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Sein. Und Schein. Und Erscheinen, ist eine Streitschrift, in der analysiert wird, wie Frauen seit Jahrhunderten um ihre Identität in der Gesellschaft ringen, wie sie dafür bezahlen müssen - zum Beispiel im "kulturellen" Bereich, wo "seit Homer" Kriegstreiberei herrscht, wo "Sprachbesetzung" nur patriachalisch-imperial verstanden wird -und wie sich das auf den Ausdruck auswirkt.

Produktbeschreibung
Sein. Und Schein. Und Erscheinen, ist eine Streitschrift, in der analysiert wird, wie Frauen seit Jahrhunderten um ihre Identität in der Gesellschaft ringen, wie sie dafür bezahlen müssen - zum Beispiel im "kulturellen" Bereich, wo "seit Homer" Kriegstreiberei herrscht, wo "Sprachbesetzung" nur patriachalisch-imperial verstanden wird -und wie sich das auf den Ausdruck auswirkt.
Autorenporträt
Marlene Streeruwitz, geb. in Baden bei Wien, Studium der Slawistik und Kunstgeschichte in Wien. Autorin und Regisseurin von Theaterstücken und Hörspielen. Für ihre Romane wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Die Autorin lebt in Wien und Berlin. 2009 erhielt sie den Peter-Rosegger-Literaturpreis der Steiermark und 2012 den Bremer Literaturpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.1997

Das Patriarchat im Kreißsaal
Marlene Streeruwitz doziert über die Poetik von Hirt und Herde

Schuster und Flaschner können ihr Handwerk erlernen, auch Maler, Bildhauer und Musiker besuchen eine Akademie. Nur Dichter erfinden ihre Kunst wie aus sich selbst. Die Universitäten aber, die damit beschäftigt sind, die handwerklichen Regeln der vergangenen Dichtung zu erforschen, wollen an die Inspiration der lebenden Dichter so recht nicht glauben; sie bringen sie deshalb in Verlegenheit, indem sie ihnen Zeit und Raum zur Verfügung stellen, über ihre Kunst und ihr Können Auskunft zu geben. Bei den Poetikvorlesungen, die zuerst in Frankfurt stattfanden und dann von anderen Universitäten übernommen wurden, versuchen viele Dichter, Herkunft und Praxis des eigenen Stils hinter einem plakativen politischen Bekenntnis zu verbergen.

Marlene Streeruwitz, erste Poetikdozentin der Universität Tübingen, bringt die Theorie der Dichtung in einer Anthropologie des weiblichen Spracherwerbs unter. Sie gehorcht damit einer Mode, die Forschungsergebnisse der Ethnologie als Erklärungsmuster für die Erscheinungen der abendländischen Kultur gebraucht. Unwiderlegbar ist ihre Feststellung, daß männliche und weibliche Machtverhältnisse sich in einem spezifischen Gebrauch der Sprache niederschlagen, weniger überzeugend schon die These, daß die patriarchalische Herrschaft sich beim Übergang von der Nomaden- zur Hirtenkultur hergestellt habe, und untauglich der Ansatz, aus dieser frühen Phase der Menschheitsgeschichte alle späteren Praktiken des Sprachgebrauchs bis in die Gegenwart hinein erklären zu wollen.

"Der Schritt von der Jagdgesellschaft zur Herde gibt dem Hirten furchtbare Macht." Der Hirte garantiert seinen Schafen ein sicheres Areal, er dirigiert aber auch die Herde - die sich nun zur Metapher für die Gesellschaft geweitet hat -, indem er bestimmt, wer am Tisch mitessen darf, er verschafft ihr Hoffnungen, indem er den Blick auf Gott richtet. Frauen dürfen nur mittelbar über den Mann ihren Blick auf den Höchsten richten, eigentlich sind sie blicklos: "Hirten wie Schafe waren zu allen Zeiten männlich. Es war also der männliche Blick, der sich langsam von einem hingegebenen Hinauf zu einem bewußten Selbst richtete." Besser wäre es also für eine Frau, als Schaf geboren zu sein, denn dieses ist im Jäger- oder Hirtenlatein der Schriftstellerin und Dramatikerin Marlene Streeruwitz immer männlich und hat also die Chance, vom religiösen zum aufgeklärten, selbstbewußten Wesen zu werden.

Nicht nur an dieser Stelle riskiert die Poetikdozentin die unfreiwillige Komik, um ihre feministische Position auf den Punkt zu bringen. Die Pointe ist seit je ein Stilmittel der Polemik; bei Marlene Streeruwitz rangiert sie vor dem Argument. In mutwilligen Bocksprüngen kommt sie zu dem Schluß, daß eher Rückschritte denn Fortschritte der Emanzipation zu verzeichnen seien.

Es ist der letzte Akt der Hexenverfolgung, wenn der Vater bei der Geburt seines Kindes anwesend ist: "Das Patriarchat hat also den Kreißsaal übernommen. Endgültig. Vorbereitet wurde dieser Sieg durch das jahrhundertelange Zerschlagen der Sinnstubengemeinschaft der Frauen in der Hexenverfolgung." Zur Blindheit und Stummheit verdammt, bleibt den Frauen ein literarisches Mittel, Angst und Schrecken zu artikulieren: das Märchen. An die Stelle der Initiation tritt die Erzählung, an die Stelle des Priesters die Großmutter.

Nachdem, wie es der Titel der drei Vorlesungsstunden ankündigt, das "Sein" der Frau skizziert ist, wendet sich Marlene Streeruwitz der Welt des Scheins, den Medien, zu, wobei aus Rudimenten einer linken Warenästhetik ein Gestell erbaut wird, an dem die schutzige Wäsche der ausbeutenden Gesellschaft aufgehängt wird. Auch in diesem zweiten Schritt ist noch vom Hirten und seiner Herde die Rede - zulässigerweise, muß doch ein Dichter poetisch, nicht theoretisch reden. Die Ethnologie aber verschafft der politischen Ökonomie gerade das ästhetische Ambiente, das die Rede zur Dichtung macht.

Erst in einem dritten Teil widmet sich Marlene Streeruwitz ihrer eigenen Kunst, dem Schauspiel. Schon in seinen Anfängen ist das griechische Theater der "fund raiser" für die Kriegskassen von Athen, und es bleibt eine "archaisch-männliche Instanz", die den Zuschauer in ein "Werkzeug des Hirten" verwandeln will.

Im Laufe der drei Vorlesungen setzt sich immer deutlicher der Stil der weiblichen Sprache durch, gerade so, wie sie die Dozentin konzipiert hat: Sprachlosigkeit kann nur durch ekstatisches Stottern überwunden werden, und auch Marlene Streeruwitz fördert in elliptischen Ausbrüchen grobe Klötze einer Theorie zutage: "Das literarische Kunstwerk Theaterschauspiel ist auf die Erscheinungsbringung durch die Theateraufführung ausgerichtet. Hat aber auch in seiner Erscheinung als Text Kunstwerkcharakter. Die Erscheinung des Textes in der Theateraufführung setzt mehrere involve Transformationen in Gang." Für das schlechte Deutsch hält die politische Ästhetik der Dozentin eine Entschuldigung bereit: "Der vollständige Satz ist eine Lüge. Im Entfremdeten kann nur Zerbrochenes der Versuch eines Ausdrucks sein."

Aus kühnen Behauptungen erbaut sich Marlene Streeruwitz eine Zitadelle, in der sich die Belege wie eine unbeschäftigte Soldateska tummeln. Emporkömmlinge - die Frauen sind das nur in der Meinung der Marlene Streeruwitz noch immer nicht - sind allemal Angeber. Den sprachlichen Terrorismus, der Ulrike Meinhoff verteidigt, kann sich Marlene Streeruwitz ungestraft leisten, weil Kraftmeierei zum Metier jeglicher Emanzipation gehört. Sie beweist damit nur, was man der Dichtung nicht wünschen mag: daß sie ein gänzlich folgenloses Unterfangen ist. HANNELORE SCHLAFFER

Marlene Streeruwitz: "Sein. Und Schein. Und Erscheinen". Tübinger Poetikvorlesungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 89 S., br., 12,80 DM.

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