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Produktdetails
  • Verlag: Scalo
  • Seitenzahl: 158
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 622g
  • ISBN-13: 9783931141011
  • Artikelnr.: 25317830
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.02.2011

Der Sprung
In seinem Bildband „Mémoires“ dokumentiert der japanische Fotograf Seiichi Furuya das tragische Schicksal seiner Frau im Vorgriff auf den Zusammenbruch der DDR
Der Schock über den Selbstmord seiner Frau zieht sich durch den gesamten Fotoband des 1950 in japanischen Izu geborenen Seiichi Furuya. Der seit 1973 in Österreich lebende Künstler hat in vier Monographien den Versuch unternommen, das Los seiner Frau zu ergründen.
Der vorliegende fünfte Band der „Mémoires. 1984-1987“ erforscht vor allem die Jahre in Ostberlin, zeigt seine Frau, die einen Ausweg sucht und ihn nur im Tod findet. Die Depressionen waren für Christine Furuya-Gössler eine so große Qual geworden, dass sie ihrem Leben 1985 ein Ende setzte und ihren Mann und ihr kleines Kind Komyo zurückließ. Furuya entwirft neben dem tragischen, persönlichen Schicksal das Panorama einer sozialistischen Nation, die von Überdruss und unterschwelliger Aggression geprägt ist. Er zeichnet das Bild einer Gesellschaft, auf die sich bereits die Schatten des Untergangs gelegt haben.
In den Jahren 1996/97 hat Furuya Einar Schleef in Graz kennengelernt und dem Dichter, Maler und Regisseur vom Selbstmord seiner Frau erzählt. Schleef hat daraufhin den Text „Schwarz Rot Gold“ geschrieben, der im „Mémoires“-Band auch abgedruckt ist. In Schleefs Text ziehen Volksmassen vorüber, die der Parteiführung zujubeln. Die Straßen sind abgeriegelt, das Rettungsauto braucht am „Tag der Republik“ lange, um am Ort des Selbstmords einzutreffen. Der Sprung in die Tiefe wird dem sich in vier Jahren ereignenden Kollaps der DDR eingeschrieben.
Furuyas Fotos zeigen das Bild einer hellwachen Frau aus der Steiermark, deren Leben immer bedrohlicher in die Einsamkeit und Verzweiflung abrutscht. Die Zeit der Umschweife und Umwege ist vorbei, Christine hat keine Kraft mehr, um sich an irgendwelche Lebenslügen zu klammern. Auf den Fotos ist ein Prozess der Vereinzelung wahrzunehmen, eine grundsätzliche Abkehr von den Menschen, die sich in einer beschämenden Alltäglichkeit eingerichtet haben und einfach weiter machen, weil sie gegen die Vorgaben des Parteibürokraten nichts unternehmen können oder wollen. Selbst die Vergnügungen, die die DDR für ihre Bürger bereithielt, haben eine erniedrigende Wirkung. Die Aufnahmen der sozialistischen Parolen, die die Häuser und Balkone schmücken, und der mit einer großen Lenin-Fotografie dahin stampfenden Bürger zeigen, wie sehr die Partei sich vom Volk abgekoppelt hat. Die Menschen haben lange, traurige Gesichter, selbst Ausbrüche von Fröhlichkeit wirken wie inszeniert. In diesem trostlosen Alltag hat sich Furuyas Frau verloren, ihre Kräfte schwanden und führten zu einer alle Lebensenergie zersetzenden Wehrlosigkeit, der sie als allerletzten Protest den Kraftakt des Selbstmords entgegensetzte.
Man kann Furuyas Fotos als eine Totenklage verstehen, als einen Versuch, seine Frau aus dem Reich der Toten zurückzuholen. Im Wechselspiel von Privatem und Politischem, von Wachsen und Zugrundegehen, pulsiert die retrospektive Imagination des japanischen Fotografen. Seine „Mémoires“ sind ein ebenso intimes wie öffentliches Journal, ein verstörender Grenzgang in der Erkundung des Anderen, der mit einem durchs Leben gehen wollte, und den eine schwere Krankheit aus der Bahn geworfen hat.
Dem Aufbruch in das gemeinsam erhoffte Glück folgt nach sieben Jahren der Sprung in den Tod. In Furuyas Fotoband ist das Leben von einst nah und unvergessen. KLAUS DERMUTZ
SEIICHI FURUYA: Mémoires. 1984-1987. Mit einem Text von Einar Schleef. Hrsg. von Koko Okano und Christine Frisinghelli. Izu Photo Museum Shizuoka/Edition Camera Austria, Graz 2010. Jap./Dt./Engl., 352 Seiten, 151 Farb- und 102 SW-Abb., 45 Euro.
Der untergehende Staat ließ immer noch seine Muskeln spielen: Aber selbst bei den Freizeitvergnügungen schauten seine Untertanen so grimmig drein wie diese Bodybuilder 1987 in Ostberlin. Foto: Seiichi Furuya/Camera Austria 2010
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