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In einem Brief aus dem Jahre 1970 schreibt Anne Sexton an Brian Sweeney: "Wie recht Du hast mit meiner Furcht vor dem Tod. Ich glaube, ich habe ihn nur deshalb umarmt, weil ich ihn so fürchtete. Übrigens habe ich ihn diesen August wieder umarmt, nur um lebend daraus hervorzugehen. Ich hasse ihn. Ich liebe ihn." Auch in Sextons späten Gedichtzyklen aus den Jahren 1972 bzw. 1975 (postum veröffentlicht) herrschen die dunklen und destruktiven Töne vor. Die Dichterin läßt ihr lyrisches Ich in eine Vielzahl von Rollen schlüpfen, die das Todeserlebnis aus verschiedenen Perspektiven erfahren,…mehr

Produktbeschreibung
In einem Brief aus dem Jahre 1970 schreibt Anne Sexton an Brian Sweeney: "Wie recht Du hast mit meiner Furcht vor dem Tod. Ich glaube, ich habe ihn nur deshalb umarmt, weil ich ihn so fürchtete. Übrigens habe ich ihn diesen August wieder umarmt, nur um lebend daraus hervorzugehen. Ich hasse ihn. Ich liebe ihn."
Auch in Sextons späten Gedichtzyklen aus den Jahren 1972 bzw. 1975 (postum veröffentlicht) herrschen die dunklen und destruktiven Töne vor. Die Dichterin läßt ihr lyrisches Ich in eine Vielzahl von Rollen schlüpfen, die das Todeserlebnis aus verschiedenen Perspektiven erfahren, nachleben, ja auskosten. Das Phänomen des erwünschten oder gefüchteten, des sanften oder brutalen Todes präsentiert sie in seiner ganzen Widersprüchlichkeit. Christliche Spiritualität - als Protestantin aufgewachsen, bezeichnet sich Sexton gern als "abtrünnige Katholikin" - und autobiographische Elemente gehen in den späten Gedichten eine ungewöhnliche Symbiose ein.
Autorenporträt
Sexton, Anne
Anne Sexton, geb. 1928 in Newton, Massachusetts, lebte zunächst das klassische Klischee der Mittelstands-Hausfrau der 50er Jahre, bis sie mit 28 Jahren nach einem psychotischen Schub auf Anraten ihres Therapeuten Lyrik zu schreiben begann: Sie wurde zu einer der prominentesten Vertreterinnen der 'confessional poets'. Sie erhielt bedeutende Auszeichnungen, u. a. den Pulitzer-Preis. Am 4. Oktober 1974 setzte sie ihrem intensiven Leben des Glanzes, aber auch der psychischen Verzweiflung ein Ende.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.1999

Gottes fünftes As
Anne Sextons "Buch der Torheit" · Von Burkhard Müller

Anne Sexton, 1928 in Neuengland geboren und dort 46 Jahre später durch Selbstmord gestorben, hat ihrem Leben, das von schweren psychischen Problemen überschattet war, ein umfangreiches lyrisches Werk abgewonnen. Der vierte und letzte Band der Werkausgabe, der jetzt bei Fischer erschienen ist, zeigt eine Fotografie aus den letzten Jahren einer Frau, deren frühere Schönheit von der Krankheit zerrüttet ist. Abwesend und doch in jeder Faser gespannt, so sitzt sie mit dem Rücken zu ihrer Schreibmaschine, festgesprayte Frisur, Perlenkette, eine Nylonbluse in harten und wirren Falten, in einem Stahlrohrsessel, die Hand wie einen Schraubstock um das Whiskeyglas gelegt.

Dieser Frau hatte einer ihrer wechselnden Psychiater aus therapeutischen Gründen geraten, Gedichte zu schreiben. Nichts, sollte man denken, kann aussichtsloser sein als solche Produkte. Aber Anne Sexton, an deren Bild alles starr und erloschen schien, macht dabei eine überraschende Entdeckung: ihr Herz, ein Organ, so weich wie egozentrisch, "breit wie eine Wassermelone" und doch "ein Kätzchen aus Butter". "Was es mich gekostet hat, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen, / Seelenklempner, Priester, Liebhaber, Kinder, Ehemänner, / Freunde und alles / Nicht ganz billig, das Ding in Gang zu halten. / Es hat aber auch was zurückgegeben. / Leugne es nicht!" Diese Lyrik wird nicht zusammengehalten durch einen Willen zur Form, sondern von der Kraft und Direktheit ihrer Einfälle.

"Ich bin keine Heilige" - wie noch in der Selbstkasteiung dieses Selbst sich arglos ins Zentrum der Welt rückt, das bleibt erträglich allein dank Anne Sextons Beherztheit, die bis an den Rand der Schamlosigkeit vordringt. So nimmt der Leser teil an der ödipalen Katastrophe ihrer Kindheitsgeschichte. Man erlebt den sinistren Charmeur von Vater, der mit seiner Tochter tanzt, "und wie wir tanzten, Vater, wie Gestirne. Wir bewegten uns wie Engel, die sich wuschen." Es scheint ein gefundenes Fressen für jeden Analytiker - und muß ihn doch ratlos machen, da er alles, was für ihn zu tun wäre, in der Unverstelltheit dieser Texte schon getan findet. Sie muß eine anstrengende Person gewesen sein, und man ist froh, daß sie einem in der verewigten Form des Buchs gegenübertritt, das man nach Belieben aufschlagen und weglegen kann.

Anne Sexton nimmt es auf selbst mit dem Ungeheuer ihres Lebens, dem tiefsten, stummsten, dabei unpersönlichsten und deswegen schmachvollsten Unglück, der Depression. Solange sie mitten in diesem schwarzen Loch und seiner überstarken Gravitation hockt, kann sie sich natürlich nicht rühren, aber sowie sie nur ein bißchen weiter an dessen Rand driftet, kehrt auch die Dichtung zurück. "Doch da oben gibt es ein versperrtes Zimmer / mit einer Eisentür, die sich nicht öffnen läßt. / Da drin sind alle deine bösen Träume. / Es ist die Hölle. / Die einen sagen, der Teufel versperrt die Tür / von innen. Die andern sagen, die Engel versperren sie / von außen." Gibt es einen stärkeren Ausdruck für das Unvorstellbare der Hölle als diese Versiegelung von beiden Seiten?

Sexton erzählt auch von den Himbeeren in Großvaters Garten. Der Zehnjährigen war es verboten, dorthin zu gehen, aber sie schleicht sich durch die Hecke am Meer, barfuß und im Schlafanzug. "Laß mich diese süßen Küsse pflücken, Diebin die ich war, / als das Meer zu meiner Linken wogend Beifall klatschte." Es handelt sich, unwahrscheinlich genug, um ein Sonett. Daß Anne Sexton es meistert, wäre zuviel gesagt; eher kriegt sie, kreischend und auf zwei Rädern, noch gerade so die Kurve, der erstaunliche Schwung ist es, der das Gedicht herumträgt. Daß sie - die naheliegende Gefahr - nicht aus der Bahn fliegt und im Morast von Willkür und Wehleidigkeit landet, verdankt sie ihrer regulierenden Instanz, von der sie sich nie trennt: Gott. Mit seinem Namen belegt sie, die offenbar keine andere wirklich gründliche Bildung als die der Bibel genossen hat, die ihr auferlegte Pflicht zur kontinuierlichen Anstrengung. Ein Gedicht mag den Titel tragen: "Frenzy" - "Raserei", aber es geht ihm um Folgendes: "Ich bin nicht faul. / Ich bin auf dem Amphetamin der Seele. / Ich tippe, jeden Tag, / den Gott aufs Papier, / an den meine Schreibmaschine glaubt." Die göttliche Ordnung nimmt das Disparate alltäglichen Lebens in sich auf, der Gegensatz zwischen dem Allgemeinen und dem quälend bloß Besonderen wird aufgehoben im Humor der zehn "Psalmen", oder besser Litaneien, der "Death Notebooks".

In zwei Aggregatzuständen erscheint Gott, als Sohn und als Vater. Dem Sohn sind die "Jesus Papers" gewidmet. Aus dem Geist der typisch amerikanischen, für Europäer so schwer begreiflichen persönlichen Beziehung zu ihm (mit ihrem verborgenen Arianismus) erschaffen sie eine Figur, die mehr einem vorchristlichen Kulturheros und Trickster gleicht; die Speisung der fünftausend geschieht so, daß Jesus heimlich und auf die Schnelle ein paar Büchsen Ölsardinen aufmacht.

Wichtiger ist der Vater, dem Anne Sexton den gesamten zweiten Teil des Bandes zugeeignet hat: "The Awful Rowing towards God". Die deutsche Übersetzung, "Das ehrfürchtige Rudern hin zu Gott", erfaßt davon nur die Hälfte, denn "awful" heißt ja auch "gräßlich". Ihrer Hingabe halten ihre Ansprüche die Waage, und das bewahrt Anne Sexton vor der Mystik. Dieser Vatergott hat eine unverkennbare Ähnlichkeit mit ihrem eigenen Vater, wenn er sich angedüdelt als Weihnachtsmann verkleidete. Im letzten Gedicht erreicht sie die Insel namens Gott. "Das Rudern endet", und beide spielen Poker. Das lyrische Ich hat einen Royal Straight Flush, aber Gott zückt eine "wilde Karte", einen Joker, hat damit fünf Asse und gewinnt. Anne Sexton jedoch ist es zufrieden, daß ihre Kämpfe so enden, daß sie auf diese nicht ganz basenreine Weise überwältigt wird. "Du liebster Kartengeber, / ich mit meinem Royal Straight Flush / liebe dich so für deine wilde Karte, / dieses unbezähmbare, ewige, aus dem Bauch kommende Ha-ha / und die Liebe, die Glück hat."

Leider bekommt der deutsche Leser Anne Sexton nicht unmittelbar in die Hand, sondern durch die Vermittlung der Übersetzerin Silvia Morawetz und der Herausgeberin Elisabeth Bronfen, die auch das Vorwort verfaßt hat. Ein ungutes Paar. Wie zwei Krankenpfleger stehen sie bereit, die entsprungene Patientin in die Zwangsjacke zu stecken. Anne Sextons Lyrik ist ja durchaus eine robuste Pflanze, sie wurzelt außerhalb der Sprache in ihren Gedanken und Gegenständen, und es sollte darum keine allzu großen Probleme aufwerfen, sie ins Deutsche umzutopfen. "I only know English. / English is not perfect." Auch die deutsche Übersetzung bräuchte es nicht zu sein. Aber sie sollte nicht, wenn die Dichterin das Geschlechtsorgan ihres Vaters als "great god" bezeichnet, ihn zu einem "Abgott" machen, da sie das mißbilligt. Sie sollte, wenn Anne Sexton sagt "Sometimes even I came into the royal ring", nämlich der Eltern, die sich küssen, dies nicht verfälschen dürfen zu "Manchmal kam sogar ich auf Armeslänge an den König ran", was so ziemlich das Gegenteil ist. Was denkt sich diese Übersetzerin? Glaubt sie, der Leser könnte sie, mit dem Original gleich daneben, nicht kontrollieren? Sie macht aus dem schweren Vers "Come forth with a rose that unfolds like nether lips and is a languid delight" den lächerlichen Unfug, daß die Rose sich wie "Unterlippen" entfaltet, weil die Schamlippen sie genieren.

Jede bezeichnende Formulierung wird ins möglichst Allgemeine flachgebügelt, aus "pots and pans" wird ein "profanes Allerlei", aus dem weißen Teller des Glaubens ein "Krug", das ist so hübsch allegorisch, und wenn sich für Anne Sexton die Sonne in Gift verwandelt, so ist sie für Morawetz lediglich "abträglich". Sie erspart sich die Mühe, herauszufinden, was dem "Boardwalk" in der deutschen Version von Monopoly entspricht. Auch gibt sie "sable" auf gut Glück mit "Säbel" wieder, wo es sich tatsächlich um einen Zobel handelt, und ein "bull's eye", das Zentrum der Schießscheibe, ist für sie ein "Stierblick".

Da weder die Literaturkritik noch die Literaturwissenschaft verpflichtet sind, den Autor, mit dem sie sich beschäftigen, zu lieben, so fällt diese Pflicht ganz offenbar den Verfassern von Vorworten und Einleitungen zu (und niemand braucht es mehr als Anne Sexton). Elisabeth Bronfen hat sich ihr entzogen. Bei einer Autorin, bei der das Werk von ihrem Leben völlig untrennbar ist, berührt sie das Biographische knapp ("though teach is all", sagt Anne Sexton) und nur widerwillig, die Daten werden in einer wenig besagenden Tabelle im Anhang abgehandelt. Dafür serviert sie dem Leser ihre eigenen Reflexionen, sie vertritt ihm, bevor er Gelegenheit hatte, auch nur eine einzige Zeile der Dichterin selbst zu lesen (sie kann sich nicht bis zum Schlußwort gedulden), mit einer fast lückenlosen Interpretation auf dreißig Seiten förmlich den Weg mit Sätzen wie "An dieser Anerkennung eines traumatischen Wissens als Kern der Vergangenheit, dessen Torheit sie auf so unumgängliche Weise besetzt, wird nun aber auch ihre poetische Praxis festgemacht." So kann man es zweifellos auch sagen, dennoch weiß Bronfen, "daß die poetische Sprache die von ihr intendierte Botschaft nicht nur adäquat vermitteln, sondern diese auch als Mehrwert der Poesie überbieten kann".

Der Mehrwert der Poesie! Werfen wir zum Schluß doch noch einen Blick darauf, wie er aussieht. Bronfen schreibt: "Denn dieses Hadern auf der Schwelle zwischen einer klar umschriebenen Zugehörigkeit, dieses stete Rudern hin zu einer sinnversprechenden väterlichen Instanz, läßt sie den gefallenen Engeln, die sie als ihre Lebensbegleiter anerkennt, gleich werden." Anne Sexton aber: "O fallen angel, the companion within me, whisper something holy befor you pinch me into the grave."

Am 4. Oktober 1974, nachdem sie am selben Tag die endgültige Gestalt ihres letzten Gedichtbands bestimmt hat, setzt sich Anne Sexton ins Auto und vergiftet sich mit Kohlenmonoxyd, gekleidet in den Pelzmantel ihrer Mutter und mit einem Whiskeyglas in der Hand.

Anne Sexton: "Buch der Torheit. Das ehrfürchtige Rudern hin zu Gott". Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Silvia Morawetz. Hrsg. und mit einem Vorwort von Elisabeth Bronfen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 367 S., geb., 48,- DM.

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