Produktdetails
- arte Edition
- Verlag: Henschel Verlag
- 1997.
- Seitenzahl: 142
- Deutsch
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 314g
- ISBN-13: 9783894872786
- Artikelnr.: 23946787
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.1998Alles Böse inhalieren
Erstmals deutsch: Eine frühe Monographie zu Sergej Eisenstein
Mitte der dreißiger Jahre erlebte der Regisseur Sergej M. Eisenstein eine der schwierigsten Phasen seiner Karriere. Nachdem seine erste internationale Produktion, ein großangelegtes Projekt über Mexiko, gescheitert war, wehte ihm auch in seiner Heimat ein schärferer Wind entgegen. Das Kolchose-Drama "Beshin-Wiese" blieb ebenfalls eine Bauruine, nachdem es von der Moskauer Hauptverwaltung Film wegen "Verzerrung der Wirklichkeit" und "Formalismus" eingestellt worden war. Weil der Regisseur in Ungnade gefallen war, wurde eine geplante Publikation über ihn auf Eis gelegt.
Erst 1991, über fünfzig Jahre nach dem Tod des Autors, erschien Iwan Axjonows "Sergej Eisenstein", die erste Monographie über den Regisseur. Aus heutiger Sicht wirkt das nur gut hundert Seiten starke Bändchen, ein Essay aus dem Jahre 1933, wie ein Fragment, das sich ohne Hinzuziehung anderer Eisenstein-Literatur kaum mit Gewinn lesen läßt. Axjonow spürt eher den gestalterischen Prinzipien des Künstlers als den Lebenserfahrungen des Menschen Eisenstein nach, er umkreist seinen Gegenstand unaufhörlich, ohne ihn zu erfassen. Das Buch scheint aus der Haltung eines Mannes geschrieben, der einem Freund und Kollegen nicht zu nahe treten will.
Den weitgehenden Verzicht auf biographische Details kann man als Takt interpretieren. Um so erstaunlicher ist jedoch, daß Axjonow auf ein Ereignis in Eisensteins Leben immer wieder zurückkommt: Die blutigen Kämpfe während der revolutionären Aufstände von 1905, die der Regisseur als Junge erlebt hat, hätten ein "Trauma" zur Folge gehabt. Auf dieses sei die extreme Brutalität in seinen Filmen zurückzuführen. Um die These mit solcher Entschiedenheit zu behaupten, müßte sich Axjonow konkret mit den Erlebnissen des Jungen auseinandersetzen. In Eisensteins Memoiren lesen sich die Erinnerungen an diese Zeit jedoch nüchtern und abgeklärt.
Eisenstein, um griffige Selbstanalysen nie verlegen, meinte, die Brutalität in seinem Werk hänge damit zusammen, daß er seine natürliche Aggressivität nie ausgelebt habe. Schon als Kind war er von Gewaltdarstellungen in Film, Literatur und Malerei fasziniert. Eisenstein verarbeitete alles, was er jemals erlebt, gelesen, gesehen, gehört, gerochen oder geschmeckt hatte, und schuf daraus neue, überraschende Verbindungen. Es gelingt Axjonow nicht, diesen ganz eigenartigen geistigen Stoffwechsel transparent zu machen.
Der Mangel an Anschaulichkeit ist das größte Manko. Zwar gehören die Passagen, in denen sich Axjonow mit den Theaterarbeiten Eisensteins und dessen Verhältnis zu seinem Vorbild Wsewolod Meyerhold beschäftigt, zu den stärksten des Buches. Doch man vermißt oft Beschreibungen der Inszenierungen, die notwendig wären, um die ästhetischen Überlegungen nachvollziehen zu können. Der Autor geht im Detail auf die Lichtgebung bei "Der Mexikaner" ein, der Bühnenadaption einer Erzählung Jack Londons, für die Eisenstein 1920 die Dekors entwarf; den Inhalt des Stückes erwähnt er indessen mit keinem Wort.
Die Darstellung von Eisensteins Montagetheorie schließlich ist überaus anstrengend zu lesen. Einen einfachen Vorgang wie die Nachbildwirkung, auf welcher das Kino basiert, stellt Axjonow so kompliziert dar, daß schon die physiologische Grundlage der Theorie schwer zu begreifen ist. So mag das Buch eine Lücke in der Eisenstein-Literatur schließen, aber für sich selbst stehen kann es nur mit Mühe. Um es zu verstehen, muß der Leser einige außerordentliche Montageleistungen erbringen. LARS-OLAV BEIER
Iwan Axjonow: "Sergej Eisenstein". Ein Porträt. Herausgegeben von Naum Klejman. Aus dem Russischen übersetzt von Regine Kühn. Henschel Verlag, Berlin 1997. 134 S., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erstmals deutsch: Eine frühe Monographie zu Sergej Eisenstein
Mitte der dreißiger Jahre erlebte der Regisseur Sergej M. Eisenstein eine der schwierigsten Phasen seiner Karriere. Nachdem seine erste internationale Produktion, ein großangelegtes Projekt über Mexiko, gescheitert war, wehte ihm auch in seiner Heimat ein schärferer Wind entgegen. Das Kolchose-Drama "Beshin-Wiese" blieb ebenfalls eine Bauruine, nachdem es von der Moskauer Hauptverwaltung Film wegen "Verzerrung der Wirklichkeit" und "Formalismus" eingestellt worden war. Weil der Regisseur in Ungnade gefallen war, wurde eine geplante Publikation über ihn auf Eis gelegt.
Erst 1991, über fünfzig Jahre nach dem Tod des Autors, erschien Iwan Axjonows "Sergej Eisenstein", die erste Monographie über den Regisseur. Aus heutiger Sicht wirkt das nur gut hundert Seiten starke Bändchen, ein Essay aus dem Jahre 1933, wie ein Fragment, das sich ohne Hinzuziehung anderer Eisenstein-Literatur kaum mit Gewinn lesen läßt. Axjonow spürt eher den gestalterischen Prinzipien des Künstlers als den Lebenserfahrungen des Menschen Eisenstein nach, er umkreist seinen Gegenstand unaufhörlich, ohne ihn zu erfassen. Das Buch scheint aus der Haltung eines Mannes geschrieben, der einem Freund und Kollegen nicht zu nahe treten will.
Den weitgehenden Verzicht auf biographische Details kann man als Takt interpretieren. Um so erstaunlicher ist jedoch, daß Axjonow auf ein Ereignis in Eisensteins Leben immer wieder zurückkommt: Die blutigen Kämpfe während der revolutionären Aufstände von 1905, die der Regisseur als Junge erlebt hat, hätten ein "Trauma" zur Folge gehabt. Auf dieses sei die extreme Brutalität in seinen Filmen zurückzuführen. Um die These mit solcher Entschiedenheit zu behaupten, müßte sich Axjonow konkret mit den Erlebnissen des Jungen auseinandersetzen. In Eisensteins Memoiren lesen sich die Erinnerungen an diese Zeit jedoch nüchtern und abgeklärt.
Eisenstein, um griffige Selbstanalysen nie verlegen, meinte, die Brutalität in seinem Werk hänge damit zusammen, daß er seine natürliche Aggressivität nie ausgelebt habe. Schon als Kind war er von Gewaltdarstellungen in Film, Literatur und Malerei fasziniert. Eisenstein verarbeitete alles, was er jemals erlebt, gelesen, gesehen, gehört, gerochen oder geschmeckt hatte, und schuf daraus neue, überraschende Verbindungen. Es gelingt Axjonow nicht, diesen ganz eigenartigen geistigen Stoffwechsel transparent zu machen.
Der Mangel an Anschaulichkeit ist das größte Manko. Zwar gehören die Passagen, in denen sich Axjonow mit den Theaterarbeiten Eisensteins und dessen Verhältnis zu seinem Vorbild Wsewolod Meyerhold beschäftigt, zu den stärksten des Buches. Doch man vermißt oft Beschreibungen der Inszenierungen, die notwendig wären, um die ästhetischen Überlegungen nachvollziehen zu können. Der Autor geht im Detail auf die Lichtgebung bei "Der Mexikaner" ein, der Bühnenadaption einer Erzählung Jack Londons, für die Eisenstein 1920 die Dekors entwarf; den Inhalt des Stückes erwähnt er indessen mit keinem Wort.
Die Darstellung von Eisensteins Montagetheorie schließlich ist überaus anstrengend zu lesen. Einen einfachen Vorgang wie die Nachbildwirkung, auf welcher das Kino basiert, stellt Axjonow so kompliziert dar, daß schon die physiologische Grundlage der Theorie schwer zu begreifen ist. So mag das Buch eine Lücke in der Eisenstein-Literatur schließen, aber für sich selbst stehen kann es nur mit Mühe. Um es zu verstehen, muß der Leser einige außerordentliche Montageleistungen erbringen. LARS-OLAV BEIER
Iwan Axjonow: "Sergej Eisenstein". Ein Porträt. Herausgegeben von Naum Klejman. Aus dem Russischen übersetzt von Regine Kühn. Henschel Verlag, Berlin 1997. 134 S., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main