Der Foto-Text-Band widmet sich dem Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades in Los Angeles. In einem Essay schildert Francis Nenik erstmals detailliert die Geschichte jenes Hauses, in dem Thomas Mann mit seiner Familie von 1942 bis 1952 im amerikanischen Exil lebte. Basierend auf umfangreichen Archivrecherchen erzählt Nenik nicht nur aus dem Leben der Manns, sondern stellt ihnen bislang weitgehend unbekannt gebliebene Personen zur Seite, die das Haus gebaut und in ihm gearbeitet haben. Ihre teils abenteuerlichen Erlebnisse bilden das Panorama, vor dem sich die Geschichte des Hauses entfaltet.Demgegenüber stehen die Fotografien von Sebastian Stumpf. Im Januar 2017 bekam er Zutritt zu dem leerstehenden und kurz zuvor von der deutschen Regierung gekauften Anwesen, wodurch einzigartige Bilder eines Zwischenzustandes entstanden. Sie zeigen ein überformtes, unbelebtes, eingewachsenes Haus, in dem kaum noch etwas von der einstigen Anwesenheit der Familie Mann kündet.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.11.2018Immer Ärger mit den Dienstboten
Francis Nenik erforscht und erzählt, wer in der berühmten Villa in Pacific Palisades für die Familie Mann im Exil gearbeitet hat
Hinter den Büschen kriecht erstes Morgenlicht empor, der Rasen liegt noch im Schatten, auch die kleine Mauer, die in den Garten hineinreicht, wird warten müssen, bis die ersten Strahlen der Januarsonne sie ein wenig wärmen werden. Von Thomas Mann ist nichts zu sehen. Auch den Geist von Thomas Mann wird man auf den Fotos von Sebastian Stumpf vergeblich suchen. Manns Villa im kalifornischen Pacific Palisades, seit jüngstem vom Auswärtigen Amt getragene „transatlantische Begegnungsstätte“ mit Stipendiatenprogramm, aber hat man so noch nicht gesehen.
Sie steht da, als bräuchte sie keine Menschen, als sei sie sich selbst genug, inmitten all des wild wuchernden Grüns und unter den hochaufschießenden Palmen, die über die ruhige Einsamkeit wachen. Auch die Innenräume wirken seltsam leer, nur ein paar Kabel hängen aus der Wand. Das einzige Zeichen von Leben sind Aufkleber in Vogelform, die wirkliche Vögel vor dem Zusammenprall mit den großzügigen Tür- und Fensterscheiben bewahren sollen.
Der Fotograf immerhin war fraglos vor Ort, der Autor von „Seven Palms“, der das Pseudonym Francis Nenik gewählt hat und sein Geld angeblich als „Crossgolf-Guide“ verdient, nicht. Er ist an seinem Leipziger Schreibtisch sitzen geblieben, und doch hat er vieles über die Thomas-Mann-Villa und seine Bewohner zutage gefördert. Thomas Mann interessierte ihn bei seiner Recherche allerdings am wenigsten. Ihm geht es in seinem Buch um die Geschichte des Hauses und jene, die es erbaut und gepflegt und das Leben in ihm in Gang gehalten haben, um die Architekten, Handwerker, Gärtner, Köche und Dienstmägde.
6500 Dollar für 6000 Quadratmeter, so viel oder so wenig zahlte Thomas Mann im September 1940 für das Grundstück am San Remo Drive 1550. Bald aber war er sich schon nicht mehr sicher, ob er hier ein Haus bauen oder das Grundstück wieder verkaufen sollte. Der erste Architekt, mit dem er sich besprach, Julius Ralph Davidson, überzeugte ihn nicht. Ebenso wenig der zweite und der dritte. Also kehrte er zum ersten zurück. Der baute ihm innerhalb weniger Monate ein Haus mit vierhundert Quadratmetern Wohnfläche. Für die Einrichtung wie überhaupt für alle praktischen Details war wie immer Katia Mann zuständig. Sie kümmerte sich überdies, nach dem Einzug im Februar 1942, um das häufig wechselnde Personal.
Vielleicht ist es eine gewisse Skepsis gegenüber Leuten, die sich derartige Villen bauen, die Francis Neniks Interesse für all die Menschen geweckt hat, die von Thomas und Katia Mann beauftragt, bezahlt und eher früher als später wieder entlassen wurden. Woher stammte Julius Ralph Davidson? Wie sind die Manns auf ihn gekommen, und wie ist Davidson an diese prestigeträchtigen Auftraggeber gekommen? Nenik wühlt sich durch Einwanderungslisten, Geburts- und Sterberegister, gleicht Namen ab, spielt Varianten durch, und nicht selten sind es die unwahrscheinlichsten Zufallsfunde, die ihn bei seiner Spurensuche weiterbringen. Eine Notiz in der Los Angeles Times aus dem Jahr 1939 etwa. Darin wird von einer Party berichtet, auf der eben jener Mister Davidson zugegen war, und mit ihm wiederum jemand, der Thomas Mann kannte und die beiden Jahre später zusammengebracht haben könnte. Auch die Jagd nach der Vergangenheit des Gärtners Ted Löwenstein stellt ein detektivisches Archivabenteuer dar. Manchmal ist sogar das Finanzamt behilflich, wobei Steuerbescheide freilich, „das weiß jeder, das Ende aller Fiktionen sind.“
So durchstreift Nenik mit viel Witz ein Umfeld, das Katia und Thomas Mann in den Jahren ihres Exils nur am Rande wahrnahmen. Dabei waren fast alle, mit denen sie geschäftlich Kontakt pflegten, oder die bei ihnen im Dienstverhältnis standen, selbst Einwanderer und Exilanten. Das schwarze Haushälterehepaar, das es etwas länger bei ihnen aushielt als andere, zählte im Verhältnis zu der jüdischen Diaspora geradezu zu den Ureinwohnern des Landes.
Bleibt die Frage, wer sich eigentlich hinter dem Pseudonym Francis Nenik verbirgt. Schreibt er weiter so erstaunliche Bücher wie „Seven Palms“ oder die ebenfalls in diesem Jahr erschienene Romanbiografie „Das irrwitzige Leben des Hasso Grabner“, wird man irgendwann dahinter kommen wollen.
TOBIAS LEHMKUHL
Francis Nenik: Seven Palms. Das Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades, Los Angeles. Mit 17 Fotografien von Sebastian Stumpf. Spector Books, Leipzig 2018. 320 Seiten, 28 Euro.
Thomas Mann interessierte
den Autor bei seiner Recherche
allerdings am wenigsten
Sebastian Stumpfs Bild „Wand“ aus der Serie „Seven Palms“. Foto: (c) Sebastian Stumpf, 2017
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Francis Nenik erforscht und erzählt, wer in der berühmten Villa in Pacific Palisades für die Familie Mann im Exil gearbeitet hat
Hinter den Büschen kriecht erstes Morgenlicht empor, der Rasen liegt noch im Schatten, auch die kleine Mauer, die in den Garten hineinreicht, wird warten müssen, bis die ersten Strahlen der Januarsonne sie ein wenig wärmen werden. Von Thomas Mann ist nichts zu sehen. Auch den Geist von Thomas Mann wird man auf den Fotos von Sebastian Stumpf vergeblich suchen. Manns Villa im kalifornischen Pacific Palisades, seit jüngstem vom Auswärtigen Amt getragene „transatlantische Begegnungsstätte“ mit Stipendiatenprogramm, aber hat man so noch nicht gesehen.
Sie steht da, als bräuchte sie keine Menschen, als sei sie sich selbst genug, inmitten all des wild wuchernden Grüns und unter den hochaufschießenden Palmen, die über die ruhige Einsamkeit wachen. Auch die Innenräume wirken seltsam leer, nur ein paar Kabel hängen aus der Wand. Das einzige Zeichen von Leben sind Aufkleber in Vogelform, die wirkliche Vögel vor dem Zusammenprall mit den großzügigen Tür- und Fensterscheiben bewahren sollen.
Der Fotograf immerhin war fraglos vor Ort, der Autor von „Seven Palms“, der das Pseudonym Francis Nenik gewählt hat und sein Geld angeblich als „Crossgolf-Guide“ verdient, nicht. Er ist an seinem Leipziger Schreibtisch sitzen geblieben, und doch hat er vieles über die Thomas-Mann-Villa und seine Bewohner zutage gefördert. Thomas Mann interessierte ihn bei seiner Recherche allerdings am wenigsten. Ihm geht es in seinem Buch um die Geschichte des Hauses und jene, die es erbaut und gepflegt und das Leben in ihm in Gang gehalten haben, um die Architekten, Handwerker, Gärtner, Köche und Dienstmägde.
6500 Dollar für 6000 Quadratmeter, so viel oder so wenig zahlte Thomas Mann im September 1940 für das Grundstück am San Remo Drive 1550. Bald aber war er sich schon nicht mehr sicher, ob er hier ein Haus bauen oder das Grundstück wieder verkaufen sollte. Der erste Architekt, mit dem er sich besprach, Julius Ralph Davidson, überzeugte ihn nicht. Ebenso wenig der zweite und der dritte. Also kehrte er zum ersten zurück. Der baute ihm innerhalb weniger Monate ein Haus mit vierhundert Quadratmetern Wohnfläche. Für die Einrichtung wie überhaupt für alle praktischen Details war wie immer Katia Mann zuständig. Sie kümmerte sich überdies, nach dem Einzug im Februar 1942, um das häufig wechselnde Personal.
Vielleicht ist es eine gewisse Skepsis gegenüber Leuten, die sich derartige Villen bauen, die Francis Neniks Interesse für all die Menschen geweckt hat, die von Thomas und Katia Mann beauftragt, bezahlt und eher früher als später wieder entlassen wurden. Woher stammte Julius Ralph Davidson? Wie sind die Manns auf ihn gekommen, und wie ist Davidson an diese prestigeträchtigen Auftraggeber gekommen? Nenik wühlt sich durch Einwanderungslisten, Geburts- und Sterberegister, gleicht Namen ab, spielt Varianten durch, und nicht selten sind es die unwahrscheinlichsten Zufallsfunde, die ihn bei seiner Spurensuche weiterbringen. Eine Notiz in der Los Angeles Times aus dem Jahr 1939 etwa. Darin wird von einer Party berichtet, auf der eben jener Mister Davidson zugegen war, und mit ihm wiederum jemand, der Thomas Mann kannte und die beiden Jahre später zusammengebracht haben könnte. Auch die Jagd nach der Vergangenheit des Gärtners Ted Löwenstein stellt ein detektivisches Archivabenteuer dar. Manchmal ist sogar das Finanzamt behilflich, wobei Steuerbescheide freilich, „das weiß jeder, das Ende aller Fiktionen sind.“
So durchstreift Nenik mit viel Witz ein Umfeld, das Katia und Thomas Mann in den Jahren ihres Exils nur am Rande wahrnahmen. Dabei waren fast alle, mit denen sie geschäftlich Kontakt pflegten, oder die bei ihnen im Dienstverhältnis standen, selbst Einwanderer und Exilanten. Das schwarze Haushälterehepaar, das es etwas länger bei ihnen aushielt als andere, zählte im Verhältnis zu der jüdischen Diaspora geradezu zu den Ureinwohnern des Landes.
Bleibt die Frage, wer sich eigentlich hinter dem Pseudonym Francis Nenik verbirgt. Schreibt er weiter so erstaunliche Bücher wie „Seven Palms“ oder die ebenfalls in diesem Jahr erschienene Romanbiografie „Das irrwitzige Leben des Hasso Grabner“, wird man irgendwann dahinter kommen wollen.
TOBIAS LEHMKUHL
Francis Nenik: Seven Palms. Das Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades, Los Angeles. Mit 17 Fotografien von Sebastian Stumpf. Spector Books, Leipzig 2018. 320 Seiten, 28 Euro.
Thomas Mann interessierte
den Autor bei seiner Recherche
allerdings am wenigsten
Sebastian Stumpfs Bild „Wand“ aus der Serie „Seven Palms“. Foto: (c) Sebastian Stumpf, 2017
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