Produktdetails
- Verlag: Ares Verlag
- Seitenzahl: 200
- Erscheinungstermin: März 2006
- Deutsch
- Abmessung: 17mm x 158mm x 237mm
- Gewicht: 502g
- ISBN-13: 9783902475206
- ISBN-10: 390247520X
- Artikelnr.: 20778253
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006Der Zwischengänger
Wolfgang Seiffert blickt auf seine merkwürdige Karriere zurück
Mit der demokratischen Revolution in der DDR und der Wiedervereinigung 1989/90 wurde die deutsche Frage doch noch nach innen und außen konsensfähig beantwortet. Diese unverhoffte Wendung führte geradezu eruptiv vor Augen, daß die deutsche Frage vor allem als Demokratiefrage zu betrachten ist. Politische Freiheit entpuppte sich als die entscheidende Existenzvoraussetzung für einen allgemein akzeptierten deutschen Nationalstaat. Für diese einfache Erkenntnis war viel politisches Lehrgeld zu zahlen.
In der alten Bundesrepublik bevorzugte eine Mehrheit der Bürger mit Adenauer von Anfang an Freiheit und Wohlstand statt gewagter Einheitsexperimente und machte sich angesichts einer scheinbar stabilen SED-Diktatur im Lauf der Jahrzehnte immer weniger Gedanken über die offene deutsche Frage. Die DDR, die ohne massive kommunistische Gewaltanwendung nie das Licht der Welt erblickt hätte, sah für die Menschen dort keine Möglichkeit vor, den Kurs der Regierung mitzubestimmen. Lange strebte sie die deutsche Einheit unter sozialistischen Vorzeichen an, um unter Honecker die abwegige Idee einer neu entstehenden "sozialistischen Nation" auf dem Boden der DDR zu propagieren. Beides war gleichermaßen weltfremd, neben allerlei Experimenten in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nichts anderes als der vergebliche Versuch, trotz fehlender demokratischer Legitimation die Zustimmung der frustrierten Bevölkerung zu erlangen, welche sich aber weiterhin an den Standards des westdeutschen Teilstaats orientierte. Das Aufbegehren von 1989 offenbarte, daß politische und persönliche Freiheit durch nichts zu ersetzen waren.
An sich könnten wenige die Hoffnungen und Illusionen, die bizarren Irrwege, Zwänge und Fehlschläge der deutschen Teilungszeit besser anschaulich machen als der deutsch-deutsche und deutsch-sowjetische Zwischengänger Wolfgang Seiffert. Geboren 1926, durchläuft er als Kriegsgefangener eine sowjetische Antifa-Schule, wird zu Beginn der Ära Adenauer als führender Funktionär und Agitator der westdeutschen FDJ mit besten Verbindungen zur kommenden Nomenklatura der DDR zu einer Haftstrafe verurteilt, flieht aus dem Gefängnis und steigt in Ost-Berlin als gefeierter "Held des deutschen Freiheitskampfes" zum renommierten Wirtschaftsjuristen mit direktem Draht zu höchster Stelle auf. 1978 erfolgt dann mit persönlicher Billigung Honeckers der etwas mysteriöse Wechsel in die Bundesrepublik, wo er in Kiel seine akademische Karriere fortsetzt und sich bald als hellsichtiger Kritiker des DDR-Sozialismus einen Namen macht. Die neunziger Jahre sehen Seiffert, einen engagierten Verteidiger Putinscher Innenpolitik, neuerlich in Moskau, diesmal als akademischen Lehrer und Mitglied des Internationalen Kommerziellen Schiedsgerichts.
Der einstige kommunistische Funktionär, der sich für Interviews mit einem rechtsextremen Blatt nicht zu schade ist, war immer ein konsequenter "Gesamtdeutscher", doch bewegte ihn die Einheitsfrage stets mehr als die Freiheitsfrage. Das schlägt sich in seinen enttäuschenden Erinnerungen nieder: etwa darin, daß der ehemalige FDJ-Funktionär in dem Verlangen der Aufständischen des 17. Juni 1953 nach der Einheit Deutschlands auch "unsere Forderungen" erkannt haben will; oder in der Bemerkung, es stehe "historisch längst fest", daß die deutsche Einheit bei mehr Entgegenkommen der westlichen Politik bereits Anfang der fünfziger Jahre perfekt gewesen wäre. Ferner war für Seiffert die von DDR-Instrukteuren straff angeleitete West-FDJ ein "normaler Jugendverband" wie andere auch. Vor allem aber hätten Ulbricht und namentlich Honecker die stets gegebene Chance unverzeihlich vertan, "durch eine entsprechende Politik eine ausreichende Mehrheit zu gewinnen"; zuletzt während der Ägide Gorbatschows. Daraus spricht die Enttäuschung des Professors, daß die in erster Linie auf ihren Machterhalt fixierte SED-Spitze nie die Kraft zu einer "revolutionären Tat" fand, um eine nationale und sozialistische Politik zugleich zu betreiben.
Die Memoiren von Wolfgang Seiffert, die einen philorussisch-nationalbolschewistischen Unterton nach Weimarer Muster pflegen, an Belanglosigkeiten nicht sparen und obendrein jahrzehntealte eigene Texte recyceln, fallen weit hinter seine früheren Veröffentlichungen zurück. Neuerlich geben sie wenig von der merkwürdigen Karriere dieser durchaus schillernden Persönlichkeit preis und tragen deshalb kaum etwas dazu bei, den Gang der widerspruchsvollen deutschen Nachkriegsgeschichte im Spannungsfeld von nationaler Einheit und politischer Freiheit weiter zu erhellen.
KLAUS-DIETMAR HENKE
Wolfgang Seiffert: Selbstbestimmt. Ein Leben im Spannungsfeld von geteiltem Deutschland und russischer Politik. Ares Verlag, Graz 2006. 216 S., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wolfgang Seiffert blickt auf seine merkwürdige Karriere zurück
Mit der demokratischen Revolution in der DDR und der Wiedervereinigung 1989/90 wurde die deutsche Frage doch noch nach innen und außen konsensfähig beantwortet. Diese unverhoffte Wendung führte geradezu eruptiv vor Augen, daß die deutsche Frage vor allem als Demokratiefrage zu betrachten ist. Politische Freiheit entpuppte sich als die entscheidende Existenzvoraussetzung für einen allgemein akzeptierten deutschen Nationalstaat. Für diese einfache Erkenntnis war viel politisches Lehrgeld zu zahlen.
In der alten Bundesrepublik bevorzugte eine Mehrheit der Bürger mit Adenauer von Anfang an Freiheit und Wohlstand statt gewagter Einheitsexperimente und machte sich angesichts einer scheinbar stabilen SED-Diktatur im Lauf der Jahrzehnte immer weniger Gedanken über die offene deutsche Frage. Die DDR, die ohne massive kommunistische Gewaltanwendung nie das Licht der Welt erblickt hätte, sah für die Menschen dort keine Möglichkeit vor, den Kurs der Regierung mitzubestimmen. Lange strebte sie die deutsche Einheit unter sozialistischen Vorzeichen an, um unter Honecker die abwegige Idee einer neu entstehenden "sozialistischen Nation" auf dem Boden der DDR zu propagieren. Beides war gleichermaßen weltfremd, neben allerlei Experimenten in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nichts anderes als der vergebliche Versuch, trotz fehlender demokratischer Legitimation die Zustimmung der frustrierten Bevölkerung zu erlangen, welche sich aber weiterhin an den Standards des westdeutschen Teilstaats orientierte. Das Aufbegehren von 1989 offenbarte, daß politische und persönliche Freiheit durch nichts zu ersetzen waren.
An sich könnten wenige die Hoffnungen und Illusionen, die bizarren Irrwege, Zwänge und Fehlschläge der deutschen Teilungszeit besser anschaulich machen als der deutsch-deutsche und deutsch-sowjetische Zwischengänger Wolfgang Seiffert. Geboren 1926, durchläuft er als Kriegsgefangener eine sowjetische Antifa-Schule, wird zu Beginn der Ära Adenauer als führender Funktionär und Agitator der westdeutschen FDJ mit besten Verbindungen zur kommenden Nomenklatura der DDR zu einer Haftstrafe verurteilt, flieht aus dem Gefängnis und steigt in Ost-Berlin als gefeierter "Held des deutschen Freiheitskampfes" zum renommierten Wirtschaftsjuristen mit direktem Draht zu höchster Stelle auf. 1978 erfolgt dann mit persönlicher Billigung Honeckers der etwas mysteriöse Wechsel in die Bundesrepublik, wo er in Kiel seine akademische Karriere fortsetzt und sich bald als hellsichtiger Kritiker des DDR-Sozialismus einen Namen macht. Die neunziger Jahre sehen Seiffert, einen engagierten Verteidiger Putinscher Innenpolitik, neuerlich in Moskau, diesmal als akademischen Lehrer und Mitglied des Internationalen Kommerziellen Schiedsgerichts.
Der einstige kommunistische Funktionär, der sich für Interviews mit einem rechtsextremen Blatt nicht zu schade ist, war immer ein konsequenter "Gesamtdeutscher", doch bewegte ihn die Einheitsfrage stets mehr als die Freiheitsfrage. Das schlägt sich in seinen enttäuschenden Erinnerungen nieder: etwa darin, daß der ehemalige FDJ-Funktionär in dem Verlangen der Aufständischen des 17. Juni 1953 nach der Einheit Deutschlands auch "unsere Forderungen" erkannt haben will; oder in der Bemerkung, es stehe "historisch längst fest", daß die deutsche Einheit bei mehr Entgegenkommen der westlichen Politik bereits Anfang der fünfziger Jahre perfekt gewesen wäre. Ferner war für Seiffert die von DDR-Instrukteuren straff angeleitete West-FDJ ein "normaler Jugendverband" wie andere auch. Vor allem aber hätten Ulbricht und namentlich Honecker die stets gegebene Chance unverzeihlich vertan, "durch eine entsprechende Politik eine ausreichende Mehrheit zu gewinnen"; zuletzt während der Ägide Gorbatschows. Daraus spricht die Enttäuschung des Professors, daß die in erster Linie auf ihren Machterhalt fixierte SED-Spitze nie die Kraft zu einer "revolutionären Tat" fand, um eine nationale und sozialistische Politik zugleich zu betreiben.
Die Memoiren von Wolfgang Seiffert, die einen philorussisch-nationalbolschewistischen Unterton nach Weimarer Muster pflegen, an Belanglosigkeiten nicht sparen und obendrein jahrzehntealte eigene Texte recyceln, fallen weit hinter seine früheren Veröffentlichungen zurück. Neuerlich geben sie wenig von der merkwürdigen Karriere dieser durchaus schillernden Persönlichkeit preis und tragen deshalb kaum etwas dazu bei, den Gang der widerspruchsvollen deutschen Nachkriegsgeschichte im Spannungsfeld von nationaler Einheit und politischer Freiheit weiter zu erhellen.
KLAUS-DIETMAR HENKE
Wolfgang Seiffert: Selbstbestimmt. Ein Leben im Spannungsfeld von geteiltem Deutschland und russischer Politik. Ares Verlag, Graz 2006. 216 S., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2007Zwischen den Welten
Die deutsch-deutsche Karriere des Juristen Wolfgang Seiffert
Es gibt Memoiren, die besser ungeschrieben geblieben wären: Sei es, weil ihr Verfasser nicht viel Substantielles mitzuteilen hat, sei es, weil das Wenige, was er berichtet, von einem unübersehbaren Bewusstsein der eigenen Bedeutung durchzogen ist. Bei den Erinnerungen des Juristen und Ökonomen Wolfgang Seiffert kommt all dieses zusammen.
Dabei hätte Seiffert einiges zu erzählen. Doch gelingt es ihm auf 175 Textseiten fast immer, an der Oberfläche zu bleiben, so, als habe er seine Erinnerungen rasch und lustlos diktiert und danach nicht noch einmal gelesen: Es gibt zahlreiche Abschweifungen, Ungenauigkeiten, falsch geschriebene Orts- und Familiennamen, sprachliche Unbeholfenheiten, Erinnerungslücken und historische Fragwürdigkeiten, nicht zu reden von Passagen unfreiwilliger Komik.
Wolfgang Seiffert hat ein ungewöhnliches Leben zwischen West und Ost geführt oder, wie der Untertitel des Buches ungelenk lautet: „im Spannungsfeld von geteiltem Deutschland und russischer Politik”. Zweimal wurde der 1926 in Breslau geborene Seiffert einem größeren Publikum bekannt: 1955 wurde der damalige führende Funktionär der westdeutschen FDJ (der Freien Deutschen Jugend, die seit 1951 verboten war) zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Aus der Haft floh er 1956 in die DDR, wo man ihn als Helden feierte.
1978 wechselte er wiederum die Seite, zwar mit Genehmigung Honeckers, aber nicht weniger geheimnisumwittert. Beides schildert Seiffert jedoch so, als sei es mehr oder weniger selbstverständlich
gewesen. Bald nach der Rückkehr in die Bundesrepublik lehrte der Jurist und Ökonom, der seiner Kriegsgefangenschaft bis 1949 Russischkenntnisse und eine gewisse Vertrautheit mit dem
Sowjetsystem zu verdanken hatte, als Professor in Kiel und wurde später Leiter des dortigen Instituts für Osteuropäisches Recht.
Im Spannungsfeld des geteilten Deutschland hatte Seiffert sich seit Ende 1949 bewegt, seit der Entlassung aus einer russischen Antifa-Schule und der Entscheidung einer SED-Kommission, Seiffert habe in die Bundesrepublik zu ziehen. Es war einiges zu erwarten an Einblicken und Einsichten von den Erinnerungen dieses Wanderers zwischen den Welten, der nach seiner Selbstentlassung aus der bundesdeutschen Haft in der DDR geradezu verehrt wurde. Später konnte Seiffert eine durchaus bemerkenswerte Karriere im Wissenschaftsapparat der DDR machen, bestand aber schließlich – man muss sich den Autor aufgrund der geschilderten Erlebnisse als unkonventionellen Rechthaber vorstellen – auf seinem Status als Bürger der Bundesrepublik, und ging wieder in den Westen. Doch abgesehen von einigen ganz hübschen Anekdoten und der Erkenntnis, dass Professor Seiffert überall sehr viele andere Promovierte und Habilitierte unterschiedlicher Nationalität getroffen hat, bleibt das meiste blass. Am interessantesten liest sich die Schilderung der Zeit vor Seifferts „Ausreise” aus der DDR.
Er habe sich „persönlich tief getroffen” gefühlt, als die DDR 1974 das Ziel der deutschen Einheit aus ihrer Verfassung strich, schreibt der Verfasser – „war ich doch für das Ziel der deutschen Einheit ins Gefängnis gewandert”. In einer Stellungnahme für Honecker habe er deutlich gemacht, dass dies nicht nur ein Staatsstreich, sondern auch Prinzipienverrat sei. Gesamtdeutsch denkend, dem aufkommenden Reformkommunismus zugeneigt, mit „tiefen Einblicken in die inneren Widersprüche des Wirtschaftssystems der DDR” ausgestattet, so Seiffert, sah er 1977 in der DDR keine Zukunft für sich und seine Familie. Wie ihm war es vielen DDR-Bürgern schon sehr viel früher gegangen. Seiffert: „Persönlich hatte ich in dem Mauerbau angesichts des anhaltenden Flüchtlingsstromes nach Westberlin eine Notwendigkeit gesehen, andererseits aber auch eine politische Niederlage des in der DDR etablierten politischen Systems.”
Ob dies Zynismus ist oder die Ehrlichkeit eines Mannes, der die widersprüchliche Nachkriegsgeschichte ganz Deutschlands am eigenen Leibe erfahren hat, der den DDR-Sozialismus zuletzt immer kritisiert und sich für die Wiedervereinigung stark gemacht hatte, muss jeder Leser für sich entscheiden. Im Zweifel kennt Seiffert, der in den neunziger Jahren als Professor in Moskau Jura gelehrt hat, jedenfalls keine Scheu, sich gegen die Freiheit auszusprechen: Im letzten Kapitel seines Buchs rechtfertigt er Putins Innenpolitik und tut die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien nonchalant in wenigen Sätzen ab.
CORD ASCHENBRENNER
WOLFGANG SEIFFERT: Selbstbestimmt. Ein Leben im Spannungsfeld von geteiltem Deutschland und russischer Politik. Ares Verlag, Graz 2006. 216 Seiten, 19,90 Euro.
Seine „tiefen Einblicke in die inneren Widersprüche des Wirtschaftssystems der DDR” rühmt der Autor Wolfgang Seiffert. Foto: Uwe Gerig
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Die deutsch-deutsche Karriere des Juristen Wolfgang Seiffert
Es gibt Memoiren, die besser ungeschrieben geblieben wären: Sei es, weil ihr Verfasser nicht viel Substantielles mitzuteilen hat, sei es, weil das Wenige, was er berichtet, von einem unübersehbaren Bewusstsein der eigenen Bedeutung durchzogen ist. Bei den Erinnerungen des Juristen und Ökonomen Wolfgang Seiffert kommt all dieses zusammen.
Dabei hätte Seiffert einiges zu erzählen. Doch gelingt es ihm auf 175 Textseiten fast immer, an der Oberfläche zu bleiben, so, als habe er seine Erinnerungen rasch und lustlos diktiert und danach nicht noch einmal gelesen: Es gibt zahlreiche Abschweifungen, Ungenauigkeiten, falsch geschriebene Orts- und Familiennamen, sprachliche Unbeholfenheiten, Erinnerungslücken und historische Fragwürdigkeiten, nicht zu reden von Passagen unfreiwilliger Komik.
Wolfgang Seiffert hat ein ungewöhnliches Leben zwischen West und Ost geführt oder, wie der Untertitel des Buches ungelenk lautet: „im Spannungsfeld von geteiltem Deutschland und russischer Politik”. Zweimal wurde der 1926 in Breslau geborene Seiffert einem größeren Publikum bekannt: 1955 wurde der damalige führende Funktionär der westdeutschen FDJ (der Freien Deutschen Jugend, die seit 1951 verboten war) zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Aus der Haft floh er 1956 in die DDR, wo man ihn als Helden feierte.
1978 wechselte er wiederum die Seite, zwar mit Genehmigung Honeckers, aber nicht weniger geheimnisumwittert. Beides schildert Seiffert jedoch so, als sei es mehr oder weniger selbstverständlich
gewesen. Bald nach der Rückkehr in die Bundesrepublik lehrte der Jurist und Ökonom, der seiner Kriegsgefangenschaft bis 1949 Russischkenntnisse und eine gewisse Vertrautheit mit dem
Sowjetsystem zu verdanken hatte, als Professor in Kiel und wurde später Leiter des dortigen Instituts für Osteuropäisches Recht.
Im Spannungsfeld des geteilten Deutschland hatte Seiffert sich seit Ende 1949 bewegt, seit der Entlassung aus einer russischen Antifa-Schule und der Entscheidung einer SED-Kommission, Seiffert habe in die Bundesrepublik zu ziehen. Es war einiges zu erwarten an Einblicken und Einsichten von den Erinnerungen dieses Wanderers zwischen den Welten, der nach seiner Selbstentlassung aus der bundesdeutschen Haft in der DDR geradezu verehrt wurde. Später konnte Seiffert eine durchaus bemerkenswerte Karriere im Wissenschaftsapparat der DDR machen, bestand aber schließlich – man muss sich den Autor aufgrund der geschilderten Erlebnisse als unkonventionellen Rechthaber vorstellen – auf seinem Status als Bürger der Bundesrepublik, und ging wieder in den Westen. Doch abgesehen von einigen ganz hübschen Anekdoten und der Erkenntnis, dass Professor Seiffert überall sehr viele andere Promovierte und Habilitierte unterschiedlicher Nationalität getroffen hat, bleibt das meiste blass. Am interessantesten liest sich die Schilderung der Zeit vor Seifferts „Ausreise” aus der DDR.
Er habe sich „persönlich tief getroffen” gefühlt, als die DDR 1974 das Ziel der deutschen Einheit aus ihrer Verfassung strich, schreibt der Verfasser – „war ich doch für das Ziel der deutschen Einheit ins Gefängnis gewandert”. In einer Stellungnahme für Honecker habe er deutlich gemacht, dass dies nicht nur ein Staatsstreich, sondern auch Prinzipienverrat sei. Gesamtdeutsch denkend, dem aufkommenden Reformkommunismus zugeneigt, mit „tiefen Einblicken in die inneren Widersprüche des Wirtschaftssystems der DDR” ausgestattet, so Seiffert, sah er 1977 in der DDR keine Zukunft für sich und seine Familie. Wie ihm war es vielen DDR-Bürgern schon sehr viel früher gegangen. Seiffert: „Persönlich hatte ich in dem Mauerbau angesichts des anhaltenden Flüchtlingsstromes nach Westberlin eine Notwendigkeit gesehen, andererseits aber auch eine politische Niederlage des in der DDR etablierten politischen Systems.”
Ob dies Zynismus ist oder die Ehrlichkeit eines Mannes, der die widersprüchliche Nachkriegsgeschichte ganz Deutschlands am eigenen Leibe erfahren hat, der den DDR-Sozialismus zuletzt immer kritisiert und sich für die Wiedervereinigung stark gemacht hatte, muss jeder Leser für sich entscheiden. Im Zweifel kennt Seiffert, der in den neunziger Jahren als Professor in Moskau Jura gelehrt hat, jedenfalls keine Scheu, sich gegen die Freiheit auszusprechen: Im letzten Kapitel seines Buchs rechtfertigt er Putins Innenpolitik und tut die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien nonchalant in wenigen Sätzen ab.
CORD ASCHENBRENNER
WOLFGANG SEIFFERT: Selbstbestimmt. Ein Leben im Spannungsfeld von geteiltem Deutschland und russischer Politik. Ares Verlag, Graz 2006. 216 Seiten, 19,90 Euro.
Seine „tiefen Einblicke in die inneren Widersprüche des Wirtschaftssystems der DDR” rühmt der Autor Wolfgang Seiffert. Foto: Uwe Gerig
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Klaus-Dietmar Henke ist von den Memoiren des ehemaligen westdeutschen FDJ-Funktionärs und späteren Wirtschaftsjuristen in der DDR, Wolfgang Seiffert, von denen er sich viele interessante Einblicke erhofft hat, tief enttäuscht. Nicht nur der "philorussisch-nationalbolschewistische Unterton" dieser Erinnerungen stören ihn, er ärgert sich auch über die vielen Nebensächlichkeiten und das ungenierte Wiederverwenden von Seifferts bereits publizierten Texten, mit denen das Buch gespickt ist. Auch so manches historische Fehlurteil irritiert den Rezensenten und er meint verstimmt, dass dieses Buch es weder mit früheren Veröffentlichungen desselben Autors aufnehmen kann, noch einen Gewinn in der Sicht auf deutsch-deutsche Geschichte zu bieten hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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