Produktdetails
- Diana-Taschenbücher
- Verlag: Diana
- Seitenzahl: 350
- Abmessung: 190mm
- Gewicht: 375g
- ISBN-13: 9783453198203
- Artikelnr.: 09889425
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.2001Ein jeder Esser ist schrecklich
Männer geben mehr: In Debra Ginsbergs Bekenntnissen ist nur der Kellner des Kellners Freund
Das Kellnern, so sagt ein böses Wort, sei würdeloser als die Prostitution. Denn wo die käuflich Liebende einen Preis hat, ist die Kellnerin ihrer Kundschaft wehrlos ausgeliefert. Lückenlos haben Zuvorkommen und Lächeln zu sein, doch hat sie Pech, so geht sie am Ende leer aus: kein Trinkgeld. Der Gast, muß sie meinen, hätte statt ihrer auch ein Rollband genommen.
Die Kellnerin nährt uns, ihr Gewand spricht von Reinheit, und doch ist bei allem die Börse ihr Ziel. Unser Geld ist ihr Selbstwert: Du warst gut. Du warst minder gut. Du kannst uns mal im Mondschein bedienen. Was wir gedankenlos auf den Tisch krümeln lassen an Klimpermetall und Knisterpapier, landet nicht nur im Kassenbereich. Auch nimmt sie es sich zu Herzen, derweil wir nichtsahnend nach der Jacke fingern und den Abend verdauen. Manche Gäste hinterlegen Briefe neben der spärlichen Barschaft. Das klingt dann so: "Es wurden 10 Prozent Trinkgeld gegeben, weil der Service gut war, aber nicht sehr gut. Der Hilfskellner hätte die Teller abräumen müssen. Die Krümel störten und es fehlte an liebenswerten Kleinigkeiten wie einer Markgabel für den Ossobuco. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Wenn Sie diese Dinge beachten, wird Ihr Trinkgeld bei 18-22 Prozent der Rechnung liegen. Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter."
Kellner, die derart behandelt werden, wissen ihr Blut oft nicht am Überkochen zu hindern. Da verfällt ein von Gott, Gast und Geld verlassener Italiener schon mal in ein fünfminütiges Lamento: Verfahren möge der Knauser sich, im Nebel die Orientierung verlieren, von einer Klippe stürzen und einen extrem langsamen, schmerzhaften Tod erleiden sowie auch seine Kinder. Wer als Speisender die Unverfrorenheit besitzt, an den Ort seiner Untat zurückzukehren, muß auf das Schlimmste gefaßt sein. Die Bedienungen machen dann einen großen Bogen um ihn, bringen schmutziges Besteck und angeschlagene Gläser. Was der Koch aber hinter seiner Küchentür mit dem Essen anstellt, ist gar nicht auszudenken.
Die Kellnerin kann tun, was sie will, letztlich reagiert jeder Gast unvorhersehbar. Sie kann nur immer neue Freundlichkeit und Aufmerksamkeit hineinwerfen in diesen Glücksspielapparat. Die Wissenschaft springt ihr bei: Flüchtiges Berühren der Schulter erhöhe das Trinkgeld, behauptet die Forschung, auch das Nennen des Namens wirkt Wunder. Die Kellnerin allerdings hält es mit ihrer eigenen Empirie. Männer geben mehr als Frauen, so einfach ist das, Geschäftsmänner in Gruppen am meisten. Des Kellners liebster Gast aber bleibt der andere Kellner. Hier weiß man umeinander, um die Nöte des Alltags und die Tücken der Pflicht, hier gibt man gerne und von Herzen. Ein Kellner, der dem Kollegen keinen satten Zuschlag hinterließe, schlüge sich selbst ins Gesicht und denkt also gar nicht daran. Man sieht sich, erkennt sich und kennt sich vielleicht, knüpft ein Netzwerk, das die Ausbeutung abfängt. Ach, wären die Menschen nur alle so!
Die Kellnerin, das ist das ewig Unbegreifliche an ihr, hat auch noch ein Leben nach Dienstschluß. Affären hat sie, mit Kellnern und Gästen, zieht um von hier nach dort, sie bekommt einen Sohn und verliert einen Freund, sie will aufhören zu kellnern und schafft es doch nicht. Am Ende schreibt sie ein Buch. Das meiste daran interessiert uns so sehr wie das Leben der Nachbarn, wieso auch. Einige Passagen aber bringen Erhellung über die bislang unbedachte, dunkle Seite des Restaurantbesuchs. Diese erschlossen habend, legen wir das Buch brav zurück ins Regal, klingeln mit dem gesparten Geld in der Tasche und nehmen uns ein gemütliches Mahl vor und eine gute Tat.
KLAUS UNGERER
Debra Ginsberg: "Service inbegriffen". Bekenntnisse einer Kellnerin. Aus dem Amerikanischen von Evelin Sudakowa-Blasberg. Diana Verlag, München, Zürich 2000. 320 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Männer geben mehr: In Debra Ginsbergs Bekenntnissen ist nur der Kellner des Kellners Freund
Das Kellnern, so sagt ein böses Wort, sei würdeloser als die Prostitution. Denn wo die käuflich Liebende einen Preis hat, ist die Kellnerin ihrer Kundschaft wehrlos ausgeliefert. Lückenlos haben Zuvorkommen und Lächeln zu sein, doch hat sie Pech, so geht sie am Ende leer aus: kein Trinkgeld. Der Gast, muß sie meinen, hätte statt ihrer auch ein Rollband genommen.
Die Kellnerin nährt uns, ihr Gewand spricht von Reinheit, und doch ist bei allem die Börse ihr Ziel. Unser Geld ist ihr Selbstwert: Du warst gut. Du warst minder gut. Du kannst uns mal im Mondschein bedienen. Was wir gedankenlos auf den Tisch krümeln lassen an Klimpermetall und Knisterpapier, landet nicht nur im Kassenbereich. Auch nimmt sie es sich zu Herzen, derweil wir nichtsahnend nach der Jacke fingern und den Abend verdauen. Manche Gäste hinterlegen Briefe neben der spärlichen Barschaft. Das klingt dann so: "Es wurden 10 Prozent Trinkgeld gegeben, weil der Service gut war, aber nicht sehr gut. Der Hilfskellner hätte die Teller abräumen müssen. Die Krümel störten und es fehlte an liebenswerten Kleinigkeiten wie einer Markgabel für den Ossobuco. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Wenn Sie diese Dinge beachten, wird Ihr Trinkgeld bei 18-22 Prozent der Rechnung liegen. Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter."
Kellner, die derart behandelt werden, wissen ihr Blut oft nicht am Überkochen zu hindern. Da verfällt ein von Gott, Gast und Geld verlassener Italiener schon mal in ein fünfminütiges Lamento: Verfahren möge der Knauser sich, im Nebel die Orientierung verlieren, von einer Klippe stürzen und einen extrem langsamen, schmerzhaften Tod erleiden sowie auch seine Kinder. Wer als Speisender die Unverfrorenheit besitzt, an den Ort seiner Untat zurückzukehren, muß auf das Schlimmste gefaßt sein. Die Bedienungen machen dann einen großen Bogen um ihn, bringen schmutziges Besteck und angeschlagene Gläser. Was der Koch aber hinter seiner Küchentür mit dem Essen anstellt, ist gar nicht auszudenken.
Die Kellnerin kann tun, was sie will, letztlich reagiert jeder Gast unvorhersehbar. Sie kann nur immer neue Freundlichkeit und Aufmerksamkeit hineinwerfen in diesen Glücksspielapparat. Die Wissenschaft springt ihr bei: Flüchtiges Berühren der Schulter erhöhe das Trinkgeld, behauptet die Forschung, auch das Nennen des Namens wirkt Wunder. Die Kellnerin allerdings hält es mit ihrer eigenen Empirie. Männer geben mehr als Frauen, so einfach ist das, Geschäftsmänner in Gruppen am meisten. Des Kellners liebster Gast aber bleibt der andere Kellner. Hier weiß man umeinander, um die Nöte des Alltags und die Tücken der Pflicht, hier gibt man gerne und von Herzen. Ein Kellner, der dem Kollegen keinen satten Zuschlag hinterließe, schlüge sich selbst ins Gesicht und denkt also gar nicht daran. Man sieht sich, erkennt sich und kennt sich vielleicht, knüpft ein Netzwerk, das die Ausbeutung abfängt. Ach, wären die Menschen nur alle so!
Die Kellnerin, das ist das ewig Unbegreifliche an ihr, hat auch noch ein Leben nach Dienstschluß. Affären hat sie, mit Kellnern und Gästen, zieht um von hier nach dort, sie bekommt einen Sohn und verliert einen Freund, sie will aufhören zu kellnern und schafft es doch nicht. Am Ende schreibt sie ein Buch. Das meiste daran interessiert uns so sehr wie das Leben der Nachbarn, wieso auch. Einige Passagen aber bringen Erhellung über die bislang unbedachte, dunkle Seite des Restaurantbesuchs. Diese erschlossen habend, legen wir das Buch brav zurück ins Regal, klingeln mit dem gesparten Geld in der Tasche und nehmen uns ein gemütliches Mahl vor und eine gute Tat.
KLAUS UNGERER
Debra Ginsberg: "Service inbegriffen". Bekenntnisse einer Kellnerin. Aus dem Amerikanischen von Evelin Sudakowa-Blasberg. Diana Verlag, München, Zürich 2000. 320 S., geb., 36,- DM.
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