A psychological thriller and deeply romantic novel that speaks with unforgettable force about the redemptive power of love, this story is told in seven parts, by six different narrators whose lives are entangled in unexpected ways.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2008Sex, Lügen und ein Prozess
Der australische Autor Elliot Perlman erzählt in seinem neuen Roman sieben Variationen der Wahrheit, von denen keine einzige zu stimmen scheint.
Der Schriftsteller Elliot Perlman wurde 1964 in Melbourne geboren und lebt heute in New York. Ursprünglich Rechtsanwalt, widmet er sich seit einigen Jahren nur noch seiner literarischen Arbeit, und das mit Erfolg. Schon sein erstes Buch brachte ihm Preise ein. Sein jüngster Roman hat nun ebenfalls Aussicht darauf, obwohl er es den Lesern nicht gerade leichtmacht. Die mehr als achthundert Seiten Text verlangen Geduld und Einfühlungsvermögen. Überdies ist das Geschehen auf sieben Erzähler verteilt, die nicht ohne weiteres auf einen Nenner zu bringen sind und sich oft widersprechen. Es kann dem Leser durchaus passieren, dass er die Fäden zu vorangegangenen Mitteilungen neu knüpfen und dafür fünfzig oder hundert Seiten zurückblättern muss, weil die Frage, mit der der aktuelle Erzähler sich gerade beschäftigt, von der Problemflut anderer Buchteile aus der Erinnerung gedrängt wurde. Dazu kommt, jedenfalls für deutsche Leser, eine gewisse Frustration, weil das Versprechen des deutschen Titels nicht eingelöst wird: Eine Wahrheit liefert der Roman nicht, weder in den Äußerungen Einzelner noch im siebenstimmigen Chor.
Das hat der Autor freilich auch nicht versprochen. Im Titel des englischsprachigen Originals kommt der Begriff "Wahrheit" nicht vor. Vielmehr nannte Perlman sein Buch "Seven Types of Ambiguity". Offenbar ging es ihm darum, wie verschieden derselbe Vorgang sich in den Köpfen mehrerer Beteiligter abzeichnen kann, wie widersprüchlich Zeugenaussagen sein können, auch dann, wenn niemand die Absicht hat, zu lügen. Da im Buch eine Strafverfolgung und der entsprechende Gerichtsprozess wichtige Rollen spielen, könnte man meinen, wir hätten es mit einer feinsinnigen Kritik des Justizwesens zu tun. Aber so eng hat der Autor seine Grenzen nicht gezogen. Im Zentrum der Geschichte geht es nicht um die Justiz, sondern um Menschen. Um jene sieben, deren Stimmen wir hören, und noch viele weitere Personen, mit denen die sieben in Verbindung stehen.
Also geht es doch um Wahrheit? Ja, aber nur in Form von Fragen. Etwa so: Was ist das eigentlich, Wahrheit? Muss der Begriff als etwas Absolutes angesehen werden oder als eine Schöpfung der jeweiligen Menschenseele und daher als abhängiger Wert?
Elliot Perlman gibt uns da keine Sicherheiten. Er lässt uns nur dabei zusehen, wie er von unserem moralischen Himmel einen Stern herunterholt. Aber wie er das macht, das lohnt die Mühe, die er uns auferlegt. Seine siebenfache Geschichte spielt in Australien, also weit entfernt von unserer vertrauten Welt. Schon nach wenigen Seiten aber schmilzt die Entfernung, unterscheidet sich der fremde Erdteil für den Leser nur noch durch lokale Eigenarten. Darüber hinaus spielen neben den Stammbewohnern auch Personen eine Rolle, die einst als Exilanten oder Flüchtlinge nach Australien kamen.
Kern der Ereignisse ist eine unglückliche Liebe. Simon Heywood, ein arbeitsloser Lehrer und romantischer Typ, kann die schöne Anna nicht vergessen, die ihn vor zehn Jahren verließ. Anna hat den Börsenmakler Joe geheiratet, doch sie ist in der Ehe nicht glücklich, hat dafür aber das reizende Söhnchen Sam. Simon, in der Langeweile seiner ärmlichen Wohnung ein Opfer phantastischer Spinnereien, kommt auf die Idee, diesen Sam zu entführen. Wozu, weiß er selbst nicht genau; irgendwie hat es mit der Hoffnung zu tun, die verlorene Geliebte werde sich ihm wieder zuwenden. Die Tat löst einen Wirbel an Reaktionen aus, der nach und nach die sieben Berichterstatter in unseren Gesichtskreis weht und uns mit ihren Wahrheiten bekanntmacht.
Da spricht zum Beispiel Angela, ein attraktives Mädchen, das aus wirtschaftlicher Not in die Prostitution flüchtete. Angela bedient unter anderen Sams Vater Joe. Mit Simon ist sie befreundet, liebt ihn sogar, was er nicht erwidert. Hat sie aus Eifersucht oder aus Vernunft Simons Streich der Polizei erzählt? Jedenfalls landet der Entführer im Gefängnis, ein hartes Urteil droht ihm, wenn er seine Ausrede nicht glaubhaft machen kann. Die lautet, er hätte seit langem wieder eine Beziehung zu Anna, die ihm am fraglichen Tag erlaubt habe, Sam von der Schule abzuholen. Als Anna zu Wort kommt, vernehmen wir eine andere Version. Wir lesen aber auch, wie sehr sie darunter leidet, dass ihr Gatte allein von seinen Börsenproblemen beherrscht wird. Über diese Probleme wiederum informiert uns Joes Kollege Dennis Mitchell, genannt Mitch, ein Analyst.
In Simons Inneres führt uns der Psychiater Alex Klima. Er entstammt einer jüdischen Familie aus der Tschechoslowakei, die während der zweiten Stalinschen Säuberung verfolgt wurde. Aus der Arzt-Patienten-Beziehung wird rasch Freundschaft, was kein Vorteil ist für Simons Seele, wohl aber für seine Position vor Gericht. Denn Alex schafft es, Anna zur Übernahme von Simons Aussageversion zu bewegen. Nach langer Leidenszeit kommt der Gefangene frei. Nach noch längerer Frist endet die Ehe von Anna und Joe und beginnt eine neue Verbindung von Anna und Simon. Der Retter Alex jedoch versinkt in Einsamkeit, die Sehnsucht nach Freundschaft wird von Simon nicht erwidert. Auch Alex' Verbindung mit Simons Verteidigerin, die sich anzubahnen schien, löst sich auf. Das letzte, siebente Zeugnis liefert - Jahrzehnte nach den Vorfällen - Rachael, die Tochter des Psychiaters Alex Klima. Als sie das Wort ergreift, ist ihr Vater nicht mehr am Leben; er hat es offenbar selbst beendet. Verschwunden ist derweil der inzwischen erwachsene Sam, der mal Rachaels Geliebter war. Auch das neue Verhältnis von Simon und Anna hat nicht lange gehalten.
Was spielt sich bloß in all diesen Menschen ab? Mit dem Verstand allein lässt sich das kaum beantworten. Doch es ist faszinierend, wie Elliot Perlman seine Leser in fremde Leben einbindet, sie unmittelbar teilhaben lässt an den Kämpfen, Siegen und Niederlagen der Protagonisten. Wenn man sich auf den Autor einlässt, wandeln sich die scheinbar weit entfernten Dramen, die er schildert, zu Erfahrungen, die einem durchaus vertraut sein können.
SABINE BRANDT
Elliot Perlman: "Sieben Seiten der Wahrheit". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Jendis. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008. 861 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der australische Autor Elliot Perlman erzählt in seinem neuen Roman sieben Variationen der Wahrheit, von denen keine einzige zu stimmen scheint.
Der Schriftsteller Elliot Perlman wurde 1964 in Melbourne geboren und lebt heute in New York. Ursprünglich Rechtsanwalt, widmet er sich seit einigen Jahren nur noch seiner literarischen Arbeit, und das mit Erfolg. Schon sein erstes Buch brachte ihm Preise ein. Sein jüngster Roman hat nun ebenfalls Aussicht darauf, obwohl er es den Lesern nicht gerade leichtmacht. Die mehr als achthundert Seiten Text verlangen Geduld und Einfühlungsvermögen. Überdies ist das Geschehen auf sieben Erzähler verteilt, die nicht ohne weiteres auf einen Nenner zu bringen sind und sich oft widersprechen. Es kann dem Leser durchaus passieren, dass er die Fäden zu vorangegangenen Mitteilungen neu knüpfen und dafür fünfzig oder hundert Seiten zurückblättern muss, weil die Frage, mit der der aktuelle Erzähler sich gerade beschäftigt, von der Problemflut anderer Buchteile aus der Erinnerung gedrängt wurde. Dazu kommt, jedenfalls für deutsche Leser, eine gewisse Frustration, weil das Versprechen des deutschen Titels nicht eingelöst wird: Eine Wahrheit liefert der Roman nicht, weder in den Äußerungen Einzelner noch im siebenstimmigen Chor.
Das hat der Autor freilich auch nicht versprochen. Im Titel des englischsprachigen Originals kommt der Begriff "Wahrheit" nicht vor. Vielmehr nannte Perlman sein Buch "Seven Types of Ambiguity". Offenbar ging es ihm darum, wie verschieden derselbe Vorgang sich in den Köpfen mehrerer Beteiligter abzeichnen kann, wie widersprüchlich Zeugenaussagen sein können, auch dann, wenn niemand die Absicht hat, zu lügen. Da im Buch eine Strafverfolgung und der entsprechende Gerichtsprozess wichtige Rollen spielen, könnte man meinen, wir hätten es mit einer feinsinnigen Kritik des Justizwesens zu tun. Aber so eng hat der Autor seine Grenzen nicht gezogen. Im Zentrum der Geschichte geht es nicht um die Justiz, sondern um Menschen. Um jene sieben, deren Stimmen wir hören, und noch viele weitere Personen, mit denen die sieben in Verbindung stehen.
Also geht es doch um Wahrheit? Ja, aber nur in Form von Fragen. Etwa so: Was ist das eigentlich, Wahrheit? Muss der Begriff als etwas Absolutes angesehen werden oder als eine Schöpfung der jeweiligen Menschenseele und daher als abhängiger Wert?
Elliot Perlman gibt uns da keine Sicherheiten. Er lässt uns nur dabei zusehen, wie er von unserem moralischen Himmel einen Stern herunterholt. Aber wie er das macht, das lohnt die Mühe, die er uns auferlegt. Seine siebenfache Geschichte spielt in Australien, also weit entfernt von unserer vertrauten Welt. Schon nach wenigen Seiten aber schmilzt die Entfernung, unterscheidet sich der fremde Erdteil für den Leser nur noch durch lokale Eigenarten. Darüber hinaus spielen neben den Stammbewohnern auch Personen eine Rolle, die einst als Exilanten oder Flüchtlinge nach Australien kamen.
Kern der Ereignisse ist eine unglückliche Liebe. Simon Heywood, ein arbeitsloser Lehrer und romantischer Typ, kann die schöne Anna nicht vergessen, die ihn vor zehn Jahren verließ. Anna hat den Börsenmakler Joe geheiratet, doch sie ist in der Ehe nicht glücklich, hat dafür aber das reizende Söhnchen Sam. Simon, in der Langeweile seiner ärmlichen Wohnung ein Opfer phantastischer Spinnereien, kommt auf die Idee, diesen Sam zu entführen. Wozu, weiß er selbst nicht genau; irgendwie hat es mit der Hoffnung zu tun, die verlorene Geliebte werde sich ihm wieder zuwenden. Die Tat löst einen Wirbel an Reaktionen aus, der nach und nach die sieben Berichterstatter in unseren Gesichtskreis weht und uns mit ihren Wahrheiten bekanntmacht.
Da spricht zum Beispiel Angela, ein attraktives Mädchen, das aus wirtschaftlicher Not in die Prostitution flüchtete. Angela bedient unter anderen Sams Vater Joe. Mit Simon ist sie befreundet, liebt ihn sogar, was er nicht erwidert. Hat sie aus Eifersucht oder aus Vernunft Simons Streich der Polizei erzählt? Jedenfalls landet der Entführer im Gefängnis, ein hartes Urteil droht ihm, wenn er seine Ausrede nicht glaubhaft machen kann. Die lautet, er hätte seit langem wieder eine Beziehung zu Anna, die ihm am fraglichen Tag erlaubt habe, Sam von der Schule abzuholen. Als Anna zu Wort kommt, vernehmen wir eine andere Version. Wir lesen aber auch, wie sehr sie darunter leidet, dass ihr Gatte allein von seinen Börsenproblemen beherrscht wird. Über diese Probleme wiederum informiert uns Joes Kollege Dennis Mitchell, genannt Mitch, ein Analyst.
In Simons Inneres führt uns der Psychiater Alex Klima. Er entstammt einer jüdischen Familie aus der Tschechoslowakei, die während der zweiten Stalinschen Säuberung verfolgt wurde. Aus der Arzt-Patienten-Beziehung wird rasch Freundschaft, was kein Vorteil ist für Simons Seele, wohl aber für seine Position vor Gericht. Denn Alex schafft es, Anna zur Übernahme von Simons Aussageversion zu bewegen. Nach langer Leidenszeit kommt der Gefangene frei. Nach noch längerer Frist endet die Ehe von Anna und Joe und beginnt eine neue Verbindung von Anna und Simon. Der Retter Alex jedoch versinkt in Einsamkeit, die Sehnsucht nach Freundschaft wird von Simon nicht erwidert. Auch Alex' Verbindung mit Simons Verteidigerin, die sich anzubahnen schien, löst sich auf. Das letzte, siebente Zeugnis liefert - Jahrzehnte nach den Vorfällen - Rachael, die Tochter des Psychiaters Alex Klima. Als sie das Wort ergreift, ist ihr Vater nicht mehr am Leben; er hat es offenbar selbst beendet. Verschwunden ist derweil der inzwischen erwachsene Sam, der mal Rachaels Geliebter war. Auch das neue Verhältnis von Simon und Anna hat nicht lange gehalten.
Was spielt sich bloß in all diesen Menschen ab? Mit dem Verstand allein lässt sich das kaum beantworten. Doch es ist faszinierend, wie Elliot Perlman seine Leser in fremde Leben einbindet, sie unmittelbar teilhaben lässt an den Kämpfen, Siegen und Niederlagen der Protagonisten. Wenn man sich auf den Autor einlässt, wandeln sich die scheinbar weit entfernten Dramen, die er schildert, zu Erfahrungen, die einem durchaus vertraut sein können.
SABINE BRANDT
Elliot Perlman: "Sieben Seiten der Wahrheit". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Jendis. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008. 861 S., geb., 22,95 [Euro].
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