Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 19,95 €
  • Broschiertes Buch

Fasziniert von der Komplexität der Shakespearschen Menschen und ihrer Sprache, hat Thomas Brasch seit Mitte der achtziger Jahre seinen Shakespeare geschaffen. Es sind die Übersetzungen eines modernen Elisabethaners: meisterhafte Aneignungen und Bearbeitungen, die sich an Shakespeares Fähigkeit messen, den längst bekannten Stoff noch einmal, aber anders und eigen zu erzählen. Mit Was ihr wollt, dem musikalischsten aller Shakespeare-Stücke, hatte sich Thomas Brasch erstmals auf Shakespeare eingelassen: 'zufällig'. Aber von diesem 'zufälligen' Anfang hat Brasch seinen ganz eigenen,…mehr

Produktbeschreibung
Fasziniert von der Komplexität der Shakespearschen Menschen und ihrer Sprache, hat Thomas Brasch seit Mitte der achtziger Jahre seinen Shakespeare geschaffen. Es sind die Übersetzungen eines modernen Elisabethaners: meisterhafte Aneignungen und Bearbeitungen, die sich an Shakespeares Fähigkeit messen, den längst bekannten Stoff noch einmal, aber anders und eigen zu erzählen.
Mit Was ihr wollt, dem musikalischsten aller Shakespeare-Stücke, hatte sich Thomas Brasch erstmals auf Shakespeare eingelassen: 'zufällig'. Aber von diesem 'zufälligen' Anfang hat Brasch seinen ganz eigenen, traumwandlerischen Kursus durch das Werk des Elisabethaners genommen. An Richard III. und Romeo und Julia demonstrierte er Shakespeares Humor, Witz und Zynismus in einer ebenso selbständigen wie genauen Nachdichtung. Mit Wie es euch gefällt wandte sich Brasch erneut dem Lustspiel zu, einem Lustspiel freilich, das er als "Trauerspiel" verstand - "und umgekehrt". Macbeth, die letzte der großen TragödienShakes peares, behauptet in Braschs Adaption äußerste Modernität: Unbewußtheit und Einbildung, Verdrängung und zwanghaftes Handeln, psychische und physische Abhängigkeit. Mit Richard II. ist Thomas Brasch nach einer längeren Pause 1999 auf seine Shakespeare-Bühne zurückgekehrt, angelockt von den Widersprüchen in der Gestalt des englischen Königs - gebannt aber auch von der genialen Müdigkeit der Shakespearschen Figuren. Schließlich hat Maß für Maß, Shakespeares schwierigstes und unheimlichstes Lustspiel mit seinen doppelbödigen Konstruktionen und dem maßlosen Format seiner Nebenfiguren, Braschs Interesse auf sich gezogen: diese ganz besondere Herausforderung für jeden Übersetzer, Interpreten und Regisseur.
Autorenporträt
Thomas Brasch, Dichter, Dramatiker, Filmschaffender und Übersetzer, eine der markantesten Figuren der neuen deutschen Literatur, wurde 1945 in Westow/Yorkshire (England) als Sohn jüdischer Emigranten geboren. Bis zu dem Jahr, in dem er die DDR verließ (1976), lebte er in Ostberlin. 1977 erschien sein bekanntestes Buch, der Erzählband Vor den Vätern sterben die Söhne. 2001 ist er in Berlin gestorben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.08.2002

Komm, sanfte Nacht mit schwarzen Augenbraun
Give me my Romeo! Thomas Braschs Übersetzungen von Shakespeares Theaterstücken
Wie steht es nun mit den Werken Shakespeares? Sind sie Drama oder Literatur? Man ist geneigt, diese Frage mit einem großzügigen „sowohl – als auch” zu beantworten, aber das wird dem problematischen Reichtum ihres Doppelwesens nicht ohne weiteres gerecht. Denn lauscht man den Worten mit all der zugespitzten Aufmerksamkeit, die sie verdienen, dann hat man kaum noch Augen für das Agieren der Schauspieler. Folgt man ganz ihnen, geht notwendig ein großer Teil der Sprachkunst verloren.
Die Bühne hat nach wie vor ein starkes Interesse an diesen vierhundert Jahre alten Stücken und muss auf höchstmögliche sprachliche Klarheit drängen. Im englischen Original gibt es da wenig Spielraum, hier steht der Text Shakespeares ein für allemal fest, und der Eingriff, der mehr tut als kürzen, frevelt. Das kann ein großer Nachteil sein; so modern Shakespeares Englisch immer noch anmutet (vergleicht man es mit der deutschen Literatur derselben Zeit), entgeht es auf lange Sicht doch nicht der Gefahr, in seiner unabänderlich starren Gestalt zu veralten und sich zu verdunkeln. Da haben es die Übersetzungen in mancher Hinsicht besser als der von schweren Verpflichtungen belastete Erstgeborene: Hat eine Übersetzung ihr Haltbarkeitsdatum für die Zeitgenossen überschritten, kann das Werk sie abstreifen wie eine Schlange die zu eng gewordene Haut und sie durch eine passende ersetzen.
Entrunzelung gestrichen ...
Die Shakespeare-Übersetzung von Schlegel/Tieck bleibt unangefochten als das große Sprachkunstwerk, das sie ist; aber sie dürfte nach annähernd zweihundert Jahren an die Grenze ihrer Bühnentauglichkeit gelangt sein. Kann jemand noch gleichzeitig dem Sinn einer Verszeile folgen wie „Der grimm’ge Krieg hat seine Stirn entrunzelt” und dem Schauspieler zusehen, wie er sie spricht? Eine Inszenierung, die sich auf die alte Übersetzung stützt, gleicht zunehmend einem Film im OmU-Modus: Über der Entzifferung des Textes verliert man die Szene aus den Augen – oder lässt den Text Text sein und schaut lieber. Die immer heikle Balance zwischen Shakespeare, dem Dichter, und Shakespeare, dem Dramatiker, zu wahren, dazu sind Schlegel/Tieck heute kaum mehr in der Lage. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan.
Gehen muss er darum nicht, aber er sollte doch dem Projekt des verstorbenen Schriftstellers Thomas Brasch den nötigen Raum geben, einen Shakespeare für die heutige Bühne herzustellen. Es ist so legitim wie wünschenswert. Brasch hat die überaus schwierige Aufgabe, dem zeitgenössischen Ohr ohne Rätsel verständlich zu sein und doch die Achtung vor Größe und Alter dieser Dichtung zu bewahren, gemeistert. Bei Shakespeare heißt die zitierte Zeile: „Grim-visag’d war hath smoothed his wrinkled front”, daraus wird hier: „Der Krieg streicht sich die Faltenfratze glatt.” Das ist nicht nur, betrachtet man es genau, dichter am Original als Schlegel, der zudem mit der Entrunzelung der Stirn die Möglichkeiten des Deutschen vielleicht etwas zu kühn und gewaltsam angespannt hat, sondern Brasch hat aus dem rein sprachlichen Gebilde etwas gemacht, das der Schauspieler vorzuführen, in eine Geste umzuwandeln vermag; er gewinnt also unbedingt dabei.
Überhaupt eignet sich der Eingangsmonolog von Richard III., aus dem der Vers genommen ist, sehr gut, um Leistung und Lösungen zu vergleichen. Gleich die erste Zeile wirft das Problem des geflügelten Wortes auf. Sie enthält „the winter of our discontent”, von Schlegel wiedergegeben als „der Winter unsers Missvergnügens”. Darf man hier eingreifen? Einem Wort die Flügel, die ihm gewachsen sind, zu brechen, das bringe wohl nur ein philologisches Gewissen zustande, hat Karl Kraus, dem der deutsche Shakespeare sehr am Herzen lag, bei einem ähnlichen Anlass vermerkt; ihm schwebte die, zumindest partielle, Heiligsprechung der alten Übersetzung vor. Doch wem fliegen diese Worte noch? Man muss es wohl nicht allzusehr bedauern, dass das Konzept Büchmann inzwischen abgewelkt ist, dass nicht mehr auf die halblaute Zitierung eines Halbsatzes die Honoratioren sich bedeutungsvoll zuschmunzeln. Der Missvergnügte, der zurückgesetzte Aristokrat oder Patrizier, spukt noch durchs ganze neunzehnte Jahrhundert; heute ist er, zusammen mit der feudalen Autarkie, auf die er sich stützte, verschwunden. Brasch, dessen Gewissen kein philologisches war, sondern eher ein szenisches, und das heißt: der unbedingten Gegenwart des Abends verpflichtetes, schreibt: „der Winter unsrer Bitterkeit”. Dringlichkeit des Ausdrucks muss den historischen Hintergrund ersetzen – und tut es.
Schiller war der fruchtbare Epigone Shakespeares auf deutschem Boden. Vor allem hat er ihm die Figur mit dem unpsychologischen Vorsatz zum Bösen entlehnt. Sein Franz Moor schreibt sich unmittelbar von Shakespeares Richard her, genauer, von jenen drei Zeilen, in denen der verwachsene Prinz sein Programm nebst Begründung bekannt gibt, bei Schlegel folgendermaßen: „Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter / Kann kürzen diese fein beredten Tage, / Bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden.”Hier nun hat Brasch, anstatt das Pathos der Differenz zu wahren, sich zur eingängigen Grobheit verleiten lassen. „Weil ich den Liebhaber nicht spielen kann, / die Tage voll Geschwätz mir kürzend so, / hab ich beschlossen, hier den Dreckskerl aufzuführn”. Im Englischen steht „villain”, das dürfte zwischen Bösewicht und Dreckskerl so ungefähr die Mitte halten. Und doch bedeutet „Dreckskerl” einen Missgriff. Kein Mensch wird sich je ausdrücklich entschließen, ein Dreckskerl zu werden, er muss sich höchstens in bewegten Tönen vorhalten lassen, dass er ein solcher sei, namentlich von Frauen. Gleich zwei Frauen richtet der Bösewicht im Lauf des Stücks zugrunde; ihr Schicksal vollzieht sich so kalt und präzise, wie ein bloßer Dreckskerl es niemals anpeilen könnte, da braucht es mehr an krimineller Energie. Der Dreckskerl ist ein spontaner Materialist, ein vulgäres Schwein; der Bösewicht ein zur Sünde hochmütig Entschlossener, er praktiziert eine sehr spitz und bedachtsam geschnittene Art von Idealismus.
... und Sterne mitgedacht
Die strengste Probe auf jede Shakespeare-Übersetzung aber muss „Romeo und Julia” bleiben. Zwar „bohrt” man hier bei Schlegel „einen Esel”, um einen Passanten zu beleidigen, während Brasch, heutzutage leichter verständlich, den Finger zeigt, zum selben Zweck. Insgesamt jedoch kann man hier schlechterdings nichts auf historische und philologische Schwierigkeiten schieben, es geht um die immer aktuelle Frage, ob die große Liebe auf den ersten Blick – innerhalb der hundert ersten gewechselten Worte, wie es im Stück heißt – möglich sei oder nicht. Ja, sagt das Drama, und liefert den eindringlichsten Beleg dafür in der an Liebesgeschichten nicht eben armen Literaturgeschichte Europas. Von zweiundsiebzig Stunden höchstens werden Bekanntschaft, Erklärung, Eheschluss, Brautnacht und Doppelselbstmord umschlossen – und dazwischen ist noch Zeit, dass Julia sich hinaussehnt über den nächtlichen Balkon: „Come, night! come, Romeo! come, thou day in night! / For thou wilt lie upon the wings of night, / Whiter than new snow on a raven’s back. / Come, gentle night; come, loving, black-brow’d night, / Give me my Romeo.”
Es scheint, dass man hier bei genauer Wörtlichkeit eigentlich in der Übertragung nichts falsch machen könne. Und doch schaffen es beide Versionen, Schlegels sowohl wie die von Brasch, die Intensität dieser Stelle durch Ungenauigkeit zu beschädigen. Bei Schlegel hört es sich folgendermaßen an: „Komm, Nacht! Komm Romeo, du Tag in Nacht! / Denn du wirst ruhn auf Fittichen der Nacht, / Wie frischer Schnee auf eines Rabens Rücken. / Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gieb / Mir meinen Romeo!” Bei Brasch: „Komm, Nacht, komm, Romeo, du Tag bei Nacht, / denn auf den Flügeln dieser Nacht wirst du / weiß wie der Schnee auf Rabenrücken sein. / Komm, sanfte Nacht mit schwarzen Augenbraun. / Gib mir doch Romeo.”
Beide Übersetzungen gehorchen dem Blankvers, dem fünfhebigen Jambus, der sich im Deutschen im Verhältnis zu dem knapperen Englisch immer etwas in Atemnot befindet. Darum werfen sie beide das wichtigste Wort der Passage über Bord, das dritte „komm”, in dem sich die bloße Reihe zur Litanei komplettiert. Schlegel steht der barocken Antithese von Schnee und Rabe erkennbar noch näher als Brasch. Dieser wiederum hält es für überflüssig, „meinen” Romeo zu betonen, setzt den etwas verlorenen Silbenfüller „doch” – gewinnt so aber Raum, die Nacht, wie es sich gebührt, als die mit den schwarzen Augenbrauen anzusprechen, was Schlegel mit „mild” über die Grenzen des stilistisch Erlaubten hinaus unter den Teppich kehrt. Wie wunderbar ist die Nacht mit schwarzen Brauen! Eine Allegorie ist sie; wir sind heute gewohnt, nicht allzu freundlich über Allegorien zu denken. Aber die Brauen verweisen auf die Augen darunter, und so sind, ohne dass dies mühsam expliziert werden müsste, die Sterne mitgedacht, Hell auf Dunkel, und der Nachthimmel erscheint auf poetischem Wege umgedeutet zu einem schönen Menschengesicht. Den Liebenden gelingt es in der bedeutungsvollsten Nacht ihres Lebens.
Dies haben wir den native speakers voraus: dass wir durch die vergleichende Arbeit der Übersetzung zu einer tieferen Einsicht in die Qualität des Originals gelangen können. Dieser Weg zu Shakespeare jedenfalls ist einem Briten versperrt. Brasch hat sich angelegentlich um jede der rund 25 000 Zeilen in sieben Stücken dieses „dead white male” bemüht. Shakespeare ist längst gegangen, Brasch ist ihm vor einiger Zeit gefolgt. Ihnen beiden hat Katharina Thalbach, die über Jahrzehnte hinweg und oft auch auf der Bühne mit Thomas Brasch zusammen gearbeitet hat, ein schönes Nachwort gewidmet, das so endet: „Zum Glück bleiben eure Worte und uns die Chance, sie immer und immer wieder auf Bühnen und Nudelbrettern mit Leben zu erfüllen. Thomas, deine Übersetzungen bleiben, aber du fehlst mir. Deine kleine dunkle Dame.” BURKHARD MÜLLER
THOMAS BRASCH: Shakespeare-Übersetzungen. Macbeth, Maß für Maß, Richard II., Richard III., Romeo und Julia, Was ihr wollt, Wie es euch gefällt. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2002. 608 Seiten, 29,90 Euro.
Was bleibt? Der junge Thomas Brasch und der alterslose William Shakespeare, sinnend.
Fotos: Isolde Ohlbaum (li.) / SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In mancher Hinsicht haben es Übersetzungen leichter als das schweren Verpflichtungen unterliegende Original, gibt Rezensent Burkhard Müller zu bedenken: Hat eine Übersetzung ihr Haltbarkeitsdatum für die Zeitgenossen überschritten, könne das Werk sie abstreifen wie eine Schlange die zu eng gewordene Haut und sie durch eine passende ersetzen. Dieses Wagnis hat der verstorbene Schriftsteller Thomas Brasch mit seiner neuen Shakespeare-Übersetzungen auf sich genommen, berichtet Müller. Nach annähernd zweihundert Jahren scheint ihm die Shakespeare-Übersetzung von Schlegel/Tieck, die er als "großes Sprachkunstwerk" würdigt, an die Grenze ihrer Bühnentauglichkeit gelangt. Insofern hält Müller Braschs Projekt für "so legitim wie wünschenswert". Am Beispiel prominenter Passagen aus "Richard III." und "Romeo und Julia" vergleicht Müller in einer Art Wettstreit dann die Übersetzungskunst von Schlegel/Tieck und Brasch. Dabei kann Müller zeigen, dass Brasch oft näher am Original ist und dennoch einen zeitgemäßeren Ton trifft. Bisweilen treffen allerdings beide nicht ganz ins Schwarze, meint Müller. Alles in allem viel Lob für Brasch. Fazit des Rezensenten: "Brasch hat die überaus schwierige Aufgabe, dem zeitgenössischen Ohr ohne Rätsel verständlich zu sein und doch die Achtung vor Größe und Alter dieser Dichtung zu bewahren, gemeistert."

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr