Autobiographische Versuche, 'Kriegstagebuch' und bislang unveröffentlichte Selbstzeugnisse sowie das 'Neapolitanische Tagebuch' aus Bachmanns aufregender frühen Zeit als freie Schriftstellerin: Aus diesen Texten, erstmals versammelt im neuen Band der Salzburger Bachmann Edition, lassen sich bisher unbekannte biographische Einblicke gewinnen; stereotype und medial vermittelte Bilder der Autorin werden in Frage gestellt und korrigiert.
Sichtbar werden die Schattenseiten eines Vagabundierens zwischen vielen Orten und Sprachen - von der italienischen Wohngemeinschaft mit Hans Werner Henze auf Ischia und in Neapel über Aufenthalte in Wien, Klagenfurt, Paris und Rom bis zu Lesereisen durch Deutschland. Deutlich erkennbar wird die Spannung zwischen der Utopie eines freien Künstlerlebens und der Sorge um das ökonomische Überleben.
Die vielen bruchstückhaften Notate und Textsorten spiegeln ein buchstäblich 'verzetteltes' Leben wider, das Wagnis, sich einem ungesichertenDasein auszusetzen. Aus ihnen spricht die intime Stimme eines Ich, die ebenso spontan und unmittelbar wie auch zögernd, manchmal hart und apodiktisch wirkt und die im Lauf der Jahre zunehmend brüchiger und fragiler wird. In ihrer Poetik der 'Übergängigkeit' von Kunst und Leben eröffnet sich Bachmann einen Experimentier- und Erfahrungsraum für eine Existenz »senza casa«.
Sichtbar werden die Schattenseiten eines Vagabundierens zwischen vielen Orten und Sprachen - von der italienischen Wohngemeinschaft mit Hans Werner Henze auf Ischia und in Neapel über Aufenthalte in Wien, Klagenfurt, Paris und Rom bis zu Lesereisen durch Deutschland. Deutlich erkennbar wird die Spannung zwischen der Utopie eines freien Künstlerlebens und der Sorge um das ökonomische Überleben.
Die vielen bruchstückhaften Notate und Textsorten spiegeln ein buchstäblich 'verzetteltes' Leben wider, das Wagnis, sich einem ungesichertenDasein auszusetzen. Aus ihnen spricht die intime Stimme eines Ich, die ebenso spontan und unmittelbar wie auch zögernd, manchmal hart und apodiktisch wirkt und die im Lauf der Jahre zunehmend brüchiger und fragiler wird. In ihrer Poetik der 'Übergängigkeit' von Kunst und Leben eröffnet sich Bachmann einen Experimentier- und Erfahrungsraum für eine Existenz »senza casa«.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Neue Erkenntnisse über die Freundschaft und verhinderte Partnerschaft von Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze enthält diese Veröffentlichung laut Rezensentin Christiane Albiez. Bachmanns bisher unbekannte Tagebuchaufzeichnungen legen dar, meint Albiez, dass die Beziehung, die Henze und Bachmann in den 1950ern eingingen, von Ungleichheit bestimmt war. Verantwortlich war dafür zum einen, erläutert Albiez entlang der Lektüre, dass Henze als Komponist schon sehr erfolgreich war, Bachmann jedoch noch am Anfang ihrer Karriere Schriftstellerkarriere stand. Zudem stand der Hoffnung auf erfüllte Zweisamkeit Henzes Homosexualität im Weg, beziehungsweise Bachmanns Frustration darüber, dass er sie nicht sexuell begehrte. Die Tagebuchaufzeichnungen legen den tiefen Schmerz offen, den Bachmann damals empfand und von dem sie sich nie wieder ganz erholte, beschreibt Albiez. Außerdem findet sich in dem Buch laut Rezensentin eine Neuedition des Kriegstagebuchs Bachmanns aus 1944/45. Insgesamt eine relevante Veröffentlichung, die neue Einblicke verschafft in das bewegte Leben Bachmanns und auch Henzes, so das Fazit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2024Schreiben, um Dunkelheit zurückzudrängen
Das Leben ist ein Monolog geworden. Weniger Kulissen. Man spielt im Dunkeln. Alle sind längst heimgegangen. Aber man kann ja nicht heimgehen. Senza casa. Sono senza casa." Das notierte Ingeborg Bachmann am 15. Februar 1956, neunundzwanzig Jahre alt; für ihren ersten Gedichtband "Die gestundete Zeit" hatte sie bereits den Literaturpreis der Gruppe 47 erhalten. Zwischen Februar und Ende September 1956 lebte Ingeborg Bachmann mit Hans Werner Henze, den sie bei der Gruppe 47 kennengelernt hatte, in einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft in Neapel. Das Notat ist Teil von autobiographischen Aufzeichnungen, die unter dem Titel "Neapolitanisches Tagebuch" nun erstmals aus dem bislang gesperrten Nachlass veröffentlicht werden.
Der Titel stammt von den Herausgeberinnen des neuen Bands der Salzburger Bachmann Edition, die am Literaturarchiv Salzburg mit Unterstützung des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek erarbeitet wird. Bislang sind neun Bände der Salzburger Bachmann Edition erschienen, zuletzt der erschütternde Briefwechsel Ingeborg Bachmanns mit Max Frisch. Das "Neapolitanische Tagebuch" bildet einen Schwerpunkt des nun veröffentlichten Bands. Er ist "Senza Casa" überschrieben und enthält bislang unpublizierte autobiographische Skizzen und Notate sowie Tagebuchaufzeichnungen.
Neu kommentiert wird darin auch das sogenannte "Kriegstagebuch", das von Hans Höller bereits 2011 publiziert wurde. Es beginnt mit einem jungmädchenhaften Seufzer: "Mein geliebtes Tagebuch, jetzt bin ich gerettet. Ich muss nicht nach Polen und nicht zur Panzerfaustausbildung." Es enthält Aufzeichnungen Bachmanns aus den Jahren 1944 und 1945, die ihre Wahrnehmung von Krieg und unmittelbarer Nachkriegszeit festhalten. Insbesondere die als beglückend erfahrene Liebesbeziehung mit dem britischen Besatzungssoldaten Jack Hamesh steht im eklatanten Kontrast zu den späteren, stets selbstzerstörerisch verlaufenden Lieben zu Henze, Paul Celan und Max Frisch.
Die Ausgabe ist keine historisch-kritische Edition, stellt vielmehr, wie der Editionsbericht erläutert, einen Kompromiss zwischen Lesbarkeit und Texttreue dar. Die zumeist fragmentarischen Aufzeichnungen Bachmanns enthalten Tippfehler und Korrekturen und sind deshalb nicht leicht zugänglich. Zugleich zeigen sie jedoch auch Stileigenheiten, die sich dem Status des weitgehend Unbearbeiteten verdanken, kurze protokollartige Sätze ohne Prädikat wie zum Beispiel "Die Schrecken im Inneren, die der Zukunft, Zerrbilder". Dem Band beigegebene Faksimiles maschinenschriftlicher und handschriftlicher Aufzeichnungen geben Einblick in Bachmanns Arbeitsweise, etwa in die Art und Weise ihrer Sofortkorrekturen. Ein behutsam interpretierender literaturwissenschaftlicher Kommentar stellt den lebensgeschichtlichen Zusammenhang zwischen den großenteils unzusammenhängenden, auf Zetteln niedergeschriebenen Texten her und beleuchtet deren autobiographischen Stellenwert.
Tatsächlich ist das Bild "der Bachmann", deren Biographie insgesamt gut erforscht ist, wesentlich durch fremde Stimmen geprägt und das Produkt einer Mythisierung ihrer Person, während autobiographische Zeugnisse der Autorin eher spärlich sind. Entwirft sich Bachmann in ihren Briefen im Licht der Beziehung zum jeweiligen Adressaten, scheint aus den eher kurzen und nicht werkförmigen Aufzeichnungen eine eigene, wenngleich oftmals brüchige Stimme vernehmbar zu werden.
Eindrücklich führen die Aufzeichnungen von "Senza casa" vor Augen, was die Herausgeberinnen des Bandes die "Übergängigkeit von Leben und Literatur" nennen. Diese Übergängigkeit verortet sich im Akt der Niederschrift selbst, insofern als das Schreiben nicht nur vorgängig Gelebtes festhält, sondern selbst maßgeblicher Bestandteil eben des gelebten Lebens ist und dem Gelebten allererst Gestalt gibt. Schon das schlichte Notat ist bereits Form und reflektiert das Festgehaltene im doppelten Wortsinn. "Alles Verständnis kommt ja durch die Form", schreibt Bachmann im "Neapolitanischen Tagebuch" und: "Zwar tröstet die Kunst nicht, aber sie gewährt Schutz. Während wir sehen, hören, aufnehmen, während sie uns die Hand auflegt, berührt andres uns nicht. Wir treten auch in ihre besondere Ordnung ein, die von ihren Formen kommt. In eine Ordnung, eine Form, auf die das Leben wohl hinweist, aber selbst nicht aufweist."
Indes ist autobiographische Formgebung immer auch mit Selbststilisierung verbunden. Bemerkenswert im Fall Bachmanns ist auch, dass ihre Aufzeichnungen immer wieder in ein etwas holzschnittartiges Italienisch übergehen, so als wollte sie das Geschilderte wenn nicht verbergen, so doch von sich wegrücken.
Zum Verständnis der einzelnen Notate trägt ein Namen, Orte, Werkbezüge erklärender Stellenkommentar bei. So zersplittert, ja im wörtlichen Sinn "verzettelt" das Textkorpus wirkt, so lässt sich doch nachvollziehen, wie sich das junge autobiographische Ich des Kriegstagebuchs auf der Suche nach einer eigenen Stimme seiner selbst bewusst wird, während die späteren Notate von Zweifel, Verletzung, Selbstverlust und Dissoziation geprägt sind. "Ich werde studieren, arbeiten, schreiben! Ich lebe ja, ich lebe", heißt es voller Hoffnung und Zuversicht im "Kriegstagebuch".
Im "Neapolitanischen Tagebuch", das nicht zuletzt von der Enttäuschung über die von Henze nicht erwiderte Liebe geprägt ist, liest man dann etwa von "Stiegen in halbdunklen Häusern, die ins Gleiten kommen", von nächtlichen Gespenstern und Selbstmordgedanken. Die unverbundenen, für sich selbst stehenden Einträge lassen keine biographische Erzählung entstehen, vielmehr verweist auch der in der Ausgabe freigelassene leere Raum zwischen den Einträgen auf Abbruch und die Dramatik des Momentanen. Gleichwohl bieten die Aufzeichnungen auch poetisch verdichtete Szenen und Bilder aus Neapel, Ischia, Paris sowie von Lesereisen nach Deutschland.
Es ist der Entzifferungsarbeit und den Entscheidungen der Herausgeberinnen bei der Auswahl und der Zusammenstellung der Texte zu verdanken, dass aus einem nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen Konvolut ein weiterer Baustein zur Kenntnis von Leben und Schreiben Ingeborg Bachmanns geworden ist. Die in "Senza casa" veröffentlichten autobiographischen Texte bilden gleichsam das Gegenstück zu den im ersten Band der Salzburger Bachmann Edition 2017 unter dem Titel "Male oscuro" erschienenen Aufzeichnungen Bachmanns aus der Zeit ihrer Krankheit. Eindrücklich geben sie Zeugnis von der existenziellen Problematik eines freien Schriftstellerinnendaseins. Einerseits wird ein ungebundenes Leben als Voraussetzung für künstlerisches Schaffen angestrebt, andererseits erweisen sich die damit verbundenen Existenzängste und das Gefühl des Unbehaustseins als kaum erträglich. Das gilt sowohl für ersehnte und doch als unmöglich erkannte persönliche Bindungen als auch für räumliche Zugehörigkeiten.
Wie sehr die Schriftstellerin auf der Suche nach einem Ort des Bleibens war, einem Haus, einer Wohnung und diesen Ort auch in Italien nur als flüchtig erlebte, zeigt, wie grundsätzlich prekär und unlebbar das von Ingeborg Bachmann ersehnte Ideal des Lebens und Schreibens war. Schon in einer frühen mit "Ingeborg Bachmann" überschriebenen Aufzeichnung heißt es, dass Schreiben "neben andrem ein stetes Zurückdrängen von Dunkelheit" sei. In den ebenso berührenden wie erschreckenden Aufzeichnungen des Bands "Senza casa" spricht ein verletzliches und am Ende verletztes Ich gegen eine Dunkelheit an, die sich immer weniger zurückdrängen ließ und die auch in den späteren Texten des "Todesarten-Projekts" raumgreifend wird. MARTINA WAGNER-EGELHAAF
Ingeborg Bachmann:
"Senza Casa". Autobiographische Skizzen, Notate und Tagebucheintragungen.
Hrsg. von Isolde Schiffermüller, Gabriella Pelloni, Silvia Bengesser. Suhrkamp und Piper, Berlin, München 2024. 336 S., Abb., geb., 42,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Das Leben ist ein Monolog geworden. Weniger Kulissen. Man spielt im Dunkeln. Alle sind längst heimgegangen. Aber man kann ja nicht heimgehen. Senza casa. Sono senza casa." Das notierte Ingeborg Bachmann am 15. Februar 1956, neunundzwanzig Jahre alt; für ihren ersten Gedichtband "Die gestundete Zeit" hatte sie bereits den Literaturpreis der Gruppe 47 erhalten. Zwischen Februar und Ende September 1956 lebte Ingeborg Bachmann mit Hans Werner Henze, den sie bei der Gruppe 47 kennengelernt hatte, in einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft in Neapel. Das Notat ist Teil von autobiographischen Aufzeichnungen, die unter dem Titel "Neapolitanisches Tagebuch" nun erstmals aus dem bislang gesperrten Nachlass veröffentlicht werden.
Der Titel stammt von den Herausgeberinnen des neuen Bands der Salzburger Bachmann Edition, die am Literaturarchiv Salzburg mit Unterstützung des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek erarbeitet wird. Bislang sind neun Bände der Salzburger Bachmann Edition erschienen, zuletzt der erschütternde Briefwechsel Ingeborg Bachmanns mit Max Frisch. Das "Neapolitanische Tagebuch" bildet einen Schwerpunkt des nun veröffentlichten Bands. Er ist "Senza Casa" überschrieben und enthält bislang unpublizierte autobiographische Skizzen und Notate sowie Tagebuchaufzeichnungen.
Neu kommentiert wird darin auch das sogenannte "Kriegstagebuch", das von Hans Höller bereits 2011 publiziert wurde. Es beginnt mit einem jungmädchenhaften Seufzer: "Mein geliebtes Tagebuch, jetzt bin ich gerettet. Ich muss nicht nach Polen und nicht zur Panzerfaustausbildung." Es enthält Aufzeichnungen Bachmanns aus den Jahren 1944 und 1945, die ihre Wahrnehmung von Krieg und unmittelbarer Nachkriegszeit festhalten. Insbesondere die als beglückend erfahrene Liebesbeziehung mit dem britischen Besatzungssoldaten Jack Hamesh steht im eklatanten Kontrast zu den späteren, stets selbstzerstörerisch verlaufenden Lieben zu Henze, Paul Celan und Max Frisch.
Die Ausgabe ist keine historisch-kritische Edition, stellt vielmehr, wie der Editionsbericht erläutert, einen Kompromiss zwischen Lesbarkeit und Texttreue dar. Die zumeist fragmentarischen Aufzeichnungen Bachmanns enthalten Tippfehler und Korrekturen und sind deshalb nicht leicht zugänglich. Zugleich zeigen sie jedoch auch Stileigenheiten, die sich dem Status des weitgehend Unbearbeiteten verdanken, kurze protokollartige Sätze ohne Prädikat wie zum Beispiel "Die Schrecken im Inneren, die der Zukunft, Zerrbilder". Dem Band beigegebene Faksimiles maschinenschriftlicher und handschriftlicher Aufzeichnungen geben Einblick in Bachmanns Arbeitsweise, etwa in die Art und Weise ihrer Sofortkorrekturen. Ein behutsam interpretierender literaturwissenschaftlicher Kommentar stellt den lebensgeschichtlichen Zusammenhang zwischen den großenteils unzusammenhängenden, auf Zetteln niedergeschriebenen Texten her und beleuchtet deren autobiographischen Stellenwert.
Tatsächlich ist das Bild "der Bachmann", deren Biographie insgesamt gut erforscht ist, wesentlich durch fremde Stimmen geprägt und das Produkt einer Mythisierung ihrer Person, während autobiographische Zeugnisse der Autorin eher spärlich sind. Entwirft sich Bachmann in ihren Briefen im Licht der Beziehung zum jeweiligen Adressaten, scheint aus den eher kurzen und nicht werkförmigen Aufzeichnungen eine eigene, wenngleich oftmals brüchige Stimme vernehmbar zu werden.
Eindrücklich führen die Aufzeichnungen von "Senza casa" vor Augen, was die Herausgeberinnen des Bandes die "Übergängigkeit von Leben und Literatur" nennen. Diese Übergängigkeit verortet sich im Akt der Niederschrift selbst, insofern als das Schreiben nicht nur vorgängig Gelebtes festhält, sondern selbst maßgeblicher Bestandteil eben des gelebten Lebens ist und dem Gelebten allererst Gestalt gibt. Schon das schlichte Notat ist bereits Form und reflektiert das Festgehaltene im doppelten Wortsinn. "Alles Verständnis kommt ja durch die Form", schreibt Bachmann im "Neapolitanischen Tagebuch" und: "Zwar tröstet die Kunst nicht, aber sie gewährt Schutz. Während wir sehen, hören, aufnehmen, während sie uns die Hand auflegt, berührt andres uns nicht. Wir treten auch in ihre besondere Ordnung ein, die von ihren Formen kommt. In eine Ordnung, eine Form, auf die das Leben wohl hinweist, aber selbst nicht aufweist."
Indes ist autobiographische Formgebung immer auch mit Selbststilisierung verbunden. Bemerkenswert im Fall Bachmanns ist auch, dass ihre Aufzeichnungen immer wieder in ein etwas holzschnittartiges Italienisch übergehen, so als wollte sie das Geschilderte wenn nicht verbergen, so doch von sich wegrücken.
Zum Verständnis der einzelnen Notate trägt ein Namen, Orte, Werkbezüge erklärender Stellenkommentar bei. So zersplittert, ja im wörtlichen Sinn "verzettelt" das Textkorpus wirkt, so lässt sich doch nachvollziehen, wie sich das junge autobiographische Ich des Kriegstagebuchs auf der Suche nach einer eigenen Stimme seiner selbst bewusst wird, während die späteren Notate von Zweifel, Verletzung, Selbstverlust und Dissoziation geprägt sind. "Ich werde studieren, arbeiten, schreiben! Ich lebe ja, ich lebe", heißt es voller Hoffnung und Zuversicht im "Kriegstagebuch".
Im "Neapolitanischen Tagebuch", das nicht zuletzt von der Enttäuschung über die von Henze nicht erwiderte Liebe geprägt ist, liest man dann etwa von "Stiegen in halbdunklen Häusern, die ins Gleiten kommen", von nächtlichen Gespenstern und Selbstmordgedanken. Die unverbundenen, für sich selbst stehenden Einträge lassen keine biographische Erzählung entstehen, vielmehr verweist auch der in der Ausgabe freigelassene leere Raum zwischen den Einträgen auf Abbruch und die Dramatik des Momentanen. Gleichwohl bieten die Aufzeichnungen auch poetisch verdichtete Szenen und Bilder aus Neapel, Ischia, Paris sowie von Lesereisen nach Deutschland.
Es ist der Entzifferungsarbeit und den Entscheidungen der Herausgeberinnen bei der Auswahl und der Zusammenstellung der Texte zu verdanken, dass aus einem nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen Konvolut ein weiterer Baustein zur Kenntnis von Leben und Schreiben Ingeborg Bachmanns geworden ist. Die in "Senza casa" veröffentlichten autobiographischen Texte bilden gleichsam das Gegenstück zu den im ersten Band der Salzburger Bachmann Edition 2017 unter dem Titel "Male oscuro" erschienenen Aufzeichnungen Bachmanns aus der Zeit ihrer Krankheit. Eindrücklich geben sie Zeugnis von der existenziellen Problematik eines freien Schriftstellerinnendaseins. Einerseits wird ein ungebundenes Leben als Voraussetzung für künstlerisches Schaffen angestrebt, andererseits erweisen sich die damit verbundenen Existenzängste und das Gefühl des Unbehaustseins als kaum erträglich. Das gilt sowohl für ersehnte und doch als unmöglich erkannte persönliche Bindungen als auch für räumliche Zugehörigkeiten.
Wie sehr die Schriftstellerin auf der Suche nach einem Ort des Bleibens war, einem Haus, einer Wohnung und diesen Ort auch in Italien nur als flüchtig erlebte, zeigt, wie grundsätzlich prekär und unlebbar das von Ingeborg Bachmann ersehnte Ideal des Lebens und Schreibens war. Schon in einer frühen mit "Ingeborg Bachmann" überschriebenen Aufzeichnung heißt es, dass Schreiben "neben andrem ein stetes Zurückdrängen von Dunkelheit" sei. In den ebenso berührenden wie erschreckenden Aufzeichnungen des Bands "Senza casa" spricht ein verletzliches und am Ende verletztes Ich gegen eine Dunkelheit an, die sich immer weniger zurückdrängen ließ und die auch in den späteren Texten des "Todesarten-Projekts" raumgreifend wird. MARTINA WAGNER-EGELHAAF
Ingeborg Bachmann:
"Senza Casa". Autobiographische Skizzen, Notate und Tagebucheintragungen.
Hrsg. von Isolde Schiffermüller, Gabriella Pelloni, Silvia Bengesser. Suhrkamp und Piper, Berlin, München 2024. 336 S., Abb., geb., 42,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
»In den ebenso berührenden wie erschreckenden Aufzeichnungen des Bands senza casa spricht ein verletzliches und am Ende verletztes Ich gegen eine Dunkelheit an, die sich immer weniger zurückdrängen ließ und die auch in den späteren texten des 'Todesarten-Projekts' raumgreifend wird.« Martina Wagner-Engelhaaf Frankfurter Allgemeine Zeitung 20240713