Investigating the literary culture of the early interaction between European countries and East Africa, Edward Wilson-Lee uncovers an extraordinary sequence of stories in which explorers, railway labourers, decadent émigrés, freedom fighters, and pioneering African leaders made Shakespeare their own in this alien land.
Exploring the unexpected history of Shakespeare's global legacy, Shakespeare in Swahililand is a breathtaking combination of travel, history, biography and satire. It traces Shakespeare's influence in Zanzibar, Tanzania, Uganda, Ethiopia, Sudan and Kenya - where Cambridge lecturer Edward Wilson-Lee was raised.
From Victorian expeditions in which the Bard's works were the sole reading material, Wilson-Lee shows how Shakespeare's works have been a vital touchstone throughout the region. The Plays were printed by liberated slaves as one of the first texts in Swahili, performed by Indian labourers while they built the Uganda Railway, used to argue for native rights, and translated by intellectuals, revolutionaries and independence leaders. Revealing how great works can provide a key insight into modern history, these stories investigate the astonishing poignancy of beauty out of place.
Exploring the unexpected history of Shakespeare's global legacy, Shakespeare in Swahililand is a breathtaking combination of travel, history, biography and satire. It traces Shakespeare's influence in Zanzibar, Tanzania, Uganda, Ethiopia, Sudan and Kenya - where Cambridge lecturer Edward Wilson-Lee was raised.
From Victorian expeditions in which the Bard's works were the sole reading material, Wilson-Lee shows how Shakespeare's works have been a vital touchstone throughout the region. The Plays were printed by liberated slaves as one of the first texts in Swahili, performed by Indian labourers while they built the Uganda Railway, used to argue for native rights, and translated by intellectuals, revolutionaries and independence leaders. Revealing how great works can provide a key insight into modern history, these stories investigate the astonishing poignancy of beauty out of place.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2020Auf Safari mit dem Schwan von Avon
Auch Shakespeare hat Afrika erobert: Der Literaturwissenschaftler Edward Wilson-Lee begibt sich auf eine Spurensuche in Swahililand
Wo auf dieser Welt fand, um gleich mit der unglaublichsten Entdeckung von Edward Wilson-Lees Erkundungen zu und mit Shakespeare anzufangen, die erste schriftlich nachgewiesene "Hamlet"-Aufführung statt? Nein, nicht in London, wo die Tragödie 1601 uraufgeführt (und zwei Jahre später gedruckt) wurde, auch nicht in Deutschland, wo die Truppe von John Green sie 1626 am Dresdner Hof spielte, schon gar nicht in Amerika, wo der Dänenprinz erst im achtzehnten Jahrhundert ankam, sondern am 5. September 1607 an Bord der "Dragon", einem Schiff der East India Company, während es in Sierra Leone vor Anker lag. Kapitän William Keeling hatte der Mannschaft das Theaterspiel gestattet, um sie von gefährlicheren Versuchungen abzuhalten, und den portugiesischen Dolmetscher eingeladen: "Danach", so notierte er in sein Tagebuch, "gingen wir alle zusammen an Land und wollten versuchen, einen Elefanten zu schießen."
Am 29. September folgte "König Richard der Zweite", und als am 31. März 1608 wieder "Hamlet" aufgeführt wurde, hatte die "Dragon" bereits das Kap der Guten Hoffnung umsegelt und kreuzte vor der ostafrikanischen Küste. Noch zu Lebzeiten also, als er an den Sonetten und am "Wintermärchen" saß, war der "Schwan von Avon" fern der Insel, die er nie verlassen hat - wahrscheinlich! -, dem "Schwarzen Kontinent" zugeflogen.
Die Quellenlage ist zwar fragwürdig: Keelings Tagebuch ist nicht erhalten, und die Absätze, die ein eindeutiges Pseudonym abschrieb, wurden erst 1825/26 veröffentlicht. Aber Edward Wilson-Lee diskutiert die Frage der Echtheit des Zitats und führt mehr Argumente dafür als dagegen an. Er ist der "Dragon" gut vierhundert Jahre später hinterhergereist. In seiner Studie "Shakespeare in Swahililand", einem Zwitter aus literarhistorischer Recherche und Reportage, geht Wilson-Lee den Spuren des Dichters in jenen Ländern an der Ostküste Afrikas nach, in denen, eingeführt von arabischen Kaufleuten und europäischen Missionaren, Swahili gesprochen wird: in Kenia, Tansania und Uganda sowie Teilen von Kongo, Malawi und Sudan. Dem Autor ist die Sprache vertraut: Als Sohn von Naturschützern und Filmemachern ist er in den achtziger Jahren in Kenia aufgewachsen. Seine Reisen in Sachen Shakespeare führen, von erhellenden Erinnerungen begleitet, auch in die eigene Kindheit.
Sansibar oder der letzte Grund der Reiselektüre
Auch Shakespeare hat Afrika erobert, (zunächst) im Gepäck der britischen Forscher und Siedler, doch anders und viel umfassender. Seine Präsenz und Wirkmacht sind außerordentlich, noch erstaunlicher aber sind deren Vielfalt und Verschiedenheit. Die Expedition, die 1857 an der Küste des heutigen Tansania aufbrach, die Nilquelle zu entdecken, wurde von dem noch keine vierzig Jahre alten Richard Francis Burton geleitet. Für Literatur war wenig Platz: "Die wenigen Bücher - Shakespeare, Euklid -, die meine dürftige Bibliothek bildeten, lasen wir gemeinsam immer und immer wieder." Noch ging es nicht darum, die Einheimischen mit der Dichtung bekannt zu machen, sondern - ganz im Gegenteil - um ein Distinktionsmerkmal: Eine vermeintliche Immunisierung gegenüber den "Barbaren", die viele Forscher nach ihm, so Theodore Roosevelt, der 1909/10 eine Jagdsafari unternahm und drei Shakespeare-Bände dabei hatte, mit Burton teilten.
Die nächste Station ist Sansibar, wo 1867 ein Schulbuch - die "Hadithi za Kiingereza" oder "Erzählungen aus dem Englischen" - gedruckt wurde, das eine Generation junger Afrikaner mit den Geschichten von Shylock und Lear lesen und schreiben lernen ließ. Nicht Shakespeare war der Autor, sondern Charles und Mary Lamb, das Geschwisterpaar der Frühromantik, das die Dramen zu kindgerechten Erzählungen vereinfachte: ein erstes, bald weitverbreitetes Angebot, Bekanntschaft mit Shakespeare und der englischen Kultur zu schließen. Das Spätwerk "Der Sturm", das nicht nur den Weg des britischen Kolonialreichs, sondern auch die komisch stümperhaften Versuche, die ihm vorausgingen, prophezeit, stimulierte Adaptionen und Phantasien, die von der Anglisierung der Afrikaner bis zu deren Ausbeutung und Unterdrückung reichen.
In Mombasa bildeten an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert nicht einheimische Afrikaner oder europäische Siedler ein beträchtliches Theaterpublikum, sondern indische Arbeiter, Verwaltungsangestellte und Soldaten. Mehrere zehntausend von ihnen waren zum Bau der Eisenbahn ins Land geholt worden, in das sie ihre Liebe zu Shakespeare mitbrachten. Hunderte von Produktionen in vielen indischen Sprachen, die zunächst die Zensur des Protektorats passieren mussten, verzeichnet die "Kenya Gazette" zwischen 1895 und 1916. Versuche, Europäer anzusprechen, verliefen wenig erfolgreich.
Englisches Drama als Nährboden für afrikanische Politik
Während Karen (Tanja) Blixen und andere Siedler im Hochland Shakespeare zu einem Symbol ihrer Kultur erhoben, begannen afrikanische Politiker, mit dem Barden im Bunde das Kolonialrecht gegen die Herren zu wenden. Jomo Kenyatta, der in England studiert hatte und 1963 erster Präsident von Kenia wurde, zählte Shakespeare zu seinen Lieblingsautoren. Die Mehrzahl derer, die in Uganda nach der Unabhängigkeit Führungspositionen übernahmen, hatte an der Makerere University in Kampala englische Literatur belegt: Shakespeare wurde in Reden von Politikern und Juristen eingeflochten, aber auch in die Folklore der Dörfer, Inszenierungen dienten als Nährboden für politische Gestalten und Bewegungen und waren panafrikanische Veranstaltungen.
In Dar es Salaam hat Julius Nyerere, der ebenfalls in Großbritannien studiert hatte und 1961 erster Ministerpräsident von Taganjika wurde, abends "Julius Caesar" und den "Kaufmann von Venedig" ins Swahili übertragen, während er am Tag über den Wechsel in die Unabhängigkeit verhandelte: In seinen Reden setzten Shakespeare-Zitate nicht selten Nadelstiche gegen die Kolonialherren, seine Blankverse befreiten das Swahili von den Zwängen des traditionellen Reims, und mit dem "Kaufmann von Venedig" entwarf er 1969 eine utopische, pazifistische Vision von Afrikas Zukunft.
Für die beiden letzten Schauplätze überquert Wilson-Lee die Swahili-Sprachgrenze: erst nach Addis Abeba, dann nach Juba. In Äthiopien, wo es nie eine echte Kolonisation, doch bis 1974 eine absolute Monarchie des Typs gab, die Shakespeare Themen schenkte, bildeten Übersetzungen von "Othello", "Macbeth" und "Hamlet" des Dichters Tsegaye Gebre Medhin eine Kulisse für die dekadente Herrschaft und den Sturz von Kaiser Haile Selassie; im Südsudan war Englisch nach der Abspaltung vom arabischen Norden Amtssprache geworden, weil, so berichtete die BBC, der Mann, der beauftragt wurde, Englisch zur Arbeitssprache der Volksbefreiungsarmee zu machen, sich in Shakespeare verliebt hatte. Der erste internationale Auftritt des Südsudan fand mit einer "Kymbelin"-Inszenierung auf der Kulturolympiade 2012 in London statt: In der Bearbeitung des Nationaldichters Joseph Abuk erzählte eine neue Nation der Welt auf dem Weg über Shakespeare ihre Geschichte.
Die Juba-Episode ist ein Nachtrag zu der anderthalb Jahrhunderte umspannenden Darstellung. Denn das Ende des Kalten Krieges bedeutete für die Shakespeare-Rezeption in Afrika eine Zäsur: Kapital und Personal wurden abgezogen, die Ökonomie brach ein, ausländische Schauspieler reisten ab, die Wirtschaftshilfe wurde in den neunziger Jahren halbiert; auch Wilson-Lees Eltern gingen nach Europa zurück. Versuche, ein neues Theaterpublikum aufzubauen, scheiterten: Shakespeare verschwand "von der vordersten Front des ostafrikanischen Lebens".
Der Nachtrag ist zugleich ein Wegweiser dafür, dass Shakespeares Reise durch Afrika mit veränderten Vorzeichen und in verschiedene Richtungen weitergeht. Wilson-Lee, der am Sidney Sussex College der Universität Cambridge lehrt, hat sie in bester angelsächsischer Essaytradition erzählt: lebendig, spannend und mit spekulativen Assoziationen. Seine literarische Spurensuche ist auch eine Auskunft über die Macht der Literatur - und über einen Kontinent, der in der Begegnung mit Shakespeare so viel von sich mitteilt, dass es sogar dessen Vorstellungskraft übertrifft.
ANDREAS ROSSMANN
Edward Wilson-Lee: "Shakespeare in
Swahililand". Eine
literarische Spurensuche.
Aus dem Englischen
von Sebastian Vogel.
Luchterhand Literaturverlag, München 2019.
398 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auch Shakespeare hat Afrika erobert: Der Literaturwissenschaftler Edward Wilson-Lee begibt sich auf eine Spurensuche in Swahililand
Wo auf dieser Welt fand, um gleich mit der unglaublichsten Entdeckung von Edward Wilson-Lees Erkundungen zu und mit Shakespeare anzufangen, die erste schriftlich nachgewiesene "Hamlet"-Aufführung statt? Nein, nicht in London, wo die Tragödie 1601 uraufgeführt (und zwei Jahre später gedruckt) wurde, auch nicht in Deutschland, wo die Truppe von John Green sie 1626 am Dresdner Hof spielte, schon gar nicht in Amerika, wo der Dänenprinz erst im achtzehnten Jahrhundert ankam, sondern am 5. September 1607 an Bord der "Dragon", einem Schiff der East India Company, während es in Sierra Leone vor Anker lag. Kapitän William Keeling hatte der Mannschaft das Theaterspiel gestattet, um sie von gefährlicheren Versuchungen abzuhalten, und den portugiesischen Dolmetscher eingeladen: "Danach", so notierte er in sein Tagebuch, "gingen wir alle zusammen an Land und wollten versuchen, einen Elefanten zu schießen."
Am 29. September folgte "König Richard der Zweite", und als am 31. März 1608 wieder "Hamlet" aufgeführt wurde, hatte die "Dragon" bereits das Kap der Guten Hoffnung umsegelt und kreuzte vor der ostafrikanischen Küste. Noch zu Lebzeiten also, als er an den Sonetten und am "Wintermärchen" saß, war der "Schwan von Avon" fern der Insel, die er nie verlassen hat - wahrscheinlich! -, dem "Schwarzen Kontinent" zugeflogen.
Die Quellenlage ist zwar fragwürdig: Keelings Tagebuch ist nicht erhalten, und die Absätze, die ein eindeutiges Pseudonym abschrieb, wurden erst 1825/26 veröffentlicht. Aber Edward Wilson-Lee diskutiert die Frage der Echtheit des Zitats und führt mehr Argumente dafür als dagegen an. Er ist der "Dragon" gut vierhundert Jahre später hinterhergereist. In seiner Studie "Shakespeare in Swahililand", einem Zwitter aus literarhistorischer Recherche und Reportage, geht Wilson-Lee den Spuren des Dichters in jenen Ländern an der Ostküste Afrikas nach, in denen, eingeführt von arabischen Kaufleuten und europäischen Missionaren, Swahili gesprochen wird: in Kenia, Tansania und Uganda sowie Teilen von Kongo, Malawi und Sudan. Dem Autor ist die Sprache vertraut: Als Sohn von Naturschützern und Filmemachern ist er in den achtziger Jahren in Kenia aufgewachsen. Seine Reisen in Sachen Shakespeare führen, von erhellenden Erinnerungen begleitet, auch in die eigene Kindheit.
Sansibar oder der letzte Grund der Reiselektüre
Auch Shakespeare hat Afrika erobert, (zunächst) im Gepäck der britischen Forscher und Siedler, doch anders und viel umfassender. Seine Präsenz und Wirkmacht sind außerordentlich, noch erstaunlicher aber sind deren Vielfalt und Verschiedenheit. Die Expedition, die 1857 an der Küste des heutigen Tansania aufbrach, die Nilquelle zu entdecken, wurde von dem noch keine vierzig Jahre alten Richard Francis Burton geleitet. Für Literatur war wenig Platz: "Die wenigen Bücher - Shakespeare, Euklid -, die meine dürftige Bibliothek bildeten, lasen wir gemeinsam immer und immer wieder." Noch ging es nicht darum, die Einheimischen mit der Dichtung bekannt zu machen, sondern - ganz im Gegenteil - um ein Distinktionsmerkmal: Eine vermeintliche Immunisierung gegenüber den "Barbaren", die viele Forscher nach ihm, so Theodore Roosevelt, der 1909/10 eine Jagdsafari unternahm und drei Shakespeare-Bände dabei hatte, mit Burton teilten.
Die nächste Station ist Sansibar, wo 1867 ein Schulbuch - die "Hadithi za Kiingereza" oder "Erzählungen aus dem Englischen" - gedruckt wurde, das eine Generation junger Afrikaner mit den Geschichten von Shylock und Lear lesen und schreiben lernen ließ. Nicht Shakespeare war der Autor, sondern Charles und Mary Lamb, das Geschwisterpaar der Frühromantik, das die Dramen zu kindgerechten Erzählungen vereinfachte: ein erstes, bald weitverbreitetes Angebot, Bekanntschaft mit Shakespeare und der englischen Kultur zu schließen. Das Spätwerk "Der Sturm", das nicht nur den Weg des britischen Kolonialreichs, sondern auch die komisch stümperhaften Versuche, die ihm vorausgingen, prophezeit, stimulierte Adaptionen und Phantasien, die von der Anglisierung der Afrikaner bis zu deren Ausbeutung und Unterdrückung reichen.
In Mombasa bildeten an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert nicht einheimische Afrikaner oder europäische Siedler ein beträchtliches Theaterpublikum, sondern indische Arbeiter, Verwaltungsangestellte und Soldaten. Mehrere zehntausend von ihnen waren zum Bau der Eisenbahn ins Land geholt worden, in das sie ihre Liebe zu Shakespeare mitbrachten. Hunderte von Produktionen in vielen indischen Sprachen, die zunächst die Zensur des Protektorats passieren mussten, verzeichnet die "Kenya Gazette" zwischen 1895 und 1916. Versuche, Europäer anzusprechen, verliefen wenig erfolgreich.
Englisches Drama als Nährboden für afrikanische Politik
Während Karen (Tanja) Blixen und andere Siedler im Hochland Shakespeare zu einem Symbol ihrer Kultur erhoben, begannen afrikanische Politiker, mit dem Barden im Bunde das Kolonialrecht gegen die Herren zu wenden. Jomo Kenyatta, der in England studiert hatte und 1963 erster Präsident von Kenia wurde, zählte Shakespeare zu seinen Lieblingsautoren. Die Mehrzahl derer, die in Uganda nach der Unabhängigkeit Führungspositionen übernahmen, hatte an der Makerere University in Kampala englische Literatur belegt: Shakespeare wurde in Reden von Politikern und Juristen eingeflochten, aber auch in die Folklore der Dörfer, Inszenierungen dienten als Nährboden für politische Gestalten und Bewegungen und waren panafrikanische Veranstaltungen.
In Dar es Salaam hat Julius Nyerere, der ebenfalls in Großbritannien studiert hatte und 1961 erster Ministerpräsident von Taganjika wurde, abends "Julius Caesar" und den "Kaufmann von Venedig" ins Swahili übertragen, während er am Tag über den Wechsel in die Unabhängigkeit verhandelte: In seinen Reden setzten Shakespeare-Zitate nicht selten Nadelstiche gegen die Kolonialherren, seine Blankverse befreiten das Swahili von den Zwängen des traditionellen Reims, und mit dem "Kaufmann von Venedig" entwarf er 1969 eine utopische, pazifistische Vision von Afrikas Zukunft.
Für die beiden letzten Schauplätze überquert Wilson-Lee die Swahili-Sprachgrenze: erst nach Addis Abeba, dann nach Juba. In Äthiopien, wo es nie eine echte Kolonisation, doch bis 1974 eine absolute Monarchie des Typs gab, die Shakespeare Themen schenkte, bildeten Übersetzungen von "Othello", "Macbeth" und "Hamlet" des Dichters Tsegaye Gebre Medhin eine Kulisse für die dekadente Herrschaft und den Sturz von Kaiser Haile Selassie; im Südsudan war Englisch nach der Abspaltung vom arabischen Norden Amtssprache geworden, weil, so berichtete die BBC, der Mann, der beauftragt wurde, Englisch zur Arbeitssprache der Volksbefreiungsarmee zu machen, sich in Shakespeare verliebt hatte. Der erste internationale Auftritt des Südsudan fand mit einer "Kymbelin"-Inszenierung auf der Kulturolympiade 2012 in London statt: In der Bearbeitung des Nationaldichters Joseph Abuk erzählte eine neue Nation der Welt auf dem Weg über Shakespeare ihre Geschichte.
Die Juba-Episode ist ein Nachtrag zu der anderthalb Jahrhunderte umspannenden Darstellung. Denn das Ende des Kalten Krieges bedeutete für die Shakespeare-Rezeption in Afrika eine Zäsur: Kapital und Personal wurden abgezogen, die Ökonomie brach ein, ausländische Schauspieler reisten ab, die Wirtschaftshilfe wurde in den neunziger Jahren halbiert; auch Wilson-Lees Eltern gingen nach Europa zurück. Versuche, ein neues Theaterpublikum aufzubauen, scheiterten: Shakespeare verschwand "von der vordersten Front des ostafrikanischen Lebens".
Der Nachtrag ist zugleich ein Wegweiser dafür, dass Shakespeares Reise durch Afrika mit veränderten Vorzeichen und in verschiedene Richtungen weitergeht. Wilson-Lee, der am Sidney Sussex College der Universität Cambridge lehrt, hat sie in bester angelsächsischer Essaytradition erzählt: lebendig, spannend und mit spekulativen Assoziationen. Seine literarische Spurensuche ist auch eine Auskunft über die Macht der Literatur - und über einen Kontinent, der in der Begegnung mit Shakespeare so viel von sich mitteilt, dass es sogar dessen Vorstellungskraft übertrifft.
ANDREAS ROSSMANN
Edward Wilson-Lee: "Shakespeare in
Swahililand". Eine
literarische Spurensuche.
Aus dem Englischen
von Sebastian Vogel.
Luchterhand Literaturverlag, München 2019.
398 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
'Part travel book, part history of Swahili-speaking African nations, part exploration of Shakespeare's power to touch the human spirit, this is a remarkable account of how his work is woven into the fabric of African life' Daily Mail
'Amid the dozens of books flooding this anniversary season this ... is one of the more interesting ... Wilson-Lee's account of his East African Shakespeare-hunt is vivid and full of insights' Independent
'It has successfully told a lesser-known story of Africa, and it is a story worth knowing' Economist
'Part memoir, part weird and wonderful history of Shakespeare in East Africa' Telegraph
'A perceptive and entertaining guide to the Bard's reception in Swahililand' Literary Review
'I thought nothing could surprise me about the impact of England's greatest cultural figure, but this fascinating, readable book about his influence in East Africa certainly did' The Lady
'Wilson-Lee goes in search of Shakespeare in Africa and finds him entwined in every twist and turn of the drama of colonization and decolonization of the continent from the 17th century to the present. The result is a masterly literary detective adventure' Ng_g_ wa Thiong'o
'Amid the dozens of books flooding this anniversary season this ... is one of the more interesting ... Wilson-Lee's account of his East African Shakespeare-hunt is vivid and full of insights' Independent
'It has successfully told a lesser-known story of Africa, and it is a story worth knowing' Economist
'Part memoir, part weird and wonderful history of Shakespeare in East Africa' Telegraph
'A perceptive and entertaining guide to the Bard's reception in Swahililand' Literary Review
'I thought nothing could surprise me about the impact of England's greatest cultural figure, but this fascinating, readable book about his influence in East Africa certainly did' The Lady
'Wilson-Lee goes in search of Shakespeare in Africa and finds him entwined in every twist and turn of the drama of colonization and decolonization of the continent from the 17th century to the present. The result is a masterly literary detective adventure' Ng_g_ wa Thiong'o