Journalistin und Schriftstellerin Kathleen Winter nimmt uns in dieser mehr als außergewöhnlichen Geschichte mit in ihre kanadische Heimat. In einem kleinen Dorf in der Provinz Neufundland und Labrador wird Ende der 1960er Jahre ein Baby geboren, das sowohl weibliche als auch männliche
Geschlechtsmerkmale aufweist, also ein sogenannter "echter Hermaphrodit" ist.
Was macht es wohl mit den Eltern,…mehrJournalistin und Schriftstellerin Kathleen Winter nimmt uns in dieser mehr als außergewöhnlichen Geschichte mit in ihre kanadische Heimat. In einem kleinen Dorf in der Provinz Neufundland und Labrador wird Ende der 1960er Jahre ein Baby geboren, das sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale aufweist, also ein sogenannter "echter Hermaphrodit" ist.
Was macht es wohl mit den Eltern, wenn es auf die Frage "Ist es ein Junge oder ein Mädchen?" keine einfache Antwort gibt? Winter schildert dies durchaus einfühlsam, die Reaktionen der Eltern sind völlig unterschiedlich, gemein ist ihnen vor allem die gegenseitige Sprachlosigkeit und der Wille, die Intersexualität ihres Kindes als Geheimnis zu bewahren. Auch Nebenfiguren, etwa die Hebamme und spätere Lehrerin des Kindes oder eine Schulfreundin sind gut herausgearbeitet und entwickeln sich im Lauf des Plots. Zudem hat mir der Text einen interessanten Einblick in Land- und Ortschaften des nordöstlichen Kanada gewährt; man merkt, dass die Autorin dort aufgewachsen ist.
Leider kommen den First Nations lediglich Statistenrollen zu, Natives werden im Roman nur kurz erwähnt. Selbst über den Vater des Protagonisten erfährt man diesbezüglich kaum etwas, obwohl er zur Hälfte Inuit ist. Dabei hätte gerade der kulturelle Umgang der Inidigenen mit Intersexualität spannende Aspekte geboten, kennen doch viele von ihnen ein drittes Geschlecht als sogenannte "Two-Spirits". Doch davon erfährt man in der Geschichte nichts. Zudem ärgert es mich sehr, dass Winter - ACHTUNG SPOILER - den jungen Hermaphroditen auch noch durch Eigenbesamung und zunächst völlig unbemerkt schwanger werden lässt. Dies ist anatomisch-physiologisch unmöglich! Wieso also dieser Twist? Hat Winter schlichtweg schlecht recherchiert, oder wollte sie zusätzlich dramatisieren? Ersteres ist eigentlich unverzeihlich, Letzteres ist völlig überflüssig, der Plot bietet auch sonst reichlich Stoff für Konflikte.
Nur leider merkt man das ausgerechnet der Hauptfigur über weite Strecken kaum an. Weder hinterfragt Wayne (das Kind wächst nach außen hin als Junge auf) seine medizinische Behandlung, noch scheint ihn die Pubertät großartig aus der Bahn zu werfen. Selbst als er als junger Erwachsener überfallen, misshandelt und vergewaltigt wird, erfährt man von seinen darauffolgenden Suizidgedanken nur in einem Nebensatz. Ansonsten bleiben seine Sorgen und Ängste seltsam verborgen, sie blitzen nur ab und an durch, und einzig sein Gefühl von Einsamkeit wird sehr deutlich. Wo bleiben die unzähligen Fragen, die er haben muss, wo ist der Schock?
Auch beschreibt Winter immer wieder Widersprüchliches oder zumindest sehr, sehr Unwahrscheinliches. Das geht leider zu Lasten der Glaubwürdigkeit.
Fazit: Ein sehr interessantes, wichtiges Thema, dem die Autorin mit Falschinformationen und einer blassen Hauptfigur leider einen Bärendienst erweist.