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Kleist-Preis 2004»Ein deutsch-türkisches Wintermärchen« Frankfurter Allgemeine Zeitung
Berlin, Mitte der 70er Jahre. Eine geteilte, eingeklemmte Stadt, und doch voller heftiger und stiller Aufbrüche in Ost und West. Genau dorthin zieht es 1976 eine junge türkische Schauspielerin aus Istanbul, noch niedergedrückt von Erinnerungen an die Militärdiktatur im eigenen Land, aber mit einem großen Traum: Das Theater Bertolt Brechts an der Ostberliner Volksbühne kennen zu lernen.
Mit staunenden Augen und umwerfendem Witz erzählt Emine Sevgi Özdamar von einem Berlin, das kein Deutscher so je
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Produktbeschreibung
Kleist-Preis 2004»Ein deutsch-türkisches Wintermärchen« Frankfurter Allgemeine Zeitung

Berlin, Mitte der 70er Jahre. Eine geteilte, eingeklemmte Stadt, und doch voller heftiger und stiller Aufbrüche in Ost und West. Genau dorthin zieht es 1976 eine junge türkische Schauspielerin aus Istanbul, noch niedergedrückt von Erinnerungen an die Militärdiktatur im eigenen Land, aber mit einem großen Traum: Das Theater Bertolt Brechts an der Ostberliner Volksbühne kennen zu lernen.

Mit staunenden Augen und umwerfendem Witz erzählt Emine Sevgi Özdamar von einem Berlin, das kein Deutscher so je gesehen hat: Das Leben ihrer WG-Mitbewohner im Westberliner Wedding und ihrer Ostberliner Freunde in Pankow, die türkischen Einwanderer in der Nachbarschaft, die politischen Ereignisse des »deutschen Herbstes« und - vor allem - ihre heftige Liebe zum Theater Heiner Müllers und Benno Bessons. Als Regieassistentin an der Volksbühne hält sie die Proben zu Müllers Die Bauern und Goethes Bürgergeneral in faszinierenden Skizzen fest, die diesem ganz besonderen Buch einen zusätzlichen Reiz und dokumentarischen Wert geben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2003

Wir sind nur Hospitant auf Erden
V-Affekte: Emine Sevgi Özdamar lernt das Brecht-Theater

Mitte der siebziger Jahre geht eine junge türkische Schauspielerin von Istanbul nach Ost-Berlin. Ihre Ehe ist zerbrochen, und der Militärputsch hat verhindert, daß sie weiter die Witwe Begbick in Brechts "Mann ist Mann" spielt. Nun will sie, mit einem Empfehlungsschreiben des Zürcher Buchhändlers Pinkus in der Tasche, zu Benno Besson, um an der Volksbühne "das Brecht-Theater zu lernen". Drei Tage und drei Nächte fährt sie Zug und liest immer wieder in einem Buch, bis ein mitfahrender, mitfühlender Landsmann fragt: "Schönes Mädchen, machst du Liebe mit diesem Buch?" Ja, das tut sie, denn das Buch handelt - erraten! - von Benno Besson, und sein Foto zeigt auf der rechten Wange ein Muttermal.

Es ist ein deutsch-türkisches Wintermärchen, das Emine Sevgi Özdamar uns in "Seltsame Sterne starren zur Erde" erzählt. Diese von "Else" - das heißt Lasker-Schüler - entlehnten Sterne lassen sie "mit brennenden Armen die Liebe suchen". Es ist - einige Amouren abgerechnet - die Liebe zum Theater Bessons und Heiner Müllers. Emine erhält die gewünschte Hospitanz. Sie zeichnet und notiert, was sie auf der Probe sieht und hört, in linierte Schulhefte. Sie tritt in kleineren Rollen auf und wird Bessons Assistentin. Als dieser die DDR verläßt, lädt er sie nach Paris ein, ihm beim "Kaukasischen Kreidekreis" zu helfen. Wir verlieren die beiden in der Métro aus den Augen: "Du bist müde von der Reise, leg deinen Kopf auf meine Schulter und schlaf etwas." Das Märchen geht gut aus, nicht als Liebesgeschichte, sondern als Erfolgsstory.

Emine Sevgi Özdamar hat ein hübsches Erzähltalent. Im naiven Gestus ihrer Aufzeichnungen aus den Jahren 1976/77 sitzt manchmal der Schalk. Wer freilich Analysen der Theaterarbeit erwartet, ist an der falschen Adresse. Die reichlich eingestreuten Probenotizen bleiben unkommentiert. Allenfalls heißt es: "Fritz und alle Schauspieler sind nervös. Aber die Probe war sehr schön." Um so mehr ist die Autorin an Privatem interessiert. Sie läßt uns wissen, daß Besson wie Müller mit ihr flirten. Benno Besson trägt jeden Tag dasselbe Jackett, das er nur für die Premiere wechselt, und Heiner Müller schaut auf ihre Füße. "Ich hatte pinkfarbene Schuhe an."

Die junge Türkin aus Istanbul hat die Chance des fremden Blicks auf die zweigeteilte Stadt. Die Visumschwierigkeiten zwingen sie zu täglichen S-Bahn-Fahrten zwischen West- und Ost-Berlin. Sie findet Freunde in Pankow und wohnt in einer Weddinger WG. Sie kann ihre türkischen Landsleute als Nachbarn beobachten und bekommt die Ereignisse des "deutschen Herbstes" mit, die Schleyer-Entführung und die Stammheim-Toten - "ein Leben, das kein Deutscher so je gesehen hat", wie uns der Verlag verheißt.

Freilich versteht die Erzählerin sich weder als Ethnographin noch als Soziologin. Mit der Theaterarbeit und ihren privaten Affären beschäftigt, bleibt ihr nur die gelinde Verwunderung über die deutsch-deutschen Zustände. In Emines Weddinger Wohngemeinschaft ist es schmutzig, man diskutiert Orgasmusprobleme und läuft nackt durch die Wohnung. Im Osten genießt sie es, daß die Grenzposten nett zu ihr sind. Sie bemerkt, daß die Politiker wie Arbeiter aussehen, die gerade zu Vorarbeitern ernannt wurden. Sie findet, das DDR-Auto Trabant habe etwas von einer Kinderzeichnung: "Die Farben waren Babywäsche-Farben: Blau, Rosa, Grün." So weit reicht Özdamars fremder Blick. Aber auch nicht weiter.

HARALD HARTUNG

Emine Sevgi Özdamar: "Seltsame Sterne starren zur Erde". Wedding - Pankow 1976/77. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. 248 S., geb., 19,90 [Euro].

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»Was den Roman so besonders macht, ist der Blick der Autorin auf das Erlebte, ein kindlicher Blick, ein urteilsfreies Staunen, das eigentümlich starke Stimmungen erzeugt.« Kurier