontaine, gleichfalls nicht geboren mit einem goldenen Löffel im Mund, etwas lernen.
Zum Thema deutsche Einheit (das ist ein eigenes Kapitel, dem Frau Poppinga die Äußerungen Adenauers zuordnet) findet sich verständlicherweise nur das, was Adenauer an Positivem gesagt hat; das war die Erfüllung einer Politikerpflicht, sicher keine Herzenssache des Linksrheiners Adenauer, der Ostdeutschland nicht kannte und es wohl ein wenig verachtete, der auf das "Abendland" fixiert war, das die Rheinländer für sich in Anspruch nahmen. Aus den Zitaten ergibt sich immerhin, das Adenauer die Verpflichtung des Grundgesetzes auf das Ziel der deutschen Einheit als guter Demokrat ernst nahm.
Dem Bild des "kalten Kriegers" Adenauer widersprechen zahlreiche Zitate, die belegen, daß Adenauer Abrüstung und Entspannung schon vor der Zeit, da diese Begriffe in Mode kamen, als (das Ziel in die Ferne rückende) Voraussetzungen für eine Vereinigung Deutschlands sah. Wer Sinn für versteckte Ironie hat, kann in der Zitatensammlung einiges finden - es eignet sich freilich kaum für Festreden, wegen der Hintergründigkeit, die einer, den Duktus einer Feier-Rede störenden, Interpretation bedürfte. Amüsant ist, der "Alte" würde nicht viel gegen ihre Zitierung haben, eine Äußerung aus dem Jahre 1963. Damals hat Adenauer dem amerikanischen Prediger Billy Graham gesagt, er sei froh angesichts der Glaubens-Gewißheit Grahams, daß er selbst katholisch sei. "Wissen Sie, als Katholik muß man nicht so sicher sein. Da genügt es, wenn man den aufrichtigen Wunsch hat, glauben zu können. Glauben können ist eine Gnade, die man nicht erzwingen kann." - "Sehr wahr", möchte man hier dem Katholiken, dem Linksrheiner, dem Europäer und dem Parlamentarier Adenauer zurufen, und er würde antworten, so präzise habe er das auch wieder nicht gemeint. Die ironischen Facetten in Adenauers Art, Politik zu betreiben, festgehalten zu haben ist ein Verdienst der getreuen Autorin Poppinga. Ein Zitaten-Vademekum wird aus dem Buch, wegen der Eigenart Adenauers, sich hinter scheinbarer Schlichtheit zu verbergen, in unserer Zeit nicht werden, die das bombastische Pathos liebt. FRIEDRICH KARL FROMME
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Aber Aphoristiker war Adenauer wohl doch nicht
Konrad Adenauer: "Seid wach für die kommenden Jahre". Grundsätze - Erfahrungen - Einsichten. Herausgegeben von Anneliese Poppinga. Gustav Lübbe-Verlag, Bergisch Gladbach 1997, 487 Seiten, 49,80 Mark.
Mit Adenauer durch das Jahr - dieser Gedanke an einen Buchtitel könnte einem Leser der Aphorismen Adenauers kommen, die seine langjährige Sekretärin Anneliese Poppinga zusammengestellt hat. Frau Poppinga war in Adenauers Kanzlerzeit und den bitteren Jahren danach ihm nahe. Daraus folgte, überaus verständlicherweise, eine gewisse Verehrung. Frau Poppinga hat sich nach Adenauers Tod als Historikerin einen Namen gemacht, im Sinne des Pflegens des Erbes Adenauers, soweit es sich in seinem Rhöndorfer Haus auffinden ließ und dort bewahrt wurde. Ein Aphoristiker war Adenauer freilich nicht; das ist auch nicht die Aufgabe eines Politikers, der unter den Bedingungen eines Parteien-Pluralismus handelt.
Deshalb sind Adenauers Sprüche nicht zu einem Zitaten-Schatzkästlein geworden für aus politischem Anlaß gehaltene Festreden, von einigen Zynismen abgesehen wie dem Spruch über die Abstufungen der Wahrheit, der gern erwähnt (aber von Frau Poppinga nicht verzeichnet) wird. Dennoch bieten die Sprüche Adenauers, die fast durchweg aus allgemein zugänglichen Quellen stammen (von Bundestagsprotokollen bis zu Niederschriften von CDU-Parteitagen und Zeitungs-Interviews) ein plastisches Bild des "Alten" - mit seiner List, mit der er das, was er meinte, verschleierte, und mit seinem Mut, gelegentlich doch deutlich zu sagen, was er wollte. Seine Herkunft aus kleinbürgerlichen Verhältnissen kommt in einem Zitat Adenauers aus einer Rede vor dem Bundesvorstand der CDU im Jahre 1958 zum Ausdruck: Grundlage eines guten christlichen Lebens sei "weder die Armut noch der Reichtum, sondern ein mäßiger Besitz". Da zeigt sich Adenauer als der Christlich-Soziale, der er war, und davon könnte der Luxusmensch Lafontaine, gleichfalls nicht geboren mit einem goldenen Löffel im Mund, etwas lernen.
Zum Thema deutsche Einheit (das ist ein eigenes Kapitel, dem Frau Poppinga die Äußerungen Adenauers zuordnet) findet sich verständlicherweise nur das, was Adenauer an Positivem gesagt hat; das war die Erfüllung einer Politikerpflicht, sicher keine Herzenssache des Linksrheiners Adenauer, der Ostdeutschland nicht kannte und es wohl ein wenig verachtete, der auf das "Abendland" fixiert war, das die Rheinländer für sich in Anspruch nahmen. Aus den Zitaten ergibt sich immerhin, das Adenauer die Verpflichtung des Grundgesetzes auf das Ziel der deutschen Einheit als guter Demokrat ernst nahm.
Dem Bild des "kalten Kriegers" Adenauer widersprechen zahlreiche Zitate, die belegen, daß Adenauer Abrüstung und Entspannung schon vor der Zeit, da diese Begriffe in Mode kamen, als (das Ziel in die Ferne rückende) Voraussetzungen für eine Vereinigung Deutschlands sah. Wer Sinn für versteckte Ironie hat, kann in der Zitatensammlung einiges finden - es eignet sich freilich kaum für Festreden, wegen der Hintergründigkeit, die einer, den Duktus einer Feier-Rede störenden, Interpretation bedürfte. Amüsant ist, der "Alte" würde nicht viel gegen ihre Zitierung haben, eine Äußerung aus dem Jahre 1963. Damals hat Adenauer dem amerikanischen Prediger Billy Graham gesagt, er sei froh angesichts der Glaubens-Gewißheit Grahams, daß er selbst katholisch sei. "Wissen Sie, als Katholik muß man nicht so sicher sein. Da genügt es, wenn man den aufrichtigen Wunsch hat, glauben zu können. Glauben können ist eine Gnade, die man nicht erzwingen kann." - "Sehr wahr", möchte man hier dem Katholiken, dem Linksrheiner, dem Europäer und dem Parlamentarier Adenauer zurufen, und er würde antworten, so präzise habe er das auch wieder nicht gemeint. Die ironischen Facetten in Adenauers Art, Politik zu betreiben, festgehalten zu haben ist ein Verdienst der getreuen Autorin Poppinga. Ein Zitaten-Vademekum wird aus dem Buch, wegen der Eigenart Adenauers, sich hinter scheinbarer Schlichtheit zu verbergen, in unserer Zeit nicht werden, die das bombastische Pathos liebt. FRIEDRICH KARL FROMME
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