In Self Comes to Mind, world-renowned neuroscientist Antonio Damasio goes against the long-standing idea that consciousness is separate from the body, presenting compelling new scientific evidence that consciousness - what we think of as a mind with a self - is in fact a biological process created by a living organism.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.08.2011Wir sind das Haus
des Bewusstseins
Der Neurowissenschaftler Antonio Damásio erkundet die
biologischen Prozesse, die wir „Geist“ nennen
„Don’t judge a book by it’s cover!“ Dass man ein Buch nicht nach dem Umschlag beurteilen soll, gilt auch für die deutsche Ausgabe von Antonio Damásios neuem Werk: Den Umschlag ziert ein kopfloser Anzugmann, der wahrscheinlich „den Menschen“ symbolisieren soll. Ist das schon wieder ein trivialer Beitrag auf dem Felde der Populärphilosophie? Nein. Die Lektüre von „Selbst ist der Mensch“ lohnt sich für den sehr interessierten Laien, auch wenn sie in ihren wissenschaftlichen Details bisweilen mühevoll werden kann.
Antonio Damásio ist Neurologe und Neurowissenschaftler, seine Forschungen zu Entstehung und Funktionsweise des menschlichen Bewusstseins, die er seit den frühen neunziger Jahren in Büchern veröffentlicht, gelten als bahnbrechend. Er versucht, die komplexen Verästelungen der neurologischen Forschung einem breiten Publikum näher zu bringen. Auch haben seine Werke den Anspruch, einen philosophischen Beitrag zum immer noch aktuellen Diskurs um die uralte Leib-Seele-Problematik zu leisten. Das ist, wie so oft, wenn die Gehirnforschung sich aufmacht, der Philosophie empirisch unter die Arme zu greifen, problematisch.
Antonio Damásio ist vor allem bekannt für seine Forschungen an Patienten mit Verletzungen des Stirnlappens, eines Gehirnareals, das an der Entstehung unserer Emotionen beteiligt ist. Das rationale Denkvermögen dieser Menschen ist zwar intakt, aber sie handeln auf autodestruktive und sozial nicht kompatible Art und Weise. Dieser Befund stellt die Trennung zwischen „Ratio“ und „Emotionen“ und somit den Dualismus zwischen „Körper“ und „Geist“ in Frage. Paradoxerweise macht gerade der teils unbewusste Leitfaden des Fühlens unsere Handlungen und Entscheidungen erst zu „rationalen“.
Mit seinem neuen Werk will Damásio noch einmal „von vorne anfangen“: Leitfrage ist, wie es entwicklungsgeschichtlich und funktional zum hochkomplexen Phänomen des menschlichen Bewusstseins kommen konnte. Laut Klappentext ist das „Bahnbrechende“ an diesem Buch, dass Damásio in ihm „erstmals eine evolutionäre Perspektive“ einführe. Dies ist nicht ganz korrekt: Auch in seinen früheren Arbeiten, so in „Descartes’ Irrtum“, hat Damásio bereits auf die große Bedeutung evolutionsgeschichtlich älterer Areale des Gehirns für unser Fühlen und Handeln hingewiesen.
Zu wirklich neuen, philosophisch weiterführenden Ansätzen gelangt der Autor also nicht, beispielsweise verwendet er viele Seiten darauf, zu erklären, dass menschliches Bewusstsein wesentlich „gerichtet“ ist – eine Erkenntnis, die spätestens seit Husserl zu den Gemeinplätzen der Bewusstseinsphilosophie gehört. Der wertvolle Beitrag, den dieses Buch leistet, besteht in seiner konsequenten Ausarbeitung der evolutionären Entwicklung von Geist, Bewusstsein und Selbst.
Evolutionsgeschichtlich ist das Bewusstsein in seiner heutigen Form ein spätes Phänomen. Seinen Entwicklungsstufen entsprechen neurophysiologisch Gehirnareale und neuronale Schaltkreise, die stammesgeschichtlich älter (subkortikal) oder jünger (kortikal) sind. Subkortikale Funktionen sind weiterhin in unserem Gehirn aktiv und handlungstreibend. Wir stehen somit in einer doppelten Kontinuität, einer stammesgeschichtlichen und einer individuell-körperlichen. Der Steinzeitmensch im Stammhirn? Ganz so leicht macht es sich Damásio zum Glück nicht.
Eine Trennung von „Geist“ und „Körper“ – und hier liegt der philosophisch brisante Anspruch des Autors – ist deshalb nicht möglich, weil Bewusstseinsprozesse keine andere Dimension haben als körperliche. Das Gehirn ist Teil des Körpers. Auch wenn es einen Sonderstatus unter den Organen einnimmt, weil es dasjenige ist, das mit allen anderen kommunizieren kann. Das Bewusstsein ist sein Produkt und somit ein Produkt des Körpers.
Hier bedient sich Damásio der nicht sonderlich neuen, aber anschaulichen Metapher vom Orchester – der Klang einer Symphonie geht auch über seine „technische“ Erzeugung hinaus – Musik ist irreduzibel in ihrer Schönheit (oder Missratenheit, je nachdem), und dennoch existiert sie nicht ohne die Klangkörper und ihr Zusammenspiel. Analog dazu ist Bewusstsein ein emergentes, hochkomplexes, aber dennoch eben – körperliches Phänomen.
Damásio definiert Bewusstsein als „bewussten Geist“. Das bedeutet, dass die Existenz eines Geistes bei einem Lebewesen noch nicht impliziert, dass es auch über Bewusstsein verfügt. Hinzukommen muss etwas, das Damásio als das „Selbst“ bezeichnet, eine Art interne Beobachterfunktion des menschlichen Gehirns. Dieses „Selbst“ des Menschen gliedert sich in drei evolutionäre „Stufen“. Niedrigste Stufe ist das „Protoselbst“, das uns ursprüngliche Emotionen, gedacht als Zustände des eigenen Körpers, vermittelt. Obwohl wir modernen Menschen mittlerweile auf der bislang höchsten Entwicklungsstufe, der des „autobiographischen“ Selbst angelangt sind, ist das Protoselbst in uns aktiv und registriert beständig körperlich-emotionale Zustände, derer wir uns nur sehr bedingt bewusst sein können.
Man merkt anhand der mitunter leider unpräzisen Verwendung von Konzepten wie „Geist“ und „Gehirn“, dass Damásios Buch keinen Beitrag zur Entwicklung der philosophischen Begriffe leisten kann. Es ist aber bereichernd, dass er die Einsichten seiner neurowissenschaftlichen Forschung noch einmal in ihre Details aufschlüsselt. Dennoch hat das Buch natürlich ethische Implikationen: Sind wir Geworfene, Organismusbündel, beherrscht von archaischen Zuständen aus früheren Evolutionszeiten? Damásio ist kein brutaler Naturalist. Er wird nicht müde, zu betonen, dass er mit seinen Einsichten keineswegs kulturelle Leistungen abwerten möchte. Vielmehr findet er, dass der Facettenreichtum der menschlichen Kultur zwangsläufig seine Entsprechung in der Verworrenheit der Neuronenströme finden muss. Man könnte vielleicht sagen: Nicht nur sind wir nicht Herr im eigenen Haus, sondern wir sind das Haus. Eine beklemmende Vorstellung.
Damásios wissenschaftliche Ausführungen und ihre behaupteten philosophischen Implikationen bleiben leider merkwürdig abstrakt und unanschaulich. Wenn es um Ethik geht und die Frage, inwiefern wir unser evolutionär ererbtes Verhalten beeinflussen können, schreibt er Sätze wie: „Ein gutes Beispiel ist das ethische Dilemma, vor dem ein Kriegsdienstverweigerer steht.“ Das wünscht man sich doch etwas ausführlicher. Sein Schreibstil, der zwischen blumig-poetischen Anflügen und hölzernen Abstrakta schwankt, macht die Lektüre nicht einfacher.
Außerdem reduziert Damásio dann leider doch, wenn er sich gegen Ende des Buches an ethische Fragestellungen heran wagt, wenn er im Zweiseitentakt unter Überschriften wie „Gehirn und Justiz“ pragmatische Handlungsanweisungen gibt. Das ist überhaupt das große Manko neurowissenschaftlicher Veröffentlichungen, die philosophische Deutungen für sich in Anspruch nehmen. Und auch Damásio kann es mit diesem interessanten Buch nicht beheben. HANNAH LÜHMANN
ANTONIO DAMÁSIO: Selbst ist der Mensch. Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins. Siedler Verlag, München 2011. 311 Seiten, 24,99 Euro.
Der Steinzeitmensch im
Stammhirn? Ganz so leicht macht
es sich der Autor zum Glück nicht
Auch in uns ist noch das
Protoselbst aktiv, das beständig
körperliche Zustände registriert
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des Bewusstseins
Der Neurowissenschaftler Antonio Damásio erkundet die
biologischen Prozesse, die wir „Geist“ nennen
„Don’t judge a book by it’s cover!“ Dass man ein Buch nicht nach dem Umschlag beurteilen soll, gilt auch für die deutsche Ausgabe von Antonio Damásios neuem Werk: Den Umschlag ziert ein kopfloser Anzugmann, der wahrscheinlich „den Menschen“ symbolisieren soll. Ist das schon wieder ein trivialer Beitrag auf dem Felde der Populärphilosophie? Nein. Die Lektüre von „Selbst ist der Mensch“ lohnt sich für den sehr interessierten Laien, auch wenn sie in ihren wissenschaftlichen Details bisweilen mühevoll werden kann.
Antonio Damásio ist Neurologe und Neurowissenschaftler, seine Forschungen zu Entstehung und Funktionsweise des menschlichen Bewusstseins, die er seit den frühen neunziger Jahren in Büchern veröffentlicht, gelten als bahnbrechend. Er versucht, die komplexen Verästelungen der neurologischen Forschung einem breiten Publikum näher zu bringen. Auch haben seine Werke den Anspruch, einen philosophischen Beitrag zum immer noch aktuellen Diskurs um die uralte Leib-Seele-Problematik zu leisten. Das ist, wie so oft, wenn die Gehirnforschung sich aufmacht, der Philosophie empirisch unter die Arme zu greifen, problematisch.
Antonio Damásio ist vor allem bekannt für seine Forschungen an Patienten mit Verletzungen des Stirnlappens, eines Gehirnareals, das an der Entstehung unserer Emotionen beteiligt ist. Das rationale Denkvermögen dieser Menschen ist zwar intakt, aber sie handeln auf autodestruktive und sozial nicht kompatible Art und Weise. Dieser Befund stellt die Trennung zwischen „Ratio“ und „Emotionen“ und somit den Dualismus zwischen „Körper“ und „Geist“ in Frage. Paradoxerweise macht gerade der teils unbewusste Leitfaden des Fühlens unsere Handlungen und Entscheidungen erst zu „rationalen“.
Mit seinem neuen Werk will Damásio noch einmal „von vorne anfangen“: Leitfrage ist, wie es entwicklungsgeschichtlich und funktional zum hochkomplexen Phänomen des menschlichen Bewusstseins kommen konnte. Laut Klappentext ist das „Bahnbrechende“ an diesem Buch, dass Damásio in ihm „erstmals eine evolutionäre Perspektive“ einführe. Dies ist nicht ganz korrekt: Auch in seinen früheren Arbeiten, so in „Descartes’ Irrtum“, hat Damásio bereits auf die große Bedeutung evolutionsgeschichtlich älterer Areale des Gehirns für unser Fühlen und Handeln hingewiesen.
Zu wirklich neuen, philosophisch weiterführenden Ansätzen gelangt der Autor also nicht, beispielsweise verwendet er viele Seiten darauf, zu erklären, dass menschliches Bewusstsein wesentlich „gerichtet“ ist – eine Erkenntnis, die spätestens seit Husserl zu den Gemeinplätzen der Bewusstseinsphilosophie gehört. Der wertvolle Beitrag, den dieses Buch leistet, besteht in seiner konsequenten Ausarbeitung der evolutionären Entwicklung von Geist, Bewusstsein und Selbst.
Evolutionsgeschichtlich ist das Bewusstsein in seiner heutigen Form ein spätes Phänomen. Seinen Entwicklungsstufen entsprechen neurophysiologisch Gehirnareale und neuronale Schaltkreise, die stammesgeschichtlich älter (subkortikal) oder jünger (kortikal) sind. Subkortikale Funktionen sind weiterhin in unserem Gehirn aktiv und handlungstreibend. Wir stehen somit in einer doppelten Kontinuität, einer stammesgeschichtlichen und einer individuell-körperlichen. Der Steinzeitmensch im Stammhirn? Ganz so leicht macht es sich Damásio zum Glück nicht.
Eine Trennung von „Geist“ und „Körper“ – und hier liegt der philosophisch brisante Anspruch des Autors – ist deshalb nicht möglich, weil Bewusstseinsprozesse keine andere Dimension haben als körperliche. Das Gehirn ist Teil des Körpers. Auch wenn es einen Sonderstatus unter den Organen einnimmt, weil es dasjenige ist, das mit allen anderen kommunizieren kann. Das Bewusstsein ist sein Produkt und somit ein Produkt des Körpers.
Hier bedient sich Damásio der nicht sonderlich neuen, aber anschaulichen Metapher vom Orchester – der Klang einer Symphonie geht auch über seine „technische“ Erzeugung hinaus – Musik ist irreduzibel in ihrer Schönheit (oder Missratenheit, je nachdem), und dennoch existiert sie nicht ohne die Klangkörper und ihr Zusammenspiel. Analog dazu ist Bewusstsein ein emergentes, hochkomplexes, aber dennoch eben – körperliches Phänomen.
Damásio definiert Bewusstsein als „bewussten Geist“. Das bedeutet, dass die Existenz eines Geistes bei einem Lebewesen noch nicht impliziert, dass es auch über Bewusstsein verfügt. Hinzukommen muss etwas, das Damásio als das „Selbst“ bezeichnet, eine Art interne Beobachterfunktion des menschlichen Gehirns. Dieses „Selbst“ des Menschen gliedert sich in drei evolutionäre „Stufen“. Niedrigste Stufe ist das „Protoselbst“, das uns ursprüngliche Emotionen, gedacht als Zustände des eigenen Körpers, vermittelt. Obwohl wir modernen Menschen mittlerweile auf der bislang höchsten Entwicklungsstufe, der des „autobiographischen“ Selbst angelangt sind, ist das Protoselbst in uns aktiv und registriert beständig körperlich-emotionale Zustände, derer wir uns nur sehr bedingt bewusst sein können.
Man merkt anhand der mitunter leider unpräzisen Verwendung von Konzepten wie „Geist“ und „Gehirn“, dass Damásios Buch keinen Beitrag zur Entwicklung der philosophischen Begriffe leisten kann. Es ist aber bereichernd, dass er die Einsichten seiner neurowissenschaftlichen Forschung noch einmal in ihre Details aufschlüsselt. Dennoch hat das Buch natürlich ethische Implikationen: Sind wir Geworfene, Organismusbündel, beherrscht von archaischen Zuständen aus früheren Evolutionszeiten? Damásio ist kein brutaler Naturalist. Er wird nicht müde, zu betonen, dass er mit seinen Einsichten keineswegs kulturelle Leistungen abwerten möchte. Vielmehr findet er, dass der Facettenreichtum der menschlichen Kultur zwangsläufig seine Entsprechung in der Verworrenheit der Neuronenströme finden muss. Man könnte vielleicht sagen: Nicht nur sind wir nicht Herr im eigenen Haus, sondern wir sind das Haus. Eine beklemmende Vorstellung.
Damásios wissenschaftliche Ausführungen und ihre behaupteten philosophischen Implikationen bleiben leider merkwürdig abstrakt und unanschaulich. Wenn es um Ethik geht und die Frage, inwiefern wir unser evolutionär ererbtes Verhalten beeinflussen können, schreibt er Sätze wie: „Ein gutes Beispiel ist das ethische Dilemma, vor dem ein Kriegsdienstverweigerer steht.“ Das wünscht man sich doch etwas ausführlicher. Sein Schreibstil, der zwischen blumig-poetischen Anflügen und hölzernen Abstrakta schwankt, macht die Lektüre nicht einfacher.
Außerdem reduziert Damásio dann leider doch, wenn er sich gegen Ende des Buches an ethische Fragestellungen heran wagt, wenn er im Zweiseitentakt unter Überschriften wie „Gehirn und Justiz“ pragmatische Handlungsanweisungen gibt. Das ist überhaupt das große Manko neurowissenschaftlicher Veröffentlichungen, die philosophische Deutungen für sich in Anspruch nehmen. Und auch Damásio kann es mit diesem interessanten Buch nicht beheben. HANNAH LÜHMANN
ANTONIO DAMÁSIO: Selbst ist der Mensch. Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins. Siedler Verlag, München 2011. 311 Seiten, 24,99 Euro.
Der Steinzeitmensch im
Stammhirn? Ganz so leicht macht
es sich der Autor zum Glück nicht
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