Die Geschichte einer Trennung, einer Liebe und eines Flusspferds. Arno Geiger erzählt von der Schwierigkeit des Erwachsenwerdens.
Wie fühlt es sich an, heute jung zu sein? Arno Geiger erzählt von Julian, einem Studenten der Veterinärmedizin, der seine erste Trennung erlebt und erstaunt ist, wie viel Unordnung so eine Trennung schafft. Um die Unordnung ein wenig zu lindern, übernimmt er bei Professor Beham die Pflege eines Zwergflusspferds, das bald den Rhythmus des Sommers bestimmt: es isst, gähnt, taucht und stinkt. Julian verliebt sich in Aiko, die Tochter des Professors, verfolgt beunruhigt, wie täglich Schockwellen von Katastrophen um den Erdball fluten und durchlebt eine Zeit des Umbruchs und Neuanfangs. Ein Roman über die Suche nach einem Platz in der Welt.
Dass Arno Geiger ein äußerst genauer Beobachter ist, wussten wir spätestens nach der Lektüre von "Der alte König in seinem Exil". Geiger erzählte dort von seinem Vater, der an Alzheimer erkrankt ist, und dem Leben mit all den Veränderungen, die das Vergessen mit sich bringt.
In seinem neuen Roman "Selbstporträt mit Flusspferd" nähert er sich in einem sensiblen Porträt dem Leben seines "Helden" Julian an. Der lebt im Wien des Jahres 2004, ist 22 Jahre jung, studiert Veterinärmedizin - und ist erschüttert von der Trennung von Judith, dem "Prototyp der unkomplizierten Frau", seiner ersten Liebe. Julian hingegen ist unsicher, ein Zweifelnder, ein Unterschätzter, manche stempeln ihn als mittelmäßigen Langweiler ab.
"Ich hatte erwartet, die Trennung werde mich in einen augenblicklichen Freiheitsrausch versetzen. Ich hatte erwartet, dass es sich anfühlt, als werde ich freigesprochen. Stattdessen flüsterte es nächtelang mit beunruhigendem Nachhall: Ich liebe dich nicht mehr, niemand liebt dich, niemand wird dich je wieder lieben."
Der Kummer der ersten Liebe - und die Unsicherheit in der Welt
Die Trennung aber hatte Julian betrieben: "bockig, trotzig und wild entschlossen, mich in Gefahr zu begeben". Doch kaum allein, fühlt es sich so an, als hätte es gereicht, "die Trennung fünf Minuten auszuprobieren", und er schlägt Judith vor, nach einer Pause einen neuen Anlauf zu nehmen, denkt schon daran, eine Familie zu gründen. Julian ist ein Unentschlossener - noch jedenfalls - einer, der sich schon als 22-Jähriger vorstellen kann, in einem Haus im Bregenzerwald zu leben und dann doch wieder die weite Welt sehen will. "Kinder? Eigentlich möchte ich keine Kinder. Wobei, eine Familie mit sechs Kindern, das wäre natürlich auch cool." Diese Unsicherheit, dieses Banale, begleitet ihn - und uns als Leser durch den Roman. Ist das nervig, gar langweilig? Nein, ist es nicht.
Arno Geigers "Held" Julian würde das Leben gern leicht nehmen, kann es aber nicht
Julian wird unterschätzt. Ja, er ist ein Zauderer. Aber diesen Widerstreit der Wünsche - schicke Stadtwohnung versus Traum vom Selbstversorgerdasein auf dem Land, Familienleben oder doch lieber nicht fest binden und keine Kinder - das kennen doch viele. Er nimmt das Leben eben nicht leicht, möchte das zwar gerne, scheitert aber. Ganz anders sein Kumpel Tibor. Der ist mit Claudi liiert, zeigt aber keinerlei Skrupel, ständig neue Affären anzuzetteln. Tibor trennt sich nur nicht, weil er nicht schon wieder einer neuen Frau seine Kindheitsgeschichte erzählen will. Ein Macho, der die Wellen des Lebens reitet. Alles easy.
Der unterschätzte Mann trifft auf ein unterschätztes Tier: das Zwergflusspferd
Der unterschätzte Julian trifft also auf ein unterschätztes Tier: das Zwergflusspferd, vorübergehend im Privatgarten des schwer kranken Professors Beham einquartiert. Den Job als Flusspferdpfleger erledigt sonst Julians Kumpel Tibor. Doch der will in die Sommerfrische, und Julian kann Geld und Ablenkung gebrauchen und springt ein. Es wird ein wichtiger Sommer für ihn werden, denn Professor Behams kapriziöse Tochter Aiko, 27, taucht auf. Zuerst will sie nichts von Julian wissen, ignoriert ihn, doch nach einem weinlastigen Abend landen die beiden miteinander im Bett. Was leicht bleiben könnte und für Aiko auch ist, wird für Julian wieder kompliziert. Er verliebt sich, will mehr, ist eifersüchtig auf einen weiteren Geliebten von Aiko. Die wiederum kann es nicht fassen, dass ihr Julian hinterhertapert wie ein anhänglicher Hund ...
Verlorensein in der Welt - selbst in Freundschaften gibt man sich nicht preis
Die Beziehungen der Menschen in "Selbstporträt mit Flusspferd" spenden keinen Trost. Die Sehnsucht nach einer umfassenden Verbindung wird nicht eingelöst. Selbst in Freundschaften gibt sich niemand preis, die Angst ist zu groß, sich bloßzustellen. "Ein Thema war so gut wie das andere und alles zusammen eher substanzlos", denkt Julian einmal auf einer Party im Gespräch mit seiner Schwester. So redet einer, dem der Sinn seines Lebens abhandengekommen ist - oder der ihn noch nicht für sich entdeckt hat. Einer, der sich verloren fühlt und es noch nicht schafft, zu analysieren, woher diese Gefühle kommen. Ist das Herzensträgheit oder Verzagtheit? Noch vor Kurzem hat er an die Idee der lebenslangen Liebe geglaubt. Warum allerdings genau, das könnte er vermutlich nicht sagen. Noch reitet Julian die Wellen nicht, aber alles ist offen. Hey, er ist doch erst 22 ...
Wie fühlt es sich an, heute jung zu sein? Arno Geiger erzählt von Julian, einem Studenten der Veterinärmedizin, der seine erste Trennung erlebt und erstaunt ist, wie viel Unordnung so eine Trennung schafft. Um die Unordnung ein wenig zu lindern, übernimmt er bei Professor Beham die Pflege eines Zwergflusspferds, das bald den Rhythmus des Sommers bestimmt: es isst, gähnt, taucht und stinkt. Julian verliebt sich in Aiko, die Tochter des Professors, verfolgt beunruhigt, wie täglich Schockwellen von Katastrophen um den Erdball fluten und durchlebt eine Zeit des Umbruchs und Neuanfangs. Ein Roman über die Suche nach einem Platz in der Welt.
Selbstporträt mit Flusspferd von Arno Geiger:
Dass Arno Geiger ein äußerst genauer Beobachter ist, wussten wir spätestens nach der Lektüre von "Der alte König in seinem Exil". Geiger erzählte dort von seinem Vater, der an Alzheimer erkrankt ist, und dem Leben mit all den Veränderungen, die das Vergessen mit sich bringt.
In seinem neuen Roman "Selbstporträt mit Flusspferd" nähert er sich in einem sensiblen Porträt dem Leben seines "Helden" Julian an. Der lebt im Wien des Jahres 2004, ist 22 Jahre jung, studiert Veterinärmedizin - und ist erschüttert von der Trennung von Judith, dem "Prototyp der unkomplizierten Frau", seiner ersten Liebe. Julian hingegen ist unsicher, ein Zweifelnder, ein Unterschätzter, manche stempeln ihn als mittelmäßigen Langweiler ab.
"Ich hatte erwartet, die Trennung werde mich in einen augenblicklichen Freiheitsrausch versetzen. Ich hatte erwartet, dass es sich anfühlt, als werde ich freigesprochen. Stattdessen flüsterte es nächtelang mit beunruhigendem Nachhall: Ich liebe dich nicht mehr, niemand liebt dich, niemand wird dich je wieder lieben."
Der Kummer der ersten Liebe - und die Unsicherheit in der Welt
Die Trennung aber hatte Julian betrieben: "bockig, trotzig und wild entschlossen, mich in Gefahr zu begeben". Doch kaum allein, fühlt es sich so an, als hätte es gereicht, "die Trennung fünf Minuten auszuprobieren", und er schlägt Judith vor, nach einer Pause einen neuen Anlauf zu nehmen, denkt schon daran, eine Familie zu gründen. Julian ist ein Unentschlossener - noch jedenfalls - einer, der sich schon als 22-Jähriger vorstellen kann, in einem Haus im Bregenzerwald zu leben und dann doch wieder die weite Welt sehen will. "Kinder? Eigentlich möchte ich keine Kinder. Wobei, eine Familie mit sechs Kindern, das wäre natürlich auch cool." Diese Unsicherheit, dieses Banale, begleitet ihn - und uns als Leser durch den Roman. Ist das nervig, gar langweilig? Nein, ist es nicht.
Arno Geigers "Held" Julian würde das Leben gern leicht nehmen, kann es aber nicht
Julian wird unterschätzt. Ja, er ist ein Zauderer. Aber diesen Widerstreit der Wünsche - schicke Stadtwohnung versus Traum vom Selbstversorgerdasein auf dem Land, Familienleben oder doch lieber nicht fest binden und keine Kinder - das kennen doch viele. Er nimmt das Leben eben nicht leicht, möchte das zwar gerne, scheitert aber. Ganz anders sein Kumpel Tibor. Der ist mit Claudi liiert, zeigt aber keinerlei Skrupel, ständig neue Affären anzuzetteln. Tibor trennt sich nur nicht, weil er nicht schon wieder einer neuen Frau seine Kindheitsgeschichte erzählen will. Ein Macho, der die Wellen des Lebens reitet. Alles easy.
Der unterschätzte Mann trifft auf ein unterschätztes Tier: das Zwergflusspferd
Der unterschätzte Julian trifft also auf ein unterschätztes Tier: das Zwergflusspferd, vorübergehend im Privatgarten des schwer kranken Professors Beham einquartiert. Den Job als Flusspferdpfleger erledigt sonst Julians Kumpel Tibor. Doch der will in die Sommerfrische, und Julian kann Geld und Ablenkung gebrauchen und springt ein. Es wird ein wichtiger Sommer für ihn werden, denn Professor Behams kapriziöse Tochter Aiko, 27, taucht auf. Zuerst will sie nichts von Julian wissen, ignoriert ihn, doch nach einem weinlastigen Abend landen die beiden miteinander im Bett. Was leicht bleiben könnte und für Aiko auch ist, wird für Julian wieder kompliziert. Er verliebt sich, will mehr, ist eifersüchtig auf einen weiteren Geliebten von Aiko. Die wiederum kann es nicht fassen, dass ihr Julian hinterhertapert wie ein anhänglicher Hund ...
Verlorensein in der Welt - selbst in Freundschaften gibt man sich nicht preis
Die Beziehungen der Menschen in "Selbstporträt mit Flusspferd" spenden keinen Trost. Die Sehnsucht nach einer umfassenden Verbindung wird nicht eingelöst. Selbst in Freundschaften gibt sich niemand preis, die Angst ist zu groß, sich bloßzustellen. "Ein Thema war so gut wie das andere und alles zusammen eher substanzlos", denkt Julian einmal auf einer Party im Gespräch mit seiner Schwester. So redet einer, dem der Sinn seines Lebens abhandengekommen ist - oder der ihn noch nicht für sich entdeckt hat. Einer, der sich verloren fühlt und es noch nicht schafft, zu analysieren, woher diese Gefühle kommen. Ist das Herzensträgheit oder Verzagtheit? Noch vor Kurzem hat er an die Idee der lebenslangen Liebe geglaubt. Warum allerdings genau, das könnte er vermutlich nicht sagen. Noch reitet Julian die Wellen nicht, aber alles ist offen. Hey, er ist doch erst 22 ...
buecher-magazin.deEs gibt so Fälle, in denen man als Sprecher zum Gefangenen der Textvorlage wird. So wie hier Adam Nümm bei Arno Geiger. Dieser kennt eigentlich nur eine Tonlage, die sich durch den ganzen Roman zieht und stets kurz vor der Schwelle zur Larmoyanz ist. Ich-Erzähler Julian hat noch keine Vorstellungen von dem, was er vom Leben will. Als Reaktion pflegt er sein Phlegma, noch mehr, nachdem ihn seine Freundin Judith verlassen hat. Er nimmt einen Job an, die Versorgung eines Zwergflusspferds. Dessen Behäbigkeit, seine Immunität gegenüber äußeren Störungen, wird zum Spiegelbild und Gegenbild von Julians Seelenlage. Er verliebt sich in Aiko. Wieder kann er sie nicht halten, wieder kehrt er zurück in seine von Selbstzweifeln geprägte Untätigkeit, garniert von Selbstbedauern. Geigers Introspektion einer altersbedingten Grenzsituation zwischen Nicht-Mehr und Noch-Nicht ist so kunstvoll gemacht wie streckenweise ermüdend. Nümm lässt diesen Ton wundervoll erklingen, diesen Ton innerlicher Klage über die ersten Erfahrungen von der Schwere des Lebens. Aber es gibt keinen anderen Ton im Text. Nümm zieht ihn durch, gekonnt, stimmig, aber im Dauer-Moll eben auch ermüdend.
© BÜCHERmagazin, Martin Maria Schwarz (mms)
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Andreas Breitenstein nennt Arno Geigers neuen Roman doch tatsächlich ein "Fest der Literatur". Aber der Rezensent liefert Belege für seine Begeisterung: Etwa, dass Geiger den Leser sprachlich virtuos zwischen Utopie und Melancholie, Sehnsucht und Hoffnung und Ernüchterung hindurchmanövriert und dabei lässig über die Liebe und ihre Fährnisse in unserer Zeit erzählt. Oder dass ihm mit der Geschichte vom liebestrunkenen und liebestraurigen Julian ein hübsch satirisches Porträt des Wiener Studentenmilieus gelingt. Oder auch, dass es genial ist von Geiger, ein Flusspferd in die Manege zu lassen, um der Gefahr einer allzu beflissen belehrenden Bildungsromanze zu entgehen und zwischen Ironie und Witz und scharfer Beobachtung eine zumal recht massige Leerstelle zu lassen, an der sich der Leser erfreuen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2015Das Paradies ist ein Tümpel mit Flusspferd
Arno Geigers neuer Roman handelt von einem jungen Mann, der altersbedingt nicht weiß, dass er nicht weiß, was er will - in der Liebe und im Leben.
Es gibt Sätze in Arno Geigers neuem Roman, denen man nicht widersprechen kann. Denn es handelt sich um schlichte, unumstößliche Wahrheiten wie etwa die folgende: "Ein junger Mann mit Schmerzen zu sein ist eine Ganztagesbeschäftigung."
Aber ist es auch abendfüllend, einem jungen Mann bei einer solchen Beschäftigung zuzusehen? Das ist die zentrale Frage, die Geigers neuer Roman "Selbstporträt mit Flusspferd" aufwirft, und er wirft sie, so viel sei vorangeschickt, ziemlich rasch auf. Mit der Frage scheint es sich zunächst ähnlich zu verhalten wie mit Julians Schmerzen. Sie klingt nicht sonderlich dramatisch, und doch schwebt sie von Anbeginn wie ein Damokleswehwehchen über dem Roman.
Er beginnt mit einem unerwarteten Wiedersehen: Judith und Julian waren vor zehn Jahren ein Paar. Jetzt ist Judith mit einem verletzten Uhu in die Notfallambulanz gekommen, wo Julian als Tierarzt arbeitet. Noch bevor er seine ehemalige Freundin wiedererkennt, steht seine Diagnose fest, ein Todesurteil auf den ersten Blick: "Der fällt in eine finstere Grube. Den fängt niemand auf." Während er das Tier "zur Tötung vorbereitete", wissen beide nicht, was sie reden sollen. Julian wundert sich. So verlegen hatte er Judith früher nie erlebt. Sie war immer "strahlend gewesen, prall, in Bewegung". Der Gedanke, Judiths Schweigsamkeit habe vielleicht auch damit zu tun, dass der Uhu, den sie doch retten wollte, nun getötet werden muss, kommt ihm nicht. Julians Sensibilität ist offenbar von jener Art, die vor allem auf die eigene Person gerichtet ist.
Die kurze Wiederbegegnung ist der Anlass für einen langen Blick zurück: Nach den ersten zweieinhalb Seiten taucht Julian ein in die Erinnerungen an die Zeit seiner Trennung im Jahr 2004. In Athen finden Olympische Spiele statt, in Beslan kommen Unschuldige bei einer blutigen Geiselnahme ums Leben, in Tel Aviv macht ein Selbstmordattentat Schlagzeilen. Müsste Julian sich zu all dem nicht irgendwie verhalten? Aber wie? Er ist zweiundzwanzig, Student in Wien, kein Kind mehr, aber noch reichlich welpig für sein Alter und rettungslos gefangen zwischen Weltschmerz, Überheblichkeit, Versagensängsten, Ahnungslosigkeit und Orientierungsschwierigkeiten. Altersbedingt weiß Julian nicht, dass er nicht weiß, was er will. Er führt die Trennung mit Judith herbei und leidet anschließend darunter. Er ist verletzt. Dass nicht der Abschied von Judith diese Wunde geschlagen hat, sondern die vernichtende Erkenntnis, dass Judith gar nicht daran denkt, um ihn zu kämpfen, bleibt ihm verborgen. Altersbedingt weiß Julian nicht, dass er nicht weiß, dass er in seiner Eitelkeit gekränkt ist.
Was Arno Geiger von seiner Hauptfigur hält, ist schwer zu sagen. Jedenfalls ist Julian für den Autor ein Mittel zum Zweck, und für diesen Zweck ist die Geschichte, die hier erzählt wird, weit weniger wichtig als die Art und Weise, wie Julian all das empfindet, was ihm widerfährt. Nicht Julian ist der Held dieses Romans, sondern jene spezifische Empfindungsweise und Weltwahrnehmung, die wir mit dem Lebensalter zwischen zwanzig und fünfundzwanzig verbinden. Der Romantitel kündigt zwar ein Selbstporträt an, aber was Geiger tatsächlich porträtieren will, ist das Lebensgefühl eines x-beliebigen Zweiundzwanzigjährigen. Doch wie zeichnet man einen Jedermann im vierten Semester, ohne dass ein Klischeebild entstünde? Das ist die zweite Frage, die dieses Buch aufwirft, und Arno Geiger kann sie nicht beantworten.
Julian zieht bei Judith aus und übernimmt vertretungsweise einen Job als privater Tierpfleger von seinem weitaus lebenslustigeren Freund Tibor. Und jetzt kommt das Flusspferd ins Spiel: Julian soll das Tier, das im Garten des schwerkranken Professors Beham Asyl gefunden hat, bevor es schließlich vom Baseler Zoo aufgenommen wird, füttern und pflegen. Dabei lernt er nicht nur den exzentrischen Professor kennen, sondern auch dessen Tochter. Aiko ist hübsch, selbstbewusst, launisch, und erstaunlicherweise scheint Julian in ihr Beuteschema zu passen. An die Stelle der großen Liebe, die die Beziehung mit Judith eigentlich sein sollte, tritt nun die kleine Affäre mit Aiko. Bei Liebeskummer und Weltschmerz ist Ablenkung ja nie verkehrt.
Aiko ist als geheimnisvolle Versuchung angelegt, krankt allerdings daran, dass eine Figur nicht zwangsläufig umso interessanter wird, je weniger der Leser von ihr erfährt. Über ein kapriziöses Klischee kommt die arme Aiko nicht hinaus. Julians wahre Liebe gilt ohnehin der "Zwergin", das ist die Flusspferddame, die alles zu haben scheint, was Julian fehlt: Ruhe, Gelassenheit, ein fester Platz im Universum. Ob das Tier sich im Garten eines Wiener Einfamilienhauses wirklich wohl fühlen kann, scheint Arno Geiger und seinen angehenden Tierarzt Julian nicht zu interessieren. Warum auch? Der Zauberkünstler fragt sich ja auch nicht, wie es den rosa Kaninchen in seinem Zylinder geht.
HUBERT SPIEGEL
Arno Geiger: "Selbstporträt mit Flusspferd". Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2015. 288 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Arno Geigers neuer Roman handelt von einem jungen Mann, der altersbedingt nicht weiß, dass er nicht weiß, was er will - in der Liebe und im Leben.
Es gibt Sätze in Arno Geigers neuem Roman, denen man nicht widersprechen kann. Denn es handelt sich um schlichte, unumstößliche Wahrheiten wie etwa die folgende: "Ein junger Mann mit Schmerzen zu sein ist eine Ganztagesbeschäftigung."
Aber ist es auch abendfüllend, einem jungen Mann bei einer solchen Beschäftigung zuzusehen? Das ist die zentrale Frage, die Geigers neuer Roman "Selbstporträt mit Flusspferd" aufwirft, und er wirft sie, so viel sei vorangeschickt, ziemlich rasch auf. Mit der Frage scheint es sich zunächst ähnlich zu verhalten wie mit Julians Schmerzen. Sie klingt nicht sonderlich dramatisch, und doch schwebt sie von Anbeginn wie ein Damokleswehwehchen über dem Roman.
Er beginnt mit einem unerwarteten Wiedersehen: Judith und Julian waren vor zehn Jahren ein Paar. Jetzt ist Judith mit einem verletzten Uhu in die Notfallambulanz gekommen, wo Julian als Tierarzt arbeitet. Noch bevor er seine ehemalige Freundin wiedererkennt, steht seine Diagnose fest, ein Todesurteil auf den ersten Blick: "Der fällt in eine finstere Grube. Den fängt niemand auf." Während er das Tier "zur Tötung vorbereitete", wissen beide nicht, was sie reden sollen. Julian wundert sich. So verlegen hatte er Judith früher nie erlebt. Sie war immer "strahlend gewesen, prall, in Bewegung". Der Gedanke, Judiths Schweigsamkeit habe vielleicht auch damit zu tun, dass der Uhu, den sie doch retten wollte, nun getötet werden muss, kommt ihm nicht. Julians Sensibilität ist offenbar von jener Art, die vor allem auf die eigene Person gerichtet ist.
Die kurze Wiederbegegnung ist der Anlass für einen langen Blick zurück: Nach den ersten zweieinhalb Seiten taucht Julian ein in die Erinnerungen an die Zeit seiner Trennung im Jahr 2004. In Athen finden Olympische Spiele statt, in Beslan kommen Unschuldige bei einer blutigen Geiselnahme ums Leben, in Tel Aviv macht ein Selbstmordattentat Schlagzeilen. Müsste Julian sich zu all dem nicht irgendwie verhalten? Aber wie? Er ist zweiundzwanzig, Student in Wien, kein Kind mehr, aber noch reichlich welpig für sein Alter und rettungslos gefangen zwischen Weltschmerz, Überheblichkeit, Versagensängsten, Ahnungslosigkeit und Orientierungsschwierigkeiten. Altersbedingt weiß Julian nicht, dass er nicht weiß, was er will. Er führt die Trennung mit Judith herbei und leidet anschließend darunter. Er ist verletzt. Dass nicht der Abschied von Judith diese Wunde geschlagen hat, sondern die vernichtende Erkenntnis, dass Judith gar nicht daran denkt, um ihn zu kämpfen, bleibt ihm verborgen. Altersbedingt weiß Julian nicht, dass er nicht weiß, dass er in seiner Eitelkeit gekränkt ist.
Was Arno Geiger von seiner Hauptfigur hält, ist schwer zu sagen. Jedenfalls ist Julian für den Autor ein Mittel zum Zweck, und für diesen Zweck ist die Geschichte, die hier erzählt wird, weit weniger wichtig als die Art und Weise, wie Julian all das empfindet, was ihm widerfährt. Nicht Julian ist der Held dieses Romans, sondern jene spezifische Empfindungsweise und Weltwahrnehmung, die wir mit dem Lebensalter zwischen zwanzig und fünfundzwanzig verbinden. Der Romantitel kündigt zwar ein Selbstporträt an, aber was Geiger tatsächlich porträtieren will, ist das Lebensgefühl eines x-beliebigen Zweiundzwanzigjährigen. Doch wie zeichnet man einen Jedermann im vierten Semester, ohne dass ein Klischeebild entstünde? Das ist die zweite Frage, die dieses Buch aufwirft, und Arno Geiger kann sie nicht beantworten.
Julian zieht bei Judith aus und übernimmt vertretungsweise einen Job als privater Tierpfleger von seinem weitaus lebenslustigeren Freund Tibor. Und jetzt kommt das Flusspferd ins Spiel: Julian soll das Tier, das im Garten des schwerkranken Professors Beham Asyl gefunden hat, bevor es schließlich vom Baseler Zoo aufgenommen wird, füttern und pflegen. Dabei lernt er nicht nur den exzentrischen Professor kennen, sondern auch dessen Tochter. Aiko ist hübsch, selbstbewusst, launisch, und erstaunlicherweise scheint Julian in ihr Beuteschema zu passen. An die Stelle der großen Liebe, die die Beziehung mit Judith eigentlich sein sollte, tritt nun die kleine Affäre mit Aiko. Bei Liebeskummer und Weltschmerz ist Ablenkung ja nie verkehrt.
Aiko ist als geheimnisvolle Versuchung angelegt, krankt allerdings daran, dass eine Figur nicht zwangsläufig umso interessanter wird, je weniger der Leser von ihr erfährt. Über ein kapriziöses Klischee kommt die arme Aiko nicht hinaus. Julians wahre Liebe gilt ohnehin der "Zwergin", das ist die Flusspferddame, die alles zu haben scheint, was Julian fehlt: Ruhe, Gelassenheit, ein fester Platz im Universum. Ob das Tier sich im Garten eines Wiener Einfamilienhauses wirklich wohl fühlen kann, scheint Arno Geiger und seinen angehenden Tierarzt Julian nicht zu interessieren. Warum auch? Der Zauberkünstler fragt sich ja auch nicht, wie es den rosa Kaninchen in seinem Zylinder geht.
HUBERT SPIEGEL
Arno Geiger: "Selbstporträt mit Flusspferd". Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2015. 288 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.07.2015Schönheit
der Schlaffis
Sommer in Wien, nur noch Touristen und der Tiermedizin-Student Julian sind in der Stadt. Julian ist 22 und ein ziemlicher Schlaffi. Er hängt ab und rum, steuert auf eine Depression zu und nimmt in seiner ziellosen Suche nach sich selbst einen Ferienjob an: die Pflege eines Zwergflusspferdes, das im Gartenteich eines kranken Tiermedizin-Professors auf den Abtransport in einen Zoo wartet. Zugegeben, der wunderbare Arno Geiger hat schon spannendere Bücher geschrieben. Aber „Selbstporträt mit Flusspferd“ entwickelt eine innere Schönheit, wenn man bereit ist, sich auf den temperamentlosen Antihelden Julian einzulassen, so wie auch das in der Sommerhitze schwitzende Flusspferd eine innere Schönheit ausstrahlt – in all seiner Ruhe und Selbstvergessenheit. CATHRIN KAHLWEIT
Arno Geiger:
Selbstporträt mit Flusspferd. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2015.
288 Seiten,
19,90 Euro.
E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
der Schlaffis
Sommer in Wien, nur noch Touristen und der Tiermedizin-Student Julian sind in der Stadt. Julian ist 22 und ein ziemlicher Schlaffi. Er hängt ab und rum, steuert auf eine Depression zu und nimmt in seiner ziellosen Suche nach sich selbst einen Ferienjob an: die Pflege eines Zwergflusspferdes, das im Gartenteich eines kranken Tiermedizin-Professors auf den Abtransport in einen Zoo wartet. Zugegeben, der wunderbare Arno Geiger hat schon spannendere Bücher geschrieben. Aber „Selbstporträt mit Flusspferd“ entwickelt eine innere Schönheit, wenn man bereit ist, sich auf den temperamentlosen Antihelden Julian einzulassen, so wie auch das in der Sommerhitze schwitzende Flusspferd eine innere Schönheit ausstrahlt – in all seiner Ruhe und Selbstvergessenheit. CATHRIN KAHLWEIT
Arno Geiger:
Selbstporträt mit Flusspferd. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2015.
288 Seiten,
19,90 Euro.
E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Ein hinreissend frischer Roman. Sprachlich virtuos und mit heiterem Ernst spielt der österreichische Autor auf der Klaviatur von Utopie und Melancholie, Sehnsucht und Ernüchterung, Hoffnung und Resignation." Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung, 10.03.15
"Ein 22-Jähriger hängt beim Erwachsenwerden fest, zwischen Frauen und Unsicherheiten. Arno Geigers Roman erzählt von dieser Wartesaalstimmung - und trifft unser Gegenwartsempfinden [...] die Gemütslage des 22-jährigen Julian, sein Zukunftsnebel, sein Dazwischenhängen, seine ruhelose Lethargie enthalten eine Wahrheit, an deren allgemeiner Gültigkeit der Leser nicht vorbeikommt." Ursula März, Die Zeit, 05.02.15
"Einer der Gründe, weshalb es ein so geglücktes Buch ist, liegt sicher darin, dass Julian ein reflektierter Zeitgenosse ist." Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau, 07.02.15
"Arno Geiger erzählt mit leichter Hand von der Schwierigkeit des Erwachsenwerdens in einer unverständlichen Welt." Corina Caduff und Andreas Nentwich, SRF, 08.02.15
"All das Durcheinander aus Liebe, Sex, Zukunftsfurcht und dem ganzen Zeug fügt sich zu einem hinreißenden Roman." Wolfgang Höbel, Der Spiegel, 02.02.15
"Arno Geiger hat einen untrüglichen Blick fürs Komische." Sandra Leis, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 25.02.15
"Ein 22-Jähriger hängt beim Erwachsenwerden fest, zwischen Frauen und Unsicherheiten. Arno Geigers Roman erzählt von dieser Wartesaalstimmung - und trifft unser Gegenwartsempfinden [...] die Gemütslage des 22-jährigen Julian, sein Zukunftsnebel, sein Dazwischenhängen, seine ruhelose Lethargie enthalten eine Wahrheit, an deren allgemeiner Gültigkeit der Leser nicht vorbeikommt." Ursula März, Die Zeit, 05.02.15
"Einer der Gründe, weshalb es ein so geglücktes Buch ist, liegt sicher darin, dass Julian ein reflektierter Zeitgenosse ist." Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau, 07.02.15
"Arno Geiger erzählt mit leichter Hand von der Schwierigkeit des Erwachsenwerdens in einer unverständlichen Welt." Corina Caduff und Andreas Nentwich, SRF, 08.02.15
"All das Durcheinander aus Liebe, Sex, Zukunftsfurcht und dem ganzen Zeug fügt sich zu einem hinreißenden Roman." Wolfgang Höbel, Der Spiegel, 02.02.15
"Arno Geiger hat einen untrüglichen Blick fürs Komische." Sandra Leis, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 25.02.15