Eine Kulturgeschichte des Heimwerkens in der Bundesrepublik.Noch in den 1950er Jahren hatten sich westdeutsche Beobachter erstaunt gezeigt über das Ausmaß der Do-it-yourself-Begeisterung in den USA. Doch seit den 1980er Jahren sind auch die Deutschen als »Volk der Bohrer und Bastler« bekannt.Der Historiker Jonathan Voges untersucht diese Entwicklung aus sozial-, kultur-, konsum- und unternehmenshistorischer Perspektive. Er zeigt, wie im Laufe von nur wenigen Jahrzehnten das Heimwerken zu einer »Massenbewegung« wurde, welche Voraussetzungen dafür nötig waren und welche Folgen dies hatte. Auf Grundlage einer breiten Quellenbasis analysiert er die Entwicklung einer der populärsten Freizeitaktivitäten der Gegenwart. So ergeben sich unerwartete Perspektiven auf zentrale Themen der deutschen Nachkriegsgeschichte - u. a. auf das Verhältnis von Arbeit und Freizeit, Geschlechterbeziehungen und die Geschichte des Einzelhandels am Beispiel der Hornbach AG.Die Arbeit wurde mit dem Wissenschaftspreis Hannover ausgezeichnet.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.2017Baumarkt weiß, was Männer wünschen
Geht nicht gibt's doch: Jonathan Voges zeigt, wie das Heimwerken in der Bundesrepublik zum Freizeitphänomen wurde - und zum einträglichen Geschäft.
Mitte der fünfziger Jahre wandte sich das "Deutsche Handwerksblatt" mit der Warnung "Tue es selbst und gehe zum Arzt" an alle Heimwerker, die meinten, sie brauchten zum Reparieren und Renovieren keine Fachleute mehr. Wohl nicht ganz selbstlos wies das Blatt auf die vielen Verletzungen von Heimwerkern hin und behauptete: "Die einzige Fertigkeit, die ein Mann im Haus wirklich beherrschen" müsse, sei die Bedienung des Telefons - um damit einen Profi zu engagieren. Mit aufschlussreichen und oft amüsanten Quellenfunden wie diesem schildert der Historiker Jonathan Voges die Geschichte des Heimwerkens in der Bundesrepublik.
Von den fünfziger bis in die achtziger Jahre verfolgt Voges, wie sich das schon früh mit dem amerikanischen Schlagwort vom "Do it yourself" bezeichnete Phänomen des Selbermachens hierzulande etablierte, wie es in den Medien und der Gesellschaft gedeutet wurde und wie mit den Bau- und Heimwerkermärkten neue, ganz auf die Bedürfnisse der zunehmenden Zahl der Freizeitschrauber zugeschnittene Verkaufsstätten entstanden. Neu am "Do it yourself" war laut Voges freilich nicht das Streichen, Bohren, Hämmern an sich, sondern die Ausbreitung dieser Tätigkeiten über Schichtgrenzen hinweg. Was einst Arbeit war, galt nun als Hobby und sollte der Selbstverwirklichung dienen.
Die sechshundertfünfzig Seiten starke Studie ist ein enorm materialreiches wissenschaftliches Werk. Auf manchen Seiten füllen die Fußnoten mehr Raum als der Text. Ganze Seminare zur deutschen Zeitgeschichte finden in den Anmerkungen ihre künftigen Literaturlisten. Doch die Lektüre dieses Buchs, für das Voges mit dem Wissenschaftspreis Hannover gewürdigt wurde, lohnt sich nicht nur für die Fachwelt: Wenn Voges die Kulturgeschichte des "Do it yourself" rekonstruiert, treten das HB-Männchen aus der Zigarettenreklame oder das Igel-Maskottchen Mecki der "Hörzu" auf. Und bei seiner Analyse der Geschlechterbilder des Heimwerkens zitiert er Trude Herrs Karnevalslied "Laß das mal den Vater machen" über die Mutter, die die Nägel krummklopft. Daran belegt er auf faszinierende Weise, wie nachhaltig das Heimwerken in die (Populär-)Kultur einging.
Im Jahr 1957 erschien erstmals das programmatisch benannte Heimwerkermagazin "Selbst ist der Mann". Hatte die "Zeit" zuvor noch augenzwinkernd von "Do it yourself" als einer "Sucht" der Amerikaner berichtet, so schrieb das neue Magazin bereits im ersten Heft freudig über ein "Bastlerheim" in München. Angehende Heimwerker fänden dort die neuesten Maschinen und Werkzeuge vor. Der Gründer der Werkstatt lobte Selbermachen als "Medizin gegen das Übel unserer Zeit und unserer gehetzten Lebensweise, die sogenannte ,Manager-Krankheit'".
Wer solche Begeisterung teilte und sich auch nicht durch Warnungen nach Art des "Handwerksblatts" abschrecken ließ, war beim Erwerb der Ausrüstung und des Materials anfangs auf etliche einzelne Branchen angewiesen - von den Tapeten- und Farbengeschäften bis zum Elektro-, Eisenwaren- oder Holzhandel. Für die Wirtschafts- und Konsumgeschichte des Heimwerkens prägend war allerdings der Bedeutungsverlust traditioneller Fachgeschäfte gegenüber deutlich größer dimensionierten Baumärkten, die sich erfolgreich dem Prinzip der "Bedarfsbündelung" verschrieben, also den Selbermachern an einem Ort alles boten, was sie für ihre Vorhaben benötigten.
Ein Wegbereiter dieses Wandels war Otmar Hornbach. Anhand des Hornbach-Firmenarchivs zeichnet Voges nach, wie ein Familienunternehmen, das im Baustoffgroßhandel tätig war, im Heimwerkerbereich ein profitables Geschäftsfeld erschloss. Bevor er 1968 im südpfälzischen Bornheim seinen ersten "Bausupermarkt" eröffnete, hatte Otmar Hornbach bei Amerika-Reisen die dortigen Heimwerkermärkte eingehend studiert, mehr als hundertfünfzig Dias geschossen und sich Details wie die Lage der Kassen und die Breite der Gänge notiert. Amerikanisierung war bei Hornbach eine bewusste Übernahme des Bewährten, um es an die Gegebenheiten des eigenen Landes anzupassen.
Während sich Baumarktketten wie Hornbach oder Obi für die wirtschaftlichen Potentiale des Heimwerkens interessierten, lud die Gegenkultur der siebziger und frühen achtziger Jahre die "Do it yourself"-Idee politisch auf. Diese alternativen Heimwerker sahen das Selbermachen als Form des Protests gegen Konsum und standardisierte Massenprodukte: "Was fertig ist, macht einen fertig!" Statt in den eigenen vier Wänden arbeiteten sie bisweilen in fremden, wenn sie leerstehende Häuser "instandbesetzten". Beim Schutz von Umwelt und Gesundheit griff auch die breitere Heimwerkerschaft gegenkulturelle Anliegen auf, wie Voges etwa am Skandal um Formaldehyd in Spanplatten zeigt.
Das gemeinschaftliche Heimwerken, wie es zunächst im "Bastlerheim" in den Anfangsjahren des "Do it yourself" zu finden war und später in der Gegenkultur wiederkehrte, blieb insgesamt die Ausnahme. Schließlich ging es den Heimwerkern, so Voges, "nicht nur um den Gebrauch der Werkzeuge und Maschinen, sondern immer auch um deren Besitz".
THORSTEN GRÄBE
Jonathan Voges: "Selbst ist der Mann". Do-it-yourself und Heimwerken in der Bundesrepublik Deutschland.
Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 647 S., Abb., geb., 54,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geht nicht gibt's doch: Jonathan Voges zeigt, wie das Heimwerken in der Bundesrepublik zum Freizeitphänomen wurde - und zum einträglichen Geschäft.
Mitte der fünfziger Jahre wandte sich das "Deutsche Handwerksblatt" mit der Warnung "Tue es selbst und gehe zum Arzt" an alle Heimwerker, die meinten, sie brauchten zum Reparieren und Renovieren keine Fachleute mehr. Wohl nicht ganz selbstlos wies das Blatt auf die vielen Verletzungen von Heimwerkern hin und behauptete: "Die einzige Fertigkeit, die ein Mann im Haus wirklich beherrschen" müsse, sei die Bedienung des Telefons - um damit einen Profi zu engagieren. Mit aufschlussreichen und oft amüsanten Quellenfunden wie diesem schildert der Historiker Jonathan Voges die Geschichte des Heimwerkens in der Bundesrepublik.
Von den fünfziger bis in die achtziger Jahre verfolgt Voges, wie sich das schon früh mit dem amerikanischen Schlagwort vom "Do it yourself" bezeichnete Phänomen des Selbermachens hierzulande etablierte, wie es in den Medien und der Gesellschaft gedeutet wurde und wie mit den Bau- und Heimwerkermärkten neue, ganz auf die Bedürfnisse der zunehmenden Zahl der Freizeitschrauber zugeschnittene Verkaufsstätten entstanden. Neu am "Do it yourself" war laut Voges freilich nicht das Streichen, Bohren, Hämmern an sich, sondern die Ausbreitung dieser Tätigkeiten über Schichtgrenzen hinweg. Was einst Arbeit war, galt nun als Hobby und sollte der Selbstverwirklichung dienen.
Die sechshundertfünfzig Seiten starke Studie ist ein enorm materialreiches wissenschaftliches Werk. Auf manchen Seiten füllen die Fußnoten mehr Raum als der Text. Ganze Seminare zur deutschen Zeitgeschichte finden in den Anmerkungen ihre künftigen Literaturlisten. Doch die Lektüre dieses Buchs, für das Voges mit dem Wissenschaftspreis Hannover gewürdigt wurde, lohnt sich nicht nur für die Fachwelt: Wenn Voges die Kulturgeschichte des "Do it yourself" rekonstruiert, treten das HB-Männchen aus der Zigarettenreklame oder das Igel-Maskottchen Mecki der "Hörzu" auf. Und bei seiner Analyse der Geschlechterbilder des Heimwerkens zitiert er Trude Herrs Karnevalslied "Laß das mal den Vater machen" über die Mutter, die die Nägel krummklopft. Daran belegt er auf faszinierende Weise, wie nachhaltig das Heimwerken in die (Populär-)Kultur einging.
Im Jahr 1957 erschien erstmals das programmatisch benannte Heimwerkermagazin "Selbst ist der Mann". Hatte die "Zeit" zuvor noch augenzwinkernd von "Do it yourself" als einer "Sucht" der Amerikaner berichtet, so schrieb das neue Magazin bereits im ersten Heft freudig über ein "Bastlerheim" in München. Angehende Heimwerker fänden dort die neuesten Maschinen und Werkzeuge vor. Der Gründer der Werkstatt lobte Selbermachen als "Medizin gegen das Übel unserer Zeit und unserer gehetzten Lebensweise, die sogenannte ,Manager-Krankheit'".
Wer solche Begeisterung teilte und sich auch nicht durch Warnungen nach Art des "Handwerksblatts" abschrecken ließ, war beim Erwerb der Ausrüstung und des Materials anfangs auf etliche einzelne Branchen angewiesen - von den Tapeten- und Farbengeschäften bis zum Elektro-, Eisenwaren- oder Holzhandel. Für die Wirtschafts- und Konsumgeschichte des Heimwerkens prägend war allerdings der Bedeutungsverlust traditioneller Fachgeschäfte gegenüber deutlich größer dimensionierten Baumärkten, die sich erfolgreich dem Prinzip der "Bedarfsbündelung" verschrieben, also den Selbermachern an einem Ort alles boten, was sie für ihre Vorhaben benötigten.
Ein Wegbereiter dieses Wandels war Otmar Hornbach. Anhand des Hornbach-Firmenarchivs zeichnet Voges nach, wie ein Familienunternehmen, das im Baustoffgroßhandel tätig war, im Heimwerkerbereich ein profitables Geschäftsfeld erschloss. Bevor er 1968 im südpfälzischen Bornheim seinen ersten "Bausupermarkt" eröffnete, hatte Otmar Hornbach bei Amerika-Reisen die dortigen Heimwerkermärkte eingehend studiert, mehr als hundertfünfzig Dias geschossen und sich Details wie die Lage der Kassen und die Breite der Gänge notiert. Amerikanisierung war bei Hornbach eine bewusste Übernahme des Bewährten, um es an die Gegebenheiten des eigenen Landes anzupassen.
Während sich Baumarktketten wie Hornbach oder Obi für die wirtschaftlichen Potentiale des Heimwerkens interessierten, lud die Gegenkultur der siebziger und frühen achtziger Jahre die "Do it yourself"-Idee politisch auf. Diese alternativen Heimwerker sahen das Selbermachen als Form des Protests gegen Konsum und standardisierte Massenprodukte: "Was fertig ist, macht einen fertig!" Statt in den eigenen vier Wänden arbeiteten sie bisweilen in fremden, wenn sie leerstehende Häuser "instandbesetzten". Beim Schutz von Umwelt und Gesundheit griff auch die breitere Heimwerkerschaft gegenkulturelle Anliegen auf, wie Voges etwa am Skandal um Formaldehyd in Spanplatten zeigt.
Das gemeinschaftliche Heimwerken, wie es zunächst im "Bastlerheim" in den Anfangsjahren des "Do it yourself" zu finden war und später in der Gegenkultur wiederkehrte, blieb insgesamt die Ausnahme. Schließlich ging es den Heimwerkern, so Voges, "nicht nur um den Gebrauch der Werkzeuge und Maschinen, sondern immer auch um deren Besitz".
THORSTEN GRÄBE
Jonathan Voges: "Selbst ist der Mann". Do-it-yourself und Heimwerken in der Bundesrepublik Deutschland.
Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 647 S., Abb., geb., 54,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein großartiges Buch« (Alexander Cammann, Die Zeit, 31.08.2017) »die Lektüre dieses Buchs, für das Voges mit dem Wissenschaftspreis Hannover gewürdigt wurde, lohnt sich nicht nur für die Fachwelt« (Thorsten Gräbe, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2017) »Was sich stellenweise komisch und pointiert liest, entpuppt sich am Ende als eine minutiös recherchierte Wirtschaftsgeschichte der Heimwerkermarkt-Branche« (Sven Ahnert, WDR3 Mosaik/Resonanzen, 01.09.2017) »Ein wichtiger Baustein für viele Felder der Zeitgeschichte und kann zur Lektüre nur empfohlen werden.« (Pierre Pfütsch, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 3/2018) »Die Arbeit liest sich ausgezeichnet und ist bisweilen sogar spannend geschrieben.« (Kai-Uwe Hellmann, Soziologische Revue 2019; 42(3))